Montag, 23. Februar 2015

Keiner schleicht mehr


Dem Kollegen Hoenig aus Berlin ist der Hinweis auf einen Artikel in der Berliner Zeitung zu verdanken, der sich - ungewohnt kompetent für sonstige Presseverhältnisse - mit dem so genannten "Schwarzfahren" befasst. Angeblich sollen in Berlin 20- 30 % aller Strafverfahren so genannte "Leistungserschleichungsdelikte" betreffen.

Für ein Verhalten, dass sich noch nicht einmal unter den betreffenden Straftatbestand subsumieren lässt, ist das beachtlich. Die rechtliche Problematik ist in dem zitierten Artikel recht gut dargestellt. Kurz: Früher konnte man am Bahnbeamten (ja ja, das waren Beamte!) vorbeischleichen und erfüllte den Tatbestand, heute geht das nicht mehr, weil kein Beamter mehr da ist. Wo aber kein Schleichen, da kein Delikt. Ganz einfach, eigentlich.

Die herrschende Rechtsprechung widerspricht hier eindeutig dem Gesetz. Die wahre Frechheit an dieser Rechtsprechung ist aber, dass sich die Justiz hier seit Jahren ohne Not zum Büttel der Verkehrsbetriebe macht, indem sie ohne erkennbares Mandat munter deren Interessen wahrnimmt. Die haben nämlich aus wirtschaftlichem Gewinnstreben nach und nach ihre "Beamten" eingespart und durch Automaten ersetzt. Das dürfen sie zwar, dürfen dann aber nicht erwarten, dass ihnen immer noch derselbe strafrechtliche Schutz zuteil wird. Tun sie aber, und die Justiz tut mit.

Da den Gerichten also offenbar nicht beizubringen ist, dass "Leistungserschleichung" (§ 265a StGB) ein Betrugsdelikt ist und daher die Täuschung eines Menschen voraussetzt, hilft wohl nur der Gesetzgeber. Ein mutiger Bundesgesetzgeber könnte da große Erfolge in der Kriminalstatistik feiern, wenn er dem einschlägigen Paragraphen endgültig sein wohlverdientes Ende bereiten würde. 20-30 % der Straftaten wären von einem Tag auf den anderen weg!

Daneben würde eine Verhaltensweise entkriminalisiert, die allein zivilrechtliche Relevanz hat.


15 Kommentare:

  1. Wenn ein Mensch (Schaffner) getäuscht wird, wäre es ein Betrug (§ 263 StGB), keine Leistungserschleichung (§ 265a StGB). § 265a StGB wurde gerade deshalb eingeführt, weil das Reichsgericht bereits im Jahr 1908 entschieden hatte, dass eine Betrugsstrafbarkeit ausscheide, wenn nicht feststellbar sei, dass der Täter einen Bahnmitarbeiter getäuscht hatte (RGSt 42, 40, 41); das Reichsgericht hatte angeregt, die bestehende Strafbarkeitslücke für sogenannte blinde Passagiere durch eine neue Strafvorschrift zu schließen.

    Dementsprechend heißt es schon in der zugrundeliegenden Entwurfsbegründung: "Erschleichen ist nicht gleichbedeutend mit Einschleichen. Auch wer offen durch die Sperre geht, sich dabei aber so benimmt, als habe er das Eintrittsgeld entrichtet, erschleicht den Eintritt. Auch ein bloß passives Verhalten kann den Tatbestand des Erschleichens erfüllen; so fällt auch der Fahrgast einer Straßenbahn unter die Strafdrohung, der sich entgegen einer bestehenden Verpflichtung nicht um die Erlangung eines Fahrscheins kümmert".

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    1. Ich empfehle die Kommentierung von Fischer, StGB.

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    2. Auch Herr Fischer - der persönlich der durch den BGH abgelehnten Minderansicht anhängt - schreibt (natürlich) mit keinem Wort, "dass Leistungserschleichung ein Betrugsdelikt ist und daher die Täuschung eines Menschen voraussetzt."

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    3. Die Rechtsprechung geht auch noch über das hinaus, wie der "Ich fahre schwarz"-Fall zeigt http://www.n-tv.de/ratgeber/T-Shirt-schuetzt-vor-Strafe-nicht-article746230.html

      Da das Gericht verlangt, dass man den Fahrer solange belästigt, bis dieser das T-Shirt ausdrücklich zur Kenntnis nimmt, ist hier also eine Garantenpflicht eingeführt, ohne dass die aus dem Gesetzeswortlaut erkennbar wäre. Darüber hinaus ist diese Garantenpflicht auch noch so ausgestaltet, dass der Garant denn Nachweis der Kenntnisnahme zu erbringen hat, also der Beweis ds schlichten Mitgeteilthabens nicht ausreicht. Das ist mal allerhand.

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  2. Danke für den kompetenten Kommentar! Das ist leider ein wirklich enttäuschender Blogeintrag...

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    1. Das ist leider ein enttäuschender Kommentar! Es fehlt an jeglicher sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.

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    2. Ihr Blogeintrag gibt zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wirklich keinen Anlass. Dass man gegen den BGH argumentieren kann, ist klar, aber doch nicht so (sondern zB so: www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/09-02/index.php?sz=8 ).

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  3. Sehr geehrter Herr Kollege Nebgen,

    auch wenn ich Ihren Blog im Allgemeinen schätze und Ihre Meinung zur rechtlichen Einordnung der Schwarzfahrt in Verkehrsmitteln ohne jegliche Fahrkartenkontrolle teile, ist Ihr Beitrag und Ihre Reaktion auf einen kritischen Kommentar mehr als peinlich. § 265a setzt eben gerade nicht die Täuschung eines Menschen voraus, sonst wäre er nämlich neben § 263 völlig überflüssig. Der von Ihnen zur Lektüre empfohlene Herr Fischer definiert Erschleichen als das unberechtigte Erlangen der Leistung durch unbefugtes und ordnungswidriges Verhalten unter manipulativer Umgehung von Kontrollen oder Zugangssperren (§ 265a, Rn. 3, 6 ff.). Wer der Rechtsprechung attestiert, eindeutig dem Gesetz zu widersprechen, sollte die eigene Rechtsauffassung schon etwas exakter formulieren.

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  4. -> Anonym, 23.2., 10:27:

    "Herr Fischer definiert Erschleichen als das unberechtigte Erlangen der Leistung durch unbefugtes und ordnungswidriges Verhalten unter manipulativer Umgehung von Kontrollen oder Zugangssperren".

    Dann ist doch die dem vernehmen nach übliche Praxis: Jemand hat kein Ticket, zeigt bei der Kontrolle keines vor, wird aufgeschrieben, und das zwei, drei Mal -> Strafanzeige -> Strafurteil ja gerade nicht passend. Denn hier werden ja Kontrollen/Zugangssperren *nicht* manipulativ umgangen.

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  5. Hier wird garnicht differenziert über die - Gründe - einer Elangung von Leistung durch Heimtücke.

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  6. Also der Fahrgast steigt in die Straßenbahn ein um mit ihr von A nach B zu fahren, obwohl er kein Geld dabei hat. Sieht für mich nach dem klassischen Eingehungsbetrug aus. Er hat hier einen Dritte, in dem Fall die Verkehrsbetriebe, über Zahlungswillig- und Zahlungsfähigkeit getäuscht dafür aber eine Leistung, genutzt. Er wusste ja bereits zu Beginn der Fahrt, dass er diese überhaupt nicht zahlen kann und will. Den Verkehrsbetrieben gerade in Großstädten entsteht dadurch ein erheblicher Mehraufwand, da dem Schwarzfahrer mit Mahnungen eh nicht nachzukommen ist. Nun ja, irgendwann ist auch eine Betrugsanzeige für einige nicht mehr motivierend ihr Verhalten zu unterlassen. In der Regel zeigen Verkehrsbetriebe auch keine Schwarzfahrer an, weil sie davon schlichtweg ihr Geld auch nicht bekommen.

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  7. Beitrag und Reaktionen des Blogbetreibers in den Kommentaren zeugen wirklich von einer nicht unerheblichen Überheblichkeit. Von dem Herrn Blogbetreiber abgesehen, hat niemand irgendwas verstanden. Zunächst wird im Beitrag die Rechtsprechung abgewatscht:

    "Die herrschende Rechtsprechung widerspricht hier eindeutig dem Gesetz."

    "Da den Gerichten also offenbar nicht beizubringen ist, dass "Leistungserschleichung" (§ 265a StGB) ein Betrugsdelikt ist"

    Danach sind die Kommentatoren dran. Dabei merkt der Blogbetreiber offenbar nicht, dass er genau jenes sture, fremden Argumenten unzugängliche, voreingenommene Verhalten zeigt, das von Verteidigern oft (und manchmal zu Recht) uns Richtern vorgeworfen wird.

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    1. Hallo Nils,
      beschäftigen sie sich mal mit dem Internet-Recht.
      Dieser Blog ist sozusagen das virtuelle Wohnzimmer von Herrn Nebgen.
      Insofern kann man ihr Verhalten als Gast dieses privaten Wohnzimmers als äußerst ungehörig ansehen.
      Ein "abwatschen" der Kommentatoren kann ich nicht erkennen, schließlich geht es um ein rechtliches Problem und nicht um eine Fernsehsendung.
      Im übrigen ist ihre Überhebung als Richter schon erstaunlich.

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  8. Hallo Tourix,

    niemand bestreitet hier, dass der Kollege Nebgen sich in seinem privaten Blog benehmen darf, wie er will und Beiträge von beliebig guter oder schlechter Qualität veröffentlichen darf. Wenn er als Gastgeber eine Kommentarfunktion etabliert, lädt er dabei allerdings selbst zur Diskussion und auch Kritik ein, wobei er selbst durchaus auch den Tonfall der Diskussion vorlegt. Wenn ihm ein Kommentar trotzdem nicht passt, bleibt es ihm natürlich unbenommen, ihn zu löschen. Einem Kommentator, der sich immerhin die Mühe macht aus der Gesetzesbegründung zu zitieren einen Verweis auf einen Fachkommentar um die Ohren zu hauen, in dem die sachlich schlicht falsche Aussage, § 265a setze die Täuschung eines Menschen voraus, gar nicht drinsteht, ist schon ein wenig peinlich.

    RA Ullrich

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  9. Die Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte sich über diese Strafnorm als Inkassobüro der Verkehrsbetriebe aufzuspielen, wäre durchaus eine Diskussion wert.

    Es ist tatsächlich so, dass in Großstädten diese Verfahren einen Großteil ausmachen - formell gesehen. Nach meiner Erfahrung in Berlin packt man sich aber solche Verfahren eher auf Halde und nimmt sie mit, wenn eh ne Anklage oder ein Strafbefehl erstellt wird. Sind ja meistens viele Einzeltaten, die dann aber von so geringen Gewicht sind, dass sie die Gesamtstrafe nur etwas nach oben treiben.

    In Berlin solls wohl in den JVA wohl auch nicht einen zu kleinen Teil geben, die ihr Erschleichen als Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Nach Gerüchten sollen das wohl 1/4 bis 1/3 der Insassen sein, wobei mir da seriöse Quellen fehlen.

    Zur Strafnorm selbst wäre es durchaus schön, wenn sich Gerichte mal genauer mit dem Wortlaut auseinandersetzen. Ist aber leider nicht so wirklich realistisch, weil offenbar die Vorstellung der Norm ("Schwarzfahren") wichtiger ist als der Wortlaut. Diskussionen kann man sich sparen, es wird von Seiten der Amtsgerichte und auch von Seiten der Staatsanwaltschaften da keine Diskussion gewünscht.

    Rechtspolitisch ist es natürlich schon ein Problem, dass man damit viele Menschen unnötig kriminalisiert. Der Vorwurf ist so lächerlich gering, dass er eigentlich das Paradebeispiel einer Owi sein müsste, denn das Unrecht ist so gering ausgeprägt, dass es genau zur entkriminalisierten Owi passt. Wird aber nicht passieren, denn Verkehrsbetriebe sind meist in staatlicher bzw. kommunaler Hand, so dass schon mal ein hübsches Plus ist, wenn ein Eigenbetrieb damit drohen kann. Auf Grund des Strafrechts, dass insbesondere Mehrfachtäter und auch Wiederholungstäter gut zu behandeln weiß, ist das Druckmittel für den erfahrenen Straftäter durchaus nicht zu unterschätzen und selbst der einfache Bürger wird nach der n-ten Verurteilung ein Problem bekommen.

    Insofern ist es völlig unrealistisch, wenn man hier Erwartung an den Bundesgesetzgeber hat. Die Entwicklung auf der zivilrechtlichen Seite in Form des erhöhten Beförderungsentgelts, was insbesondere durch die Bundesländer immer wieder mal angesprochen wird, zeigt in eine ganz andere Richtung. Da ist es dann auch egal, dass kriminalpolitisch mit dem Tatbestand noch ganz andere praktische Probleme verbunden sind.

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