Mittwoch, 20. November 2013
Bedauerliches deutsches Recht
Was für eine Geschichte: In München sitzt ein alter Mann in einer Etagenwohnung und hortet Kunstwerke. Weil diese Kunstwerke irgendwie sein ganzes Leben schon da waren, hat der Mann eine sehr enge Bindung zu ihnen aufgebaut, wohl auch, weil Bindungen zu Menschen nie so sein Ding zu waren. Nun sind die Kunstwerke weg; die Staatsanwaltschaft hat sie mitgenommen.
Die Hintergründe dieser Geschichte sind für viele Seiten ein Skandal, wenn auch aus vielen verschiedenen Gründen. Denn der alte Mann hatte die Kunstwerke nicht originär erworben, sondern von seinem Vater "geerbt". Wir setzen das mal vorsichtshalber in Anführungszeichen. Der Vater war Kunsthändler im "Dritten Reich" und von den Nazis damit beauftragt, "Entartete Kunst" ins Ausland zu verschachern. Die gleichnamige Insel in der Hamburger Außenalster ist übrigens nicht nach ihm benannt, sondern nach einem Namensvetter, der Philologe war.
Nun streiten sich die Gelehrten und andere, wem die Bilder wohl gehören könnten und wo sie hingehören. Der arme alte Mann möchte sie wiederhaben. Es seien schließlich seine. Das ist ein Skandal. Schließlich wurden die Bilder von den Nazis geraubt. Wurden sie? Selbst wenn, sagt ein Münchner Jurist, wären Ansprüche jedenfalls verjährt. "Nach bedauerlichem deutschen Recht", fügt er hinzu. Das ist ein Skandal. Das deutsche Recht ist nicht bedauerlich. Aber seit wann kann Eigentum verjähren? Da fallen auch so exotische Begriffe wie Ersitzung - etwas das jeder Jurist kennt, aber noch keiner je in natura erlebt hat. Kann man Kunstwerke ersitzen?
Das soll jetzt eine Kommission klären, vom Ausland argwöhnisch beäugt. Da wird man akribisch die Herkunft jedes einzelnen Bildes verfolgen müssen. Und wenn dabei nichts herauskäme? Das wäre ein Skandal. Denn gibt es nicht im bedauerlichen deutschen Recht so etwas wie eine Eigentumsvermutung des letzten Besitzers.
Da sind wir wieder beim armen alten Mann aus der Münchner Etagenwohnung. Dem will die Staatsanwaltschaft inzwischen die ersten Bilder wieder zurückgeben. Es ist ein Skandal.
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Sie fragen, seit wann Eigentum verjähren kann? Der Herausgabeanspruch des Eigentümmers nach § 985 BGB verjährt nach 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Ziemlich einfach. Verjährungsvorschriften sind natürlich immer irgendwie bedauerlich.
AntwortenLöschenKollege Stadler, Sie verwechseln das (unverjährbare) Eigentum mit dem (verjährbaren) Herausgabeanspruch aus § 985. Juristen können so spitzfindig sein!
LöschenJura, ick find dir knorke. Danke Herr Nebgen.
LöschenIst die Verwechslung nicht eher auf Ihrem Mist gewachsen, Herr Nebgen? Der Münchner Jurist sprach laut FAZ von der Verjährung von Ansprüchen. Sie waren es, der die Frage nach der Verjährung von Eigentum stellte. Und Sie waren der einzige. Natürlich kann Eigentum nicht verjähren, es ist ja auch kein Anspruch (vgl. § 194 BGB). Aber der Anspruch aus § 985 BGB kann verjähren - und darum ging es dem Münchner Jurist wohl.
Löschenplus -en
LöschenHerr Nebgen würde niemals Verjährungsvorschriften anwenden.
AntwortenLöschenEs sei denn, sie wirkten zugunsten seiner Mandanten.
In welcher Welt leben Sie denn?
AntwortenLöschenHerr N. würde auch in diesem Fall auf juristische Spitzfindigkeiten verzichten. Letztlich ist er als Organ der Rechtspflege auch der Wahrheit verpflichtet. Und wenn beispielsweise der Mandant die Oma des Richters massakriert hat - und? Herr N. würde dann niemals einen Ablehnungsantrag gegen den Richter stellen.
Herr N. ist die personifizierte materielle Gerechtigkeit. Da kann sich so mancher Rechtsverdreher noch ne Scheibe von abschneiden.
Das Bedauerliche ist, dass bei der Schuldrechtsreform 2002 dieses Resultat vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen wurde - es fehlte im Gesetzgebungsverfahren nicht an Gegenvorschlägen und wissenschaftlichen Stellungnahmen zur Reform des Verjährungsrechts, die genau auf die Raubkunst abstellten (z.B. Siehr, ZRP 2001, 346). Der Gesetzgeber - und zwar der von 2002 und nicht der von 1949 - hat es nicht anders gewollt.
AntwortenLöschenVielleicht liegt das Problem weniger in der Ersitzung oder in der Verjährung, sondern ganz allgemein in der Vererbbarkeit von Eigentum. Wieso sollte jemand 1.400 Bilder in seiner Wohnung horten dürfen, nur weil sein Vater einstmals irgendwie an diese Bilder kam?
AntwortenLöschenOb diese Lotterie des Lebens wirklich so schützenswert ist, wie Art. 14 I 1 GG es postuliert, erscheint mir zweifelhaft.