Dienstag, 6. August 2013

Der SWR erklärt den Rechtsstaat


In Koblenz wurde eine Frau wegen Doppelmordes an ihren Schwiegereltern zu lebenslanger Haft verurteilt. Einzelheiten aus dem Verfahren waren mir bisher noch nicht bekannt, die Kollegin Rüber wies aber dankenswerterweise auf einen aufschlussreichen Beitrag aus der SWR-Landesschau hin. Den sollte man sich aus pädagogischen Gründen nicht entgehen lassen.

Dort kann man nämlich so ziemlich alle Fehlvorstellungen beobachten, die man über Strafrecht und Gerechtigkeit so haben kann. Es wäre lehrreich, wenn nicht der Grusel so dermaßen überwiegen würde.

Wir sehen eingangs des Berichts eine "Prozessbeobachterin", die eine "besondere Beziehung" zu den Opfern hatte. Sie hat nämlich in deren Laden  immer Tomaten oder Schafskäse gekauft. Deshalb war sie bei jedem Prozesstag zugegen und will natürlich unbedingt dabei sein, wenn das Urteil gesprochen wird. Sie hat extra ihren Klappstuhl mitgebracht.

Eine Meinung hat sie sich natürlich auch gebildet, oder besser: ein Gefühl entwickelt, dem sie jetzt augenscheinlich komplett unreflektiert folgt. Im O-Ton heißt das:

 "Das berührt mich. Ich möchte, was ich empfinde, ja auch bestätigt haben."

In einem Rechtsstaat wäre mir vor der Verhängung der Höchststrafe etwas weniger Gefühl und etwas mehr Rechtsstaatlichkeit zwar ganz lieb, aber das war ja auch erst die Stimme des Volkes. Im Anschluss kommt die Staatsanwaltschaft zu Wort und es wird leider nicht besser.

Die Staatsanwaltschaft hat nämlich nur "Indizien", versucht aber laut SWR "trotzdem zu beweisen, was ...passiert ist". Mehr Irrsinn passt kaum in einen einzelnen Satz. Zunächst ist da wieder die beliebte Unterscheidung in Indiz und Beweis. Beweis und Indiz sollen ja angeblich unterschiedliche Dinge sein, aber wenn dem so wäre, wie wollte man dann mit "Indizien" etwas "beweisen"? Das ginge ja dann schon systematisch gar nicht. Ist aber auch nicht so, ist bloß dummes Journalistengeschwätz.

Lange habe man daher - jawohl - "im Dunkeln getappt", dann aber habe die Staatsanwaltschaft ein Motiv gefunden: Die Angeklagte hätte die Opfer - ihre Schwiegereltern -  "nicht leiden können". Geschafft! Ein starkes Indiz für ein Tötungsdelikt! Oder gar der Beweis? Schließlich hättedie Angeklagte auch noch etwas erben können. Das mag ein mögliches Motiv sein - wenn auch ein schwaches - wo aber bleiben denn jetzt die angekündigten Indizien Beweise? Der Bericht verrät es uns: "Schlagkräftige Beweise gibt es nicht." Die böse Angeklagte und ihre bösen Angehörigen schweigen nämlich unerhörterweise.


Aber dann kommt in weißer Rüstung eine Staatsanwältin zu Wort, und jetzt weicht das Befremden endgültig dem blanken Horror:

"Wir hatten eben wenig anfänglich und daher ja auch die lange Zeit der Ermittlungen, wo gesammelt werden musste".

Was man da gesammelt oder gar gefunden hat, verrät uns die Staatsanwältin nicht. Allerdings vermittelt die Formulierung nicht gerade den Eindruck, als habe man objektiv ermittelt, sondern vielmehr, als habe man alles zusammengetragen, was man gemeint hat, irgendwie gegen die Angeklagte verwenden zu können. Wäre es so, wäre es skandalös. Und offenbar handelt es sich nicht nur eine ungeschickte Formulierung der Staatsanwältin, sonst hätte die Staatsanwaltschaft das Interview in dieser Form wohl kaum freigegeben. Das wäre für einen guten Journalisten Anlass für mindestens ein Dutzend sehr kritischer Fragen gewesen, nicht so für den SWR.

Dort kommt stattdessen wieder die Schäfskäsekäuferin vom Anfang zu Wort. Sie ist mit dem Urteil zufrieden.




5 Kommentare:

  1. Sehr belustigend geschrieben. Ich hatte - lustigerweise - den betreffenden Beitrag schon gesehen. Mir war aber nichts weiter aufgefallen. Aber ich bin auch kein Strafverteidiger. :-)

    Bei vorsätzlichen Tötungsdelikten sollte das Motiv für die Tat bei den Ermittlungen tatsächlich eine Rolle spielen.

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    1. Motive haben viele. So hätte ja der Ehemann der betreffenden Frau ein viel größeres Motiv, seine Eltern umzubringen, er wäre nämlich im Regelfall der Erbe. Für die Ermittlungen sollte nur eine Rolle spielen, ob man die Tat beweisen kann.

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  2. Das Motiv für die Ermittlungen aber auch.

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  3. Ziemlich weltfremder Blödsinn in meinen Augen. Die Frage der Beweisbarkeit kommt nach der möglichen Täterschaft. Aber ich bin auch kein Bulle.

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  4. Wenn jeder morden würde, weil er jemanden nicht leiden kann - was hätten wir für einen Bevölkerungsschwund!

    Es bleibt, wie es schon immer war.

    Man sucht sich einen Beschuldigten aus und blendet den Rest einfach aus! Stattdessen versucht man jedes noch so kleine Indiz gegen den Beschuldigten bis kurz vorm Platzen aufzublähen.

    War ja bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden nicht anders. Andere Täter? Rechtsextremistischer Hintergrund? Nee, irgendwas mit ausländischen Drogenbanden wird's sicher gewesen sein.

    Lerneffekt der Ermittlungsbehörden = 0.

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