Donnerstag, 19. April 2012

Vergleich mit sich selbst

Neulich beim Strafverteidigertag saßen zwei Richter hinter mir, die Anekdoten austauschten. Eine davon habe ich zufällig mitgehört. Der eine Richter berichtete von einem Schöffen, der in der Beratung einer Strafsache Folgendes geäußert habe: Wo doch nicht sicher sei, ob der Angeklagte der Täter sei, müsse man den Angeklagten doch eigentlich etwas milder bestrafen.

Das lässt Erstaunliches über die Denkweise einiger Menschen erahnen, von denen einige sogar als Schöffen tätig sind. Aber in erster Linie habe ich mich an eine bestimmte Art von Berufsrichtern erinnert gefühlt, die genau so zu denken scheinen wie dieser Schöffe:

1. Der Angeklagte ist immer schuldig.
2. Wenn sich die Schuld nicht erweisen lässt, wirkt sich das strafmildernd aus.

Diese Berufsrichter haben entsprechend eine Freispruchquote, die nahe null liegt, liegen dafür aber im Strafmaß mitunter absurd unter dem, was der Schuldspruch - wenn er denn stimmte - eigentlich erfordern würde. Dem scheint weniger Bösartigkeit zugrunde zu liegen als vielmehr eine möglicherweise auch an das berufliche Fortkommen gekoppelte Angst der Richter, zu viele Menschen ungeschoren davon kommen zu lassen. Ich habe erst einen Richter getroffen, der von sich gesagt hat, dass er gerne freispreche.

Weil der beschriebene Richter sich häufig aber nicht recht wohl fühlt mit seinen Verurteilungen, kompensiert er sein Unwohlsein, indem er das Strafmaß extrem niedrig ansetzt. Er schließt einen Vergleich mit sich selbst, weil er eben nicht ganz sicher ist. Juristisch ist das falsch und gedient ist damit auch keinem. Anders als im Zivilrecht ist im Strafrecht die gute Lösung nicht diejenige, mit der alle Beteiligten gleich unzufrieden sind. Der unschuldige Angeklagte wird sich auch durch eine niedrige Strafe genauso ungerecht behandelt fühlen; der schuldige wird möglicherweise den Richter nicht mehr ernst nehmen.

Was ich an diesen Richtern vermisse, ist der Mut zur eigenen Überzeugung.

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