Donnerstag, 21. Dezember 2017

Rosa langt zu



Liebe Kinder, heute machen wir mal etwas, das ihr alle noch nie in der Schule hattet und das ihr auch danach nie für beachtenswert hieltet, außer vielleicht, ihr hättet es zufällig studiert. Aber keine Angst, es ist nicht klausurrelevant. Ich spreche von Ökonomie.

Da stellen wir uns einfach mal vor, Simone möchte sich einen rosa Rasierer kaufen. Der kostet 3,50 Euro. Das ist eine Frechheit, denn auch Peter möchte sich einen Rasierer kaufen, einen blauen, der kann dasselbe und kostet bloß 2 Euro. Skandal!

Unter dem #genderpricing äußern sich derzeit im Internet und in der richtigen Welt diverse Menschen empört darüber. Friseurbesuche sind für Frauen teurer als für Männer! Lest nur  z. B. diesen wissenschaftlich äußerst fundierten Beitrag mit der Überschrift "Rosa kostet mehr" im Neuen Deutschland. (Ja, das gibt es noch.) Dienstleistungen gerade im Schönheits- und Pflegebereich kosten für Frauen mehr als für Männer. Nein! Doch! Ohh!

Aber Moment! Wer sagt eigentlich, dass Simone den rosa Rasierer kaufen muss? Warum kauft sie nicht einfach den blauen Rasierer und rasiert sich damit? Egal. Da ist schließlich immer noch die Sache mit dem Friseur. Da kann Simone ja nicht einfach behaupten, sie wäre ein Mann. Da wird sie doch nun wirklich über den Löffel barbiert!

Aber warum ist der Friseur für Simone eigentlich teurer als für Peter? Hat Peter etwa weniger Haare? Nun, das wissen wir nicht. Haben aber vielleicht alle Peters im Schnitt - verzeiht das alberne Wortspiel, liebe Kinder, bei Friseuren liegt das einfach zu nahe - haben also vielleicht die Peters durchschnittlich einfach weniger Haare als die durchschnittliche Simone? Das ist schon möglich. Aber was kann Simone dafür? Oder ist das vielleicht die völlig falsche Frage? Und was ist mit der Partnerschaftsbörse, bei der Peter dreimal so viel bezahlt wie Simone? Warum regt sich darüber niemand auf?

Liebe Kinder! Da hat ein sehr kluger und weithin unterschätzter Mann vor jetzt ziemlich genau 119 Jahren ein großartiges Buch geschrieben. Der Mann hieß Thorstein Veblen (komischer Name) und war ein US-amerikanischer Soziologe und Ökonom. Sein Buch heißt "The Theory of the Leisure Class" (Deutsch: Theorie der feinen Leute, 1899) und da beschreibt er etwas für die Wirtschaftswissenschaft der damaligen Zeit Ungeheures: Manche Menschen geben für eigentlich unsinnige Sachen viel Geld aus. Bis dahin war man nämlich weithin davon ausgegangen, dass der Mensche bei seinen Entscheidungen völlig rational handelte und nannte das auch noch "Homo Öconomicus" - als wäre das eine eigene Gattung Mensch. Obwohl das schon damals gar nicht stimmte, aber das ist eine andere Geschichte.

Der kluge Herr Veblen hat sich so ziemlich als Erster bewusst gemacht, dass der Mensch alles andere als ökonomisch ist. Stellt euch vor! Dass es nämlich einerseits Güter des täglichen Lebens gibt, andererseits aber auch so genannte Luxusgüter. Und während bei den Gütern des täglichen Lebens der objektive Bedarf den Preis bestimmt, gibt es für Luxusgüter gar keinen objektiven Bedarf. Wenn man mit dem Auto (gab es damals noch nicht, ist nur ein Beispiel) von Leipzig nach Karlsruhe fahren möchte, reicht ein Fiat Panda. Warum kaufen die Leute trotzdem einen Porsche, obwohl der genau dasselbe tut, aber das zehnfache kostet?

Das liegt daran, dass einige Sachen für einige Leute einen Wert haben, der weit über den reinen Nutzwert hinausgeht. Der Herr Veblen nannte es "Prestige", aber wir wollen hier mal nicht so etepetete sein und sagen mal ganz ehrlich: Mit dem Porsche zu fahren ist einfach viel, viel geiler als mit dem Fiat Panda. Deshalb bezahlen wir die Differenz gerne, wenn wir das Geld haben.

Der Herr Veblen hat das noch viel differenzierter dargestellt, aber für unsere Zwecke muss das hier so reichen.

Und deshalb kauft Simone den rosa Rasierer statt des blauen und bezahlt auch gerne etwas mehr beim Friseur. Aber beschweren sollte sie sich deshalb nicht.

It's the economy, Stupid!





Dienstag, 19. Dezember 2017

Krawall-Barbie und die 103 Chaoten


Ein knappes halbes Jahr nach den Ausschreitungen aus Anlass des G 20-Gipfels in Hamburg hat die Polizei Hamburg gestern eine Öffentlichkeitsfahndung gestartet. Angeblich soll es die größte Fahndung dieser Art aller Zeiten sein.

Eine Öffentlichkeitsfahndung darf gem. § 131 Abs. 3 StPO durch einen Richter oder durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden; hier soll es nach Angaben der Polizei richterliche Beschlüsse geben. Voraussetzung ist, dass alle anderen Möglichkeiten der Fahndung weniger Erfolg versprechen und die begangene Straftat "von erheblicher Bedeutung" ist. Nach dem Kommentar von Thomas Fischer sollen das Straftaten sein, die eine Strafrahmenobergrenze von über zwei Jahren haben. Das ist z. B. bei Sachbeschädigung (§ 303 StGB) nicht der Fall. Außerdem muss die Maßnahme - wie alle Verwaltungsakte - verhältnismäßig sein.

Auf der Homepage der Polizei sind Filme und Bilder zu sehen. In den wenige Minuten langen Filmen - z. B. von der Überwachungskamera in einem Drogeriemarkt - sind Menschen zu sehen, von denen einige zweifellos auch Straftaten begehen. Des weiteren gibt es - häufig vergrößerte - Fotos bestimmter gesuchter Personen, wobei nicht alle Bilder den Filmausschnitten eindeutig zuzuordnen sind; man weiß also nicht sicher, weshalb die auf dem jeweiligen Foto dargestellte Person gesucht wird.

Da kann man über die Verhältnismäßigkeit sicherlich diskutieren. Vielleicht hätte man vorher auch etwas länger darüber nachdenken sollen, was die Presse daraus machen würde.

So zeigt ein bekanntes täglich erscheinendes Periodikum auf seiner Titelseite heute das Foto einer jungen Frau (blond) im bauchfreien Top mit den Worten: "Die Polizei sucht diese Krawall-Barbie". Etwas kleiner heißt es dann "...und 103 weitere G 20-Chaoten", darüber steht: "So jung, so voller Hass". Diese Form der Verarbeitung ist angesichts der Erfahrungen mit der Tagespresse irgendwie überhaupt nicht überraschend und man kann sich kaum vorstellen, dass derlei Prachtstücke modernen Journalismusses von der Polizei nicht zumindest bewusst in Kauf genommen wurden.

Jeder wird sich dazu seine eigene Meinung bilden müssen.


Mittwoch, 13. Dezember 2017

Strafverteidigung ist Konflikt


"Der Strafprozess ist kein Beliebtheitskontest" schreibt der Kollege Laudon. Er hat das sehr zurückhaltend ausgedrückt.

"Strafverteidigung ist Kampf" heißt es weit martialischer im "Handbuch des Strafverteidigers" von Hans Dahs, einem der seltenen Standardwerke, das es auf dem Gebiet der Strafverteidigung gibt. Der Ausspruch ist dem gesamten Werk vorangestellt und bezieht sich somit auf die gesamte Tätigkeit des Strafverteidigers.

Danach handelte es sich bei dem Begriff der "Konfliktverteidigung" um einen Pleonasmus, eine rhetorische Figur, "die gekennzeichnet ist durch Wortreichtum ohne Informationsgewinn" (Wilhelm Pape, Griechisch-Deutsches Handwörterbuch, 1914, zitiert nach Wikipedia). Wenn jede Verteidigung Kampf bzw. Konflikt ist, dann erübrigt es sich eigentlich, dies durch einen Wortzusatz besonders hervorzuheben.

Tut man es gleichwohl, bringt man damit allerdings zum Ausdruck, dass man meint, es gäbe noch eine andere Art der Strafverteidigung, eine, die ohne den Konflikt auskommt. Friedliche, passive Verteidigung wäre sprachlich aber wiederum ein Oxymoron - ein Widerspruch in sich. Es muss sich nur verteidigen, wer angegriffen wird. Im Strafprozess ist dies die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens, die gleichbedeutend ist mit der Erhebung von strafrechtlich relevanten Vorwürfen gegen den Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten.

Wer gleichwohl von Konfliktverteidigung spricht, der spricht damit dem Beschuldigten (Angeschuldigten, Angeklagten) das Recht ab, sich angemessen gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verteidigen und scheint vom Beschuldigten zu erwarten, dass er jede noch so vorläufige oder gar falsche Einschätzung der Ermittlungsbehörden ohne Gegenwehr akzeptiert. Das ist nicht das Prinzip des demokratischen Rechtsstaates, es ist das Prinzip eines totalitären Staates.

Gleichwohl begegnet man dieser Haltung vor Gericht ständig. Der Alltag eines Verteidigers ist geprägt insbesondere von Richtern, die Anträgen oder Erklärungen des Angeklagten mit echtem und ehrlichem Unverständnis begegnen, die aufrichtig verwundert nachfragen, was der Angeklagte denn eigentlich wolle; was er mit seinem Antrag bezwecke, der Sachverhalt stehe doch längst fest. Diese Auffassung ist geprägt von einer Naivität, die angesichts der Aufgabe eines Richters zutiefst verwundern muss, liegt darin liegt doch nichts anderes als die voreilige Absolutisierung des eigenen Vorurteils - das ist genaue Gegenteil dessen, was im demokratischen Rechtsstaat von einem Richter erwartet wird. Erwartet wird die unvoreingenommene Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung sämtlicher subjektiven Rechte des Angeklagten.

Wer daher Verteidigung als Belästigung oder Verschleppung empfindet, der hat kein Problem mit der Verteidigung, er hat ein Problem mit dem demokratischen Rechtsstaat.




Mittwoch, 20. September 2017

Die Spirale des Jammers


Offenbar steht es schlecht um Deutschland. Wir scheinen in einer Art Meinungsdiktatur zu leben. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man z. B. diesen Artikel im "Focus" liest. Angeblich werde der gesellschaftliche Diskus von "Denk- und Sprechverboten" beherrscht; die Gesellschaft wäre "per se sozialdemokratisch", was der Autor ohne weitere Erläuterung für etwas Schlechtes zu halten scheint. Angesichts einer Fülle von Medien, in denen auch die abstrusesten Auffassungen vertreten (und aus Quotengründen sogar gefördert) werden, mutet der Vorwurf eines "Sprechverbotes" etwas merkwürdig an; was ein "Denkverbot" sein soll, erschließt sich dem Leser erst gar nicht - aber wir nehmen das zunächst mal zur Kenntnis.

Als Zeuge für den angeblichen Verfall der deutschen Debattenkulter wird mit Peter Sloterdijk sogar ein echter Philosoph angeführt, wenn auch einer, der von jeher im Verdacht leicht faschistoiden Gedankengutes steht ("Regeln für den Menschenpark"); aber dieser Hinweis könnte ja schon wieder als "Denk- und Sprechverbot" gesehen werden. Also schauen wir uns den Text mal genauer an.

Da fällt als Erstes etwas auf, das für rechte Diskussionskultur leider typisch geworden ist: Es fehlen jegliche Quellenangaben oder Nachweise. Sloterdijk wird zwar zitiert, jedoch ohne jeden Hinweis darauf, wann oder in welchem Zusammenhang er die zitierten Aussagen gemacht haben soll. Das ist schlecht, zumal für einen Text, der so etwas wie wissenschaftlichen Anspruch zu haben scheint.

Weiter im Text beruft der Autor sich auf die "Schweigespirale" nach Elisabeth Noelle-Neumann (die mit dem Allensbach-Institut) - so als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Leider vergisst der Autor dabei zu erwähnen, dass es sich bei der so genannten Schweigespirale um eine Theorie handelt, für die es bis heute keine eindeutige Evidenz gibt und die außer von besagter Frau Noelle-Neumann auch nie von irgendjemandem so wirklich vertreten wurde. Man hätte darauf hinweisen können, ja sollen, wohl eher müssen.

Kurz gesagt meinte Frau Noelle-Neumann herausgefunden zu haben, dass Menschen sich in Gesellschaft tendenziell der herrschenden Meinung anzupassen pflegen, was wohl eher eine Binsenweisheit ist. Diese herrschende Meinung werde auch von den Medien produziert. Das war bereits bei Frau Noelle-Neumann als Kritik an den angeblich "linken" Medien gemeint - allerdings hat schon Frau Noelle-Neumann dabei geflissentlich unterschlagen, dass sie mit ihrem Institut als einflussreicher Teil der Medien genau die Meinungsmanipulation betrieben hat, die sie bei anderen kritisiert hat. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es schon Frau Noelle-Neumann weniger um die Sache als um ihren politischen Standpunkt ging, aber das ist eine andere Geschichte.

Was aber sind nun die "abweichenden Meinungen", über die wir angeblich nicht reden dürfen, ohne "sofort als unmoralisch gegeißelt" zu werden? Da referiert der Autor Themen, die einem aus dem Repertoire von Donald Trump hinlänglich bekannt vorkommen:

  • dass es einen "menschengemachten Klimawandel"  nicht gäbe, 
  • dass Schuld an Armut und sozialen Problemen die Betreffenden selbst wären und 
  • dass am Islam jede Kritik verboten wäre.
Verpönt wären darüber hinaus als landestypisches Spezifikum auch noch "eurokritische" Meinungen.

Merkwürdig ist nur, dass die Medien vor Beiträgen zu allen diesen Themen überzuquellen scheinen, dass man sich vor "unbequemen" Meinungen gar nicht mehr retten kann. Das passt so gar nicht zu den angeblichen "Denk- und Sprechverboten". 

Warum viele der dazu vertretenen "Meinungen" von "aufgeklärten" Zuhörern übrigens nur noch mit Augenrollen zur Kenntnis genommen werden, mag auch daran liegen, dass es sich nicht um Meinungen handelt, sondern um Tatsachenbehauptungen - und zwar solche, die nach allem, was wir wissen, nur als falsch bezeichnet werden können. Darüber kann man diskutieren, aber irgendwann wird es langweilig ohne neue Argumente zum -zigsten Male darüber zu debattieren, ob die Erde nicht doch eine Scheibe sei.

Die einschlägige Presse hindert es nicht, gleich den nächsten Jammergesang ins Rennen zu schicken: Dieses Mal ist es die Welt, die ihn anstimmt und einmal auf den gemutmaßten politischen Gegner eindrischt, ohne dabei einen einzigen konstruktiven Ansatz zu präsentieren.










Mittwoch, 6. September 2017

Satire im Parlament


Die Partei "Die Partei" ist eigentlich gar keine Partei, sondern Satire, weshalb ein anständiger Demokrat sie nicht wählen sollte. Das ist in etwa die Meinung der Autorin eines Kommentars auf "bento", der hier zu finden ist. Übrigens klärt uns "bento" sogar mit einem Extra-Kästchen darüber auf, was eine "Meinung" sei. Sehr löblich, aber den Intellekt der eigenen Leser scheint man dort nicht besonders hoch anzusetzen.

Der Untertitel des Kommentars lautet: "Wer "Die Partei" wählt, verachtet Politik." Da mag auf den ersten Blick etwas dran sein. "Satire schaut auf die Politik, sie macht sie aber nicht", heißt es schlank im Text. Da könnte man schon mal vorsichtig fragen, warum eigentlich nicht. Die Wähler der "Partei" werden kurz darauf abgekanzelt, wer aus Protest "Die Partei" wähle, halte auch die heute-show für eine seriöse Nachrichtensendung. Und spätestens an dieser Stelle ist es angebracht, kurz einmal sehr ernst mit dieser Dame zu reden, die es für erforderlich hält, im Abspann darauf hinzuweisen, dass sie Mitglied in der CDU sei. Denn sie hat da etwas ganz Wesentliches nicht verstanden.

Erstens ist es Merkmal des demokratischen Rechtsstaates, dass ich wählen kann, wen ich möchte, soweit er zur Wahl zugelassen ist. Es gibt übrigens sogar eine negative Wahlfreiheit: Ich brauche gar nicht zu wählen. Auch wenn diejenigen, die die negative Wahlfreiheit nutzen, von anderen gerne diskreditiert werden.Wer mir darüber hinaus Vorschriften machen möchte, betreibt Wahlkampf, mehr nicht. Und das ist besonders ärgerlich, wenn der Wahlkampf so versteckt und derart altbacken daherkommt wie hier. Soviel zur Form, jetzt zum Inhalt:

Satire ist vor allem dort wichtig, wo ein sachlicher Diskurs - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr möglich ist. Das könnte im Bundestag bald der Fall sein, dann nämlich, wenn eine Partei dort einziehen sollte, deren Mitglieder nicht nur Meinungen haben, sondern diese gerne mit falschen Tatsachenbehauptungen unterfüttern. Ich verweise in diesem Zusammenhang beispielhaft gerne noch einmal auf meine Analyse hier und füge hinzu, dass die dort von Dr. Alice Weidel aufgestellten Behauptungen auch inhaltlich schlicht falsch sind; man schaue mal hier.

Dort ist eine sehr effektive Taktik zu sehen, die von den Mitgliedern dieser Partei gerne genutzt wird: Man behauptet irgendetwas möglichst Konkretes, dessen Wahrheitsgehalt auf die Schnelle niemand überprüfen kann und drischt damit auf die anderen ein. Wenn ich beispielsweise in einer Talkshow behaupten würde, dass am 21. Oktober 2013 ein zwanzigjähriger syrischer Asylbewerber bei Offenburg eine Rentnerin vergewaltigt habe, wird mir das innerhalb von 45 Minuten niemand widerlegen können. Wie auch. Die meisten wissen ja nicht einmal, wo Offenburg liegt. Ein Rechercheteam bräuchte wahrscheinlich Tage, um ganz sicher sein zu können, dass an meinem erfundenen Ereignis wirklich nichts dran ist. Und die Fanatiker würden es trotzdem immer noch glauben.

Ich habe Zweifel, ob die - im großen und ganzen immer noch seriösen - Altparteien mit diesem Stil klar kommen werden. Viele werden sich noch gar nicht vorstellen können, auf welches Niveau die Debatte herunter gezogen werden wird, wenn es erst einmal soweit ist.

Und dann braucht es auch im Bundestag jemanden, der sich auf diesem Niveau auskennt. Das könnte eine Kraft sein, die sich derselben Mittel unter umgekehrten Vorzeichen bedient, und das macht "Die Partei" bisher nicht schlecht. Wenn sie es schaffen könnte, auf diese Weise den rechten Unfug etwas im Zaum zu halten, wäre auch politisch viel gewonnen.

In dem Film "Jäger des verlorenen Schatzes" (Raiders of the lost arc) gibt es eine Szene, in der der Protagonist (Harrison Ford) von einem gefährlich anmutenden Kämpfer bedroht wird, der mehrere Säbel schwingt, dabei Furcht einflößende Laute von sich gibt, und so einen kurzen Moment den Eindruck vollständiger Überlegenheit vermittelt. Der Protagonist zieht seinen Revolver und erschießt diesen Gegner auf vergleichsweise unspektakuläre Weise.

Wenn die Altparteien nicht aufpassen, wird es ihnen ergehen wie diesem ehrlichen, naiven Kämpfer: Sie werden regelwidrig aber effektiv einfach über den Haufen geschossen werden.




Dienstag, 22. August 2017

Wie man bei der AfD diskutiert - eine Argumentationsanalyse am Beispiel von Alice Weidel


Das Netz - oder der einschlägige Teil davon - feiert die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel. Anlass ist ein Auftritt bei Anne Will am Sonntag. Ein Rechtsanwaltskollege meint auf Facebook sogar, sie habe Thomas Oppermann (SPD) dort "vorgeführt wie einen Anfänger". Wie sie das gemacht hat, was sie da gemacht hat, ist spannend zu überprüfen und einigermaßen lehrreich.

Zur Sendung (Thema: "Merkel oder Merkel - Hat Deutschland nur diese Wahl?") ließe sich zunächst noch einiges andere sagen, z. B., dass sie für eine Sendung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen von einer geradezu skandalösen Unausgewogenheit war - das Parteienspektrum links der Regierung war überhaupt nicht vertreten - aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Wir wollen uns Alice Weidel angucken, um zu lernen, wie sie für die AfD argumentiert.

Das Augenscheinliche zuerst: Alice Weidel ist sehr ruhig. Sie fiel niemandem ins Wort und ergriff praktisch nie ungefragt das Wort. Das führte dazu, dass sie nach etwas mehr als zwanzig Minuten erstmals einen zusammen hängenden Satz sprach. Die übrige Zeit lächelte sie auf eine Art und Weise in die Kamera, die man als höhnisch empfinden könnte. Sie wirkt wie eine eingebildete Klassenbeste, die selbstsicher auf die Frage der Lehrerin wartet, weil sie weiß, das am Ende nur sie brillieren wird.

Zu diesem Zweck meldete sich Alice Weidel zweimal zu Wort. Das erste Mal hielt sie einen offenbar auswendig gelernten Monolog, dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel "rechtswidrig" gewesen wäre, der EuGH das auch so festgestellt hätte und man vorhabe, einen "Untersuchungsausschuss Angela Merkel" zu initiieren, sobald man könne. Inhaltlich ist dazu zu sagen, dass der erste Teil ("rechtswidrig") bestenfalls eine Rechtsmeinung ist, während der zweite Teil ("EuGH hat festgestellt...") schlicht eine falsche Tatsachenbehauptung ist. In der Entscheidung, auf die sie sich offenbar bezieht, hat der EuGH genau das Gegenteil festgestellt.  Der dritte Teil der Aussage ist eine wolkige Absichtserklärung auf unklarer Tatsachengrundlage, ist aber geeignet, beim Zielpublikum Stimmung zu erzeugen.

In diesem Fall fühlte sich der - noch nicht einmal zur Regierung gehörende - Christian Lindner dann auch veranlasst, Angela Merkel zu verteidigen. Er tat das auf eine recht emotionale Art, was wiederum Frau Weidel die Gelegenheit gab ihn unsachlich abzukanzeln: "Warum regen Sie sich so auf?" Das ist nun allerdings ein klassischer Trick, Zustimmung bei Ahnungslosen zu erheischen, indem man das Gegenüber erst provoziert, um es nach gelungener Provokation dann demonstrativ zur Ordnung zu rufen. Inhaltlich allerdings war das bis dahin nichts.

Weitere zwanzig Minuten später aber kam der große Moment, auf den Alice Weidel offensichtlich die ganze Zeit hingearbeitet hatte; es ging um etwas, das Christian Lindner zuvor "Mobilitätswende" genannt hatte, kurz: den Diesel. Hier nun wollte Frau Weidel, so wörtlich, "ihren Redeanteil anbringen" und das tat sie, indem sie von einer "Dieselgarantie" sprach, von der keiner wusste, was das sein sollte. Thomas Oppermann (SPD) tat ihr den Gefallen und fragte nach.

Auf dessen Nachfrage, was eine "Dieselgarantie" denn wohl sei, erläuterte sie mit der ihr eigenen Ernsthaftigkeit, bei einer Dieselgarantie handele es sich um "eine Dieselgarantie auf Dieselfahrzeuge". Wer es nicht glauben mag: Sie können diese Sequenz ab Minute 49:10 nachverfolgen.

Auf nochmalige Nachfrage ergänzte Alice Weidel schließlich, man wolle eine Garantie, dass es bis zum Jahr 2050 keine Dieselfahrverbote gebe. Dem hielt Thomas Oppermann einigermaßen fassungslos ein bisschen die Gewaltenteilung entgegen, indem er ungläubig nachfragte, was denn mit den Verwaltungsgerichten sei, und ob denn diese Verbote "unabhängig von den Grenzwerten" sein sollten.

Was dann kam, war in Reinform, was im Internet-Jargon "Whataboutism" genannt wird: Alice Weidel ließ sich zunächst bestätigen, dass es um Grenzwerte von Stickoxid gehe, und redete dann von etwas ganz anderem: Man müsse sich nämlich "auch die Frage stellen, warum die Grenzwerte draußen viel niedriger seien als beispielsweise am Arbeitsplatz" und gab die Frage sogleich triumphierend an den einigermaßen verdutzten Thomas Oppermann weiter. Da war er: der Moment, auf den die gefühlte Klassenbeste so sehnlichst gewartet hatte.

Es folgte eine fruchtlose Dabatte, in der es ansatzweise um die Sinnhaftigkeit gesetzlicher Grenzwerte ging und die rechtsaußen in den Sozialen Netzwerken als großer Erfolg gefeiert wurde: Thomas Oppermann wirkte einigermaßen hilflos in dem Versuch, sich der von Alice Weidel aus der Luft gegriffenen Behauptungen zu erwehren. Schließlich musste er sich von Alice Weidel noch von oben herab zurecht weisen lassen, es gehe "sehr wohl um Stickoxid", obwohl er niemals etwas anderes behauptet hatte. Die Kamera ruhte derweil auf den Händen von Volker Kauder, die er nervös knetete, wahrscheinlich froh darum, davon gekommen zu sein. Viel zu spät wurde die Diskussion dann von der eigentlichen Leiterin gemächlich zu ihrem Ausgangsthema zurück geleitet.

Einen Beitrag zur eigentlichen Debatte hatte Alice Weidel am Ende nicht geleistet. Sie hatte - leider unwidersprochen - einige falsche Behauptungen aufgestellt und ihre Diskussionspartner mit einem billigen Trick bloßgestellt.

Darauf wird sich offenbar jeder einzustellen haben, der versucht, mit der AfD zu diskutieren. Eine Sachebene wird er jedenfalls nicht erwarten dürfen.





Mittwoch, 16. August 2017

Dem Anwalt sein treues Volk


In Thüringen gibt es zwei zugelassene Rechtsanwälte, die werben im Internet und auf großflächigen Plakaten in ihrer Region damit, "Volksanwälte" zu sein. Bemerkenswert an dieser Werbung ist, dass die beiden Herren Werbung nicht für sich als Rechtsanwälte machen, sondern für eine Partei, deren örtliche Spitzenkandidaten sie gleichzeitig sind. Deren Website kann man hier sehen; von den Inhalten dieser Website distanziere ich mich ausdrücklich. Macht man ja heute so. Dort ist unter anderem von der "Willkürherrschaft der Regierung Merkel" die Rede, die man beenden möchte.

Die Jusos haben laut Presseberichten Strafanzeige gestellt, wohl wegen des Vorwurfs nach § 132a StGB "Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen". Diese Norm mag sogar einschlägig sein, wenn auch hierzulande wenig bekannt sein dürfte, dass "Volksanwalt" anderswo - nämlich in Österreich - tatsächlich ein öffentliches Amt ist; die Volksanwaltschaft ist in Österreich ein Organ zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung. Ob die beiden Herren auf dem Plakat das wussten, mag man bezweifeln.

Sie beziehen sich mit ihrem Schmarrn Angebot ausdrücklich auf die "Interessen der Bürger" und gerieren sich in ihrem Internetauftritt auch als Richter, beenden sie doch ihr Vorwort mit "Im Namen des Volkes".

Das alles dürfte neben der möglicherweise strafrechtlichen Relevanz gegen diverse weitere Rechtsvorschriften, insbesondere aus dem anwaltlichen Berufsrecht, dem Wettbewerbsrecht und auch dem Wahlrecht verstoßen, denn die beiden Herren vermengen munter ihre berufliche Vertrauensstellung mit politischen Aussagen in einer Form, die geeignet ist, allerlei Missverständnisse hervorzurufen. Da wäre eine Strafanzeige vielleicht gar nicht der am nächsten liegende Schritt.

Wirklich erschütternd ist allerdings, welche politischen Assoziationen mit dem Begriff "Volksanwalt" geweckt werden und ganz offenbar auch geweckt werden sollen. Aus dem deutschen Rechtskreis vergangener Zeiten denkt man da sogleich an den Volksgerichtshof und dessen Präsidenten, dessen Name heutzutage als Beleidigung gewertet wird.

Das Wort "Volk" im Titel erinnert äußerst unangenehm an Zeiten, in denen versucht wurde, die niederen Instinkte einiger Menschen als "Volkes Wille" zu verkaufen. "Das Recht, wie es im Volke wohnt" (J. H. v. Kirchmann), den "Volksgeist" (Savigny) wollten die Juristen der deutschen Romantik wieder entdecken und schufen einen Gedanken, das später als "gesundes Volksempfinden" allergrößtes Unheil anrichtete.

Dieses Volksverständnis sollte niemand zurück haben wollen. Wer diese Worte wählt, der spielt vorsätzlich mit dem Feuer.

Vielleicht sollte sich allerdings auch der Gesetzgeber einmal ernsthaft Gedanken darüber machen, ob die Formel "Im Namen des Volkes" vor jedem Rechtsspruch wirklich glücklich gewählt ist.




Dienstag, 8. August 2017

Kein schöner Eindruck


Bis letzten Freitag regierte in Niedersachsen eine rot-grüne Koalition mit einer Stimme Mehrheit. Die ist jetzt weg, weil eine Hinterbänklerin der Grünen findet, dass ihre Partei unter anderem "die Sorge der Bürger vor Wölfen*" nicht ernst genug nähme. Damit werden wir wahrscheinlich auf das Niveau eingestimmt, auf dem der bevorstehende Wahlkampf in Niedersachsen stattfinden dürfte.

Aber damit nicht genug: Jetzt soll der Regierungschef auch noch eine Regierungserklärung vorab an VW zum Gegenlesen geschickt haben. Ein CDU-naher Kommentator des SPIEGEL kommentierte das in einem - mittlerweile gelöschten - Tweet damit, schließlich wäre es doch üblich, dass ein Aufsichtsrat eine Rede vorab dem Vorstand zur Durchsicht gebe. Dumm nur, dass dieser Aufsichtsrat seine Rede in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident gehalten hat. Da gerät einigen wohl doch einiges mit den Funktionen durcheinander.

Der Ministerpräsident selbst wehrt sich unter anderem damit, "die "inhaltlich schärfste Formulierung sei erhalten geblieben". Das scheint mir wiederum ein eklatantes Fehlverständnis des Herrn Ministerpräsidenten zu offenbaren, der anscheinend meint, dass wäre alles nicht so schlimm, wenn nur der Inhalt der Erklärung nur einigermaßen erhalten bleibe.

Und da irrt er. Wer sich einmal die Korruptionsdelikte im Strafgesetzbuch (§§ 331 - 334 StBG) anschaut, der wird feststellen, dass Rechtsgut dieser Vorschriften nicht nur die "Lauterkeit des Öffentlichen Dienstes" ist, sondern auch das Vertrauen der Allgemeinheit in eben diese - weil die Funktionsfähigkeit der Verwaltung eben auch davon abhängt, dass der Bürger der Verwaltung Vertrauen entgegenbringt.

Und dieses Vertrauen kann eben schon durch den bloßen Anschein der "Kungelei" erschüttert werden. Da hilft es dann auch nicht mehr viel, wenn das beteiligte Wirtschaftsunternehmen in ungeahnter Freimütigkeit selbst kritische Passagen der vorbereiteten Erklärung unbeanstandet lässt.

Es macht einfach keinen schönen Eindruck. Und das reicht.



*Wenn ich mich richtig an eine Statistik erinnere, die ich vor kurzem irgendwo gelesen habe, wurden in den letzten zweihundert Jahren auf dem Gebiet der heutigen EU genau zwei Menschen von Wölfen verletzt. Beide Vorfälle fanden in Rumänien statt und die Wölfe hatten Tollwut. Aber man muss die Sorgen der Menschen ja angeblich ernst nehmen.


Dienstag, 27. Juni 2017

Panik auf den Straßen von Neuland


Haben Sie WhatsApp auf Ihrem Smartphone auch schon gelöscht? Aus Angst, Sie könnten abgemahnt werden? Weil das Amtsgericht Bad Hersfeld irgendwann im Mai sowas angeblich mal in ein "Urteil" geschrieben hat? Nun seien Sie mal nicht so ängstlich! Trauen Sie sich was!

Mindestens die Hälfte von dem, vor dem jetzt panisch gewarnt wird, steht in der Entscheidung nämlich gar nicht drin. Mindestens die Hälfte derer, die da jetzt panisch warnen, haben die Entscheidung entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden. Unter Ziffer 5. der Leitsätze heißt es dort:

"Wer den Messenger-Dienst WhatsApp nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. 
Wer durch seine Nutzung von WhatsApp diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betreffenden Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden."

Die (technischen) Feststellungen im ersten Satz sind zweifellos zutreffend. Die rechtliche Einschätzung der Situation ist durchaus streitig, eine ganz gute Übersicht findet sich hier. (Der Kollegin Diercks sei Dank, über die ich auf diesen Beitrag gestoßen bin.) Nur am Rande sei bemerkt, dass das Amtsgericht Bad Hersfeld die diskutierte Rechtslage gar nicht entschieden hat, sondern nur auf die Gefahr hingewiesen hat, ein anderes Gericht könnte die Rechtslage in diesem Sinne entscheiden.

Gruselig ist allerdings, was einige Publikationen - insbesondere im Internet - daraus machen. Dabei ragt dieser Beitrag von t3n heraus, einem Medium, das sich immerhin als "digital pioneers" bezeichnet. Etwas Ahnung vom Recht wäre zur Abwechslung allerdings auch ganz schön, insbesondere, wenn man darüber schreibt.

Das "Digitalurteil" wird dort schon in der Überschrift als "absurd" bezeichnet, noch bevor überhaupt sein Inhalt wiedergegeben wurde.

Dann macht man sich - ganz im Nerd-Modus - schnell noch über die ach so weltfremden Gerichte lustig, die sich die WhatsApp-AGB bestimmt "ausgedruckt" hätten, um dann beiläufig einzugestehen, dass das eigentliche Problem wohl sei, dass die überfordeten Nutzer die AGB nicht läsen und keine Ahnung davon hätten, was die munter herunter geladenen Applikationen auf dem eigenen Smartphone so alles anstellten. Weil die Nutzer aber alle so dämlich seien, wären es "in erster Linie die Bedingungen des Messengers", die das Gericht hätte "angehen müssen". Das klingt staatstragend, ist aber leider völlig falsch, denn die AGB waren gar nicht Gegenstand des Verfahrens. Wirklich schlimm aber wäre, dass "die deutschen Gesetze nicht auf dem aktuellen digitalen Stand" wären, als bräuchte jedes Gesetz ein Update, wenn sich der Herr Digital mal wieder um die eigene Achse gedreht hat.

Es folgen wirre Horrorszenarien dergestalt, jeder WhatsApp-Nutzer könne schon einmal "vorsorglich Privatinsolvenz anmelden", weil er jetzt von jedem verklagt werden könne. Ungeachtet einiger unklarer Kausalitäten bei dieser stark vereinfachten Sachdarstellung erschreckt einmal mehr die Einstellung zum Recht, die dieser Artikel vermittelt.

Das "Urteil" sei "nicht digitalgemäß" moniert man; als wäre das Maß der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr das Gesetz, sondern der eigene Zeigefinger. Andererseits möchte man vielleicht aber auch, "dass WhatsApp das Sammeln sensibler Daten schlicht verboten" wird und schießt dabei noch weit über das kritisierte "Urteil" hinaus.

Bei dem "Urteil" handelt es sich übrigens um einen Beschluss in einem familienrechtlichen Verfahren.

Leute, alles halb so wild. Aber überlasst die rechtlichen Themen nächstes Mal bitte jemand anderem.





Freitag, 16. Juni 2017

Geisterfahrradfahrer in Berlin


In Berlin wurde ein Fahrradfahrer getötet, weil der Fahrer eines im absoluten Halteverbot stehenden Autos unachtsam die Fahrertür geöffnet und damit den Fahrradfahrer zu Fall gebracht hat. Die Berliner Presse berichtet hier. Bei dem Täter soll es sich um einen Diplomaten der Saudi-Arabischen Botschaft gehandelt haben.

Haben Sie bei dem Wort "Täter" jetzt etwa die Stirn gerunzelt? So nennt man jemanden, der eine Straftat begeht, und dass es sich bei diesem Verhalten um eine Straftat handelt, dürfte unstreitig sein. Fraglich ist einzig, ob die Tat mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangen wurde. Insoweit erinnert dieser Fall etwas an den - zufällig auch in Berlin spielenden - Fall des "Autorasers". Die rechtlichen Ausführungen zum Vorsatz lassen sich vom einen auf den anderen Fall übertragen.

Da könnte man sich jetzt Gedanken machen, wie man solche Straftaten zukünftig verhindert. Das passiert allerdings nur vereinzelt; ganz überwiegend beschäftigt sich die Öffentlichkeit damit, wie man stattdessen die Opfer drangsalieren kann. Und das zeugt wirklich von einer bemerkenswerten Grundeinstellung einiger Teilnehmer am politischen Diskurs.

Diskutiert wird aus diesem Anlass mal wieder die Helmpflicht für Fahrradfahrer, und sogar die Interessenvertretung der Radfahrer - der ADFC - gibt entsprechend "Tipps".

Man möchte also - allen Ernstes - aus Anlass einer Straftat den potentiell Geschädigten Vorschriften machen. Nicht etwa der Straftäter wird gemahnt, keine Straftaten mehr zu begehen, sondern der potentiell Geschädigte soll gefälligst aufpassen und am besten noch gesetzlich dazu verpflichtet werden. Da ist der legendäre Rat an die Frauen als potentielle Vergewaltigungsopfer, keine allzu kurzen Röcke mehr anzuziehen, nicht mehr fern. Und es ist auch eigentlich gar kein Rat, es ist ein Vorwurf - der Vorwurf nämlich, an den Folgen der Tat "selbst schuld" zu sein.

Da werden auf unerträgliche Art und Weise Ursache und Wirkung vermengt, strafbares Verhalten verharmlost und von einer Personengruppe einseitig gesetzte Gefahren dreist auf die Geschädigten abgewälzt.




Donnerstag, 11. Mai 2017

Das Strafrecht ist nichts für Majestäten


Der Wurst-Uli (Hoeness) hat sich über seine Strafhaft beschwert. Im Wortlaut auf SPON liest sich das dann so:
"Ich bin der einzige Deutsche, der eine Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war. Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. ... Ich habe über 40 Millionen Strafe gezahlt. Trotzdem entschied ich mich, ins Gefängnis zu gehen."
Das soll Hoeness auf einem "Galadinner" in Liechtenstein gesagt haben, widersprochen hat ihm offenbar keiner. Dafür wäre Liechtenstein vielleicht auch der falsche Ort gewesen, dem SPIEGEL hätte man da vielleicht schon mehr zugetraut. Vergebens.

Überspringen wir mal den zweifelhaften Ausspruch mit der Selbstanzeige und dem Gefängnis, der so auf keinen Fall stimmt und widmen uns kurz den letzten drei Sätzen, denn die sind bezeichnend für die Einstellung zum Strafrecht, die viele Menschen in Deutschland haben: Strafrecht muss hart sein und gilt immer nur für die anderen.

Ein Freispruch ist niemals normal, denn er ist nicht die Norm. Die Norm ist die Verurteilung, zumindest in der mündlichen Verhandlung. Freisprüche machen bundesweit etwa 3 % aller gerichtlichen Entscheidungen nach mündlicher Hauptverhandlung aus. Von "völlig normal" kann da nur jemand sprechen, der die Situation völlig falsch einschätzt.

Meines Wissen hat der Wurst-Uli auch keine "40 Millionen Strafe" gezahlt, sondern einfach nur seine Steuerschulden beglichen, was sich irgendwie ja von selbst verstehen sollte.

Und obwohl König Uli sich herabgelassen hat, seiner Bürgerpflicht (auf sanftes Drängen der staatlichen Behörden) nachzukommen, hat er sich auch noch "entschieden"(!) ins Gefängnis zu gehen. Also, genau genommen hat er sich entschieden, gegen die Entscheidung des gesetzlichen Richters kein Rechtsmittel einzulegen, das wohl wenig bis gar keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, weil die ausgeurteilte Strafe im Verhältnis zu vergleichbaren Fällen so absurd niedrig war, dass die Leute schon zu tuscheln anfingen.

Wir sehen hier augenscheinlich einen Menschen, dem jegliches Anstandsgefühl und Unrechtsbewusstsein vollständig abhanden gekommen ist, wenn es denn jemals vorhanden war. Der nicht einsieht, dass er selbst für seine Straftaten bestraft wird, gleichzeitig aber einer Partei angehört, die immer höhere Strafen für alles mögliche fordert.

Das Strafrecht ist des Pöbels, nicht des Königs.




Montag, 8. Mai 2017

Der nervige kleine Bruder vom Strafverfahren


Kennen Sie Bußgeldverfahren? Das ist, wenn Sie z. B. zu schnell mit dem Auto unterwegs waren und mit dem Bußgeldbescheid nicht einverstanden sind. Dann landen Sie vor dem Einzelrichter in Strafsachen am Amtsgericht. Termin meist entweder ganz früh morgens (vor den richtigen Strafsachen) oder am Nachmittag (nach den richtigen Strafsachen). Der Staatsanwalt hat dann frei.

Das Bußgeldverfahren ist der kleine Bruder vom Strafverfahren. Grundsätzlich gelten - mit einigen Einschränkungen - dieselben Regeln. Aber es ist irgendwie nicht dasselbe. Das Bußgeldverfahren ist der nervige kleine Bruder, den man am Hacken hat, weil der Spielkamerad ihn immer mitbringt. Zu klein zum Mitspielen und man muss auch noch auf ihn aufpassen. Deswegen stellt man ihn irgendwo in die Ecke und hofft, dass nichts passiert und es keiner merkt.

Das sieht in der Praxis dann beispielsweise so aus:

Der Betroffene soll beim Fahren (technisch: Führen eines Kraftfahrzeuges) mit einem Mobiltelefon telefoniert haben. Das wollen zwei Polizeibeamte gesehen haben. Zumindest haben sie es auf einem Formular so notiert. Etwas merkwürdig ist, dass es die Straße, in der sie dieses hochbrisante Geschehen beobachtet haben wollen, nicht gibt. Es gibt in der Umgebung auch keine Straße, die einen auch nur halbwegs ähnlichen Namen hätte.

Dieses kleine Detail hindert die Bußgeldbehörde aber nicht, gleichwohl einen Bescheid zu erlassen, die Staatsanwaltschaft nicht, den Bescheid durchzuwinken und das Amtsgericht nicht, darüber zu verhandeln - obwohl die Verteidigung frühzeitig auf diese Merkwürdigkeit hingewiesen hat. Also trifft man sich vor Gericht.

Dort erscheint der erste Polizeibeamte und verweist auf seinen Kollegen. Der habe die Beobachtung gemacht, nicht er. Den falschen Straßennamen könne er sich nicht erklären. Der zweite Polizeibeamte - der, der die Beobachtung gemacht haben soll - erscheint trotz Ladung nicht.

An der Stelle ist dem Gericht dann auf einmal alles egal und es bietet von sich aus eine Einstellung des Verfahrens an.






Donnerstag, 13. April 2017

Die Akte ist weg


Der Staat hat es eilig, wenn er Geld will. Wenn er Geld zahlen soll, hat er es meist nicht ganz so eilig. Der Kollege Siebers setzt da schon hohe Maßstäbe an, wenn er nach nur einem Monat bereits die Verzögerungsrüge erhebt. In Hamburg kann so eine Pflichtverteidigervergütung schon mal ein ganzes Jahr auf sich warten lassen. Dafür wird das Geld ja auch nicht verzinst.

Immer wieder erhebend sind die Begründungen, mit denen der Staat die Zahlung verweigert. Meine Lieblingsbegründung erwarte ich gerade wieder in einem Verfahren, das seinen Anfang vor dem Amtsgericht genommen hat und in der Berufungsinstanz nach Monaten jetzt vor dem Landgericht zu Ende gegangen ist. Das Landgericht schreibt gerade sein Urteil.

Zuständig für den Kostenantrag ist das Amtsgericht, vor dem das Verfahren seinen Ausgang genommen hat. Zur Bescheidung des Antrages benötigt der Kostenbeamte die Akte, die gerade beim Landgericht liegt. Er könnte sie dort anfordern, oder - welch wagemutige Idee - Kopien der relevanten Aktenbestandteile anfertigen lassen. Aber das ist alles irgendwie auch sehr kompliziert.

Viel einfacher ist es, dem hungrigen Verteidiger  zu schreiben, man könne gerade nicht entscheiden, weil die Akte nicht vorliege. Wieder ein Problem gelöst und schon gleich Mittagspause!

Übrigens: Von alleine wird die Akte niemals wieder ihren Weg zum Amtsgericht finden, denn nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe und Ablauf der Revisionsbegründungsfrist reist die Akte weiter zum Oberlandesgericht, nach Rechtskraft wird sie dann an die Staatsanwaltschaft zurück gereicht.



Donnerstag, 6. April 2017

Abgründe der Begründung


Der Mandant ist verurteilt worden. Der Staatsanwaltschaft war die Strafe nicht hoch genug, weshalb sie in Berufung gegangen ist. Das darf sie; allerdings sehen die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiSTBV) in ihrer Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 vor, dass "ein Rechtsmittel nur einzulegen (ist), wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht".

Auch weil das so ist, schreibt Nr. 156 Abs. 1 RiStBV dem Staatsanwalt vor, dass er jedes von ihm eingelegte Rechtsmittel begründen muss.

Diese "Begründung" liegt mir gerade vor. Sie lautet:

"Das vom Gericht verhängte Strafmaß wird den Taten des Angeklagten nicht gerecht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten macht die Verhängung einer höheren Strafe erforderlich."

Da stellen wir uns mal ganz dumm und fragen uns, was eigentlich eine Begründung ist. Da mag es sich rächen, dass die meisten Staatsanwälte das Fach Rechtsphilosphie offenbar geschwänzt haben. Dort lernt man sowas nämlich. Oder im Mathematikunterricht, aber ach: Judex non calculat.

Die philosophischen Begriffsklärungen lassen wir hier mal weg und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Begründungen erfordern den Rekurs auf etwas anderes als das zu Begründende, ansonsten spricht man von einem so genannten Zirkel(schluss): Man erklärt die Armut mit der Poverté, wie das bei Wolf Schneider so schön heißt. Es ist so, weil die erforderlichen Umstände gegeben sind. Bla Bla Bla.

Dazu gibt es auch ausgiebige Rechtsprechung, denn die Begründungspflicht des Richters, § 34 StPO, macht den Richtern ähnliche Probleme. Das Ergebnis ist häufig erbärmlich. In der gängigen Kommentierung sieht man sich sogar zu dem Hinweis veranlasst, dass die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes keine Begründung darstellt. Das sollte sich von selbst verstehen, dass die bloße Wiederholung des zu Begründenden dieses in keinem Fall zu begründen vermag, hatten wir ja schon oben festgestellt.

Auch formelhafte oder allgemeine Wendungen genügen den Anforderungen an eine Begründung nicht. Das sollte sich ebenfalls von selbst verstehen, denn eine Begründung bezieht sich ja immer auf einen konkreten Einzelfall. Einen allgemeinen Satze müsste man daher zunächst auf einen konkreten Einzelfall übertragen können und das muss man seinerseits - Sie ahnen es - begründen.

Jetzt haben wir hier genug Wissen gesammelt, um noch einmal einen schüchternen Blick auf das zu werfen, was die Staatsanwaltschaft im eingangs geschilderten Fall als "Begründung" verkaufen möchte:

"Das vom Gericht verhängte Strafmaß wird den Taten des Angeklagten nicht gerecht", ist keine Begründung, sondern allenfalls eine Paraphrasierung der zu begründenden Behauptung, formuliert durch die Einlegung der Berufung. Der zweite Satz ist nicht besser: "Die Schwere der Schuld des Angeklagten macht die Verhängung einer höheren Strafe erforderlich." Das ist lediglich eine schwache Umschreibung des Wortlautes der oben zitierten Nr. 156 RiStBV (s.o.) Woraus die Schwere der Schuld resultiert und wie diese Schwere eigentlich aussieht - das wäre als Inhalt einer Begründung zu erwarten gewesen. So ist es allenfalls eine weitere Behauptung, auf deren vorgeschriebene Begründung wir vergeblich warten.

Was bleibt, ist die Frage:

Will sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Form der oszentativen Nichterfüllung ihrer Vorgaben über den Angeklagten lustig machen oder glaubt man dort tatsächlich, derlei Floskeln könnten als Begründung dienen? Beide Alternativen wären gleichermaßen beunruhigend.






Donnerstag, 30. März 2017

Abgehängte Opferdarsteller


Bei Übermedien ist heute ein schöner Beitrag über die Verwendung des Wortes "abgehängt" zu lesen. Früher wurden Bilder abgehängt, oder Zugteile; heute wird das Wort gerne auch für Menschen verwendet, insbesondere solche, die dann mutmaßlich die AfD wählen.

Der Autor des Beitrages bei Übermedien zweifelt die Realität dieser Diagnose an; der Erfolg "von AfD und co" sei nicht mit sozialer Benachteiligung zu erklären - soziale Benachteiligung ist wohl, was durch das Partizip II von "abhängen" symbolisiert werden soll.

Das ist aber auch sprachlich verfehlt. Wer sich oder andere als "abgehängt" bezeichnet, spricht ihnen jedes Maß an eigenverantwortlichem Handeln ab. Passiver kann man sich gar nicht verhalten, als wenn man "abgehängt" wird; eigentlich ist das schon nicht einmal mehr als Verhalten zu bezeichnen. Wer abgehängt wird, hat vorher schon gehangen oder wurde von einer Lokomotive gezogen - und dazu ist nun gar keine Eigenleistung mehr erforderlich.

Diejenigen, die sich munter auch selbst als "abgehängt" bezeichnen, sind aber alles andere als passiv. Sie agieren vielmehr aggressiv und verstecken ihre Aggression hinter einer Opfermaske. Sie gerieren sich als Opfer der Gesellschaft, weil die einfach nicht so will wie sie. Sie proklamieren in falschem Deutsch Bildung (man lese nur mal einige der Tweets von Beatrix von Storch) und behaupten, im Namen von Werten zu handeln, deren Gehalt sie allenfalls als Instrument ihrer Wut interessiert. Sie erfinden Bezeichnungen und Zustände, die kein gesellschaftliches Korrelat haben ("Umvolkung") und bestehen bockig auf einem Weltverständnis, das sie sich just selbst ausgedacht haben.

Diese Leute sind nicht "abgehängt", sondern sie haben sich aus freien Stücken in die gesellschaftliche Schmollecke verzogen, aus der sie diejenigen, die die Gesellschaft steuern, mit Dreck bewerfen. Das ist weder sozial noch benachteiligt.





Montag, 27. März 2017

Schrei nach Diskussion


Am Wochenende fand in Bremen der 41. Strafverteidigertag unter der Überschrift "Der Schrei nach Strafe" statt. Es war wie immer anregend, viele derjenigen Kollegen zu treffen, denen man sonst nur in den Sozialen Medien begegnet. Allen, die mir nicht über den Weg gelaufen sind, übermittle ich auf diesem Wege einen herzlichen Gruß.

Die Veranstaltung selbst allerdings hätte etwas kontroverser sein können. Ideen entstehen aus Rede und Gegenrede, nicht aus gegenseitiger Bestätigung. Eine Abschlussdiskussion, bei der sich alle(!) Teilnehmer auf dem Podium von Anfang an einig sind, ist überflüssig.

In den Arbeitsgruppen fand sich das Thema der Veranstaltung leider so gut wie gar nicht wieder, dabei wäre es so interessant gewesen. Denn der Schrei nach Strafe ist ja gerade wieder lauter zu vernehmen, und man könnte sich fragen, woher er eigentlich kommt. Da ist z. B. eine Arbeitsgruppe zum Recht der Pflichtverteidigung (AG 4) wenig inspirierend.

Einzig der Eröffnungsvortrag ging etwas auf das "im Volk" offenbar wachsende Strafbedürfnis ein, blieb aber in seiner Hoffnung auf ein "Strafrecht ohne Strafe" eher utopisch. Da hätte es schöne Ansatzpunkte für eine wirklich konstruktive Diskussion gegeben. Stattdessen gab es die ewig wieder kehrende Klage über Rekonstruktionsverbot und Fehlurteile (AG 1).

Wo doch der "Schrei nach Strafe" ein schönes Bild ist: Der Schrei ist etwas unartikuliertes, archaisches, ein Impuls, geboren aus dem Schmerz, nicht aus der Vernunft. Warum schreit der Mensch nach Strafe? Warum scheint es ein nicht auszurottendes Bedürfnis zu geben, andere für ihr Tun oder Sein zu bestrafen? Eine Arbeitsgemeinschaft zu diesen Fragen hätte mich interessiert, und es hätten gerne auch einige Psychologen oder Evolutionsbiologen referieren dürfen.

Strafbedürfnis ist ein infantiler Impuls und die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte der Zurückdrängung der Strafe. Eine Gesellschaft, die Strafe wieder in stärkerem Maße zum (vorgeblichen) Erreichen politischer Ziele einsetzt, ist auf dem Weg zurück. Das hätte ich gerne diskutiert, auch z. B. mit Politikwissenschaftern. Auf einen abermaligen Verriss der Reform des Sexualstrafrechts (AG 2) hätte ich hingegen verzichten können. (VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer war übrigens erkrankt und daher nicht vor Ort.)

Thematisch war es daher leider eine verschenkte Veranstaltung. Nächstes Jahr kommt der nächste Schrei, dann der "Schrei nach Freiheit".

Hoffentlich artikuliert sich der ein wenig besser.






Montag, 20. März 2017

Widerstand gegen 43 % Vollstreckungsbeamte


"Je weniger die Leute wissen, wie Gesetze und Würste gemacht werden, desto ruhiger schlafen sie", soll Otto von Bismarck gesagt haben. Das Zitat wird ihm wohl fälschlicherweise zugeschrieben, Recht hatte er trotzdem.

Am 14.02.2017 haben die Fraktionen der Regierungskoalition einen Gesetzesentwurf eingebracht, mit dem die §§ 113 und 114 StGB über den "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" verschärft werden sollen. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes soll dies dem Schutz der Vollstreckungsbeamten dienen. Am 22.03.2017 findet eine Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz statt.

Nun ließe sich dort kritisch fragen, ob höhere Strafandrohungen grundsätzlich geeignet sein können, irgendjemanden zu schützen - zumal es sich auch noch bei den inkriminierten Handlungen kaum jemals um geplante Taten handeln dürfte, Abschreckung also per se sinnlos ist. Aber das ist vielleicht etwas zu viel verlangt.

Zudem handelt es sich aber bei dem "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" um eine Norm, die wie kaum eine andere Strafnorm im Ruch steht, durch Ordnungshüter instrumentalisiert und zur Verdeckung eigenen Fehlverhaltens missbraucht zu werden, Jeder Strafverteidiger kennt diese Fälle, in denen Mandanten zunächst Opfer von Polizeigewalt wurden und sich im Anschluss daran auch noch einem Strafverfahren ausgesetzt sehen, weil die Täter die Flucht nach vorne angetreten und kurzerhand das Opfer angezeigt haben. Jeder Strafverteidiger weiß zudem darum, wie schwierig es ist, in diesen Fällen zu verteidigen, da man mit Staatsanwaltschaft, Gericht und (Polizei-)Zeugen gleich an drei Fronten gegen die Staatsmacht zu kämpfen hat.

Es gibt also Grund genug, diese geplante Gesetzesänderung kritisch zu hinterfragen. Dafür erschienen als Experten wohl zuerst solche Menschen geeignet, die sich professionell und möglichst objektiv mit der Materie beschäftigen. Man könnte da an Kriminologen denken, vielleicht Soziologen mit dem Spezialgebiet der Gewaltforschung; Strafverteidiger erschienen mir geradezu prädestiniert für eine Expertise, da sie regelmäßig beide Seiten erleben, Psychologen wären wohl auch nicht ganz falsch, sie könnten einiges Wissen über die intrapsychischen Abläufe bei Tätern oder Geschädigten beisteuern.

Weniger geeignet - da offensichtlich interessengeleitet - dürften hingegen Polizisten sein; Hochschulprofessoren könnte das erforderliche Wissen um die Relevanz in der Praxis fehlen. Das wäre so mein erster Gedankengang.

Und jetzt gucken wir uns mal an, wer vom Ausschuss als Sachverständige gehört werden soll. Wir können dies der Liste entnehmen, die der Deutsche Bundestag auf seiner Internetpräsenz zur Verfügung stellt. Es sind:


  • ein Mitglied des "Neue Richter Vereinigung e. V."
  • ein Professor für Strafrecht
  • eine Dozentin für Strafrecht 
  • der Bloggerkollege Henning Ernst Müller
  • ein Abteilungsleiter der GdP
  • die Polizeipräsidentin aus Wuppertal
  • und (Sie befürchten richtig): der einzige Polizeigewerkschafter mit einem eigenen Lied.

Bloggerkollege Müller ist immerhin Kriminologe. Auch ein Richter ist sicherlich nicht ganz falsch, obwohl möglicherweise den Ermittlungsbehörden eher nahe stehend. Was Strafrechtswissenschaftler zur Problematik beitragen sollen, ist mir schon weniger klar, aber vielleicht fehlt mir da ja auch nur die rechte Einsicht. Der eine oder andere Strafverteidiger hätte sicherlich etwas Sachverstand beisteuern können, aber man kann nicht alles haben.


Dass aber von sieben geladenen Sachverständigen gleich drei - knapp 43% - Polizeibeamte und damit reine Lobbyisten sind erinnert dann doch wieder an die Herstellung der Würste, von der keiner etwas wissen sollte.



Mittwoch, 1. März 2017

Neues zum Raser - Wissenschaftskritik


In meinem Beitrag zum "Raser"-Urteil des LG Berlin hatte ich darauf hingewiesen, dass das eigentliche Problem dieser Sache der § 211 StGB ("Mordparagraph") als solcher sein könnte. Nun hat ein Rechtsprofessor diesen Gedanken in der ZEIT aufgegriffen. Schön. Aber mit Verlaub: Seine Argumentation gerät ziemlich daneben.

Schon die Überschrift ist programmatisch: "Raser sind Verbrecher, aber keine Mörder". Gleich darunter heißt es dann, nichts wäre "einfacher, als die Berliner Raser zu Mördern zu stempeln". Es folgt eine recht kurz geratene Subsumtion, die zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten sogar recht deutlich als "Mord" zu qualifizieren sei. Das mag erst einmal verwundern, denn dieses Ergebnis steht in diametralem Widerspruch zur eigenen Überschrift. Soll vielleicht so.

Die Ausführungen, die folgen, haben dann mit dem konkreten Fall eigentlich gar nichts mehr zu tun. Dem Verfasser fällt lediglich anlässlich dieses Falles auf, dass der Mordparagraph ja lebenslange Freiheitsstrafe vorschreibt, und das findet er ziemlich ungerecht. Da steht etwas von "gerechte(r) Vergeltung" - was immer das sein soll - Autos wären ja keine Bomben (Loriot würde sagen: "Ach!") und es heißt apodiktisch, "lebenslang" sei "einfach zuviel". Das alles ist - man möge es mir nachsehen - nicht besonders wissenschaftlich.

Vor allen Dingen verschweigt der Artikel, dass diese Problematik seit Jahrzehnten vor allem von Strafverteidigern in weitaus differenzierterer Form als in dem zitierten Beitrag beklagt wird und dass bisher alle Verfassungsbeschwerden gegen § 211 StGB (teils mit genau dieser Argumentation) erfolglos waren. Auch darüber, dass der Mordparagraph dem Gedankengut des Nationalsozialismus entspringt: Kein Wort. Dafür heißt es launig, dass tödliche Raserei doch etwas anderes sei "als ein Auftrags-, Lust- oder Giftmord". Warum das so sein soll, wird leider nicht nachvollziehbar dargestellt.

Es folgt auf Seite 2 des Beitrages ein Ausflug in die Welt des Vorsatzes, der mit dem Fazit endet, dass es allein darauf ankäme, ob der Täter tatsächlich darauf vertraut hätte, dass "alles gutgeht". Das ist in der Praxis schlicht falsch. Wie schon in meinem ersten Beitrag angeführt: Bei jemandem, der einem anderen mit einem Schrotgewehr aus kurzer Distanz ins Gesicht schießt, kommt es eben nicht mehr darauf an, worauf er "tatsächlich vertraut" hat. Einige Verhaltensweisen sind als solche so gefährlich, dass niemand guten Gewissens darauf vertrauen kann, dass "alles gutgehen" werde. Das ist das Problem, das in der Praxis gelöst werden muss; der Autor widmet ihm keine Zeile.

Schließlich folgen Ausführungen dazu, dass die Vorsatzformen des deutschen Strafrechts möglicherweise nicht so wirklich überzeugend sind, was wiederum in der praktisch nicht zu begründenden Unterscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit mündet. Das ist in der Tat eine Schwäche des deutschen Strafrechts - die aber nicht erst mit dem Fall der Autoraser virulent wird, sondern regelmäßig in ganz anderen Fällen akut wird, bei denen die "Ungerechtigkeit" wesentlich deutlicher zu Tage tritt als bei dem hier behandelten Urteil.

Recht hat der Autor, wenn er schreibt, dass die Abgrenzung zwischen Vertrauen (kein Vorsatz) und Sich-Abfinden (Vorsatz) unmöglich zu ziehen sei. Aber warum schreibt er das jetzt und warum gerade zu diesem Fall? Und wenn er den Mordparagraphen abschaffen will: Warum begründet er das nicht wissenschaftlich, sondern mit einem kuriosen Einzelfall?

Da hätte man von einem Rechtswissenschaftler wahrlich mehr erwarten können.







Montag, 27. Februar 2017

Mord durch Rasen (LG Berlin)


Das Landgericht Berlin hat zwei so genannte "Autoraser" wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei deren Rennen war ein Unbeteiligter zu Tode gekommen.  Das Strafmaß dürfte vielen ungewöhnlich hoch erscheinen, denn mit Mord verbinden die meisten andere Verhaltensweisen. Man kann sich fragen, ob zu Recht.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Bundesgerichtshof wird also über den Fall noch entscheiden und möglicherweise neue Maßstäbe für derartige Fälle setzen. In Bremen ist vor kurzem ein Motorradfahrer wegen Fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Unabhängig davon kann man sich aber einige Gedanken dazu machen, denn die Rechtsprobleme sind allgemeiner Natur.

Das erste Problem ist die Frage des Vorsatzes, also ob die Angeklagten wissentlich und gewollt handelten. Die Angeklagten haben sich (natürlich) damit verteidigt, dass sie niemanden hätten töten wollen. Die Presse berichtet z. B. hier.

Nun reicht der fehlende Tötungswille für eine Verneinung des Vorsatzes nicht zwingend aus, denn vorsätzlich handelt auch der, wer ein Ergebnis "billigend in Kauf nimmt". Der Jurist sagt Eventualvorsatz oder Dolus eventualis dazu. Die juristischen Theorien zur Abgrenzung des Eventualvorsatzes und der (bewussten) Fahrlässigkeit sind unüberschaubar; zu Zeiten meines Examens habe ich mal 38 verschiedene Theorien gezählt und die Lage ist seither kaum klarer geworden.

Wann nimmt man etwas "billigend in Kauf"? Das ist so eine dieser Floskeln, mit der die Rechtsprechung mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Wann billigt man etwas? Wann nimmt man etwas in Kauf?

Man sollte die Frage vielleicht umdrehen: Wann ist die Gefahr, die man durch ein bestimmtes Verhalten setzt, so groß, dass man davon ausgehen muss, dass jeder, der sich derartig verhält, das (mögliche) Ergebnis seines Verhaltens zwingend auch will? Weil er einfach davon ausgehen muss, dass dieses Ergebnis (möglicherweise) eintreten könnte und sich daher zwingend mit dessen Eintreffen abgefunden haben wird?

Die Rechtsprechung ist da erstaunlich uneinheitlich, und es ist gar kein so richtiger Grund dafür ersichtlich. Wer mit einem geladenen Gewehr blind aus dem Fenster schießt, wird mit seiner Verteidigung, er hätte niemanden treffen wollen, kaum jemals ernsthaft gehört werden. Er musste einfach davon ausgehen, dass er möglicherweise jemanden treffen könnte. Wer sich damit verteidigt, er habe einen anderen nicht töten wollen, obwohl er mit einer Schusswaffe auf dessen Kopf gezielt und abgedrückt hat, der wird kaum damit gehört werden, er hätte die Folgen nicht erwartet oder gewollt, obwohl es theoretisch denkbar wäre.

Genauso muss wohl der Autofahrer, der mit 170 km/h durch die Innenstadt fährt, um die Gefährlichkeit seines Tuns wissen. Auch, dass das Auto grundsätzlich geeignet ist, einen anderen umzubringen, sollte man als bekannt voraussetzen können. Er muss wohl auch damit rechnen, dass sich andere auf der Straße befinden, er selbst befindet sich ja immerhin auch dort. Da wird es dann schon langsam eng mit der Behauptung, man habe den Tod des anderen nicht zumindest "billigend in Kauf genommen". Näher mag da schon liegen, dass es einem einfach egal war, ob durch das eigene Tun möglicherweise jemand zu Tode kommt - und das reicht für den dolus eventualis.

Aber wir werden sehen, was der Bundesgerichtshof dazu sagt.

Das zweite Problem ist das des Mordes, der nach dem Gesetz zwingend die lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht. Das Gericht hat hier ein Mordmerkmal des § 211 StGB angenommen, nämlich das objektive Mordmerkmal des Einsatzes "gemeingefährlicher Mittel". Das ist noch eines der deutlicher umrissenen Mordmerkmale: gemeingefährlich ist ein Tatmittel dann, wenn es im konkreten Fall eine unbestimmte Anzahl anderer Personen konkret gefährdet. Das dürfte bei einem Kraftfahrzeug, dass im Straßenverkehr mit 170 km/h unterwegs ist, ohne weiteres der Fall sein. Bei dieser Geschwindigkeit kann niemand mehr kontrollieren, wen er alles gefährdet.

Das eigentliche Problem könnte hier sein, dass die Verurteilung wegen Mordes zwingend lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht und nicht milder geahndet werden dürfte - dies wird von Verteidigern seit Jahrzehnten kritisiert, sollte längst geändert werden und ist trotzdem nach wie vor Gesetz. Ein Gericht wird sich wohl auch in diesem Fall daran zu halten haben. Hier könnte die Verteidigung allenfalls mit einer Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit des § 211 StGB geltend machen. Ich sag es mal so: Das haben schon andere mit weitaus fragwürdigeren Urteilen vergeblich versucht.

Als Fazit muss man wohl sagen: Das LG Berlin könnte durchaus alles richtig gemacht haben.




Mittwoch, 15. Februar 2017

Unfortgebildet


Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden. Das steht in § 43a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und manche wissen das gar nicht. Für Richter oder Staatsanwälte gibt es eine solche Fortbildungspflicht übrigens nicht; böse Zungen sagen manchmal, das merke man auch.

Fachanwälte - und das dürften mittlerweile recht viele Rechtsanwälte sein - müssen jährlich 15 Stunden Fortbildung sogar nachweisen, das regelt die Fachanwaltsordnung. Bei mehreren Fachanwaltstiteln verdoppelt bzw. verdreifacht sich die Anzahl der geforderten Stunden entsprechend.

Die Rechtsanwaltskammer machen sich trotzdem seit langer Zeit Gedanken darüber, ob man nicht auch die allgemeine Fortbildungspflicht entsprechend spezifizieren und eine Verletzung der Fortbildungspflicht sanktionieren sollte, aber die Umsetzung machte immer Probleme: Wie viel sollte der Rechtsanwalt sich fortbilden, worin und wie sollte das effektiv überprüft werden?

Vehement hatten der Deutsche Anwalt Verein und die Bundesrechtsanwaltskammer sich gemeinsam dafür ausgesprochen, eine Spezifizierung der Fortbildungspflicht im Gesetz zu verankern - nicht etwa die Pflicht selbst, wie es in der Presse gerne heißt, z. B. hier in der FAZ. Die Pflicht selbst gibt es ja längst, siehe oben.

Dem hat "die Politik" jetzt einen Riegel vorgeschoben, die geplante Rechtsänderung wird nicht verabschiedet werden.

P.S.: Es ist aber auch weiterhin nicht verboten, sich fortzubilden. Auch das gilt im übrigen auch für andere Berufsbilder.





Donnerstag, 2. Februar 2017

Liebe Frau Lenders,


ich wollte mir gestern die Talkshow "Maischberger" zum Thema "Polizisten - Prügelknaben der Nation?" anschauen, aus beruflichem Interesse. Ich hatte mich auf einiges gefasst gemacht, zumal ja auch Rainer Wendt eingeladen war, der Vorsitzende der so genannten "Deutschen Polizeigewerkschaft", deren Mitglied auch Sie sind.

Mal so am Rande gefragt: Fühlt man sich eigentlich sehr gebauchpinselt, wenn gleich zwei von sechs Gästen aus einer Zwergvereinigung wie der Ihrigen eingeladen werden? Sie vertreten etwa 95.000 Mitglieder; warum eine solche Minderheit in einer Gesprächsrunde gleich doppelt vertreten ist, muss ich aber wohl Frau Maischberger fragen.

Eigentlich wollte ich ja auch etwas ganz anderes sagen: Ich habe die Sendung dann doch nicht sehen können, zumindest nicht zu Ende. Ich habe nur Sie gesehen. Dann habe ich ausschalten müssen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.

Das war, als Sie sagten, es wäre frustrierend für die Polizeibeamten, wenn - wie jüngst in Hamburg - ein Vergewaltiger FREIGESPROCHEN würde. Von dem Angeklagten sprachen sie als "Täter". Damit haben Sie binnen weniger Sekunden alle Vorurteile bestätigt, die man über Polizisten so haben kann:  Urteile der Justiz ignorieren Sie einfach, wenn sie Ihnen nicht passen, Unschuldige heißen bei Ihnen "Täter" und wenn ein Unschuldiger frei gesprochen wird, finden Sie das "frustrierend". Das ist zynisch, Menschen verachtend, überheblich und totalitär.

Liebe Frau Lenders, wer so redet, der darf sich auch nicht wundern, wenn ihm auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude von den Angehörigen der Betroffenen der blanke Hass entgegen schlägt. Vielleicht haben Sie in der Sendung ja auch noch etwas Vernünftiges gesagt, ich weiß es nicht. Aber ich finde, das was Sie gesagt haben, reicht.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch einmal die Erfahrung machen dürfen, diese Treppe als Angeklagte empor schreiten dürfen, damit Sie mal wissen, wie das ist.





Freitag, 13. Januar 2017

Schlimmer als gerecht


Unter dem Titel "Ich versuche, wirklich gerecht zu sein" erschien gestern bei Süddeutsche.de der Bericht eines - Lars M. genannten - Amtsrichters. Die Lektüre ist lehrreich, aber quälend. Wer bis dato geglaubt hatte, Richter wären latent rechtsstaatsfeindlich eingestellt und hätten von Straf- und Prozessrecht keine Ahnung, der erfährt hier: Das stimmt. Und es ist alles noch viel schlimmer.

Der Arbeitsbericht dieses Richters ist so absurd, dass manch Rechtsanwalt sich nicht getraut hätte, etwas derartiges auch nur in parodistischer Absicht über Richter zu äußern. Wenn dieser Bericht bloß halbwegs authentisch sein sollte - wovon wohl auszugehen ist - dann steht es schlimm um den Rechtsstaat.

"Lars M." zeigt sich oberflächlich menschenfreundlich, er erklärt seinen Angeklagten offenbar gerne und viel und rät dem Leser:

"Falls Sie einmal vor Gericht landen, seien Sie freundlich und - wenn Sie Mist gebaut haben - einsichtig.

Denn bei "Gericht kann eigentlich jeder landen". Der Gedanke, dass ein Angeklagter keinen "Mist gebaut" haben könnte, kommt ihm allerdings auf fünf Seiten kein einziges Mal. Die Unschuldsvermutung findet im ganzen Artikel ebenso häufig Erwähnung, nämlich gar nicht. Lars M. sieht es ganz offenbar auch nicht als seine Aufgabe, den Tatvorwurf aufzuklären - auch hiervon ist in dem Artikel nicht ein einziges Mal die Rede. Stattdessen möchte er die Seele der Bösewichter ergründen:

"Ich gebe keine Lebenstipps, aber ich will wissen, woran es hakt."

Denn:

"Freisprechen kann ich so einen (Unfallfahrer) nicht, wenn der Staatsanwalt einen Strafbefehl beantragt hat."

Ja, das steht da wirklich. Dieser Richter sagt allen Ernstes in einer als intellektuell geltenden Tageszeitung, er könne nicht freisprechen, wenn die Staatsanwaltschaft etwas anderes beantragt hat. Da ist sie offenbar auf einmal dahin, die richterliche Unabhängigkeit, die sonst immer allen so wichtig ist.

Andererseits müsse er sich natürlich "als Richter an die Gesetze halten", hätte aber

"einen größeren Ermessensspielraum als viele denken".

Und jetzt hört der Spaß langsam auf lustig zu sein.

Richter haben alles mögliche, aber keinen Ermessensspielraum. Wenn jemand der Tat nicht überführt werden kann, ist er freizusprechen, dazwischen ist nichts. "Ermessensspielraum" ist ein Begriff aus dem Verwaltungsrecht, der hier auch nicht von einem Laien mal eben versehentlich falsch verwendet wurde - hier schreibt ein Richter (!) und er schreibt: Stuss.

Er beschreibt auch noch einige Einzelfälle, die vor Rechtsfehlern nur so strotzen. Wenn schon sein Betrag in einer überregionalen Tageszeitung derartig fehlerhaft ist - man mag sich nicht ausmalen, wie seine Urteile aussehen.

Nur ein Beispiel:

"Wenn jemand mehr als 1,6 Promille hat, gilt er als absolut fahruntauglich und macht sich strafbar. Dem muss ich eine Geldstrafe aufbrummen, oft ein ganzes Monatsgehalt. Noch härter sind die Folgen: Der Verurteilte muss zum MPU-Test (alleine schon dieser Ausdruck, Anm. d. Verf.), sonst verliert er seinen Führerschein und darf theoretisch nicht einmal mehr Fahrrad fahren."

Auch hier muss man erst vorsorglich nochmals dazusagen: Das steht da wirklich.

An diesen Aussage ist so ziemlich alles falsch - und da solche Fälle in der Praxis ständig vorkommen, wird man befürchten müssen, dass der Herr Amtsrichter sie auch in seinem Beruf ständig falsch macht. Das ist nur noch erschütternd.

Auch für die juristischen Laien habe ich mal nur aus diesem einen Absatz alle fehlerhaften Aussagen herausgesucht; es handelt sich um fünf Zeilen.

  • Absolut fahruntauglich ist man bereits mit 1,1 Promille.
  • Strafbar macht man sich bereits dann.
  • Dem folgt keinesfalls zwingend eine Geldstrafe.
  • Man verliert nicht den "Führerschein", sondern die Fahrerlaubnis wird entzogen.
  • Man "muss" auch nicht zur MPU (das "U" steht übrigens für "Untersuchung", der "Test" ist daher doppelt gemoppelt); die MPU ist eine Auflage, an die die Fahrerlaubnisbehörde (nicht der Richter!) unter Umständen die Neuerteilung der Fahrerlaubnis knüpft.
  • Zum Fahrradfahren braucht man keine Erlaubnis.
Was der Herr Amtsrichter mit dem theoretischen Dürfen meint, müsste er mir nochmal erklären.







Donnerstag, 5. Januar 2017

Herr L. twittert


Herr L. ist in der SPD. Und Herr L. twittert gerne.

Nun hat einem Sparkassenmitarbeiter nicht gefallen, was Herr L. da getwittert hat, und er hat Herrn L. deshalb eine E-Mail geschickt. In der E-Mail verleiht der Sparkassenmitarbeiter seiner Hoffnung Ausdruck, dass die SPD bald in der Bedeutungslosigkeit versinken möge und kündigt an, dass er zukünftig die "einzig wahre Partei" wählen werde, was die AfD sei. Die E-Mail schreibt er auf dem Briefkopf der Sparkasse.

Herr L veröffentlicht daraufhin die E-Mail über Twitter (näheres hier) und erntet einen Shitstorm erzürnter AfD-Wähler und anderer. Warum eigentlich? Oder anders:

Darf man E-Mails veröffentlichen?

Ich habe mal im Internet nachgesehen und unter anderem zwei etwas ältere Veröffentlichungen zu dem Thema gefunden: Die erste stammt vom Kollegen Stadler, die zweite stammt von den mir nicht bekannten Kollegen Schlun & Elseven. Beide Beiträge erscheinen durchaus profund recherchiert, beide beziehen sich auf aktuelle Rechtsprechung; kurz zusammegefasst kommt der erste zum Ergebnis "ja, man darf", der zweite zu dem Ergebnis, "nein, man darf nicht". Die Argumentationen sind sich nicht sehr ähnlich. Es scheint also ein Problem zu geben.

Fangen wir mal anders an: Durfte denn der Sparkassendirektor dem Herrn L. so eine E-Mail schreiben? Das könnte etwas mit Recht auf Meinungsäußerung zu tun haben, aber der Herr L. hat genau so ein Recht, mit den Meinungen anderer nicht behelligt zu werden. Beleidigend war die Nachricht zwar nicht, höchstens lästig. Das reicht zumindest, sie nicht dulden zu müssen. Soweit die E-Mail an seinen Privat-Account gerichtet war (und nicht an einen Partei-Account) hätte Herr L. wohl einen Unterlassungsanspruch gehabt. Der hätte sich übrigens - zumindest auch - gegen die Sparkasse gerichtet, der die Meinungsäußerung aufgrund des äußeren Eindrucks eindeutig zuzuordnen war.

Deshalb hat der Sparkassenmitarbeiter jetzt wohl Ärger mit seinem Arbeitgeber bekommen - dafür kann aber Herr L. nichts. Die Ursache hierfür hat der E-Mail-Schreiber ganz allein gesetzt. Gegenüber der Möglichkeit einer Unterlassungsverfügung gegen die Sparkasse könnte die Veröffentlichung der E-Mail für deren Autor sogar das kleinere Übel gewesen sein. Herr L. hat daher insoweit durchaus Recht, wenn er in seinen weiteren Stellungnahmen meint, wer ihn wegen der Veröffentlichung angreife, vertausche "Täter und Opfer".

Aber durfte er denn die Nachricht nun veröffentlichen? Mal anders gefragt: Was könnte es ihm verbieten?

Hier wird immer mal wieder das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 i.V.m Art. 2 Abs. 1 GG genannt - das ist ein Abwehrrecht gegen den Staat (nicht gegen Herrn L.) und scheint mir hier auch inhaltlich eher neben der Sache zu liegen. Schließlich handelt es sich um eine Äußerung, die freiwillig und unaufgefordert abgegeben wurde.

Urheberrechtsschutz dürfte bei dem doch eher banalen Inhalt der Äußerung schon an der fehlenden Schöpfungshöhe scheitern.

Auch vom Postgeheimnis (Art. 10. GG) habe ich schon gelesen; das schützt meines Wissens den Postverkehr, und der endet jedenfalls beim Empfänger.

Wer weitere Einfälle hat, sei herzlich eingeladen, sie gesittet und in höflichem Tonfall zu äußern. Bis auf weiteres werden wir aber wohl davon auszugehen haben, dass Herr L. durfte, was er tat. Da war ein Shitstorm wohl wieder mal äußerst unangebracht.





Dienstag, 3. Januar 2017

Unterste Schublade


"Hilope am Hbf, wahrscheinlich ofW" - so in etwa haben wir es uns laut BILD-Zeitung vorzustellen, wenn Polizeibeamte sprechen. Da haben die Beamten offenbar nicht nur einen veritablen Abkürzungsfimmel, sondern auch allerlei Kategorien für alles mögliche. Womit wir wieder beim Nafri wären, dem Nordafrikanischen Intensivtäter. Das "i" am Ende ist übrigens keine Verniedlichung, sondern steht für "Intensivtäter".

Die Benennung dieser Kategorie kann man jetzt für mehr oder weniger gelungen halten, die Frage ist aber eine andere - nämlich, ob diese Kategorie irgendeine sachliche Rechtfertigung hat. Lässt sich ein sachlicher Grund für die Kategorisierung nicht finden, liegt die Vermutung nahe, dass es nur einen unsachlichen Grund gibt, Rassismus vielleicht. Oder Dummheit.

Es mag Nordafrikaner geben, die immer wieder straffällig werden, aber warum brauchen die eine eigene Kategorie? Betrunkene bayrische Kraftfahrer haben doch auch keine eigene Kategorie, oder haben Sie schon einmal von BEBAYKRAs gehört? Und das, obwohl es davon garantiert mehr gibt als Nordafrikanische Intensivtäter.

Selbst da, wo man berechtigterweise von Intensivtätern sprechen könnte - in der Justiz - hat diese Kategorisierung keinerlei Nutzen für irgend etwas, denn nordafrikanische Intensivtäter werden behandelt wie alle anderen Intensivtäter auch. Wenn sie denn welche sind.

Die Einordnung nach Ursprungsland dient keinem ersichtlichen Zweck und steht daher zu Recht im Ruch, unanständig zu sein. Da hat Simone Peter von den Grünen Recht, und alle diejenigen, die jetzt auf ihr herumhacken, haben Unrecht. Das mag manchen nicht gefallen, ist aber so.

Die von der Polizei gewählte Kategorisierung ist übrigens auch deshalb völlig ungeeignet, weil sie keinerlei wie auch immer geartete Rückschlüsse auf irgendetwas zulässt. Das wird jetzt vielleicht etwas wissenschaftlich, aber da müssen Sie jetzt durch:

Eine Kategorie bildet man in der Regel deshalb, weil man bestimmte Phänomene zukünftig schneller erfassen und verarbeiten möchte. Eine Kategorie ist eine Arbeitshypothese. Wenn ich weiß, dass Mitglieder der Kategorie "Hund" mitunter beißen, hilft mir das, Bisswunden zukünftig zu vermeiden, indem ich einen weiten Bogen um alle Mitglieder dieser Kategorie mache. Das ist hilfreich und die anderen Hunde stört es auch nicht.

Bereits diese Kategorisierung erlaubt mir aber keinerlei Rückschlüsse auf den Einzelfall, denn aus einer partikulären Prämisse ("Einige Nordafrikaner sind Intensivtäter") und einem Einzelfall ("XY ist Nordafrikaner") können Sie keinerelei valide Schlussfolgerung ziehen. Da führt Sie eine Kategorisierung wie die von der Polizei offensichtlich geübte nur in die Irre, mehr noch: Sie tun Menschen bewusst und gewollt Unrecht.

Das kann doch eigentlich nicht so schwer zu verstehen sein, oder?

P.S.: Das vorgebliche Gegenargument: "Hat Silvester doch aber ganz gut geklappt" überdenken Sie bitte noch mal sorgfältig, bevor Sie es äußern.



Montag, 2. Januar 2017

Kontrollillusion in Nafristan


Stellen Sie sich mal vor, Sie wollten in einen Supermarkt einkaufen. Schon am Eingang weist man Sie ab. Sie kämen dort nicht hinein - mit der Begründung: Letztes Jahr um diese Zeit wäre eine Gruppe von Leuten im Supermarkt gewesen, von denen einige vielleicht geklaut hätten. Und Sie sähen einigen aus dieser Gruppe ähnlich. Vorsorglich hat man für Mitglieder aus dieser Gruppe auch schon einen Sammelbegriff gefunden, z. B. KRIKLAUKU (Kriminelle klauende Kunden).

Möglicherweise würde diese Argumentation Sie nicht vollständig überzeugen, die Bezeichnung als krimineller klauender Kunde Sie vielleicht sogar erzürnen.

Die Polizei Köln hätte so eine Argumentation am Silvesterabend ganz normal gefunden. Da verfuhr man nämlich genau so: Man hat kurzerhand alle jene von der Domplatte weg gehalten, denen man eine gewisse Gesichtsähnlichkeit mit Leuten unterstellte, die im Vorjahr dort möglicherweise straffällig geworden sein könnten. Vorsorglich hat man denen auch gleich noch die Bezeichnung "Intensiväter" verpasst, obwohl man noch nicht einmal ihre Personalien kannte.

Der Polizeipräsident und mit ihm das halbe Internet feiert das als großartigen Erfolg für die Sicherheit; es ist wohl eher ein Sieg der Vorurteile und der Dummheit.

Wenn Sicherheit jetzt so geht, dann muss ich wohl froh sein, wenn man mich mit meiner schwarzen Robe nicht für einen PÄKAPRI (Pädophilen katholischen Priester) hält und vorsorglich festnimmt.

"Aber, aber", singt der Chor der Blöden, "war es denn nicht tatsächlich sicherer auf der Domplatte, dieses Jahr?" Ungeachtet des Umstandes, dass es wohl kaum zweimal hintereinander am selben Ort zu vergleichbaren Ausschreitungen gekommen wäre, erinnert diese Logik etwas an den Mann, der auf dem Marktplatz steht und mit den Armen rudert, um die Giraffen zu vertreiben. Wenn Sie jetzt einwenden, dass es auf dem Marktplatz doch gar keine Giraffen gäbe: Da sehen Sie mal, was für eine gute Arbeit der Mann macht.

Das Beispiel mit den Giraffen stammt übrigens nicht etwa von mir, sondern aus dem immer wieder sehr lehrreichen Buch "Die Kunst des klaren Denkens" von Ralf Dobelli. Es illustriert dort den Denkfehler der so genannten Kontrollillusion.

In dem Sinne: Frohes neues Jahr.