Mittwoch, 1. März 2017
Neues zum Raser - Wissenschaftskritik
In meinem Beitrag zum "Raser"-Urteil des LG Berlin hatte ich darauf hingewiesen, dass das eigentliche Problem dieser Sache der § 211 StGB ("Mordparagraph") als solcher sein könnte. Nun hat ein Rechtsprofessor diesen Gedanken in der ZEIT aufgegriffen. Schön. Aber mit Verlaub: Seine Argumentation gerät ziemlich daneben.
Schon die Überschrift ist programmatisch: "Raser sind Verbrecher, aber keine Mörder". Gleich darunter heißt es dann, nichts wäre "einfacher, als die Berliner Raser zu Mördern zu stempeln". Es folgt eine recht kurz geratene Subsumtion, die zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten sogar recht deutlich als "Mord" zu qualifizieren sei. Das mag erst einmal verwundern, denn dieses Ergebnis steht in diametralem Widerspruch zur eigenen Überschrift. Soll vielleicht so.
Die Ausführungen, die folgen, haben dann mit dem konkreten Fall eigentlich gar nichts mehr zu tun. Dem Verfasser fällt lediglich anlässlich dieses Falles auf, dass der Mordparagraph ja lebenslange Freiheitsstrafe vorschreibt, und das findet er ziemlich ungerecht. Da steht etwas von "gerechte(r) Vergeltung" - was immer das sein soll - Autos wären ja keine Bomben (Loriot würde sagen: "Ach!") und es heißt apodiktisch, "lebenslang" sei "einfach zuviel". Das alles ist - man möge es mir nachsehen - nicht besonders wissenschaftlich.
Vor allen Dingen verschweigt der Artikel, dass diese Problematik seit Jahrzehnten vor allem von Strafverteidigern in weitaus differenzierterer Form als in dem zitierten Beitrag beklagt wird und dass bisher alle Verfassungsbeschwerden gegen § 211 StGB (teils mit genau dieser Argumentation) erfolglos waren. Auch darüber, dass der Mordparagraph dem Gedankengut des Nationalsozialismus entspringt: Kein Wort. Dafür heißt es launig, dass tödliche Raserei doch etwas anderes sei "als ein Auftrags-, Lust- oder Giftmord". Warum das so sein soll, wird leider nicht nachvollziehbar dargestellt.
Es folgt auf Seite 2 des Beitrages ein Ausflug in die Welt des Vorsatzes, der mit dem Fazit endet, dass es allein darauf ankäme, ob der Täter tatsächlich darauf vertraut hätte, dass "alles gutgeht". Das ist in der Praxis schlicht falsch. Wie schon in meinem ersten Beitrag angeführt: Bei jemandem, der einem anderen mit einem Schrotgewehr aus kurzer Distanz ins Gesicht schießt, kommt es eben nicht mehr darauf an, worauf er "tatsächlich vertraut" hat. Einige Verhaltensweisen sind als solche so gefährlich, dass niemand guten Gewissens darauf vertrauen kann, dass "alles gutgehen" werde. Das ist das Problem, das in der Praxis gelöst werden muss; der Autor widmet ihm keine Zeile.
Schließlich folgen Ausführungen dazu, dass die Vorsatzformen des deutschen Strafrechts möglicherweise nicht so wirklich überzeugend sind, was wiederum in der praktisch nicht zu begründenden Unterscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit mündet. Das ist in der Tat eine Schwäche des deutschen Strafrechts - die aber nicht erst mit dem Fall der Autoraser virulent wird, sondern regelmäßig in ganz anderen Fällen akut wird, bei denen die "Ungerechtigkeit" wesentlich deutlicher zu Tage tritt als bei dem hier behandelten Urteil.
Recht hat der Autor, wenn er schreibt, dass die Abgrenzung zwischen Vertrauen (kein Vorsatz) und Sich-Abfinden (Vorsatz) unmöglich zu ziehen sei. Aber warum schreibt er das jetzt und warum gerade zu diesem Fall? Und wenn er den Mordparagraphen abschaffen will: Warum begründet er das nicht wissenschaftlich, sondern mit einem kuriosen Einzelfall?
Da hätte man von einem Rechtswissenschaftler wahrlich mehr erwarten können.
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Er machts besser:
AntwortenLöschenhttp://www.lto.de/recht/hintergruende/h/kudamm-raser-berlin-urteil-mord-211-stgb-315-stgb-kommentar/
Wobei die Diskussion zum Artikel recht interessant ist. Kann der "Hausherr" hier nicht auch mal da "seinen Hut in den Ring schmeissen"?
AntwortenLöschenAlso ich persönlich finde die Strafe in diesem Fall alles andere als ungerecht. Ob es dogmatisch korrekt ist? Keine Ahnung. Meine Expertise auf dem Bereich des Strafrechts ist dafür schlicht zu gering.
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