Dienstag, 4. November 2014

Unhanseatische Verteidigung


Ich erinnere mich an eine etwas streitigere Verhandlung vor dem Amtsgericht in Strafsachen, in der ich einige Anträge gestellt hatte, die der Anklagebehörde wohl etwas unangenehm waren. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft - ein Oberstaatsanwalt - warf mir daraufhin vor, mein Verteidigungsstil wäre "unhanseatisch".

Das fand ich einigermaßen verwirrend, dachte ich doch bis dato, es gelte die Strafprozessordnung -und nur die. Aber dieser Oberstaatsanwalt war offenbar der Auffassung, dass es jenseits des Gesetzes noch etwas anderes gäbe, etwas Größeres. Aber da irrte er.

Ich habe seither immer wieder beobachtet, dass Menschen die Flucht in ein paralleles Subsystem antreten, wenn ihnen irgendein Ergebnis der Rechtsanwendung nicht passt. Sie verlangen dann von allen anderen, sie mögen sich bitte nicht nur an das Gesetz, sondern auch noch an die Regeln ihrer privaten Parallelwelt halten. Das ist bestenfalls ein Bauerntrick; wenn Menschen eine derartige Argumentation aber ernst meinen, wird es zur Gefahr für die Rechtsordnung.

Nicht nur der besagte Oberstaatsanwalt verfährt so, auch in der Politik ist diese rhetorische Unart beliebt. Jedes Mal, wenn bei irgendwelchen Koalitonsverhandlungen die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einer ungeliebten - meist linken - Partei zur Debatte steht, kommen moralisierende Mahner und behaupten, dass ginge aber nicht. Da für eine solche Behauptung jede rechtliche Grundlage fehlt, werden als "Argumente" gerne Chimären wie Moral, Anstand oder der gesunde Menschenverstand bemüht. Oder eben der eingangs erwähnte Hanseatismus.

In Wirklichkeit sind das alles nur Synomyme für ein und dasselbe, nämlich für angebliche Regeln, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Mit denen man selbst natürlich besser da stünde als man es in Wirklichkeit tut.

Die Unsitte gibt es sogar im Sport. Rudi Völler tat sich nach dem Spiel des Hamburger SV gegen Bayer Leverkusen dadurch hervor, dass er beklagte, der Schiedsrichter hätte seine Spieler "besser schützen" müssen. Womit wir wieder bei der unhanseatischen Verteidigung wären. Vor was der Schiedsrichter seine Spieler hätte schützen müssen, hat Rudi Völler nicht gesagt. Gemeint hat er wahrscheinlich: vor der Niederlage. Aber das konnte er ja nicht aussprechen.

Die Wahrheit ist: Es gibt Regeln, die gelten für alle. Und nur die.


13 Kommentare:

  1. Das ist doch der alltägliche Streit mit den Staatsanwaltschaften wegen der Vollmachtsvorlage der Verteidiger. "War schon immer so, macht jeder so, warum Sie nicht?" Weil ich es nach der StPO als Wahlverteidiger nicht muss. Und weil ich es im Sinne des Mandanten dann auch unterlassen sollte.

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  2. "Hanseatisch" meint laut Duden die "kühle, unaufdringliche Vornehmheit wie die der Hanseaten" "Unhanseatisch" dürfte also bedeuten, dass Sie jedenfalls nicht kühl und zurückhaltend aufgetreten sind. Wenn Sie vor Gericht ähnlich auftreten, wie Sie es in Ihrem Blog tun, wundert mich diese Kategorisierung überhaupt nicht.

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    1. Ich bitte Dich;
      zum Glück gibt es noch Anwälte, die eben nicht nur Hanseatisch vor gehen UND sicher dadurch Klientel helfen; die andere nicht einmal offen anhören/zu hören....
      Menschen die durch jedes Sieb rutschen haben durch Herrn Schmitz eine Chance vor Gericht ec.
      Ich sehe es eher als ein Auszeichnung die Her Schmitz durch den Richter bekommen hat....

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    2. Wer ist Herr Schmitz?

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  3. Ich bin anderer Auffassung. Zu einer guten Strafverteidigung geht m.E., dass man sich nicht nur innerhalb der Grenzen des Rechts bewegt, sondern auch Anstand, Respekt und Moral nicht vermissen lässt.

    Es gibt hanseatische Kaufmannspflichten, die für einen Strafverteidiger auch gelten sollten, etwa dass man Wort hält, wenn man etwas (mündlich) zugesagt hat.

    Und wenn man durch eine aufbrausende, undistanzierte Art der Verteidigung auffällt, ist das keine Konfliktverteidigung sondern Krawallverteidigung. Die muss m.E. auch nicht sein.

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    1. Da bin ich vollständig Ihrer Ansicht. ;-)

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    2. Ich stimme - eingeschränkt - zu.

      Natürlich gibt es Verhaltensweisen die zum "guten Ton" gehören, ohne dass dies irgendwo schriftlich fixiert wäre. Die Sanktionen, die man durch einen Verstoß dieser ungeschriebenen "sozialen Gesetze" erleidet, können dann aber auch nur in sozialer Form erfolgen. Nachteile für die Beteiligten eines Gerichtsverfahren dürfen aber aufgrund von Verstößen - nur - gegen diese bloßen sozialen Normen nicht entstehen.

      Die Praxis zeigt aber, dass ein anderes als ein höfliches Auftreten vor Gericht u.U. faktische Nachteile mit sich bringt (wenn auch zu unrecht), ganz sicher aber keine Vorteile, die ein höflicher Anwalt (im Rahmen des Zulässigen) durchaus haben kann - und sei es auch nur das nette Gespräch mit dem Richter vor und nach der Verhandlungen, ob es nun um (informativen) Flurfunk oder Tendenzen hinsichtlich einer möglichen Entscheidung in der Sache geht (ich rede jetzt von Zivilsachen, nicht Strafsachen). Als Nachteile wären zu nennen, dass rechtliche Hinweise (auch Zivilrecht) erst in der mündlichen Verhandlung erteilt werden, auf die man noch hätte reagieren können, wenn der Hinweis vorher erfolgt wäre, kürzere Fristverlängerungen als beantragt, schleppende (wenn auch nicht zu schleppende) Bearbeitung etc. pp.

      Kurzum: Es ist oft von Vorteil auch für den Mandanten, wenn der Anwalt gut mit dem Richter "kann" (weil er sich eben an die ungeschriebenen Gesetze hält), es darf nicht von Nachteil sein, wenn dies nicht der Fall ist (ist es aber faktisch leider doch oft).

      Wenn aber auf anderem Weg nichts erreicht werden kann, ist gerade auch im Bereich der Strafverteidung eine "unhanseatische" Verteidigung - im Rahmen der Prozessordnung - nicht nur (das sowieso) zulässig, sondern auch geboten.

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  4. Eine Hamburgensie:
    Unter Hamburger Kaufleuten gilt bis heute: Ein standesbewusster Kaufmann beruft sich nicht auf Verjährung.
    Quelle:
    http://sozialberatung-kiel.de/2012/07/28/von-hamburger-kaufleuten-und-schleswig-holsteinischen-kostenprufungsbeamten/

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  5. versuch doch mal rheinländisch zu verteidigen ;-)

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  6. Meine Erfahrung in Hamburg, wo ich seit nun fast dreißig Jahren lebe.

    Wenn mir ein Hamburger Kaufmann sein Hamburger Ehrenwort gibt, dann nähe ich mir schleunigst meine Hosentaschen zu und verstecke mein Geldbeutel sehr weit.

    Angesehene und bekannte Hamburger Rechtsanwälte - nicht nur im Medienrecht - geben hemmungslos falsche Versicherungen an Eides statt im eigenen Namen in eigener Sache sowie im Namen ihrer Mandanten in deren Sachen ab.

    Berliner Anwälte können aus geografischen Gründen nicht mit der listigen hanseatischen Moralkeule kommen. Diese berufen sich dann auf die mitteleuropäische Contenance, an die man sich gefälligst zu halten hat und sich nicht wundern soll, wenn man sich anders verhält. Selbst sind sie brutal, verbreiten Angst und Schrecken unter den Medienmachern, vertreten Sexualtouristen, Kriminelle und bewegen sich selbst im Bereich der organisierten Justizkriminalität.

    Ein Aufruf zum mitteleuropäischen Verhalten ist ein Aufruf zur besonderen Vorsicht gegenüber solchen Predigern.

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  7. Es kommt doch viel weniger auf die geltenden Regeln an als auf die Weise, wie sie durchgesetzt werden. Meint der OStA, Sie benähmen sich unhanseatisch, dann "bestraft" er Sie für dieses Vergehen möglicherweise mit dem Ausbleiben des freundlichen Nickens auf dem Gang. Wenn sich dagegen jemand gegen die StPO wendet, bleibt immer noch die Hoffnung, dass der BGH dies mit der Aufhebung straft.

    Es ist doch keine rhetorische Unart, wenn in der Politik die einen nicht mit der Koalitionsstrategie der anderen einverstanden sind und sich dann auf Moral und Anstand berufen. Politik ist wie ein Kindergarten, da gibt es halt dann Beleidigungen und beleidigte Leberwürste und Missverständnisse und sich missverstanden Glaubende.

    Genauso gilt im täglichen Miteinander eben nicht nur das kodifizierte Recht, sondern auch viele ungeschriebene Regeln deren Einhaltung durch ungeschriebene Strafen durch die Allgemeinheit oder einer Teilmenge dieser betrieben wird.

    Und wer sich davon nicht einschüchtern lässt, sondern einfach weitermacht, hat doch am Ende am meisten Spaß!

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