Donnerstag, 20. November 2014

Kommunikation durch Kappe


Am gestrigen Abend konnte man im Fernsehen die Verfilmung des Buches (und teilweise Lebens) der 2010 verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig sehen. Das Erste stellt den Film hier zur Verfügung, allerdings erst ab 20:00 Uhr. Der Film zeigt unter anderem eine Auswahl leichter bis mittelschwerer Jugendkriminalität sowie mehr oder minder jugendtypisches Verhalten mit einigen dramaturgischen Verkürzungen.

Anschließend gab es eine Diskussion unter anderem mit einer Jugendrichterin aus Neukölln und einem Jugendstaatsanwalt. Die Diskussion konnte das Niveau des Films leider nicht durchgehend halten.

Eingangs der Diskussion wurde die Jugendrichterin gefragt, ob sie denn einige der Szenen aus dem Film "wieder erkenne". Ihre Antwort war bemerkenswert. Die Richterin ging nämlich auf keine der zahlreichen Straftaten ein, sondern fühlte sich insbesondere durch eine Szene unangenehm an ihren realen Alltag erinnert, in der der jugendliche Delinquent vor Gericht sein Basecap nicht abnimmt und Kaugummi kaut. Das sei ihr auch schon passiert. Unerhört. Diese Jugend von heute, ist man versucht zu schimpfen.

Das kann man fast schon symptomatisch finden für einen Einstellung, an der vielleicht auch die reale Kirsten Heisig gelitten hat: den subjektiv erlebten Zwang, anderen die eigene Werte vermitteln zu müssen. Man könnte es auch dabei belassen, Straftaten zu ermitteln und zu ahnden.

Dem liegt möglicherweise auch eine falsche Interpretation jugendlichen Verhaltens zugrunde. Denn der Jugendliche, der sich so verhält, tut das meist nicht, weil er es nicht besser wüsste. Das wird im Film übrigens sehr schön gezeigt. Der Jugendliche tut es als Protest, als eine Form der Kommunikation, die von Erwachsenen leider viel zu häufig als bloßes Erziehungsdefizit wahrgenommen wird.

Der Jugendliche will dem Gegenüber damit zeigen, dass er dessen Regeln nicht ohne weiteres akzeptiert. Hier ist der Dialog nicht zu Ende, hier beginnt er. Die Kunst, derartige nonverbale Kommunikation zu erkennen und angemessen darauf einzugehen, beherrschen leider bei weitem nicht alle Menschen.


5 Kommentare:

  1. Ja, unverschämt ein Grundmaß an Respekt einzufordern. Wie kann man einfach soetwas wie Respekt und Achtung gegenüber anderen Menschen aufdrängen wollen?

    Vielleicht liegt vielmehr von Ihnen eine falsche Interpretation vor: Es wird sicher oft erkannt, wenn es (min.) Protest und kein Erziehungsmangel ist. Das macht es aber noch schlimmer. Es ist also ein bewusster Akt des Widerstandes, nicht immer angebracht wenn im Raum steht die unverzichtbaren Grundregeln der Gesellschaft verletzt zu haben.

    Lassen Sie mich raten: Sie meinen die Kunst, nonverbale Kommunikation zu erkennen und angemessen darauf einzugehen zu beherrschen. Obgleich Ihr Blog ein stettiger Hinweis dafür ist, dass Sie nur Ihre eigenen Verhaltensmuster auch anderen unterstellen und diese deshalb falsch einschätzen.

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  2. Respekt, wenig geehrtes Anonym, kann man fordern, er muss aber nicht gegeben werden. Respekt wird erarbeitet.

    Natürlich können Sie, als vermutlich altes Hansel, einfach Ihre Wertvorstellungen und Ihre kommunikativen Regeln anderen feindselig überstülpen wollen. Das verwehrt Ihnen niemand. Hilfreich ist es allerdings nicht.

    Herr Nebgen fordert nur, dass [gerade] Richter - und vermutlich auch andere Autoritätspersonen - Wissen über strukturelle Unterschiede in Kommunikation haben und darauf angemessen reagieren. Sprich: Lernt mal was über eure Delinquenten und versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen, statt gegen sie.

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  3. Vielleicht erklären Sie, Herr Haasis, dann bitte auch stellvertretend für Herrn Nebgen, welche "strukturellen Unterschiede" dieser denn nun fordert. Denn gerade, wenn jugendliche Grenzübertretungen nicht aus fehlendem Wissen, sondern bewusst als Zeichen der Abgrenzung, der Überlegenheit, des "ich akzeptiere Deine Regeln nicht" erfolgen, erscheint es aus meiner Sicht sinnvoll, bereits früh Grenzen aufzuzeigen: Und zwar nicht erst bei Überschreiten der Grenze zur Strafbarkeit, sondern bereits dann, wenn eben solche abgrenzenden Provokationen (= Revier markieren) wie "Kappe im Gerichtssaal" oder "Kaugummi unter die Bank" beginnen.

    Wenn Sie bessere Vorschläge haben: Immer her damit!

    (Ps: Ich bin nicht "Anonym 00:31". Aber wer keinen eigenen Account hat, kann hier leider nur unter "Anonym" schreiben)

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  4. Danke, Herr Nebgen, für diese moderne und aufgeklärte Sicht, die man in Ihrer Branche nicht häufig vorfindet.

    Ich möchte auch hinweisen auf die Unterschiede zwischen den soziokulturellen Normen in verschiedenen Lebenswelten. Einige der Verhaltensregeln, die im Gerichtssaal und anderswo gelten, sind, wenn man es genau betrachtet, ja absolut willkürlich: Hut ab, aber nicht Schuhe aus. Wasser ja, Kaugummi nein. Denn man möchte ja einen guten Eindruck auf den Richter machen, um bessere Chancen zu haben - wobei niemandem auffällt, wie sehr diese Idee den Richter beleidigen müsste, dem unterstellt wird, nicht zwischen juristischer Schuld und persönlicher Charaktereinschätzung unterscheiden zu können.

    In einem durchschnittlichen Prozess, in dem Jugendliche beteiligt sind, dürften die meisten aus einem Umfeld kommen, in dem das Regelkorsett ein anderes ist. Das Abnehmen der Kopfbedeckung als Zeichen des Respekts ist beispielsweise bei weitem nicht bei allen üblich.

    Man kann natürlich verlangen, das Verhalten gezeigt wird, das dem Richter als angemessen erscheint. Mit der gleichen Begründung kann man das Tragen juristischer Perücken verlangen.

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    1. (Ich habe übrigens keinen Account, sondern statt "Anonym" einfach "Name/URL" gewählt)

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