In der Kanzlei erscheint ein Mandant, und bevor ich mich versehe, erzählt er mir von seiner Straftat, die er jüngst begangen habe. Nun weiß ich das also. Später kommen dem Mandanten auch die Ermittlungsbehörden auf die Schliche, es kommt zur Anklage und zur mündlichen Hauptverhandlung vor dem Gericht.
Während der mündlichen Hauptverhandlung sagt mir nun der Mandant entgegen seiner bisherigen Darstellung, sein Bekannter X könne bestätigen , dass er - der Mandant - zur vorgeworfenen Tatzeit ganz woanders gewesen sei und ergo nicht der Täter sein könne. Ich möge den Bekannten daher als Zeugen benennen und einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Ich tue wie mir geheißen und beantrage, den X für diese Beweisbehauptung als Zeugen zu vernehmen.
Spätestens an dieser Stelle muss ich einwerfen, dass der Fall gar nicht mir passiert ist, sondern ich ihn nur konstruiert habe. Denn beim Strafverteidigertag am Wochenende habe ich gelernt, dass es Juristen gibt, die in dieser Situation von einer Strafbarkeit des Verteidigers wegen (versuchter) Strafvereitelung, § 258 StGB, ausgehen.
Zur Begründung wird angeführt, der Rechtsanwalt habe eine berufsrechtliche Wahrheitspflicht und dürfe nichts beantragen, dessen Unwahrheit ihm bekannt sei. Diese Auffassung erfordert meiner Ansicht nach dann doch eine genauere Betrachtung.
Zunächst fragt sich, was ich als Verteidiger tatsächlich weiß. Weiß ich von der Täterschaft des Mandanten, nur weil er sie mir in einer schwachen Stunde gestanden hat? Ich war schließlich nicht dabei. Und wenn der Mandant dieses Geständnis mir gegenüber später relativiert, muss ich es dann immer noch als Wahrheit betrachten? Selbst wenn die Relativierung - wie im Beispiel - nur eine konkludente ist, kann ich doch nicht wissen, welche der sich widersprechenden Aussagen des Mandanten die "Wahrheit" ist. Und es geht mich im Grunde auch nichts an. Die Erforschung der "Wahrheit" ist Aufgabe des Gerichts, nicht meine.
Weiter stellt sich doch die Frage, ob man durch die Stellung eines prozessual zulässigen Antrages überhaupt eine Straftat begehen kann. Jeder weiß doch, dass ich meine Beweisbehauptung nicht persönlich bestätigen kann, sonst wäre ich ja Zeuge. Die Formulierung des Beweisantrags in der Form einer Beweisbehauptung ist lediglich dem Prozessrecht geschuldet. Sie ist ein rein prozessuales Erfordernis, dass nichts darüber aussagt, ob ich die Behauptung für wahr oder für falsch halte. Auch hier gilt: Auf meine Meinung als Verteidiger kommt es nicht an; auf meine Meinung als Verteidiger kann es nicht ankommen.
Es entscheidet allein das Gericht, hoffentlich auf der Grundlage des geltenden Prozessrechts.
Wie also kann es sein, dass studierte Juristen im Ausgangsfall tatsächlich zu einer Strafbarkeit des Verteidigers gelangen? Es wurde auf dem Strafverteidigertag auch viel über Anwaltsfeindlichkeit diskutiert.
Montag, 19. März 2012
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Meiner Meinung nach ist es sehr bedenklich, den Verteidigern mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen, wenn sie ihre gesetzliche Aufgabe erfüllen und die Interessen ihres Mandanten vertreten (wie jüngst hier in Augsburg der Fall RA Lucas).
AntwortenLöschenAndererseits halte ich es aber auch für mehr als unklug (und den Interessen des Mandanten zuwider), wenn der Verteidiger auf Wunsch des Mandanten einen vermeintlichen "Entlastungszeugen" benennt, von dem der Verteidiger weiß, dass er die Unwahrheit sagen wird. Denn das wird fast immer herauskommen und der Verteidigung eine Niederlage bescheren, wie sie peinlicher und schädlicher nicht sein könnte.
Aber liegt diese spezielle Niederlage dann nicht letztlich innerhalb der Einflußsphäre des Strafverteidigers, und stellt damit eine in Kauf genommene Risikogröße dar?
AntwortenLöschenEr kann zumindestens den Versuch unternehmen, bei einem besonders offensichtlichen Versuch des Beklagten, mit Hilfe einer Falschaussage eines Dritten den Prozeßverlauf zu beeinflußen, seinen Mandanten mit den möglichen (oder wahrscheinlichen) Folgen eines solchen Handels für sich und den eventuell falschaussagenden Dritten zu konfrontieren.
Ob die Niederlage aufgrund eines herausgekommenen Meineids nun wirklich so schädlich oder peinlich ist, wird sicher auch wieder sehr fallspezifisch sein. Zumal man ja dem Strafverteidiger recht geben muß, woher soll er wissen, welche Version, die ihm sein Mandant vermittelt, die richtigere ist. Es gibt durchaus Mandanten, die freimütig alles einräumen, was man ihnen seitens der Staatsanwaltschaft vorwirft, und natürlich auch solche, die jede Woche eine andere Version präsentieren.
Wenn der Mandant mir im Verlaufe des Mandats verschiedene Versionen erzählt (ich war es / ich war es nicht) wie soll ich denn entscheiden, was jetzt die zureffende ist? Zwangsläufig immer die erste? Es soll auch schon passiert sein, dass der Mandant dem Verteidiger unwahres berichtet....
AntwortenLöschen@cepag:
AntwortenLöschenIch bin zwar nur Zivilist, ist mir aber auch schon passiert. Ich denke da an einen Mandanten, der mir zum Abschluss des ersten Beratungsgesprächs hoch und heilig die Bezahlung der Kostenvorschussrechnung versprach.
Gibt es denn für die Behauptung, irgendwelche "Juristen" würden für die Strafbarkeit des Verteidigers in dem geschilderten Fall plädieren, irgendeinen nachlesbaren Beleg? Man hat ja gelegentlich den Eindruck, dass das Strafverteidigerlatein ("Mir/meinem Mandanten ist Folgendes noch nie dagewesenes Unrecht wiederfahren ....") das Anglerlatein ("Der Fisch war sooooo groß...") locker überbietet.
AntwortenLöschenMal einen weiteren Fall konstruiert:
AntwortenLöschenDer Mandant sagt Ihnen gleich zu Beginn: natürlich zahle ich Ihnen, was Sie wollen. Meine einzige Einkommensquelle ist der Drogenhandel, gerade gestern habe ich ein tolles Geschäft gemacht, hier sind schon mal 8000 € Vorschuss aus dem Bargeld, das mir mein Abnehmer übergeben hat.
Muss ich das glauben? Mir ist die Wahrheit dieser Behauptung schnuppe, denn die Wahrheitsfindung ist Sache des Gerichts.
Vielleicht lügt er ja auch. Also nehme ich das Geld.
Wie sollte ein studierter Jurist darauf kommen, dass das als Geldwäsche strafbar sein kann?
Wenn der Mandant die Wahrheit nicht kennt, wer dann?
AntwortenLöschenGibt es da beim Vorsatz nicht auch so Abstufungen wie bedingter Vorsatz und so? Danach muss der Täter nicht sicher wissen, sondern nur für möglich halten + voluntatives Element.
AntwortenLöschenAh, sorry, § 258 StGB fordert Absicht oder Wissentlichkeit...
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