Dienstag, 31. Januar 2012

Da kommt einer und schwätzt noch blöder

Im Internet war die Streitkultur immer schon etwas rauer. Insbesondere dann, wenn jemand versucht, den digitalen Eingeborenen ihre Heimat madig zu machen. Dann werfen die mit Dreck. Ein schönes Beispiel gibt es jetzt hier zu sehen: Auf SPON hat sich ein offenbar internet-affiner Redakteur einen Gastbeitrag aus dem Handelsblatt vorgeknöpft. 

Der Gastautor heißt Ansgar Heveling und ist CDU-Bundestagsabgeordneter. Name und Beruf allein dürften schon ausreichen, um den einen oder anderen Digitalen zum Lachen zu bringen. Ansgar Heveling sitzt laut SPON in der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft". Dort tut er das, was konservative Politiker so tun: Er ist konservativ. Eigentlich nicht der Rede wert.

Sein Gastbeitrag im Handelsblatt ist dementsprechend wenig lesenswert; er strotzt vor schiefen Bildern ("digitales Blut", "mediale Schlachtordnung") und hat den eher unoriginellen Tenor, dass geistiges Eigentum eine Errungenschaft der Neuzeit sei, die es zu bewahren gelte. Die Darstellung ist oberflächlich und enthält nichts, das andere nicht schon vor ihm besser ausgedrückt hätten; wer etwa etwas über die Gefahren des Web 2.0 lesen möchte, der kann dies z. B. im dem wirklich großartigen Buch "Dumm 3.0" von Markus Reiter tun.

Nun könnte man meinen, von einem konservativen Hinterbänkler sei ja nichts anderes zu erwarten gewesen. Und gerade deshalb mutet es erschütternd an, wie "das Netz" auf den Artikel reagiert. Nämlich offenbar mit dem Versuch, noch dümmer zu schwätzen als der mutmaßliche Dummschwätzer.

Der SPON-Autor unterbietet das Niveau des von ihm Gescholtenen spielend, indem er ihn nach bester Troll-Manier gleich eingangs seines Textes diffamiert ("Kennen Sie Ansgar Heveling? Nein? Macht nichts"), die zwar dünne aber immerhin vorhandene Aussage seines Beitrages grob verfälscht ("Versuch, das komplexeste Gebilde in der Geschichte der Menschheit ... zum Feind zu erklären"), ständig falsch zitiert ("bei Heveling wird alles eins...") und schlechte Witze wiederkäut, die er offenbar aus dem Internet abgeschrieben hat. Na bitte: Das Internet ist also doch zu etwas nutze.

Eins haben das gebundene Buch wie auch das Wirken im Netz eben doch gemein: Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.

Eine lange Zeit für Piraten

Wenn in der Überschrift von Piraten die Rede ist, dann sind ausnahmsweise mal wieder echte Piraten gemeint. Diejenigen nämlich, die in Hamburg seit nunmehr weit über einem Jahr vor dem Landgericht angeklagt sind, weil sie vor Somalia einen Hamburger Frachter gekapert und vier Stunden in ihrer Gewalt hatten. Menschen kamen nicht zu Schaden. Eine gute Kurzzusammenfassung findet sich hier.

Bei den meisten der Seeräuber - durchweg Somalier aus ärmsten Verhältnissen - ist bereits streitig, ob sie überhaupt das Erwachsenenalter erreicht haben. In der Regel werden sie wohl nicht einmal wissen, wie alt sie sind. Seit ihrer Auslieferung im Juni 2010 sitzen die Piraten in Untersuchungshaft. Die Beweisaufnahme vor dem Landgericht dauerte 70 Verhandlungstage.

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer gehalten und sich womöglich mächtig in der Tonlage vergriffen. Und das kommt davon, wenn man stur Richtlinien und Gesetze anwendet, ohne auf die Besonderheiten des Einzelfalls zu achten. Haftstrafen zwischen sieben und elfeinhalb Jahren hat die Staatsanwaltschaft für diejenigen gefordert, die sie für erwachsen halten, zwischen vier und fünfeinhalb Jahren Jugendstrafe für die übrigen.

Für solche Strafmaße müsste man als Einheimischer schon jemanden erschlagen.

Bedenkt man, dass sämtliche Täter in ihrer Heimat bettelarm sind, anscheinend aus der puren Not heraus gehandelt haben, niemandem ein Haar gekrümmt wurde und die Täter mit ihrer Ergreifung aus ihrem Lebensumfeld gerissen wurden uns sich seither in einem ihnen völlig unbekannten Umfeld befinden - einer soll den Richter für den Henker gehalten haben - kann man diese Diskrepanz auch nicht erklären.

Was die Staatsanwaltschaft bei ihren Anträgen geritten hat, weiß nur sie selbst. Aber die Erfahrung als Strafverteidiger lehrt, dass gerade bei Delikten, die die örtliche Staatsanwaltschaft eher selten bearbeitet, beim Strafmaß jedes Maß verloren geht. Was sich regelmäßig zu Lasten der Angeklagten auswirkt. Verteidiger, die in ländlichen Gegenden Betäubungsmittelkriminalität verteidigen, wissen da mitunter von grotesken Vorstellungen der örtlichen Staatsanwaltschaften zu berichten.

Die Frage, die bleibt: Woher kommt diese immense Lust am Strafen?


Dienstag, 24. Januar 2012

Sie spielen Paulchens Lied

Bis vor einigen Monaten war es eine meiner Lieblingsmelodien und ich weigere mich eigentlich, das zu ändern: Theme from "Pink Panther" von Henry Mancini. Kennt jeder, mag jeder. Und nun das.

Erst drehen rechtsradikale Schwerkriminelle ein Bekennervideo und bedienen sich dabei dieses Soundtracks, während sie ihre Morde dokumentieren. Und nachdem sie sich in die Luft gesprengt haben, spielen Neonazis auf einem Aufmarsch dieses Lied. Ein Politiker hat daraufhin dazu aufgerufen, das Abspielen als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu verfolgen; der Kollege Hoenig empfiehlt diesem Politiker hingegen 5 mg Haldol. Haldol ist ein Neuroleptikum und wird vornehmlich bei Schizophrenie eingesetzt.

Die Polizei meint, sie habe gegen das Abspielen keine Handhabe gehabt. Das ist schlicht falsch. Die Polizei kann und muss zur Abwehr konkreter Gefahren für die Allgemeinheit eingreifen, und im Ordnungsrecht gibt es die Figur des so genannten Anlassstörers. Bei dieser Konstruktion können auch eigentlich erlaubte Handlungen unterbunden werden, wenn sie geeignet sind, eine indirekte Gefahr zu verursachen. Das hätte allemal gereicht, um Paulchens Melodie den Saft abzudrehen. Denn jeder weiß, warum diese Melodie gespielt wurde und keine andere. Und es ist zu erwarten, dass sich irgendwann auch mal jemand dagegen wehrt. Aber die Polizei wollte offenbar nicht und hat sich blöd gestellt.

Und was ist mit der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung? Wenn es um die Unterstützung linksradikaler Umtriebe ging, ist § 129a Abs. 5 StGB schon aus geringerem Anlass angewendet worden. Aber den braucht man noch nicht einmal, um zur Strafbarkeit zu gelangen. § 140 Abs. 2 Ziffer 2 StGB " Belohnung und Billigung von Straftaten" lautet (um redundante Teile gekürzt):
"Wer eine ... rechtswidrige Tat in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften (...) billigt, wird mit Freiheitsstrafe .... bestraft."
Es tut mir leid für Paulchen; es ist eine schöne Melodie. Aber wer sie in dem entsprechenden Umfeld abspielt, dürfte sich bis auf weiteres tatsächlich strafbar machen.

Montag, 23. Januar 2012

Aber der andere ist doch schuld!

Der Mandant hatte einen Verkehrsunfall. Der Verkehrsunfall dürfte unverschuldet gewesen sein. So weit, so gut.

Jetzt beauftragt der Mandant einen Rechtsanwalt. Der Rechtsanwalt nimmt das Mandat an und verlangt den ihm zustehenden Vorschuss auf seine ihm zustehenden Gebühren. Und was der Rechtsanwalt darauf zu hören bekommt, dass dürfte jeder Berufsträger schon dutzendfach gehört haben:
"Rechnung? Ich? Warum das denn? Der andere ist doch schuld!"
Da muss man schon um einige Ecken denken, um zu solch einer skurrilen Schlussfolgerung zu gelangen. Als wäre eine vertraglich vereinbarte Leistung verschuldensabhängig. Die Gegenleistung ist zwar geschuldet, aber sie ist keine Schuldfrage. Das wäre, als wenn

  • Sie beim Friseur die Zahlung verweigern könnten mit der Begründung, sie hätten doch keine Schuld daran, dass ihre Haare wachsen;
  • Sie im Restaurant die Zahlung verweigern könnten mit der Begründung, sie seien doch nicht Schuld daran, dass sie Hunger hätten;
  • Sie die Kasse im Supermarkt passieren dürften, weil sie doch nicht schuld daran sind, dass sie all die Dinge im Einkaufswagen irgendwie brauchen.

Ob wohl die Mandanten, die gegenüber ihrem Rechtsanwalt mit solcherlei Begründung die Zahlung verweigern, beim Friseur, im Restaurant und an der Kasse im Supermarkt genau so "argumentieren"? Ich glaube nicht. Und das sollte einem zu denken geben, ob es sich bei dieser Sorte Mandant wirklich um Mandanten handelt.

Aber eines wollen wir nicht unerwähnt lassen: Viele Rechtsanwälte haben den geschilderten Irrglauben in der Bevölkerung durch eigenes Unvermögen mit verursacht. Und ihre Kollegen müssen jetzt  darunter leiden .

Hannover nicht als Sumpf empfunden

Ich stehe mitten im Sumpf, aber ich spüre den Sumpf nicht. Das muss ein schönes Gefühl sein. Versumpft, aber glücklich. So geht es Klaus Meine in Hannover, nachzulesen in diesem schönen Interview. Mittendrin, und doch nicht dabei.

Jede Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen, "sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen". Für eine Straftat. So umschreibt das Gesetz den so genannten "Anfangsverdacht", den auch der Kollege Wings hier behandelt. Die zitierte Formulierung stammt aus § 152 Abs. 2 StPO, der das so genannte Legalitätsprinzip formuliert.

Die Staatsanwaltschaft hat also theoretisch keine Wahl. Sie muss ermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Muss? Na ja -  die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen "zureichend" sein. Wann ist ein Anhaltspunkt zureichend? Kollege Wings hat das schon negativ abgegrenzt, positiv formuliert heißt es, "wenn die kriminalistische Erfahrung als möglich erscheinen lässt, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt". Zitiert nach dem führenden Kommentar zur StPO.

Es hängt also von der "kriminalistischen Erfahrung" ab. Was aber, wenn meine kriminalistische Erfahrung nur gering ist oder - noch schlimmer - von subjektiven Vorurteilen geprägt? Dann ermittele ich selbst dann nicht, wenn die Straftat sich deutlich vor mir abzeichnet. Weil ich mir diese Straftat einfach nicht vorstellen kann oder will. Weil ich mir z. B. einfach nicht vorstellen mag, dass ein deutscher Ministerpräsident korrupt sein könnte oder Neonazis ganze Anschlagserien verüben. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, hätte Wilhelm Busch gesagt.

So erklärt sich, dass Klaus Meine mit zahlreichen Granden aus Wirtschaft und Politik mitten im Weinkeller von Carsten Maschmeyer steht und nichts dabei findet. Und so erklärt es sich, dass die Staatsanwaltschaft nichts dabei findet, dass der ehemalige Ministerpräsident sich von einflussreichen Wirtschaftsgrößen betütern lässt, die er dafür mit auf Reisen nimmt.

Der Unterschied ist nur, dass Klaus Meine sich nichts dabei zu denken braucht, während die Beamten der Staatsanwalt dazu verpflichtet sind, sich etwas zu denken.

Auch wenn sie es nicht mögen. Soviel Professionalität muss sein.

Freitag, 20. Januar 2012

Zweierlei Deal

Vor Gericht wird gefeilscht, auch vor dem Strafgericht. Das war schon immer so, dass wird immer so sein, und seit einiger Zeit ist es sogar legal.

Die meisten Strafverteidiger haben die gesetzliche Regelung der Verständigung ("Deal") immer abgelehnt, und zwar mit Recht. Denn von den Regelungen des Deals ausgenommen ist ausgerechnet auch der Punkt, der allen Parteien am meisten am Herzen liegen muss, nämlich der Rechtsmittelverzicht. Jede Einigung ist für den Angeklagten - und teilweise auch der Staatsanwaltschaft - nur dann etwas wert, wenn ihr Bestand auch gesichert ist. Schließlich hat der Angeklagte viel zu verlieren. Seine Gegenleistung bei der Verständigung ist schließlich ein Geständnis, das später noch verwertet werden könnte.

Deshalb war von Anfang an klar, dass es neben den gesetzeskonformen Verständigungen weiterhin auch die paralegalen Verständigungen geben würde. Wer ist bloß auf die Idee kommen, dass Parteien aufhören würden, sich bei beidseitigem Nutzen auch auf gesetzwidrige Weise zu verständigen? Schließlich hat man das jahrzehntelang getan. Warum hätte man aufhören sollen? Nun hat man eine kuriose Gemengelage aus legalen und paralegalen Verständigungen, was wegen der Grauzone das Streitpotential wiederum deutlich erhöht.

Und keiner kann sagen, dass man es nicht hätte kommen sehen. Die Einwände gegen die Verständigung sind nicht neu, sie sind von Seiten der Verteidiger und teilweise von der Staatsanwaltschaft seit jeher vorgebracht worden. Nur hat sich der Gesetzgeber nicht darum gekümmert. Relativ neu ist, dass auch ein Richter das so analysiert: Thomas Fischer im Interview mit dem Spiegel.

Bärendienst des Bundesverfassungsgerichts

Durch das Internet geistert heute ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem einer Beschwerdeführerin unter anderem EUR 300,00 Missbrauchsgebühr auferlegt wurden. Die recht kurz gehaltene Entscheidung findet sich hier. Genüsslich breit getreten wird sie u. a. hier.

Den Weg in die breite Öffentlichkeit hat die Entscheidung deshalb gefunden, weil das Bundesverfassungsgericht es sich nicht hat nehmen lassen, einige Passagen aus den Beschwerdevorbringen der sehr wahrscheinlich psychisch schwer kranken Beschwerdeführerin zu zitieren. Im Ausgangsverfahren ging es offenbar um die Frage, ob oder an welchen Tagen die Musik Richard Wagners aufgeführt werden dürfe; die Beschwerdeführerin wird zitiert, dass "Richter Bärli" vom "Bundesbärengericht" über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mehrere Tage lang geweint habe.

Die Dame hatte ihre Beschwerde auch auf ausdrücklichen Hinweis der Kammer (nicht des Senats) nicht zurücknehmen mögen, sondern statt dessen darauf hingewiesen, es könne kein Zufall sein, dass in der Bundesversammlung "alle Politiker blaue Sachen" getragen hätten.

Das ist traurig, aber solche Menschen gibt es. Immer mehr, mag man befürchten. Sie sind für ihre Umwelt eine Belastung und häufig auch ein Ärgernis. Dass allerdings die höchste Instanz im Deutschen Recht sich dazu herablässt, solch einer armen Person nicht nur eine Missbrauchsgebühr hinterher zu schleudern, sondern das ganze dann auch noch gezielt in der Öffentlichkeit auszubreitet, wo die allermeisten anderen Entscheidungen im stillen Kämmerlein verbleiben, das zeugt nicht von allzu viel Souveränität und Würde.






Mittwoch, 18. Januar 2012

Die Bürger in den Gerichtsgebäuden

Es gibt Nachrichten, deren Auftauchen kann man an fünf Fingern abzählen. Dazu gehört auch diese Pressemitteilung der Justiz in Bayern:

Nach dem Attentat im Amtsgericht Dachau verkündet die Bayrische Justizministerin darin stolz und twittert es gleich dazu, dass sie sich namens der Justiz freut,
"mitteilen zu können, dass wir eine ganz zentrale Maßnahme für mehr Sicherheit unserer Mitarbeiter und der Bürger in den Gerichtsgebäuden beschlossen haben: Wir wollen die Zugangskontrollen noch weiter verschärfen."
Das ist genau die Maßnahme, die man erwarten konnte.

Dienstag, 17. Januar 2012

Einfach erstaunlich: Studentische Rechtsberatung

Studentische Rechtsberatung wird hier als neuer Trend vorgestellt, wenn auch mit Fragezeichen versehen.

Trend oder nicht, allein der Umstand, das es sie zu geben scheint, ist erstaunlich. Zu meiner Zeit gab es so etwas nicht. Bei Dingen, die man nicht kennt, nimmt man zunächst ja gerne sich selbst als Maßstab und da muss ich sagen*:

Ich wäre als Student nicht einmal auf die Idee gekommen, dass mein juristischer Rat irgend jemandem eine Hilfe sein könnte und hätte ihn dementsprechend auch niemandem angeboten. Man weiß einfach zu wenig und hat vor allem keinerlei Praxiserfahrung. Ich kannte zu meiner Studienzeit auch keinen Mitstudenten, dessen juristisches Präjudiz ich irgend jemandem ernsthaft hätte empfehlen wollen. Vielleicht war ich da mit meiner Selbsteinschätzung und der meiner Kommilitonen einfach zu zurückhaltend. Aber ich glaube es nicht. Studium und Praxis sind einfach zwei grundverschiedene Dinge.

Es hat im Studium immer wieder Studenten gegeben, die sich bei Hausarbeiten von fertig ausgebildeten im Beruf stehenden Juristen - Vater Rechtsanwalt oder Mutter Richterin  - haben unterstützen lassen. Geholfen hat das eigentlich nie. Wobei anverwandte Rechtsanwälte um dieses Problem zumeist wussten und sich zurückhielten, während Richter ihrem Nachwuchs weit lieber Wissen vermittelten, ohne dass dies im Ergebnis geholfen hätte. Die Praktiker wussten einfach nicht mehr, worauf es in der Theorie ankommt. Schwer vorstellbar, dass es anders herum anders sein sollte.

Zu unterschiedlich sind einfach die Anforderungen in Ausbildung und Beruf. Ausbildung ist Theorie und mit der kommt man in der Praxis häufig nicht weiter. Umso erstaunlicher, dass sich nun also studentische Berater dem Volk andienen.

Wenn das mal gut geht.



* ACHTUNG TROLLE: Das hier ist jetzt eure Chance! Hier könnte ihr einhaken: Es folgt ein Eingeständnis eigener Fehlbarkeit, dass ihr erfahrungsgemäß gerne zum Anlass nehmt, dümmliche Kommentare abzugeben.   Die blödesten Pöbeleien werden in einem der nächsten Einträge dann gewürdigt werden.

Immer vor Gericht verloren

Die Süddeutsche Zeitung hat heute einen überaus interessanten Beitrag veröffentlicht über den Mann, der vorige Woche im Amtsgericht Dachau einen Staatsanwalt erschossen und einen Richter zu töten versucht hat. Offenbar hat sich der Täter seinem Pflichtverteidiger offenbart und dieser dann die Presse informiert. Mit Einverständnis seines Mandanten, wie wir hoffen wollen.

Der Bericht eröffnet Einblick in mindestens eine fremde, seltsame Welt. Zunächst die des Täters: Grund für seine Tat sei gewesen, dass er "seit sieben Jahren immer vor Gericht verloren habe". Er habe sich "ungerecht behandelt" gefühlt. Sieben Jahre Pech, sozusagen. Zu den Tatumständen habe der Täter nichts gesagt, sich dafür aber darüber beklagt, dass er seit seiner Verhaftung nichts gegessen und keine passende Wäsche bekommen habe. Der Mann wird psychiatrisch untersucht; ich gehe davon aus, dass in der Zusammenfassung des Gutachtens der Begriff "narzisstische Persönlichkeitsstörung" auftauchen wird.

Die Frage, die sich hier stellt, ist: Hat dies die Justiz verschuldet oder gibt es einfach immer mehr Menschen, deren subjektives Rechtsempfinden derart krass von der Realität abweicht, dass sie im Extremfall sogar zur Waffe greifen? Michael Kohlhaas war ursprünglich zumindest im Recht.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand vor Gericht verliert. Die meisten Menschen empfinden es schon als Niederlage, wenn sie nicht gewinnnen. Also ist für diese Menschen schon ein sinnvoller Vergleich eine gefühlte Niederlage. Es kommt auch häufiger vor, dass jemand vor Gericht zu Unrecht verliert. In diesem Sinne wird es vor Gericht immer mehr Verlierer als Gewinner geben.

Aber es ist außerordentlich unwahrscheinlich, dass jemand immer nur zu Unrecht verliert. Da ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass derjenige ein gestörtes Rechtsempfinden hat, oder sagen wir vorsichtiger: Ein Rechtsempfinden, dass sich in den geltenden Gesetzen nicht wiederfindet. Diese Menschen wären mehr als andere auf einen guten Rechtsberater angewiesen, den sie aber selten in Anspruch nehmen, da sie ihr Recht ja zu kennen meinen.

Die meisten Rechtsanwälte dürften solche Mandanten kennen und sprechen dann gerne und zu Recht von "Beratungsresistenz".

Montag, 16. Januar 2012

Interessantes Stimmungsbild

Der Kollege Hoenig berichtet hier über eine Richterin, die offenbar häufiger mal Haftbefehle erlässt. Die Darstellung ist erwartungsgemäß realistisch und spiegelt das wieder, was ein Strafverteidiger so im Berufsalltag erlebt. Mit Ausnahme des Umstandes, dass man eher selten Richter derart unbefangen über ihre Entscheidungsfindung reden hört, zumal die Beratung ja üblicherweise im Geheimen stattfindet.

Deshalb verwundert die Geschichte an sich zunächst einmal nicht. Bemerkenswert an diesem Beitrag sind aber zwei Dinge: 1.Auf einer Metaebene die Umstände des Dialogs und 2.die Reaktion der Kommentatoren.

Der Dialog zwischen Richterin und Staatsanwältin strotzt wohl nicht nur aus meiner Sicht vor Menschenverachtung und Zynismus. Sowohl Richterin als auch Staatsanwältin beklagen sich - offenbar ironisiert ("wenigstens Haftverschonung") - darüber, dass nicht genug Angeklagte inhaftiert würden. Vielleicht beklagten sie sich auch nur darüber, dass Obergerichte ihnen widersprechen, aber das kommt praktisch auf dasselbe heraus. Dem Gesprächsverlauf zu schließen scheinen beide darunter zu leiden, dass nicht genügend ihrer Haftbefehle aufrecht erhalten werden. Dabei fällt - so der Kollege Hoenig das Gespräch richtig und vollständig wiedergibt - nicht ein Wort zur Frage, ob eigentlich die Voraussetzungen der Haft vorlagen. Ein naiver Jurist könnte auf die Idee kommen, dass dies das erste - und einzige - ist, das interessieren sollte, nicht etwa die eigene Befindlichkeit. Man könnte dieses Gespräch daher zusammenfassend als extrem unprofessionell bezeichnen.

Umso erschreckender, dass es offenbar freimütig und vollkommen arglos vor den Ohren eines Strafverteidigers geführt wurde. Da scheint man bei der Justiz nicht einmal mehr ein schlechtes Gewissen zu haben.

Der zweite erstaunliche Umstand sind die Reaktionen der Kommentatoren, vom aktuell letzten Kommentatoren  ("A.N.") zusammengefasst als "drei zurückhaltende, richterfreundliche Kommentare und ein Troll"). Die drei ersten, die "richterfreundlichen" Kommentare bewegen sich allesamt auf rein hypothetischer Ebene und befassen sich rein spekulativ mit möglichen Erklärungen für das skurrile Verhalten der Justizpersonen. Statt die offensichtlich rechtsfremden Auffassungen zu thematisieren, wird versucht, Fehlverhalten schön zu reden.

Ich habe den Verdacht, dass diese Kommentatoren ihre Auffassung nur genau so lange hegen, wie sie nicht selbst einmal betroffen sind. Sollte mal ein Haftbefehl gegen so jemanden oder einen seiner Angehörigen erlassen werden, dann werden dies erfahrungsgemäß diejenigen sein, die am lautesten jammern, dass alles ein Irrtum sei, und sie werden auf den Rechtsstaat schimpfen.

Aber erst dann.

Dienstag, 10. Januar 2012

Ermächtigungslos

Nach einer Meldung der Frankfurter Rundschau wurde der für diese Woche geplante Verhandlungstermin im Verfahren wegen Vorwurfs der "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" gegen einen Blogger aus Sachsen abgesetzt.

Laut FR zog der Bundespräsident seine für die Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung gem. § 90 Abs. 4 StGB zurück. Spannend ist die Begründung, die das Bundespräsidialamt für diese Entscheidung gegeben haben soll:
"Nach Analyse der Anklageschrift, der Entschuldigung des Angeklagten vom 04.01.2012 und einer Stellungnahme des Pflichtverteidigers (!) sei das Justiziariat des Bundespräsidialamtes zu dem Ergebnis gekommen, dass der vermutete rechtsradikale Hintergrund, der für die Ermächtigung ausschlaggebend war, nicht erhärtet werden konnte". 
Da ist man im Bundespräsidialamt also bis dato davon ausgegangen, die "Tat" hätte einen rechtsradikalen Hintergrund? Wie ist man denn darauf gekommen? Weil der Angeklagte ein Photo ins Internet gestellt hat, auf dem die Gattin des Präsidenten ihren Arm etwas ungeschickt hebt und durchaus unflätig als "Blitzmädel" bezeichnet wird? Was hat das mit dem Präsidenten zu tun? Und warum sollte jemand, der einen anderen mit einem rechtsradikalen Hintergrund in Verbindung bringt, selbst rechtsradikal sein?

Mir fallen da jetzt einige weit schwerer wiegende Taten ein, deren rechtsradikaler Hintergrund... Aber lassen wir das.

Versuchsanordnung

Vor dem Landgericht ist ein Bürger wegen einer Straftat angeklagt. Das Gericht nimmt Angaben des Angeklagten zur Person auf, dann verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift. In der darauf folgenden Beweisaufnahme wird zunächst der Angeklagte zur Sache gehört. Der Angeklagte äußert sich zum Vorwurf, gesteht ihn teilweise ein, teilweise relativiert er ihn. Es werden Zeugen gehört, Urkunden verlesen und sogar einige Sachverständige kommen zu Wort.

Schließlich fährt der Verteidiger des Angeklagten dazwischen und beantragt, das Verfahren einzustellen mit der Begründung, der Angeklagte hätte sich doch schließlich entschuldigt. Dabei lassen wir sprachliche Spitzfindigkeiten mal außen vor, wie z. B., dass man sich nicht selbst entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten kann. Würde das Gericht diesem Antrag wohl stattgeben? Wahrscheinlich wäre der Richter erst einmal völlig verdutzt, ob dieses kruden Ansinnens. Denn es geht bei der Beurteilung eines persönlichen Verhaltens nicht um den Standpunkt des Handelnden, sondern es geht zu allererst um dessen VERANTWORTLICHKEIT.

Nun hat das Gericht den Antrag also abgelehnt und es wird weiter verhandelt. Der Angeklagte hat vollmundig angekündigt, zu allen Vorwürfen eine Erklärung abzugeben, nun sind allerdings durch die Beweisaufnahme unzählige neue Unstimmigkeiten aufgetaucht. Ein Beweismittel taucht auf, dass nach Auskunft des Angeklagten seine Unschuld beweisen würde. Aber der Angeklagte vernichtet dieses Beweismittel. Stattdessen kündigt er an, am nächsten Verhandlungstag alle Vorwürfe mittels selbst mitgebrachter Beweismittel widerlegen zu können.

Als es dann soweit ist, sagt der Angeklagte die Beweismittel aus Gründen des - eigenen! -  Persönlichkeitsschutzes nun doch nicht vorlegen könne bzw. wolle. Stattdessen lässt er seinen Verteidiger eine Erklärung verlesen mit dem das Beweisthema mitgeteilt und das Gericht im übrigen gebeten wird, das Beweisthema bitte aus Rücksichtnahme auf den Angeklagten doch mal einfach so zu glauben. Staunen und Ungläubigkeit bei den Prozessbeteiligten würde sicherlich immer größer. Ein Angeklagter, der die Beweisaufnahme im eigenen Verfahren einfach so selbst absagt und Freispruch verlangt, weil er es gerne möchte und sonst seine Persönlichkeit Schaden nehmen könnte!

Da spätestens würde der ganze Saal lachen. Und deswegen lachen jetzt alle über den Bundespräsidenten.

Freitag, 6. Januar 2012

Die Klotür des Internets

Selten war das Unwort des Jahres so schnell gefunden wie dieses Jahr. Schon am 06.01.2012 ist es eigentlich unabwendbar, und es heißt "Transparenz". Das bedeutet wörtlich übersetzt eigentlich "durchscheinend" und wird insbesondere im übertragenen Sinne ausschließlich positiv besetzt. Jeder will es sein, auch wenn er es nicht ist. Wo man früher die Wahrheit gesagt oder wenigstens behauptet hat, dass man es täte, da ist man heute transparent. Oder will es sein.

Unternehmen sind transparent, Politiker sind transparent, alles soll transparent sein. Sogar eine NGO nennt sich danach und will Transparenz auch noch zwischenstaatlich etablieren, und diese seltsame Internetseite sowieso. Jean-Remy von Matt soll schon vor längerer Zeit gesagt haben, Blogs wären die Klowände des Internets; wenn dem so ist, dann ist Transparenz das Öffnen der Klotür.

Als die Achtundsechziger die Klotüren in ihren WGs ausgehängt haben, wollten sie bereits Transparenz, haben es nur noch nicht so genannt. Heutzutage werden im Namen der Transparenz überall die virtuellen Klotüren aufgerissen, um anderen beim Scheißen zuzusehen. Um dies für uneingeschränkt positiv zu halten, muss man wohl ein "digital native" sein. "Digital naive" träfe die Sache besser.

Ich will nicht sehen, was andere auf dem Klo tun, und ich halte es auch nicht für sinnvoll, andere zum Zugucken zu zwingen. Wenn der britische Botschafter den deutschen Kulturattachée für einen ungebildeten Crétin und den Botschafter für einen alkoholkranken Hurenbock hält, dann dient es der politischen Hygiene, wenn er dies hinter geschlossenen Türen tut. Und zwar auch dann, wenn er mit seiner Ansicht Recht hat. Gerade dann. Etwas Geheimnis tut eben jeder Beziehung gut.

Derjenige, der mit lautem Bohei die Klotür zum Forum internum aufreißt, erweist der Welt damit einen Bärendienst.

Mittwoch, 4. Januar 2012

Der einzig würdige Präsident

Das Amt des Bundespräsidenten ist beschädigt. Nachdem der vorletzte Bundespräsident sich beleidigt zurückgezogen hat, und der aktuelle das Amt auf dem Niveau eines Zirkusclowns bewirtschaftet, wird es Zeit für den Anbruch einer neuen Ära: Ein neuer Präsident muss her. Ein Macher. Ein ganz großer.

Einer, der sich über Parteigrenzen hinweg Ansehen in Politik und Gesellschaft erarbeitet und nicht nur ererbt hat. Einer dessen Einfluss nicht dem Proporz, sondern seiner Person geschuldet ist. Einer, der Verantwortung übernimmt, auch wenn er dabei einmal weit über das Ziel hinausschießt. Einer, der in vorderster Front mit breiter Brust seine Meinung sagt - und nicht still in der Ecke etwas in sich hineingrummelt, um es später jederzeit verleugnen zu können, sollte der Wind sich drehen. Einer, der unangenehme Wahrheiten nicht scheut, auch wenn es auf ihn zurückfallen könnte. Einer, der selbst denjenigen die Hand reicht, die ihn vorher mit Kleingeld beworfen haben. Kurz: Einer der da ist, wenn es um die Wurst geht.

Und da kann es nur einen geben: Ihn.

Dienstag, 3. Januar 2012

Ansprache des Bundespräsidenten

"Freunde, Deutsche, meine lieben Landsleute!

Ich wende mich heute mit einem persönlichen Anliegen an sie. Die letzten Wochen und Monate waren nicht leicht für mich und meine Frau Bettina. Wir haben am eigenen Leib erfahren müssen, wie wenig man als Präsident in Deutschland eigentlich zählt. Als ich mich um dieses Amt beworben habe, waren meine Erwartungen groß. Aber ich bin bitter enttäuscht worden. Von Ihnen.

Niemals hätte ich mir träumen lassen, welchem Druck ich sogar als Staatsoberhaupt eines demokratischen Staates ausgesetzt sein würde. So etwas kannte ich aus meiner früheren Tätigkeit in Niedersachsen nicht.

Ehrlich entsetzt und bestürzt hat mich aber, dass selbst die konservative Presse nicht davor halt macht, den eigenen Präsidenten zu verunglimpfen. Aus mir völlig unverständlichen Gründen haben die Ermittlungsbehörden auf meine zahlreichen Ermächtigungen bisher nur zögernd und aus meiner Sicht völlig unzureichend reagiert.

Ich habe mich in den letzten Tagen einer immer größer werdenden Zahl von Neidern und Missgünstigen gegenüber gesehen, die mir mit wachsender Offenheit meinen Erfolg und mein Amt missgönnen. Das ist mehr, als ich ertragen kann. Ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt. Der Rubikon ist überschritten.

Liebe Landsleute! Ich habe mich daher entschieden, nicht mehr öffentlich aufzutreten und bitte sie dafür um ihr Verständnis.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."


Montag, 2. Januar 2012

Der Junior unter dem Fach

Es gibt Rechtsanwälte und es gibt Fachanwälte. Letztere sind auch Rechtsanwälte, haben aber besondere theoretische und praktische Kenntnisse in einem Spezialgebiet nachgewiesen. Deswegen gibt es die Bezeichnung "Fachanwalt" nur in Verbindung mit einem Spezialgebiet, z. B. "Fachanwalt für Agrarrecht". Die Bezeichnung "Rechtsanwälte und Fachanwälte", wie sie auf den Briefköpfen etlicher Kollegen zu finden ist, dürfte daher irreführend sein. Aber das nur am Rande.

Viele Rechtsanwälte wären gerne Fachanwalt für irgendetwas, haben aber bisher die erforderlichen Nachweise nicht erbringen können, was  auch daran liegen mag, dass die Erfordernisse zum Teil - zurückhaltend ausgedrückt - nicht gerade realitätsnah sind. Aber auch das nur am Rande. Findige Kollegen haben seit jeher versucht, diese Anforderungen zu umschiffen, indem sie den "Fachanwalt" durch ein möglichst ähnlich kompetent klingendes aber nicht geschütztes Synonym ersetzt haben, z. B. "Spezialist".

Dem hat das der Bundesgerichtshof auf die Klage eines Kollegen mit einem gnadenlos vergurkten Urteil einen Riegel vorgeschoben. Zuvor hatte dieser Kollege sich als "Spezialist für Verkehrsrecht" bezeichnet und sich bei der für ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer selbst angezeigt, um einen Rechtsstreit zu provozieren. Der BGH orakelt in diesem Urteil unter anderem, dass Fachanwälte eigentlich gar keine Spezialisten wären und diffamiert mal wieder Rechtsanwälte. Aber auch ist nicht das eigentliche Thema. Seit diesem "Spezialisten-Urteil" darf man sich jedenfalls nur noch dann Spezialist nennen, wenn für das vereinnahmte Spezialgebiet noch kein Fachanwaltstitel erhältlich ist. "Spezialist für Agrarrecht" kann man also z. B. nicht (mehr) sein, auch wenn man es ist.

Die Rechtsanwaltskammern diskutieren seit längerem, ob es gleichwohl erlaubt sein soll, die Nachfrage dieser Kollegen trotzdem zu bedienen und einen "kein Fachanwalt für" einzuführen. Die Frage drängt, denn die Weiterbildungsbranche wittert zusätzliche Einnahmequellen bei Nicht-Fachanwälten. Euphemistisch ausgedrückt wird dieser Nicht-Fachanwalt "Spezialisierungshinweis unterhalb der Fachanwaltsschwelle" oder ähnlich genannt. Gerne wird auch "Junior-Fachanwalt" dazu gesagt, wahrscheinlich, weil das etwas nach Junior-Professur klingt. Als ob das ein Renommee wäre.

Jetzt hat das Soldan Institut herausgefunden, dass 80 % der Rechtsanwälte solch eine zertifizierte Qualifizierung ablehnen. Aber das zählt nicht. Relativierend erklärt man deshalb gleich dazu, dass in der Gruppe der Nicht-Fachanwälte nur 46 % gegen die Einführung des zertifizierten Nicht-Fachanwalts seien. Das ist in etwa so, als wenn nur 46 % der Hausschweine gegen die Einführung des zertifizierten Vegetariers wären.

Wenn also sogar knapp die Hälfte der durch eine Regelung eigentlich Begünstigten noch gegen diese Regelung votieren, dann scheint mit der Regelung etwas nicht zu stimmen. Und so ist es auch. Die Regelung ist Unsinn. Wenn sie ein Anwaltsprekariat einführen wollen - soweit es das nicht sowieso bereits gibt - auf diese Weise schaffen sie es auf jeden Fall.


Der Arm an der Frau des Präsidenten


Hat sie den Arm gehoben oder nicht?

Diese Frage wird in der Diskussion um den Bundespräsidenten aufgeworfen, in der es auch um dieses Photo geht. Und eine Norm steigt aus dem Dunkel des Strafgesetzbuches auf, die kaum einer kennt: § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten).

Der Standardkommentar zum StGB des Herrn Fischer widmet dieser Norm gerade einmal eine halbe Seite, es gibt genau einen Literaturhinweis auf eine Dissertation aus dem Jahre 1990 und lediglich fünf Rechtsprechungsnachweise, von denen die jüngste Entscheidung aus dem Jahr 1984 datiert. Die Norm scheint vornehmlich in den Anfängen der Republik angewandt worden zu sein; einziges aufgeführtes Beispiel ist die Bezeichnung als "Vaterlandsverräter" durch ein Mitglied eines Vertriebenenverbandes. Klingt alles ziemlich lange her.

Es scheinen sich nicht allzu viele Bundespräsidenten verunglimpft gefühlt zu haben in den letzten sechzig Jahren. Bundespräsident Heuss soll sich nach Amtsantritt sogar beim Bundesjustizminister erkundigt haben, wann er sich "verunglimpft" zu fühlen habe (Nachweis hier). Der war offenbar noch ein Souverän im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber je seltener eine Norm angewandt wird, desto dunkler erscheint sie dem Betrachter und in der Dunkelheit treten mitunter Halluzinationen auf. § 90 StBG knüpft mit seiner Tathandlung ("Verunglimpfung") an die Tathandlungen der § 185 bis 187 StBG an, also Beleidigung, Üble Nachrede und Verleumdung. Damit erfährt der Tatbestand ebenso wie diese Delikte eine Fülle von inner- und außertatbestandlichen Einschränkungen, von denen der Kollege Hoenig hier nur einige anreißt. Im Ergebnis dürfte eine Verurteilung ausgesprochen unwahrscheinlich sein. Souveränes Verhalten eines Präsidenten sieht anders aus; hier passt eher der Ausspruch von der Eiche und der Sau, die sich daran schuppert.

Aber zurück zum Ausgangsarm: Der gehört nicht dem Präsidenten, sondern - wenn überhaupt - seiner Gemahlin, und liegt somit eindeutig außerhalb des Tatbestandes des § 90 StGB. Der Präsident selbst hat seinen Arm brav eingeknickt und winkt unverdächtig. Das Photo scheint im übrigen echt zu sein, Hinweise von Veränderungen weist es nicht auf. Die Gesamtumstände sprechen wohl eher dafür, dass Frau Bundespräsident etwas ungeschickt gewinkt und ein Photograf einen Zufallstreffer gelandet hat.

NACHTRAG: Mehr zum Präsidenten wird es hier nicht geben. Aus Angst vor Verunglimpfung. Nur noch eins - das hier.