Wenn der Verteidiger aber etwas vorschlägt, anregt oder beantragt, das nicht zum Standardrepertoir des Amtsrichters gehört, dann kommt zumeist zum Tragen, was der Sozialpsychologe TINA-Prinzip nennt. Der Kollege Wings schildert hier einen typischen Fall.
TINA ist ein Akronym und steht für "There ist no alternative". Ein Schelm, wer dabei an Angela Merkel denkt. Gemeint sind Totschlagargumente, Scheinbegründungen ohne jede Substanz.
Klassische TINA-Reaktionen sind die drei Beamtenweisheiten:
- "Das war noch nie so"
- "Das war schon immer so" und
- "Da könnte ja jeder kommen".
Oder eben -wie hier - der Richter oder Staatsanwalt, der sagt: Wo steht denn das in der StPO? Jeder Verteidiger hat schon erlebt, dass er einen Antrag stellt und der Richter ihn daraufhin anherrscht, wo denn die Rechtsgrundlage für seinen Antrag stünde. Leider verkennt der Richter oder Staatsanwalt dabei eine wesentliche Grundregel der StPO: Die Verteidigung im Prozessrecht ist nämlich bestimmt vom Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Oder einfach: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.
Daher muss nicht der Rechtsanwalt nach einer Rechtsgrundlage für sein Tun suchen, sondern der Richter müsste nach einer Verbotsnorm suchen, die er in der Regel nicht finden wird. Prozessual ist dem Verteidiger nämlich ziemlich viel erlaubt.
Wer das als Richter oder Staatsanwalt nicht weiß, der hat auf seinem Stuhl eigentlich nichts zu suchen. Und wer es weiß, aber trotzdem nach der Rechtsgrundlage fragt, ist eher noch schlimmer. Der versucht nämlich vorsätzlich, die Rechte der Verteidigung zu beschneiden und hat daher auf seinem Stuhl erst recht nichts zu suchen.
Trotzdem passiert so etwas immer wieder. Warum nur, warum?
Das passiert in vorauseilendem Gehorsam.
AntwortenLöschenDemnächst ist bestimmt mit einer BGH-Entscheidung zu rechnen, die auch dieses Recht des Angeklagten entfernt.
Wir haben doch die Verständigung im Strafprozess, das sollte an Rechten für den Angeklagten doch reichen.
So ein Quark. Das Beispiel des Herrn Will taugt zum Beleg der These "erlaubt ist, was nicht verboten ist" nicht. Es gibt nach der StPO ein Zwischenverfahren, in dem Beweisaufnahme stattfinden kann und eine Hauptverhandlung, in der eine Beweisaufnahme stattfindet. Einen spaßigen Beweisaufnahmeversuch unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung sieht sie nicht vor, abgesehen davon, dass bei solchen Experimenten auch keinerlei Verpflichtung der Zeugen besteht, irgendwelche Aussagen zur Identifizierung zu machen.
AntwortenLöschenUnd : in der StPO steht auch nicht, dass man Zeugen nicht als "elende Drecksperson" bezeichnen darf, wie es ein Halbgötterinschwarzkritisierender RA mal getan haben soll. Heißt aber nicht, dass es erlaubt wäre. Und in 238 StPO steht glaub ich etwas von einer Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden und nicht durch den Verteidiger.
p.s. Wings natürlich, nicht Will.
AntwortenLöschenDie "Identifizierung" einer Person, die auf der Anklagebank sitzt, hat wenig Beweiswert. Dessen muß sich das Gericht bewußt sein, wenn keine vorherige Identifizierung durch eine Wahllichtbildvorlage oder Wahlgegenüberstellung stattgefunden hat.
AntwortenLöschenIm übrigen gilt: die Anwälte argumentieren, der Richter entscheidet. So ist nun einmal die Aufgabenverteilung. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, sich darüber aufzuregen, wenn ein Richter einen Antrag ablehnt oder einem Argument nicht folgt. Die Frage ist allein, ob er so entscheiden durfte. Und darüber befinden die oberen Instanzen. Wenn diese das genauso sehen wie der Erstrichter, dann ist der Drops gelutscht und der von diesen Entscheidungen Betroffene muß damit leben.
Auch in einem Rechtsstaat muß es sich jeder gefallen lassen, notfalls auch mit einem Fehlurteil zu leben, selbst wenn es ihn ins Gefängnis führt. Und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist selbst dann strafbar, wenn das Urteil später als Fehlurteil erkannt und im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wird.
Wer sich das klarmacht und sich ganz bescheiden als einfacher Arbeiter im Weinberg des Rechts versteht, übt seinen Beruf viel entspannter aus. Wer bin ich denn, unser Rechtssystem in Frage zu stellen?
"Wer bin ich denn, unser Rechtssystem in Frage zu stellen?"
AntwortenLöschenWohin es führt dies nicht zu tun, sondern willfährig zufolgen haben wir bereits einmal erlebt...