Am Dienstag wird das Landgericht Mannheim das Urteil gegen Jörg Kachelmann sprechen. Egal wie dieses Urteil aussehen wird, hat die Öffentlichkeit in diesem Verfahren eine Menge erlebt. Auch wenn sie über die interessantesten Teile der Verhandlung ausgeschlossen war.
Vor allem hat die Öffentlichkeit eine Menge von dem gesehen, was falsch läuft vor deutschen (Straf-)Gerichten. Und damit ist nicht die im Vergleich eher noch moderate Dauer des Verfahrens gemeint, sondern seine Struktur und sein notwendiger - oder eben nicht notwendiger - Inhalt. Denn das deutsche Strafverfahren ist nicht mehr zeitgemäß, wenn die deutsche Strafprozessordnung denn jemals zeitgemäß war.
Wenn man ein Verfahren wie das gegen Jörg Kachelmann beurteilt, muss man sich gewahr sein, dass die Prozessordnung, nach der dieses Verfahren funktioniert, aus dem Jahre 1877 stammt und seither im wesentlichen unverändert geblieben ist. 1877 wurde Hermann Hesse geboren. 1877 meldete Thomas Alva Edison den Prototyp seines Phonographen zum Patent an. Emil Berliner meldete das Patent auf die Schallplatte an, die aus Schellack war. Wenn man 1877 von Krieg sprach, war zumeist der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 gemeint, und der wurde vom Königreich Preußen und dem Norddeutschen Bund gegen das Kaiserreich Frankreich geführt. Dieser Krieg wurde mit Infanterie, Reitern.Pferden und Geschützen geschlagen.
Eigentlich unnütz zu sagen, aber: Es gab kein Radio (s.o.), kein Fernsehen, von allen anderen elektronischen Medien ganz zu schweigen. Zeitungen gab es wenige. Die Washington Post z. B. wurde in diesem Jahr gegründet. Die Straßen waren bestenfalls mit Kopfsteinpflaster gepflastert, auf denen Pferdekutschen fuhren. Man herrschte in weiten Teilen des Geltungsbereichs der neuen StPO noch von Gottes Gnaden.
Da musste die StPO als großer Fortschritt gelten, gab es doch zum ersten Mal Legalitätsprinzip, Offizialprinzip, Mündlichkeitsprinzip, Unmittelbarkeitsgrundsatz und all das, was man heute noch an der Universität lernt, wenn man Jura studiert.
Dass die StPO in dieser Form noch den heutigen Gegebenheiten genügte, kann man wohl kaum ernsthaft vertreten. Gleichwohl sind bisher alle Versuche gescheitert, die Prozessordnung grundlegend zu reformieren. Allerdings stellt sich langsam ernsthaft die Frage, ob sich eine moderne Gesellschaft einen antiquierten Strafprozess noch leisten kann. Dazu gehört auch die Frage, ob die vorgesehenen Strafen noch zeitgemäß sind.
Und weil das eine längere Diskussion wird, höre ich hier auf und mache morgen weiter. Dann wissen wir auch über das Urteil gegen Jörg Kachelmann Bescheid.