Dienstag, 31. Mai 2011

Recht und Anstand

Die Verteidigung, so hat es der Vorsitzende Richter des LG Mannheim in seiner Urteilsbegründung gesagt, habe es mehrmals an "Anstand und Respekt" vermissen lassen. Da wird der Kollege Schwenn müde grinsen.

Denn was als Vorwurf gedacht war, kommt wohl eher als Bumerang zu den Richtern zurück: Glauben die etwa, sie hätten auch freigesprochen, wenn die Verteidigung sich mit netten Reden begnügt hätte? Wenn die Verteidigung nicht bei jedem aufkeimenden Vorurteil sofort dazwischen gegrätscht wäre? Wenn die Verteidigung nicht bei jeder zweifelhaften Äußerung der Strafverfolgungsbehörden auf den Tisch geschlagen hätte?

Natürlich nicht. Wenn ein braver Verteidiger einfach nur dagesessen und zugehört hätte, dann hätte das Gericht verurteilt. Nur dadurch, dass die Verteidigung das Gericht soweit in die Enge getrieben hat, in die es sich aus eigenem Antrieb nie hineinbegeben hätte, konnte es zum Freispruch kommen.

Und das ist der wahre Skandal: Dass man als Verteidiger überhaupt nur wahrgenommen wird, wenn man es an Anstand und Respekt fehlen lässt.

Montag, 30. Mai 2011

Die Reform der StPO

Am Dienstag wird das Landgericht Mannheim das Urteil gegen Jörg Kachelmann sprechen. Egal wie dieses Urteil aussehen wird, hat die Öffentlichkeit in diesem Verfahren eine Menge erlebt. Auch wenn sie über die interessantesten Teile der Verhandlung ausgeschlossen war.

Vor allem hat die Öffentlichkeit eine Menge von dem gesehen, was falsch läuft vor deutschen (Straf-)Gerichten. Und damit ist nicht die im Vergleich eher noch moderate Dauer des Verfahrens gemeint, sondern seine Struktur und sein notwendiger - oder eben nicht notwendiger - Inhalt. Denn das deutsche Strafverfahren ist nicht mehr zeitgemäß, wenn die deutsche Strafprozessordnung denn jemals zeitgemäß war.

Wenn man ein Verfahren wie das gegen Jörg Kachelmann beurteilt, muss man sich gewahr sein, dass die Prozessordnung, nach der dieses Verfahren funktioniert, aus dem Jahre 1877 stammt und seither im wesentlichen unverändert geblieben ist. 1877 wurde Hermann Hesse geboren. 1877 meldete Thomas Alva Edison den Prototyp seines Phonographen zum Patent an. Emil Berliner meldete das Patent auf die Schallplatte an, die aus Schellack war. Wenn man 1877 von Krieg sprach, war zumeist der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 gemeint, und der wurde vom Königreich Preußen und dem Norddeutschen Bund gegen das Kaiserreich Frankreich geführt. Dieser Krieg wurde mit Infanterie, Reitern.Pferden und Geschützen geschlagen.

Eigentlich unnütz zu sagen, aber: Es gab kein Radio (s.o.), kein Fernsehen, von allen anderen elektronischen Medien ganz zu schweigen. Zeitungen gab es wenige. Die Washington Post z. B. wurde in diesem Jahr gegründet. Die Straßen waren bestenfalls mit Kopfsteinpflaster gepflastert, auf denen Pferdekutschen fuhren. Man herrschte in weiten Teilen des Geltungsbereichs der neuen StPO noch von Gottes Gnaden.

Da musste die StPO als großer Fortschritt gelten, gab es doch zum ersten Mal Legalitätsprinzip, Offizialprinzip, Mündlichkeitsprinzip, Unmittelbarkeitsgrundsatz und all das, was man heute noch an der Universität lernt, wenn man Jura studiert.

Dass die StPO in dieser Form noch den heutigen Gegebenheiten genügte, kann man wohl kaum ernsthaft vertreten. Gleichwohl sind bisher alle Versuche gescheitert, die Prozessordnung grundlegend zu reformieren. Allerdings stellt sich langsam ernsthaft die Frage, ob sich eine moderne Gesellschaft einen antiquierten Strafprozess noch leisten kann. Dazu gehört auch die Frage, ob die vorgesehenen Strafen noch zeitgemäß sind.

Und weil das eine längere Diskussion wird, höre ich hier auf und mache morgen weiter. Dann wissen wir auch über das Urteil gegen Jörg Kachelmann Bescheid.



Donnerstag, 19. Mai 2011

Irgendwo muss auch mal Schluss sein!

Lars von Trier ist Nazi. Sagt er. Angeblich. Und ist deshalb zur "Persona non grata" in Cannes aufgestiegen, beim Filmfest, das "Künstlern aus aller Welt die außergewöhnliche Möglichkeit bietet", unter anderem "die Freiheit der Meinungsäußerung zu verteidigen". Man hat ihn vom dortigen Filmfest ausgeschlossen, weil er Nazi ist. Oder weil er gesagt hat, dass er Nazi wäre. Irgendwo muss auch mal Schluss sein, mit dieser Meinungsfreiheit, oder?!

Aber Lars von Trier hat nicht nur "Ich bin ein Nazi" gesagt, er hat noch mehr gesagt, und das mit dem Nazi war bloß der Schluss. Anders als z. B. John F. Kennedy, der hat damals auf dem Balkon tatsächlich nur einen Satz ("Ich bin ein Berliner") gesagt. Aber Berliner haben eben völlig zu Recht ein viel besseres Renommee als Nazis. Obwohl es da in der Geschichte durchaus auch Überschneidungen gab.

Dem Kollegen Möbius, dem Fachanwalt für IT-Recht, ist zu danken, dass er hier das vollständige Zitat eingestellt hat. Wenn man dort liest, was der Regisseur tatsächlich gesagt hat, dann wird einem tatsächlich Angst und Bange um die allerorten beschworene Meinungsfreiheit, denn er hat offenkundig einen von ihm selbst als verunglückt empfundenen Satz ("Wie komme ich jetzt bloß aus diesem Satz wieder raus?") durch eine selbstironische Überhöhung ("Okay, ich bin ein Nazi") ad absurdum geführt.

Das ist selbstkritisch, humorvoll und überdies sprachlich ziemlich gelungen, hat aber offenbar selbst bei den Kulturschaffenden eine Mehrheit überfordert. Schade. Schade. Schade.

Ich möchte der Schaffensreihe des großartigen Lars von Trier übrigens auch noch die brillante Krankenhausserie "Gespenster" hinzufügen.

Dienstag, 17. Mai 2011

Wenn der Zivilrechtler etwas nicht versteht...

Wenn der Zivilrechtler etwas nicht versteht, sei es, dass er einfach nicht genau gelesen hat, sei es, dass die Materie ihn schlicht überfordert, dann könnte er sich mit dem Problem auseinandersetzen. Das wäre der Idealfall. So diente man der Sache.

Dass es auch anders geht, zeigt der jüngste Beitrag der Kollegen vom LBR-Blog. Liebe Kollegen: Erst lesen, dann denken, dann (vielleicht) schreiben.

Sonst liegen die Bananen schnell im eigenen Tor.

P.S.: Der hier besprochene Artikel wurde auf die Intervention hin vom Anbieter mittlerweile wieder freigeschaltet. Weil die Autorin darauf einen Anspruch hat. Mancher findet ihn, mancher nicht.

Dienstag, 10. Mai 2011

24 Stunden ganz ohne Schweinkram

Eine liebe Kollegin, die auch der Bloggerszene hinlänglich bekannt ist, bloggt nicht nur. Sie schreibt manchmal auch Artikel in einem Internetportal für Anwälte. Das kennen vielleicht die meisten: Man stellt dort ein Profil ein und hofft, dass die Mandanten einen finden. Damit das noch besser klappt, kann man auch kleine Fachbeiträge veröffentlichen, um die eigene Expertise etwas zu verdeutlichen.

Nun ist die Kollegin Strafrechtlerin und schreibt entsprechend über Strafrecht. Und weil in letzter Zeit auch das eine oder andere Mandat den Vorwurf von Sexualstraftaten betraf, schreibt sie eben auch darüber, so zuletzt über § 184 StGB (Besitz und Verbreitung von Kinderpornographie).

Nun ist hinlänglich bekannt, dass diese Mandanten in der Bevölkerung nicht die allergrößte Wertschätzung genießen, was aber heute ankam, verwundert dann doch:

Die Kollegin erhielt eine E-Mail des Anbieters, man habe ihren Beitrag gelöscht. Man begründet dies wörtlich damit, dass man

"aufgrund einiger unerfreulicher Vorkommnisse ... die Veröffentlichung von Fachartikel(n) zu diesem Themenkreis nicht mehr gestatte"

Man möge bitte

"keinerlei Fachartikel (veröffentlichen), die in gleich welcher Weise mit Pornographie in Verbindung zu bringen"

seien. Diese Maßnahme, so mutmaßt man, diene

"der sicherlich auch in Ihrem Interesse liegenden Qualitätssicherung und der guten Reputation"

des Anbieters.

Da verschlägt es einem erst einmal die Sprache. Es gibt also inzwischen Internetforen für Rechtsanwälte, die den Austausch über Erfahrungen mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung untersagen und dies für eine Maßnahme der "Qualitätssicherung" halten! Und dahinter steckt nicht etwa EMMA oder die Katholische Kirche, sondern ein großer juristischer Fachverlag!

Ich ringe immer noch um Worte und habe deshalb erst einmal geschrieben. Neben diesem Artikel ein Aufforderungsschreiben zur Abgabe einer Unterlassungserklärung. Ein Rechtsstreit, auf den man gespannt sein darf.