Freitag, 27. Juni 2014

Bad Regeln make bad Fußballspiele


Folgenabschätzung im Recht wird allgemein unterschätzt. Wo ja gerade Fußball-WM ist, nehmen wir zum Beispiel die Regeln des Fußballspiels. Wenn Sie es noch nicht kennen, schauen Sie sich mal die Zusammenfassung des Spieles Barbados - Grenada aus dem Jahre 1994 an. Sie werden staunen, was blöde Regeln (= Gesetze) so anrichten können!

Das Spiel fand im Rahmen eines Turniers statt, an dessen Beginn - wie bei unserer WM - eine Gruppenphase stand. 1994 war gerade das so genannte "Golden Goal" in Mode, also führte man es auch in diesem Turnier ein. Bei Unentschieden wurde das Spiel verlängert und war beendet, sobald ein Team das erste Tor geschossen hatte.

Dabei beließ man es in diesem Fall aber nicht. Die Turnierleitung erließ noch zwei weitere Neuregelungen: Erstens wurde nämlich jedes Spiel durch "Golden Goal" entschieden, also auch Spiele in der Gruppenphase. Die Sinnhaftigkeit dieser Regel erschließt sich nicht, aber zumindest schadet sie nichts. Das war bei der zweiten Regelvariation schon anders: Jedes "Golden Goal" zählte nämlich doppelt. Fragen Sie nicht warum, es war so.

Es kam, wie es kommen musste: Vor dem Spiel Grenada - Barbados führte Grenada die Tabelle vor Barbados an. Barbados brauchte einen Sieg mit zwei Toren Vorsprung, um Grenada zu überholen. Kurz vor Schluss führte Barbados 2:1. Aber das reichte nicht, man brauchte ja zwei Tore Vorsprung. War da nicht etwas mit Toren, die doppelt zählen? Genau, aber dafür musste man in die Verlängerung. Also schoss Barbados drei Minuten vor Schluss ein Eigentor zum 2:2. Die letzten drei Minuten verbrachte Barbados damit, Grenada daran zu hindern, selbst auch ein Eigentor zu schießen, denn dann wäre ja wieder alles aus gewesen für Barbados. Das sieht man in der Zusammenfassung leider nicht gut, aber es war so.

Barbados rettete sich schließlich in die Verlängerung und schoss dort tatsächlich das zwei Tore-Tor.

Und nächstes Mal wenden wir uns bekloppten Gesetzen im richtigen Leben zu.

P.S.: Den Hinweis auf dieses tolle Fußballspiel habe ich aus dem Buch "100 Dinge, von denen du nicht wusstest, dass du sie nicht wusstest" von John D. Barrow. Lesenswert!


Donnerstag, 26. Juni 2014

Kognitive Dissonanz und Beißverhalten


Strafverteidiger kennen die Situation: In der mündlichen Hauptverhandlung sagt ein Entlastungszeuge für den eigenen Mandanten aus und keiner will davon Notiz nehmen. Während die entlastende Aussage gerade die gesamte Anklage ins Wanken bringt, schaut der Staatsanwalt nur angestrengt aus dem Fenster und der Vorsitzende Richter beginnt, imaginäre Staubkörner von seiner Robe zu sammeln. Später findet sich im Urteil von der entlastenden Aussage kein Wort.

Hier ist etwas im Spiel, dass die Sozialpsychologie "Vermeidung der kognitiven Dissonanz" nennt. Der Begriff wurde von dem Psychologen Leon Festinger geprägt und bezeichnet grob gesagt die menschliche Neigung, all diejenigen Umstände zu ignorieren, die den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen. Deshalb hören Richter und Staatsanwälte häufig gar nicht hin, wenn ein Entlastungszeuge spricht. Denn sie haben sich ja längst eine Überzeugung gebildet, und die möge die Verteidigung mit ihren lästigen Entlastungszeugen bitte nicht in Frage stellen.

Da die meisten Richter und Staatsanwälte aber wissen, dass von ihnen zumindest oberflächlich Neutralität gefordert ist, lassen sie auch unliebige Aussagen widerwillig über sich ergehen. Der innere Widerspruch macht sich dann häufig in den beschriebenen Übersprungshandlungen bemerkbar. Achten Sie mal darauf.

Schiedsrichter beim Fußball haben es da viel leichter. Von denen wird nicht verlangt, sich ständig in Frage zu stellen, die können sich unliebsamen Zweifel einfach durch Flucht entziehen. So wie der mexikanische Schiedsrichter, der im Vorrundenspiel Uruguay vs. Italien über die Beißattacke von Luiz Suarez zu urteilen hatte und einfach gar nichts tat.

Als das "Opfer" Giorgio Chiellini dem Schiedsrichter die beachtliche Bisswunde zeigen wollte, die Suarez ihm beigebracht hatte, entzog sich der Schiedsrichter dem auf wenig elegante Weise: Er lief einfach weg.

Derart infantile Fluchtstrategien können sich Richter nicht erlauben, wenn auch manche gelegentlich den Eindruck erwecken, sie täten es am liebsten. Dann nesteln sie aber doch wieder nur am Kragen ihrer Robe.




Dienstag, 24. Juni 2014

Warum tun die Rechtsanwaltskammern nichts?


Die titelgebende Frage stellt sich ein Kommentator meines Beitrags über Joachim Wagner. Betrügerische Rechtsanwälte würden jahrelang wüten, ohne dass die Kammern etwas dagegen unternähmen, mal so kurz zusammen gefasst. Das mag stimmen, verkennt aber die Aufgabe der Rechtsanwaltskammer.

Man kann den Rechtsanwaltskammern einiges vorwerfen, z. B., dass Sie nach außen nicht vernünftig darstellen, was eigentlich ihre Aufgabe ist und auch sonst in der Regel nicht besonders gut kommunizieren. Schlechte Arbeit oder gar strafrechtlich relevantes Verhalten ihrer Mitglieder nicht ausreichend zu ahnden, kann man den Kammern allerdings nicht vorwerfen, denn hiefür sind sie schlichtweg nicht zuständig. Joachim Wagner hätte in seinem Artikel die Chance gehabt, dem Volk das mal etwas näher zu erklären, aber er hat auch diese Chance vergeben.

Die Rechtsanwaltskammern dienen der Selbstverwaltung der Anwaltschaft, ihr Aufgabenkreis ist auf einige wenige Tätigkeiten beschränkt, die in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) abschließend aufgezählt sind. Die meisten dieser Aufgaben sind eher langweilig, z. B. die Aufgabe, Gutachten über die Angemessenheit anwaltlicher Gebühren zu erstatten. Etwas spannender ist das so genannte Rügerecht, wonach der Vorstand der Rechtsanwaltskammern Mitglieder wegen Fehlverhaltens rügen kann. Die Reichweite dieses Rügerechts ist allerdings außerordentlich begrenzt und betrifft nur die weniger schwerwiegende Pflichtverletzungen nach der Berufsordnung, z. B. die Nichtanzeige des Mandatswechsels. (§ 15 BORA).

Für etwas schwerere Verstöße ist das Anwaltsgericht zuständig. Das Anwaltsgericht meint Joachim Wagner in seinem Beitrag offenbar, wenn er von "Anwaltsgerichtshof" spricht. Den Anwaltsgerichtshof gibt es auch, er hat aber eine andere Aufgabe.

Für die beiden interessantesten Problemfelder sind aber weder die Kammern noch die Anwaltsgerichte zuständig, sondern seit jeher die ordentlichen Gerichte: Straftaten und Schlechtleistung. Steht eine Straftat eines Rechtsanwaltes im Raum, ist es den Kammern sogar ausdrücklich untersagt, tätig zu werden.

Meint ein Mandant, durch die Schlechtleistung eines von ihm beauftragten Rechtsanwaltes einen Schaden erlitten zu haben, so ist hierfür ganz normal die Zivilgerichtsbarkeit zuständig.

Wenn sich also Joachim Wagner beklagt, dass die Anwaltsgerichte "zahnlose Tiger" seien, dann ist vielleicht bereits der Begriff  "Tiger" falsch gewählt. Die Zähne haben einfach die anderen.




Montag, 23. Juni 2014

Post von Wagner, Teil 2


Und weiter geht's mit dem Anwälte-Bashing: Jetzt hat Joachim Wagner - der von Panorama - nachgelegt: Nach seinem bereits früher einmal erwähnten Buch zeigt er jetzt auch dem Zeitungsleser die finstere Seite des Rechts. In seinem Artikel in der Welt zieht er weiter ordentlich gegen die Anwälte vom Leder. Dabei zeigt sich einmal mehr eindrucksvoll, dass nicht die Lüge der Feind der Wahrheit ist, sondern die Halbwahrheit. Aber Hauptsache, man hat einen guten Aufmacher und eine heiße Story.

Die Überschrift spricht von einem "Enormen Qualitätsgefälle" bei Anwälten, was zumindest nahe legt, dass es auch gute Anwälte zu geben scheint. Von denen ist im Text aber nur noch einmal die Rede, dann nämlich wenn es um Abrechnungsbetrug und Gebührenüberhöhung geht. Zum Einstieg geht es aber um das immer bedrohlicher wuchernde Anwaltsproletariat am Beispiel des in derlei Klagereden mittlerweile obligatorischen Abo-Fallen-Anwalts, der eigentlich Stripper in einem Nachtclub war und "wegen schlechter Examensnoten" leider keine Anstellung gefunden hat. Daraufhin hat er sich der Kriminalität an den Hals geworfen. Das ist bedauerlich, aber sicherlich nicht exemplarisch für die Rechtsanwaltschaft. "Schwarzes Schaf" nennt Wagner ihn.

"Symptomatisch" sei der Fall aber trotzdem, nämlich für die "ungesteuerte Vermassung des Berufsstandes". Haufenweise Juristen mit schlechten Examina, denen nur noch übrig bleibe, Rechtsanwalt zu werden. Und so strömen sie auf den Markt und sind schlechte Anwälte, weil niemand es ihnen verbietet. Die Anwaltsgerichtsbarkeit sei ein "zahnloser Tiger", weil sie den Wildwuchs nicht unterbinde. Sogar "Banken und Unternehmen" hätten inzwischen "Professional Governance-Regeln" nur die böse Anwaltschaft leiste durch fehlende Berufsethik dem Sittenverfall Vorschub.

Das alles liest sich, als hätte der Autor sich kaum nennenswert mit dem Anwaltsberuf auseinandergesetzt. Alles, was Wagner beschreibt, gibt es; es gibt aber auch dessen genaues Gegenteil. Es gibt Juristen, die mit mäßigen Examina hervorragende Rechtsanwälte geworden sind, vor allen Dingen aber gibt es hervorragende Juristen, die furchtbar schlechte Anwälte sind. Genau deshalb darf man niemandem, der die formalen Voraussetzungen dazu erfüllt, den Zugang zur Rechtsanwaltschaft verweigern.

Nun gibt es innerhalb dieser heterogenen Gruppe Kriminelle, Hochstabler und Speichellecker, aber wo gibt es die nicht?

Für deren Existenz soll bei Joachim Wagner "die Anwaltsgerichtsbarkeit" herhalten, die viel zu lasch dem bösen Treiben kein Ende setze. Sie gehöre abgeschafft und solle "der Strafjustiz übertragen" werden. Herr Wagner, Sie schreiben blühenden Blödsinn!

Die Strafjustiz beschäftigt sich mit Straftaten; begehen Rechtsanwälte Straftaten, unterfallen sie genauso der Strafjustiz wie jeder andere Bürger auch. Das weiß Herr Wagner offenbar nicht und das ist einfach nur unendlich peinlich. Wie war das noch mit dem ungehinderten Zugang zum Journalismus? Stattdessen möchte er einer heterogenen Gruppe einen Verhaltenskodex aufdrücken, wie ihn - weil der Dualismus so schön blöd ist, zitiere ich ihn hier noch einmal - "Banken und Unternehmen" hätten. Nun ist ein Unternehmen eine Einheit, die Anwaltschaft aber besteht aus Tausenden solcher Einheiten.

Eine gemeinsame Ethik wäre da keine Ethik mehr, sondern ein Gesetz. Genau deshalb hat das Bundesverfassungsgericht 1987 (!) die Standesrichtlinien der Rechtsanwälte für verfassungswidrig erklärt. Damals war das umjubelt, heute möchte Joachim Wagner es offenbar in vollständiger Unkenntnis der Umstände wieder einführen.

Es gibt viel zu viele schlechte Rechtsanwälte, da hat Joachim Wagner Recht. Wer aber schützt uns vor schlechten Journalisten?









Dienstag, 10. Juni 2014

Spinner


Der Bundespräsident durfte NPD-Mitglieder und -Sympathisanten als "Spinner" bezeichnen. Das sagt das Bundesverfassungsgericht und ich stimme ihm darin im Ergebnis zu. Wer nationalsozialistisches Gedankengut gut heißt oder vertritt, ist ein Spinner und man muss ihn auch so nennen dürfen.

Aber hätte man das nicht auch so sagen können? Großartige Abhandlungen hätte man schreiben können, über den überdrehten Quatsch, den Nationalsozialisten so glauben, von der Rassenlehre angefangen bis hin zu deren offenen Sympathie für Massenmörder. Aber das Bundesverfassungsgericht hat sich vor einem solchen Bekenntnis gedrückt und stattdessen versucht, dem Wort "Spinner" aus dem Mund des Bundespräsidenten einen anderen Sinn zu geben. Dabei windet es sich wie ein Aal und erweckt leider den Eindruck, dass man mit seiner eigenen Entscheidung nicht wirklich glücklich ist. Darum ist die Entscheidung - zumindest soweit die Pressemitteilung reicht - entgegen anders lautender Einschätzungen keine Sternstunde, sondern eher ein Einfallstor für zukünftige Diskriminierungen von der anderen Seite.

Denn natürlich ist "Spinner" eine Beleidigung, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und beleidigen darf man eigentlich niemanden. Das weiß auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es wie folgt formuliert:

"Der Antragsgegner (der Bundespräsident, Anm. d. Verf.) hat damit über die Antragstellerin (die NPD, Anm. d. Verf.) und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann."

Im Falle des Bundespräsidenten soll die Beleidigung aber trotzdem nicht tatbestandsmäßig  (oder gerechtfertigt?) gewesen sein, hier diene die Bezeichnung "Spinner" nämlich

"neben derjenigen als "Ideologen" und "Fanatiker" als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten."

Das Bundesverfassungericht macht also nicht etwa eine inhaltliche Unterscheidung zwischen solchen Spinnern, die man als Spinner bezeichnen darf, und normalen Spinnern, die man nicht als solche bezeichnen darf, sondern es weist dem Wort "Spinner" in diesem Fall einfach eine andere Bedeutung zu, so etwas wie "Unverbesserlicher" oder "Demokratiefeind". Das ist ein juristischer Taschenspielertrick und eines Verfassungsorgans unwürdig.

Die Argumentation ist außerdem ein Einfallstor für semantische Sperenzchen und man kann nur hoffen, dass die angesprochenen Spinner sie nicht allzu genau lesen. Dann nämlich könnten sie beispielsweise auf die Idee kommen, den Bundespräsidenten als "Spinner" zu bezeichnen und anschließend behaupten, "Spinner" wäre  "isoliert betrachtet" zwar möglicherweise eine Beleidigung, im Sachzusammenhang aber lediglich die Bezeichnung für einen ehemaligen Pfarrer aus der DDR, der die Anhänger einer zumindest noch nicht verbotenen Partei beleidige.

Nach der Logik des Bundesverfassungsgerichts müsste das dann eigentlich auch erlaubt sein, zumindest dürfte es außerordentlich schwierig werden, das Gegenteil zu begründen.

Deshalb könnte dieser Schuss böse nach hinten losgehen. Und das hätte man vermeiden können.