Donnerstag, 20. Februar 2014

Wie Fehlurteile zustande kommen


Viele Richter und Staatsanwälte glauben entgegen aller Erfahrung immer noch ernsthaft, Zeugen wären verlässliche Beweismittel. Anlass zu dieser Vermutung gibt es kaum - im Gegenteil. Und das liegt selten daran, dass einer lügt. Viel häufiger scheitert es an der Wahrnehmung oder an der Bewertung dessen, was man meint, wahrgenommen zu haben.

Ein schönes Beispiel dafür, wie Wahrnehmung tatsächlich funktioniert, bietet die Affäre um den SPD-Politiker Sebastian Edathy, in der gestern eine Anhörung vor dem Innenausschuss stattfand. Ich gebe das mal aus meinem eigenen - für Verzerrungen aller Art anfälligen - Gedächtnis wieder.

Der Herr Oppermann von der SPD berichtet, er habe beim Herrn Ziercke vom BKA angerufen, nachdem er vom inzwischen zurück getretenen Landwirtschaftsminister Friedrich von den Ermittlungen gegen den SPD-Abgeordneten Edathy erfahren habe. Herr Ziercke habe ihm in dem Gespräch bestätigt, dass Ermittlungen liefen. Herr Ziercke bestreitet das.

Das hört sich oberflächlich nach zwei sich ausschließenden Angaben an. Guckt man sich aber genauer an, was insbesondere Herr Ziercke sonst noch gesagt hat, fügt sich alles doch noch zu einem stimmigen Bild: Geredet habe eigentlich nur der Herr Oppermann, sagt Herr Ziercke. Er selbst habe sich eigentlich nur gewundert, warum der auf einmal anrufe. Ganz dienstbeflissener Amtsmann habe er - Ziercke - im Gespräch bewusst vermieden, irgendwelche konkreten Aussagen zu machen. Wunderbar ist seine Bewertung des Gesprächs: Er könne nicht ausschließen, dass Herr Oppermann sein Schweigen als Zustimmung gewertet habe.

Und so ist das bei Zeugen vor Gericht eben auch häufig: Jemand berichtet nicht das, was er wahrgenommen hat, sondern das, was er gerne wahrgenommen hätte, und infolge dieser Prädisposition dann irgendwann auch meint, tatsächlich wahrgenommen zu haben, gerne noch vermengt mit eigenen Schlussfolgerungen aus dem, was er meint, wahrgenommen zu haben, die nicht als solche bezeichnet, sondern ihrerseits als Wahrnehmungen präsentiert werden.

Den Satz habe ich deshalb so kompliziert formuliert, weil die Wirklichkeit so kompliziert ist. Die meisten Richter und Staatsanwälte machen sie sich dagegen einfach: Sie glauben auch einfach das, was sie gerne gehört hätten.

Und so kommen Fehlurteile zustande.


Montag, 10. Februar 2014

Inzwischen ist alles egal


Viele Menschen haben eine falsche Vorstellung von Recht und Gesetz.  Diese Menschen denken sich die absurdesten Argumente aus, warum für sie selbst angeblich andere Maßstäbe gelten als für alle anderen. "Hab's ja nicht so gemeint", "musste mich ja verteidigen", "bin eigentlich Opfer" sagen diese Menschen und meinen eigentlich: "Lasst mich gefälligst in Ruhe mit Euren blöden Gesetzen."

Alice Schwarzer gehört offenbar zu diesen Menschen. Man sollte zunächst einmal lesen, was sie selbst schreibt - hier - dann, was der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer dazu schreibt - hier - und gerne auch, was der Kollege Hoenig dazu schreibt - hier.

"Inzwischen ist alles legal" sagt Alice Schwarzer zu ihren Straftaten, meint aber - ach: Lesen Sie einfach die Überschrift.

Donnerstag, 6. Februar 2014

Beleidigte Bundesanstalt


Mancherorts an Deutschlands Straßen stehen schwarze Türme am Straßenrand und beobachten den Verkehr. Sie tun das mit einem Laser-Scanner, und wenn ein Auto dem Turm zu schnell erscheint, speit der Turm ein Photo aus. Sie kennen das vielleicht aus eigener Erfahrung und Anschauung.

Verkehrsrechtler kennen den Turm auch mit Namen: Er heißt PoliScan Speed und sorgt seit Jahren für Ärger. Denn früher gab es einen Beamten - das war in der Regel ein Mensch - den man vor Gericht befragen konnte, ob er denn sein Messgerät auch ordentlich eingerichtet , die Gebrauchsanweisung befolgt und überhaupt alles richtig gemacht habe. Das barg einige Chancen für die Verteidigung, Fehler aufzudecken. Mit PoliScan Speed ist das vorbei, denn PoliScan Speed bedient sich selbst. Einmal justiert und auf den Knopf gedrückt - fertig. Mehr dazu hier.

Was danach im Innern des Turms passiert, weiß keiner. Außer dem Hersteller, aber der verrät es keinem. Aus "patentrechtlichen Gründen". Nicht, dass jemand den tollen Turm nachbaut. Vielleicht weiß es auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), aber die verrät es auch keinem.

Nun haben im letzten Jahr einige kleine germanische Gerichte gewagt, diese Situation unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen. Allen voran hat das Amtsgericht Aachen sich über den Turm hergemacht, ja, ihn als "Black Box" bezeichnet und dessen Ergebnissen die Beweistauglichkeit abgesprochen. Man könne sie nicht nachvollziehen. Auch die PTB bekam ihr Fett weg: Nur weil die etwas geprüft habe, sei das noch nicht per se verlässlich.

Das ist rechtsstaatlich völlig korrekt: Stellen Sie sich einen Zeugen vor, der zwar pauschal bestätigt, dass der Angeklagte seine Ehefrau umgebracht habe, sich dann aber weigert, weitere Umstände preis zu geben. Dessen Aussage wäre für ein Gericht nutzlos, denn es könnte nicht nachprüfen, ob die Aussage stimmt.

So viel Rechtsstaatlichkeit ging der PTB dann aber doch zu weit: Man sah sich offenbar veranlasst, eine "Richtigstellung" des Urteils des Amtsgerichts Aachen zu veröffentlichen - hier. Tenor: Wer seid ihr Gerichte eigentlich, dass ihr uns nicht einfach so alles glaubt? Wir sind schließlich die Physikalisch-Technische Bundesanstalt! Da hat die PTB wohl vor lauter beleidigter Leberwurst einen Moment lang vergessen, was sie ist: die zuständige technische Oberbehörde nämlich.

Und kein Gericht.