Mittwoch, 4. Dezember 2013

Guter Anwalt - schlechter Anwalt


Wir leben in einer Zeit, in der Transparenz - trotz NSA-Skandal - als etwas Positives betrachtet wird. Man muss alles sehen können. Aber mehr noch: Die Volksseele schreit offenbar danach, es auch zu bewerten. Das ist offenbar eine Reminiszenz an die verklärte Schulzeit. Alles kann bewertet werden: Lehrer, Restaurants, Fliesenleger, Hotels - oder Rechtsanwälte.

Das alles hat nur einen Haken: Es ist mitunter schädlich, manchmal sogar kriminell, extrem häufig aber zumindest völlig sinnlos. Denn selbst wenn wir alle offensichtlichen Lügen und Diffamierungen außer acht lassen, stellt sich immer noch die Frage nach dem Nutzen.

Der ist schon bei simplen Dienstleistungen wie der Gastronomie fraglich. Immerhin: Was mir geschmeckt hat, kann ich einigermaßen beurteilen. Aber das kann schon mein Nachbar ganz anders sehen, Geschmackssache eben. Ob die Kartoffeln im Lokal A objektiv versalzen waren oder ob der Bewerter das nur subjektiv so empfunden hat, kann ich eigentlich erst wissen, wenn ich den Bewerter und seinen Geschmack persönlich kenne, und das ist praktisch nie der Fall. Sonst könnte ich ihn ja fragen und bräuchte das blöde Bewertungsportal nicht.

Richtig schlimm werden Bewertungen aber erst, wenn der Bewerter etwas bewertet, das er gar nicht beurteilen kann. "Der Arzt ist schlecht, die Wunde hat nach der OP noch tagelang weh getan." Über solchen geistigen Durchfall kann der Operateur nur stöhnen, der den wehleidigen Patienten möglicherweise vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Jetzt bekommt er noch einen Fußtritt hinterher, weil der Patient leider zu blöd ist, die Situation richtig einzuschätzen.

In diese Kategorie fallen alle Spezialisten, deren Beruf einen eher theoretischen Unterbau hat, insbesondere aber Rechtsanwälte. Deren Leistung können zumeinst nicht einmal erfahrene Kollegen richtig einschätzen und unterlassen es daher in der Regel. Der durchschnittliche Bewerter hat da weniger Skrupel und bewertet lustig drauf los.

Schlechter Anwalt: hat tagelang nicht zurückgerufen, Kanzlei hatte keinen eigenen Parkplatz, hatte einen seltsamen Anzug an, war anderer Meinung als ich, wollte meine mitgebrachte Lösung nicht akzeptieren. Da gehe ich nicht wieder hin.

Guter Anwalt: fuhr großes Auto, das ich auch gerne hätte, hatte eine schöne Palme im Wartezimmer und war höflich und zuvorkommend, hat mir mehrmals bestätigt, dass die anderen alles Schweine sind und ich natürlich völlig im Recht bin.

Dafür, dass wir den Rechtsstreit verloren haben, konnte der gute Anwalt nichts. Der Richter war ein Kretin, wahrscheinlich ein Linker. Die Gegenseite waren lauter Betrüger. Aber denen hat der gute Anwalt es gegeben!

Mit der Beleidigungsklage, die ich jetzt am Hals habe, gehe ich natürlich wieder zu dem guten Anwalt. Der macht das schon.









11 Kommentare:

  1. Sehr schön geschrieben. Aber sicher nur halb so wahr. Natürlich ist z.B. Geschmack etwas sehr subjektives. Aber wenn von 100 Bewertungen 99 Bewerter der Meinung sind, das Essen in Lokal A wäre nicht sehr gut, dann ist das eine Tendenz. Da kann man sicher dann auch gewisse Dinge ableiten.

    Was die Anwälte betrifft: Da kommt es denke ich auf die Bewertung an. Wenn jemand einfach sinnlos nichtssagende Thesen in den Raum stellt, dann ist das natürlich nichts wert.

    Aber mal als Beispiel: Wenn man als Mandant den Anwalt nur beim ersten Gespräch persönlich gesehen hat, er telefonisch nie erreichbar ist, sondern nur sein Vorzimmer, das mehrfach einen Rückrufwunsch vereinbart, dieser aber über Wochen (!) nicht erfolgt, man Antworten auf Schreiben nur erhält, wenn man diese per Einschreiben (!) sendet und Mail mit Empfangsbestätigung (!) dann kann man das sicher kritisieren. Wenn die eigene RSV dann sagt, Du darfst den Anwalt X aber nicht wechseln, es sei denn DU weist ihm Fehlverhalten nach, und zwar so und so und so, was faktisch nicht machbar ist, dann darf man den Anwalt aber sicher kritisieren. Oder etwa nicht?

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  2. Ich glaube, wir müssen zwei Arten von Qualität trennen: die juristische Qualität und die Service- bzw. Prozessqualität.

    Natürlich kann der Mandant die juristische Leistung seines Anwaltes in der Regel nicht einschätzen. Diese hält er für selbstverständlich.

    Er kann aber sehr wohl einschätzen, ob man höflich und nett zu ihm war, ihn schnell zurückgerufen hat etc.

    In einer älteren Präsentation zum Kanzleimanagement (die Sie unter http://www.tryffel.de/downloads.html finden) hatte ich Ergebnisse aus einem Aufsatz von Hommerich/Kilian aus den BRAK-Mitteilungen 2007, 191 ff. wiedergegeben).

    Top-Kriterien für die Auswahl eines Rechtsanwalts sind danach die Möglichkeit zu schnellen Terminen/sofortigem Gespräch und die Freundlichkeit des Personals.

    Ich finde, wir als Dienstleister sollten nicht so arrogant sein, dies abzutun.

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    1. Lieber Herr Schnee-Gronauer, da muss ich mich jetzt aber doch noch einmal zu Wort melden. Wie Sie richtig bemerken, gibt es juristische Qualität und - nennen wir es von mir aus - Servicequalität. Diese Unterscheidung versteht sich aber von selbst. Wenn ich einen Spezialisten aber BEWERTE, dann bewerte ich zwangsläufig vorrangig seine fachliche Kompetenz. Sonst würde es schon gar keinen Sinn ergeben, einzelne Dienstleister nach ihrer fachlichen Spezialisierung zu unterteilen. Wenn ich Dienstleister nach Sekundärtugenden wie Höflichkeit, Sauberkeit oder Pünktlichkeit beurteilen möchte, kann ich Zahnärzte, Anwälte, Fliesenleger oder Tiertherapeuten in einen Topf werfen, vor allem aber muss ich dann angeben, dass Sekundärtugenden mein ausschlaggebendes Kriterium waren und nichts sonst. Insoweit danke ich für Ihren Hinweis auf Hommerich/Kilian, weil ich mich über diesen Aufsatz schon zum Zeitpunkt seines Erscheinens aus genau diesem Grund geärgert habe.
      Beste Grüße, Christoph Nebgen

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  3. Tja, das hat ja was für sich, was Sie ausführen. Das blabla um mangelnden Service der Anwälte ist bei mir im wesentlichen kein Thema. Was sich häuft, sind üble handwerkliche Fehler, die klar festzumachen sind. Was sich häuft, sind - häufig jüngere - Anwälte, die sich bei einer Frage nicht klar positionieren. Ich spreche nicht vom zum Munde reden, sondern eindeutige Antworten, inclusive der Erklärung, daß eine Frage erst geklärt werden muss. Was sich häuft, sind radebrechend, unplausibel formulierte Schriftsätze, die teilweise in sich unschlüssig sind, Verweise auch nícht vorhandene Kapitel etc. enthalten. Was sich häuft, sind Hütchenspielertricks von Abmahnanwälten oder aggressive Touren; Juristerei war noch nie etwas für Weicheier. Die Menge der Korrespondenz, die an einen Billigkrimi oder wahlweise Psychatriestation erinnert, ist gestiegen und wird teilweise scheinbar als Normalfalll angesehen. Seit der Einführung des Telefons mit Lautsprecher ist die Unsitte, ein Telefonat zur Befriedigung des Mandanten zum Schauspiel aufzublasen ohnehin verbreitet. Ich habe in Düsseldorf Anwälte, mit denen man auf Augenhöhe zusammenarbeiten kann. Einige blicken leider langsam in Richtung Rente. Ich überblicke bei Anwälten als Kunde einen Zeitraum von etwa 35 Jahren. Mag sein, daß ich da irgendwie die neue Zeit nicht mitbekommen habe. Ich habe in den letzt 15-20 Jahren den Eindruck, daß die diversen Gerichtsshows zunehmend auch in der Realität angekommen sind. Leider.

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  4. <>

    Sie gehen davon aus, dass der Bewerter das nicht beurteilen kann? Woher nehmen Sie diese Info? Vielleicht hat der Arzt seinem Patienten (unzutreffen) komplette Schmerzfreiheit zugesichert, oder der Patient ist selbst Mediziner (soll vorkommen, dass sich Mediziner nicht selbst unter Vollnarkose operieren) ist, und das Ganze sehr wohl beurteilen kann. Wenn Sie sogleich unterstellen, dass der Bewerter das doch gar nicht wissen könne, gehen Sie m.E. mit einer bedenklichen Voreinstellung an die Bewertungsportale heran.
    Im Übrigen: Natürlich gibt bei Restaurants Faktoren, die sich nicht gut objektivieren lassen (Geschmack). Wenn aber die sanitären Anlagen unsauber, oder das Personal pampig war (zugegeben, auch das ist bis zu einem gewissen Maß subjektiv), würde ich davon doch gerne erfahren. Wie schon ein Vorposter bemerkte: Oft ergibt sich auch erst aus der Masse subjektiver Bewertungen ein objektiv zutreffendes Bild.

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  5. Law of large numbers: Das mag nun kein juristisches Gesetz sein, aber in der Regel sind viele Bewertungen in ihrer Summe doch in gewissem Maße hilfreich.

    Das einzige Problem, was ich häufig dabei sehe ist die schon oben angesprochene Unsitte, die Soft-Skills des Anwalts als ausschlaggebendes Kriterium zu bewerten (das Analog aus der Amazon-Welt wäre die Vielzahl von Rezensenten, die etwas schreiben wie "Dieses Buch ist langweilig und schlecht geschrieben, aber dank Amazon Prime war es am nächsten Tag da. Super, Amazon! 5 Sterne").

    Mein Vorschlag proaktiv an die Anwälte: In irgendeinem Anwaltsblog, ich erinnere mich nicht mehr welches, habe ich vor einiger Zeit mal das Bildschirmphoto einer internen Aufstellung gesehen, woraus hervorging, wieviele Einstellungen in Strafverfahren jeweils auf § 170 II StPO und auf §§ 153ff. StPO entfielen.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele Kanzleien solche internen Statistiken führen, beispielsweise mit Daten, wie oft sie vollumfänglich gewonnen oder verloren haben, wie die Quote bei Vergleichen war etc. (je nach Spezifikation und Rechtsbereich ergeben sich da sicher Unterschiede). Das zu veröffentlichen, hätte, so stelle ich mir vor, doch durchaus mal einen gewissen Wert ... zumindest solange, bis sich die ersten Berater finden, die die Statistiken "pimpen".

    Wenn solche selbstveröffentlichen Statistiken sich mit abgegebenen Bewertungen in etwa decken, lässt sich daraus doch einiges ableiten - und wenn sie sich nicht decken, dann erst recht). Und wenn man sich länger mit der Situation beschäftigt, fällt einem sicher noch viel mehr ein, wie man die Güte der Arbeit eines Anwalts zu gewissen Teilen quantifizieren könnte.

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    1. Mit Ihrer Diagnose bin ich völlig einverstanden, allein bei der Therapie habe ich Zweifel. Bedenken Sie bitte: Anwälte lügen wie gedruckt. ;-)

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  6. A zu B: Ich habe einen tollen Anwalt, da bekomme ich immer sofort einen Termin.
    B zu A: Mein Anwalt ist extrem gut, bundesweit tätig und dauernd unterwegs, bei dem dauert das natürlich, einen Termin zu bekommen.

    A zu B: Mein Anwalt ist immer höflich und zuvorkommend, der sieht das alles so wie ich.
    B zu A: Mein Anwalt hat mich richtig angeschrien und war voll fies, da habe ich das erste Mal kapiert, was ich bisher für eine Scheiße gedacht habe. Das hat mir den Arsch gerettet.

    Und jetzt?

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    1. Lass mich raten: B's Anwalt bevorzugt die Kantholz-Methode, gelt?

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  7. Auch nicht Experten können meiner Meinung nach Experten beurteilen, auch deren fachliche Arbeit. Nicht zuletzt weil für mich ein echter Experte auch in der Lage sein muss mal beim Erklären sich auf das für den anderen wesentliche zu beschränken, so dass es auch für nicht eingeweihte verständlich ist.
    Und ich glaube die Gesellschaft lernt auch mit Bewertungen umzugehen und nicht einfach blind das Fazit zu übernehmen, sondern auch mal zu reflektieren, ob der Bewerter mit derselben Zielsetzung und Wertevorstellung an die Sache herangegangen ist. Sicher das machen nicht alle so, aber das sind dann auch dieselben, die bisher sich darauf verlassen haben, dass die hübsche Anzeige in den gelben Seiten und das polierte Goldschild vor der Türe nur ein guter Anwalt haben kann.
    Oder anders gedacht: Wenn ich mal den Zustand der totalen Unkenntnis bei der Suche nach einen Anwalt hernehme, was wird durch Bewertungsportale schlechter ? Die Empfehlung durch Bekannte wird noch immer höher eingestuft, aber wenn mal kein Rat zur Hand ist oder der Grund so delikat, dass man nicht den ganzen Bekanntenkreis befragen will ? Dann finde ich ein Portal immer noch besser als nix.

    Und mal ganz ehrlich, gönnen Sie doch einfach den Kollegen, die für Feiheit und Ehre kämpfen, Don Quijote als Mandaten.

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  8. Es gibt so viele Aspekte, die jeder Mandant bewerten kann:
    - Freundlichkeit
    - Kann der Anwalt zuhören (ich habe oft beruflich mit Anwälten zu tun, gefühlte 3/4 der Anwälte können es nicht)
    - Reagiert der Anwalt auf Emails / Anfragen
    - Schreibt der Anwalt nur allgemeine Pauschalvorwürfe, oder kommen begründete Vorträge inkl. Nennung relevanter Paragraphen und Präzedenzurteile / Verweise auf Fachliteratur (bedeutet Arbeit, viele Anwälte mögen das nicht)
    - Hält der Anwalt Fristen ein (auch vom Mandanten in Bezug auf Rückmeldung gesetzte Fristen)
    - Verspricht er das Blaue vom Himmel, oder zeigt er die Bandbreite möglicher Folgen
    - Behält er den Überblick über seine Rechnungen und den Schriftverkehr
    - Entsprechen Schriftsätze dem, was man dem Anwalt erläutert / belegt hat

    Oben genannte Werte sind meine persönlichen Erfahrungen, die ich mit allen möglichen Arten von Fachanwälten (außer Strafrecht ;-) sammeln konnte. Anwälte neigen anscheinend dazu, sich genauso wie Ärzte als Halbgötter zu fühlen, deren überragende Stellung nur Gleichgebildete beurteilen aber niemand kritisieren kann. Schade, denn durch Feedback konnte ich viel lernen und Anwälte könnten das bestimmt auch...

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