Es gibt Urteile, die sind richtig, und es gibt Urteile, über die kann man sich streiten. Schließlich gibt es aber auch Urteile, die sind schlicht falsch. Bei letztgenannten sind auffallend häufig Rechtsanwälte die Leidtragenden. So ist es auch in einem Urteil des BGH vom 5. September 2013 - 1 StR 162/13.
Das Landgericht Essen hatte einen Rechtsanwalt wegen (versuchter) Nötigung verurteilt. Der Anwalt hatte für einen Mandanten objektiv zumindest fragliche Forderungen geltend gemacht und in seinem Aufforderungsschreiben getan, was Anwälte in Aufforderungsschreiben eben so tun: Er hatte geschrieben, dass er mit der Durchsetzung der Forderungen beauftragt sei und dies auch konsequent tun werde. Außerdem würde er im Falle nicht fristgerechter Zahlung den Sachverhalt der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung eines Betrugsverdachts vorlegen.
Tatsächlich vereinbart war zwischen Anwalt und Mandant, dass man all dies genau nicht tun wollte. Das hat das Landgericht zumindest so festgestellt. Der BGH hält die Aufforderung gleichwohl für Nötigung. Er hat hierzu ausgeführt, dass es jeden Rechtssuchenden gruseln muss:
"Zwar hat der Angeklagte nicht konkret gewusst, dass die von ihm eingetriebenen Forderungen zivilrechtich nicht gerechtfertigt waren. Dennoch hat der Bundesgerichtshof es als mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar und daher verwerflich angesehen, dass juristische Laien durch Behauptungen und Androhungen, die der Angeklagte mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege ausgesprochen hatte, zur Erfüllung der behaupteten, nur scheinbar von diesem geprüften rechtlichen Ansprüche veranlasst werden sollten."
Das lassen wir uns mal auf der Zunge zergehen und analysieren es Stück für Stück. Laut ersten Satz hat der Rechtsanwalt nicht einmal gewusst, ob die Forderungen berechtigt gewesen seien, kurzum: Für die strafrechtliche Beurteilung als Nötigung ist egal, ob eine Forderung berechtigt oder unberechtigt ist. Man kann also eine Nötigung begehen, indem man eine berechtigte Forderung geltend macht. Hier muss jeder säumige Schuldner erfreut aufhorchen.
Im zweiten Satz bemüht der BGH etwas, dass er "Autorität eines Organs der Rechtspflege" nennt; mit dieser Autorität soll man "juristische Laien" nicht ansprechen dürfen, da dies "mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar" sei, zumindest dann, wenn die behaupteten Forderungen "nur scheinbar von diesem geprüft" seien.
Nach dieser bemerkenswerten und so zuvor wohl noch nie auf dem Gebiet der Bundesrepublik vertretenen Auffassung hängt die Strafbarkeit also letztlich davon ab, ob der Rechtsanwalt die von ihm geltend gemachte Forderung zuvor überprüft hat. War da nicht was? Ach ja:
Auf die Richtigkeit der Angaben seines Mandanten darf der Rechtsanwalt grundsätzlich vertrauen, so ausdrücklich z. B. BGH NJW 1996, 2929. Angaben des Mandanten muss der Rechtsanwalt also gerade nicht überprüfen. Wäre ja auch noch schöner, der Rechtsanwalt ist ja nicht der Gewährsmann seines Mandanten. Also kann der BGH nicht die Überprüfung des Sachverhalts gemeint haben. Es bleibt damit nur die juristische Überprüfung. Dann hinge die Strafbarkeit des Rechtsanwaltes also davon ab, ob er die Rechtslage geprüft hat, letztlich also davon, wie er die Rechtslage beurteilt.
Strafbar macht sich danach letztlich derjenige, der das Bestehen einer Forderung anders einschätzt als die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht. Vom eigentlich zuständigen Zivilgericht: kein Wort.
Das ist ein Fest für alle dreisten Schuldner: Zeigt einfach den Rechtsanwalt eures Gläubigers bei der Staatsanwaltschaft an, und bald wird sich niemand mehr trauen, euch zu verfolgen.
Sie haben den Beschluss aber schon gelesen? (Tipp: Dann müsste man sich nicht gar so empören, weil der BGH die weite Auffassung, die Sie referieren, dort sicher nicht vertritt)
AntwortenLöschen"Bei letztgenannten sind auffallend häufig Rechtsanwälte die Leidtragenden."
AntwortenLöschenHaben Sie irgendeinen Beleg für diese These?
Hey Klasse,
AntwortenLöschenich geh dann schon mal einkaufen :)
Und ich dachte, nur nachgewiesenes vorsätzliches Handeln wäre strafbar, vgl. § 15 StGB.
AntwortenLöschenIch dachte immer, die "Autorität eines Organs der Rechtspflege" ist gar nix wert, nichmals den mageren Lohn der Beratungshilfe, vgl. etwa den beliebten Textbaustein "Die Erforderlichkeit einer Vertretung wird nicht dadurch begründet, dass ein anwaltlicher Schriftsatz beim Gegner größeren Eindruck macht als ein selbstgefertigtes Schreiben" http://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php?63741-Textbaustein-bzgl.-der-Erforderlichkeit-einer-anwaltlichen-Vertretung-gem.-%A7-2-BerHG
AntwortenLöschenEs handelt sich zwar um einen Einzelfall, in dem die Annahme einer versuchten Nötigung aufgrund der konkreten Umstände in Ordnung ist. Gleichwohl ist die Entscheidung etwas unglücklich formuliert, erweckt sie doch den Eindruck, als dürfe man als Anwalt im Zweifel nicht die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht stellen.
AntwortenLöschenWir formulieren das seit jeher sehr vorsichtig, indem wir keine Verknüpfung zwischen Forderung und Strafanzeige herstellen und unserem Mandanten allenfalls empfehlen werden, zusätzlich die Erstattung einer Strafanzeige in Betracht zu ziehen. Unredliche Schuldner beeindruckt das nicht gerade...