Sonntag, 15. Dezember 2013

Boah, ist das langweilig!


Wenn man sich bei Jurablogs die Liste der populärsten Beiträge der letzten sieben Tage anschaut, entdeckt man Erstaunliches: Allesamt Porno. Die 25 (!) meistgelesenen Beiträge behandeln allesamt den hinlänglich bekannten Sachverhalt, den heute sogar die Welt am Sonntag aufgreift. Natürlich ist der Artikel online auch dort der am meisten gelesene. Beeindruckend, zumal ja offiziell kaum einer Pornos guckt.

Das Thema "Abmahnen beim Porno-Streamen" stellt trotzdem alles andere in den Schatten. Auch rechtlich ist das bemerkenswert, denn das Thema ist weder interessant noch besonders relevant. Der Kollege Hoenig aus Berlin hat es als einer der Ersten bemerkt. (Hallo Carsten!) Es geht um vergleichsweise niedrige Beträge, die, wer nicht will, ja nicht zahlen muss. Rechtlich lässt sich die Problematik auf einem Bierdeckel erläutern und man hat noch Platz übrig: Man weiß es nicht.

Die zugrunde liegende Frage wird jetzt der eine so entscheiden und der andere so, am Ende wird vielleicht der Bundesgerichtshof irgendwie entscheiden und ganz am Ende wird der Gesetzgeber entscheiden, ob "Streaming" abmahnfähig ist oder nicht. Und so ist es dann. Wissen kann man das vorher nicht, deshalb kann man sich sämtliche Argumentationen, die man dieser Tage lesen kann, getrost sparen.

Wichtig ist nur eins: Man sollte auf Abmahnungen dieser Menschen aus Regensburg nicht bezahlen. Und aus.


Mittwoch, 11. Dezember 2013

Mahnen und Nötigen


Es gibt Urteile, die sind richtig, und es gibt Urteile, über die kann man sich streiten. Schließlich gibt es aber auch Urteile, die sind schlicht falsch. Bei letztgenannten sind auffallend häufig Rechtsanwälte die Leidtragenden. So ist es auch in einem Urteil des BGH vom 5. September 2013 - 1 StR 162/13.

Das Landgericht Essen hatte einen Rechtsanwalt wegen (versuchter) Nötigung verurteilt. Der Anwalt hatte für einen Mandanten objektiv zumindest fragliche Forderungen geltend gemacht und in seinem Aufforderungsschreiben getan, was Anwälte in Aufforderungsschreiben eben so tun: Er hatte geschrieben, dass er mit der Durchsetzung der Forderungen beauftragt sei und dies auch konsequent tun werde. Außerdem würde er im Falle nicht fristgerechter Zahlung den Sachverhalt der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung eines Betrugsverdachts vorlegen.

Tatsächlich vereinbart war zwischen Anwalt und Mandant, dass man all dies genau nicht tun wollte. Das hat das Landgericht zumindest so festgestellt. Der BGH hält die Aufforderung gleichwohl für Nötigung. Er hat hierzu ausgeführt, dass es jeden Rechtssuchenden gruseln muss:

"Zwar hat der Angeklagte nicht konkret gewusst, dass die von ihm eingetriebenen Forderungen zivilrechtich nicht gerechtfertigt waren. Dennoch hat der Bundesgerichtshof es als mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar und daher verwerflich angesehen, dass juristische Laien durch Behauptungen und Androhungen, die der Angeklagte mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege ausgesprochen hatte, zur Erfüllung der behaupteten, nur scheinbar von diesem geprüften rechtlichen Ansprüche veranlasst werden sollten."

Das lassen wir uns mal auf der Zunge zergehen und analysieren es Stück für Stück. Laut ersten Satz hat der Rechtsanwalt nicht einmal gewusst, ob die Forderungen berechtigt gewesen seien, kurzum: Für die strafrechtliche Beurteilung als Nötigung ist egal, ob eine Forderung berechtigt oder unberechtigt ist. Man kann also eine Nötigung begehen, indem man eine berechtigte Forderung geltend macht. Hier muss jeder säumige Schuldner erfreut aufhorchen.

Im zweiten Satz bemüht der BGH etwas, dass er "Autorität eines Organs der Rechtspflege" nennt; mit dieser Autorität soll man "juristische Laien" nicht ansprechen dürfen, da dies "mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar" sei, zumindest dann, wenn die behaupteten Forderungen "nur scheinbar von diesem geprüft" seien.

Nach dieser bemerkenswerten und so zuvor wohl noch nie auf dem Gebiet der Bundesrepublik vertretenen Auffassung hängt die Strafbarkeit also letztlich davon ab, ob der Rechtsanwalt die von ihm geltend gemachte Forderung zuvor überprüft hat. War da nicht was? Ach ja:

Auf die Richtigkeit der Angaben seines Mandanten darf der Rechtsanwalt grundsätzlich vertrauen, so ausdrücklich z. B. BGH NJW 1996, 2929. Angaben des Mandanten muss der Rechtsanwalt also gerade nicht überprüfen. Wäre ja auch noch schöner, der Rechtsanwalt ist ja nicht der Gewährsmann seines Mandanten. Also kann der BGH nicht die Überprüfung des Sachverhalts gemeint haben. Es bleibt damit nur die juristische Überprüfung. Dann hinge die Strafbarkeit des Rechtsanwaltes also davon ab, ob er die Rechtslage geprüft hat, letztlich also davon, wie er die Rechtslage beurteilt.

Strafbar macht sich danach letztlich derjenige, der das Bestehen einer Forderung anders einschätzt als die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht. Vom eigentlich zuständigen Zivilgericht: kein Wort.

Das ist ein Fest für alle dreisten Schuldner: Zeigt einfach den Rechtsanwalt eures Gläubigers bei der Staatsanwaltschaft an, und bald wird sich niemand mehr trauen, euch zu verfolgen.






Donnerstag, 5. Dezember 2013

Warum ist keine gute Frage


Ich kann mir in meiner Phantasie keinen Elefanten vorstellen, wenn ich nicht vorher einen gesehen oder zumindest von ihm gehört hätte. Klingt einleuchtend, aber die meisten Richter und Staatsanwälte scheinen anderer Meinung zu sein. Man fragt sich, warum.

Vor vierhundert Jahren lebte René Descartes, der als Begründer einer Denkrichtung gilt, die man gemeinhin Rationalismus nennt. Als Rationalist wird jemand bezeichnet, der dem reinen Denken größere Bedeutung beimisst als der Erfahrung. Der Rationalist wäre der Auffassung, dass ich allein aufgrund meines Wissen die Existenz eines Elefanten ableiten könnte und so einen Elefanten konstruieren könnte, ohne jemals von ihm gehört zu haben. Dem hat Aristoteles bereits in der Antike entgegengesetzt, dass nichts im Intellekt sei, das nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre. Konsequent weiter geführt nennt sich diese Gegenrichtung Empirismus. Danach beruht wahre Erkenntnis ausschließlich auf Sinneserfahrung. Wenn Sie mich fragen: Es spricht einiges für den Empirismus.

Staatsanwälte und Richter sind Rationalisten. Sie denken oftmals, dass jeder Mensch sich zu jeder Zeit jeder seiner Handlungen und deren Motive bewusst wäre. Und deshalb fragen sie gerne: Warum? Warum haben sie dies getan, warum haben sie das getan? Oder, noch schlimmer: Warum haben sie nicht dies getan, warum haben sie nicht das getan? Wer das nicht beantworten kann, ist ein Straftäter.

Ein gruseliges Beispiel für dieses recht häufig anzutreffende Verhalten schildert der Kollege Pohlen hier.

Wer kann schon immer sicher sagen, warum er tut, was er gerade  tut? Wer das kann, ist meistens geistig nicht besonders helle. Fragen Sie mal einen Staatsanwalt, warum er heute gerade diesen Anzug anhat und keinen anderen. Die meisten Menschen machen sich nicht einmal klar, dass sie die Beantwortung einer solch einfachen Frage grundsätzlich völlig unterschiedlich angehen können:

 Organisatorisch: "Den Anzug habe ich an, weil meine Frau ihn mir heute morgen rausgelegt hat und ich jeden Tag anziehe, was meine Frau mir rauslegt."

Der Sachzwang: "Den Anzug habe ich an, weil alle anderen Anzüge gerade in der Wäsche sind und mir mein Dienstherr gebietet, jeden Tag einen Anzug anzuhaben."

Serendipistisch: "Den Anzug habe ich an, weil er im Kleiderschrank gerade ganz vorne hing."

Merken Sie was fehlt? Es fehlt die eigene selbstbestimmt motivierte Entscheidung, die Richter und Staatsanwälte regelmäßig erwarten. Es fehlt die Antwort: "Den Anzug habe ich an, weil ich heute morgen das untrügliche Gefühl hatte, dass ich mich an diesem Tag nur in einem mintgrünen Einreiher mit weißem Hemd und pastellgelber Krawatte als ich selbst fühlen werde."

Über eine solche Antwort würde ein Staatsanwalt wahrscheinlich lachen. Aber genau nach ihr fragt er. Rationalisten sind seltsame Menschen.






Mittwoch, 4. Dezember 2013

Guter Anwalt - schlechter Anwalt


Wir leben in einer Zeit, in der Transparenz - trotz NSA-Skandal - als etwas Positives betrachtet wird. Man muss alles sehen können. Aber mehr noch: Die Volksseele schreit offenbar danach, es auch zu bewerten. Das ist offenbar eine Reminiszenz an die verklärte Schulzeit. Alles kann bewertet werden: Lehrer, Restaurants, Fliesenleger, Hotels - oder Rechtsanwälte.

Das alles hat nur einen Haken: Es ist mitunter schädlich, manchmal sogar kriminell, extrem häufig aber zumindest völlig sinnlos. Denn selbst wenn wir alle offensichtlichen Lügen und Diffamierungen außer acht lassen, stellt sich immer noch die Frage nach dem Nutzen.

Der ist schon bei simplen Dienstleistungen wie der Gastronomie fraglich. Immerhin: Was mir geschmeckt hat, kann ich einigermaßen beurteilen. Aber das kann schon mein Nachbar ganz anders sehen, Geschmackssache eben. Ob die Kartoffeln im Lokal A objektiv versalzen waren oder ob der Bewerter das nur subjektiv so empfunden hat, kann ich eigentlich erst wissen, wenn ich den Bewerter und seinen Geschmack persönlich kenne, und das ist praktisch nie der Fall. Sonst könnte ich ihn ja fragen und bräuchte das blöde Bewertungsportal nicht.

Richtig schlimm werden Bewertungen aber erst, wenn der Bewerter etwas bewertet, das er gar nicht beurteilen kann. "Der Arzt ist schlecht, die Wunde hat nach der OP noch tagelang weh getan." Über solchen geistigen Durchfall kann der Operateur nur stöhnen, der den wehleidigen Patienten möglicherweise vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Jetzt bekommt er noch einen Fußtritt hinterher, weil der Patient leider zu blöd ist, die Situation richtig einzuschätzen.

In diese Kategorie fallen alle Spezialisten, deren Beruf einen eher theoretischen Unterbau hat, insbesondere aber Rechtsanwälte. Deren Leistung können zumeinst nicht einmal erfahrene Kollegen richtig einschätzen und unterlassen es daher in der Regel. Der durchschnittliche Bewerter hat da weniger Skrupel und bewertet lustig drauf los.

Schlechter Anwalt: hat tagelang nicht zurückgerufen, Kanzlei hatte keinen eigenen Parkplatz, hatte einen seltsamen Anzug an, war anderer Meinung als ich, wollte meine mitgebrachte Lösung nicht akzeptieren. Da gehe ich nicht wieder hin.

Guter Anwalt: fuhr großes Auto, das ich auch gerne hätte, hatte eine schöne Palme im Wartezimmer und war höflich und zuvorkommend, hat mir mehrmals bestätigt, dass die anderen alles Schweine sind und ich natürlich völlig im Recht bin.

Dafür, dass wir den Rechtsstreit verloren haben, konnte der gute Anwalt nichts. Der Richter war ein Kretin, wahrscheinlich ein Linker. Die Gegenseite waren lauter Betrüger. Aber denen hat der gute Anwalt es gegeben!

Mit der Beleidigungsklage, die ich jetzt am Hals habe, gehe ich natürlich wieder zu dem guten Anwalt. Der macht das schon.









Montag, 2. Dezember 2013

Der Verfassungsrechtler rotiert


Zur journalistischen Minusleistung von Marietta Slomka im "Gespräch" mit Sigmar Gabriel habe ich ja hier schon etwas geschrieben und nehme erfreut zur Kenntnis, dass sogar noch jemand meiner Ansicht ist. Es ist allerdings wirklich merkwürdig, dass fehlende Qualität von einigen nicht nur nicht bemerkt wird, sondern auch noch für ihr Gegenteil gehalten wird.

Aber was ist jetzt eigentlich mit den angeblichen verfassungsrechtlichen Einwänden? Worin die begründet sein sollen, habe ich gelesen, aber nicht nachvollziehen können. Ganz offenbar verwechseln hier einige Zeitgenossen auch die freie Meinungsbildung mit ihrem Gegenteil, und wollen den Parlamentariern vorschreiben, wie sie zu ihrer Meinung zu kommen haben. Nichts anderes ist es nämlich, wenn man das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 38 GG resultierende freie Mandat dadurch einschränkt, dass es sich nicht an seiner Basis soll rückversichern dürfen. Klingt kompliziert? Ist es aber gar nicht.

Jeder Bundestagsabgeordnete ist an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, sondern nur seinem Gewissen verpflichtet. Wie der Bundestagsabgeordnete zu seiner Meinung kommt, ist daher völlig seine Sache. Ob er sich von Lobbyisten überzeugen lässt (kommt häufig vor), oder seine Wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Bibliothek schickt (kommt vielleicht nicht ganz so häufig vor), ist ganz ihm überlassen. Wenn er wollte, könnte er auch aus den Eingeweiden toter Tiere lesen, ob er dem nächsten Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimmt oder nicht. Er ist dabei nur seinem Gewissen verpflichtet. So steht es in Artikel 38 des Grundgesetzes.

Die SPD möchte jetzt ihre Mitglieder befragen, ob es hinter einer Großen Koalition steht. Grund dafür gibt es genug, denn viel Großes haben Große Koalitionen bisher noch nicht erreicht, weder hier noch anderswo. Das ist keine Weisung, wie der eine oder andere Staatsrechtler wohl tatsächlich meint, sondern das ist Meinungsbildung. Vielleicht sogar die Idealform der Meinungsbildung.

Das soll gegen die Verfassung verstoßen? Da haben sich einige Verfassungsrechtler wohl ein paar Mal zu oft um sich selbst gedreht.