Freitag, 2. November 2012
Von den Schweinen gefressen
Unter der Rubrik "Mord und Totschlag" wurde gestern hier berichtet, im Landgerichtsbezirk Aachen habe ein halbes Dorf einen Mord verschleiert. Aber es geht auch anders herum. Wirklich lesenswert dazu der Bericht der Kollegin Regina Rick in der aktuellen StraFo, S. 400 ff.
In Ingolstadt hat in den ersten zehn Jahren dieses Jahrzehnts offenbar ein ganzes Dorf einen Mord erfunden - und damit bis zum Bundesgerichtshof Erfolg gehabt. Es geht um den Fall des Landwirtes Rudolf Rupp, über den auch schon z. B. in der Printausgabe des "Spiegel" (Nr. 22/11) berichtet wurde.
Der insolvente und schwer kranke Mann war im Jahre 2001 einfach verschwunden. In seinem idyllischen bayrischen Heimatdorf kamen bald darauf Gerüchte auf, die eigene Familie - Ehefrau, zwei Töchter und ein Schwiegersohn in spe - hätten ihn umgebracht, die Leiche zerstückelt und die Leichenteile an die Hunde verfüttert. Später tauchen in diesem Zusammenhang auch noch Schweine auf. Alles frei erfunden, wie man heute weiß, die Leiche tauchte Jahre später unversehrt wieder auf. Der tote Landwirt wurde im Jahre 2009, noch in seinem Auto sitzend, aus der Donau-Staustufe geborgen.
Aber Gerüchte sind hartnäckig. Ermittlungsbehörden auch. Die seinerzeit ermittelnde Polizei vernahm die vier Familienmitglieder - allesamt mit einem IQ im Debilitätsbereich - einfach so lange, bis jeder für sich irgendeine erfundene Geschichte präsentierte, wie man das Familienoberhaupt beseitigt habe. Die passten zwar alle nicht zusammen, alles war unter Druck erlogen; aber Hauptsache, man hatte jemanden gefunden, den man bestrafen konnte. Flugs beigeordnete Pflichtverteidiger saßen bei den Vernehmungen offenbar schweigend daneben; von einem heißt es, dass er während der laufenden Vernehmung seines Mandanten auch schon mal mehrere Stunden den Raum verließ, um seinen Geschäften nachzugehen. Das ist sicherlich auch kein Ruhmesblatt der Zunft. Alle Beschuldigten wurden so lange malträtiert, bis jeder für sich ein falsches Geständnis abgelegt hatte.
Die so aufbereitete Gülle wurde in der mündlichen Hauptverhandlung vom Landgericht Ingolstadt bereitwillig festgestellt und die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Totschlags zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Entlastende Beweismittel, wie Tagebuchaufzeichnungen der Töchter, in denen diese ihren verschollenen Vater herbeisehnten, wurden in Beiakten versteckt und gar nicht erst in die Verhandlung eingeführt. Belastende Beweise gab es - außer den falschen Geständnissen - keine, insbesondere die Leichenteile hatten ja alle die Hunde gefressen. Oder die Schweine, so genau ließ sich das nicht mehr feststellen. Aber immerhin fantasierte das Landgericht Ingolstadt in seine Urteilsbegründung noch hinein, dass möglicherweise ein Fall indirekten Kannibalismus' vorliege, weil ja die Schweine anschließend von Menschen gegessen worden seien.
Auch das Auftauchen der Leiche hinderte Polizei, Staatsanwaltschaft und Landgericht nicht daran, den selbst zusammen gebrauten Kokolores gegen Wiederaufnahmeanträge weiterhin zu verteidigen. Erst das Oberlandesgericht hat dem Treiben dann schließlich ein Ende bereitet und die Wiederaufnahme zugelassen.
Details entnehmen Sie bitte dem oben zitierten Aufsatz der Kollegin Rick. Ihr Bericht ist wirklich sehr schön zu lesen. Ein Lehrstück, wie Justiz zu einer bösartigen Karikatur ihrer selbst verkommt, wenn man sie lässt.
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