Donnerstag, 25. Oktober 2012

Möge die Vollmacht mit Dir sein


Mal wieder Post von der Staatsanwaltschaft. Es geht um ein Verfahren wegen angeblicher Beleidigung eines Polizeibeamten. Immer eine spannende Sache. Gegen das Urteil des Amtsgerichts haben wir Revision eingelegt, weil die rechtliche Würdigung im Urteil einfach zu schön war, um das nicht zu tun.

Die Staatsanwaltschaft schreibt:
"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,
hiermit werden Sie an die Erledigung unseres Schreibens vom 28.09.2012 erinnert und erneut gebeten, eine Vollmacht zur Akte zu reichen, damit das Revisionsverfahren fortgeführt werden kann."

Da habe ich den unterzeichnenden Amtsinspektor mal angerufen und gefragt,

  1. welche Rechtsgrundlage diese Anforderung habe und 
  2. was denn wohl passiere, wenn ich keine "Vollmacht" vorlegen würde.

Und die Antwort jetzt alle im Chor:

zu 1.: Das mache ich schon immer so. Das habe ich so gelernt. Da gibt es eine Anweisung der Behördenleitung.

zu 2.: Das weiß ich nicht. Dafür bin ich nicht zuständig.

Mehr weiß ich nicht. Ich bin hier auch mehr so zufällig reingeraten. Mein eigentlicher Job ist, hier die Büroklammern gerade zu biegen.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Der doppelte Angeklagte, der nicht erschienen war


Gestern muss ein toller Tag gewesen sein vor dem Landgericht Hamburg. Angeklagt war Karl-Heinz Schwensen, aber lesen Sie am besten selbst hier.

Der Angeklagte soll ohne Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug geführt haben und soll dabei gesehen worden sein. Das ist der Nachteil, wenn man ein markantes und bekanntes Gesicht hat und eigentlich nur mit Marken-Sonnenbrille unterwegs ist.

Der Angeklagte bestreitet, derjenige hinter dem Steuer gewesen zu sein. Sein Verteidiger hat sich deshalb für die Berufungsverhandlung etwas Besonderes einfallen lassen. Offenbar gab es auf einmal zwei   Kalles: einen der so aussah, aber es (wohl) nicht war, und einen der es (wohl) war, aber nicht so aussah. Zwar ist das menschliche Auge eben unbestechlich, sein Gehirn dafür aber umso täuschungsanfälliger.

Das wollte die Verteidigung mit der Aktion unter Beweis stellen und beharrte darauf, dass der Kalle, der nicht wie Kalle aussah, der richtige Kalle sei. Sogar anwaltlich versichert hat der Verteidiger, dass es sich tatsächlich um seinen Mandanten handele. Der falsche Kalle hatte derweil den Saal verlassen. Schwarze Löckchen, dunkler Teint und eine Sonnenbrille machen eben manchen zum Kalle, der gar keiner ist. Und umgekehrt.

Was aber machte das Gericht? Es verwarf die Berufung mit der Begründung, der Angeklagte wäre nicht erschienen. Das ist starker Tobak angesichts einer anwesenden Person, von der ein stadtbekannter Verteidiger anwaltlich versichert, er sei der Angeklagte. Und Fragen drängen sich auf:

Wenn dieser Kalle nicht echt war, war dann der erstinstanzlich verurteilte Kalle vielleicht auch nicht echt? Hat das jemand überprüft? Ich schätzte mal nicht. Den erstinstanzlichen Kalle hat man wahrscheinlich ohne Identitätsprüfung abgeurteilt.

Wenn das mal gut geht.

Montag, 22. Oktober 2012

NEU! Das einseitig verpflichtende Dauerschuldverhältnis*


Das Amtsgericht Hamburg hat geurteilt: Es hat gesiegt die Meinungsfreiheit über die Zensur (voll demokratisch), die Toleranz gegen die Intoleranz (ein Segen!) und - man höre und staune - die Zukunft (immer gut) über den Status Quo (nicht die Band, sondern der Zustand).  Das Urteil wurde ja schon mannigfaltig übermittelt und kommentiert.

Ein Gesichtspunkt wurde aber bisher sträflich vernachlässigt, und den möchte ich hier aufgreifen: Das Gericht hat - so ganz nebenher - eine völlig neue Rechtskonstruktion geschaffen. Jeder kann es im - rechtskräftigen - Urteil nachlesen: Wer ein Forum im Internet führt, der schließt mit den Teilnehmern des Forums einen unkündbaren Vertrag.

Das verwundert schon deshalb, weil "Teilnehmer" ein Terminus ist, den man in Verbindung mit einem Vertrag kaum jemals erwartet hätte. Die wahrlich erstaunliche Erkenntnis aber ist, dass das Gericht hier von einer Rechtsfigur ausgeht, die man im BGB vergeblich suchen wird, nämlich dem einseitig verpflichtenden  Dauerschuldverhältnis*. Ein Kracher!

In der realen Welt könnte diese Urteil folgendes bedeuten: Wenn sie morgens ihren Müll rausstellen, und ein Landstreicher kommt und nimmt ihn mit, dann erwirbt der Landstreicher gegen Sie einen Anspruch darauf, dass sie jede Woche wieder Müll rausstellen, den er mitnehmen kann, ganz ohne jede Verpflichtung seinerseits.

Aber das ist noch nicht alles: Nach der krausen Rechtsansicht des Amtsgerichts Hamburg soll man dieses Dauerschuldverhältnis noch nicht einmal kündigen können. Jedes sonstige Dauerschuldverhältnis kann man ohne wichtigen Grund kündigen - sogar die synallagmatisch verpflichtenden - dieses hier nicht.

Auf das oben ersonnene Beispiel bezogen hieße dass, sie könnten sich ihrer frisch begründeten Verpflichtung, den Landstreicher mit Müll zu beliefern, noch nicht einmal durch Rechtsakt entziehen. Und begründet wurde diese einseitige Verpflichtung ganz ohne ihren Willen! Mehr noch: Wenn der Landstreicher jetzt auch noch anfinge Ihnen vorzuschreiben, welchen Müll Sie auf die Straße zu stellen hätten, dann wäre noch nicht einmal das ein wichtiger Grund, das Dauerschuldverhältnis zu kündigen.

Kurzum: Im unkündbaren einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis Hamburger Rechts hätten Sie sozusagen die never-ending Arschkarte gezogen.

Dieser Amtsrichter des Amtsgerichts Hamburg muss ein wirklich genialer Jurist sein, dass der so etwas herausfindet und sogleich anwendet, ganz ohne Gesetz oder so. Hier wohnt das Recht noch wirklich im Volke.

*Nachtrag für Schlauberger:
Früher stand an dieser Stelle "nicht synallagmatisches Dauerschuldverhältnis". Bis mich ein Gast darauf hinwies, dass das BGB sehr wohl ein nicht synallagmatisches Dauerschuldverhaltnis kenne, nämlich die Leihe. Soweit hat der Gast Recht. Es gibt sogar noch ein weiteres nicht-synallagmatisches Dauerschuldverhältnis: den Auftrag. Um es euphemistisch auszudrücken: Der Begriff war unglücklich gewählt von mir. Ich habe ihn daher ersetzt.

Denn nicht auf das Synallagma kam es mir an, sondern auf zwei andere Dinge: Zum einen auf die einseitige Verpflichtung ohne eigene Verpflichtung des Gläubigers (der Hauptleistung), zum anderen auf die Behauptung der Unkündbarkeit. Wenn auch Leihe und Auftrag keine synallagmatischen Pflichten kennen, so hat der Gläubiger der Hauptleistung sehr wohl gesetzlich normierte vertragliche Verpflichtungen (s. § 601 bzw. § 670 BGB). Das zeigt übrigens auch, wie wenig diese Rechtsfiguren auf den vorliegenden Fall passen. Eins allerdings kann man in jedem Dauerschuldverhältnis: kündigen, und zwar sogar ganz ohne Grund.

Zweifelhaft ist aber bereits die Annahme des Gerichts, es handele sich überhaupt um einen Vertrag. Hier gebe ich dem Kollegen van de Velde uneingeschränkt Recht. Wobei ich weniger zum Gefälligkeitsverhältnis tendiere als vielmehr zur Gesellschaft oder zum Verein, wobei beide Figuren nicht vollständig passen.

Eins wird aber dadurch klar: Über all diese Fragen können Rechtsanwälte viel diskutieren, der Richter MUSS darüber diskutieren. Was er nicht getan hat.

Alles umsonst


Neulich - ich wollte gerade meine Honorarvereinbarung aus der Schublade ziehen - da fragte mich ein Mandant: "Herr Anwalt, Warum bieten Sie eigentlich nicht auch kostenlosen Rechtsrat an, so wie dieser andere Anwalt?"

Ich war überrascht und guckte betreten auf meine Schuhe. "Rechtsrat gratis - das ist das neueste Ding", fuhr der Mandant fort, "wollen Sie nicht auch dabei sein, beim Sieg der Toleranz über die Intoleranz, beim Sieg der Zukunft über den Status quo?" Ich zögerte. Vielleicht hatte er recht. War ich nicht auf dem Weg zu Büro schon wieder an einem dieser Gratis-Baumärkte vorbeigefahren, die neuerdings wie Pilze überall aus dem Boden schossen? Überhaupt war es in letzter Zeit schwierig gewesen, mein üppig aus dem Portemonnaie quellendes Papiergeld loszuwerden. Ständig bekam man alles umsonst.

An die vielen Gratis-Tankstellen hatte ich mich offenbar gewöhnt, ohne mir etwas dabei zu denken, ich fahre ja kaum Auto. Aber dass man in vielen Supermärkten nicht mehr bezahlen muss, hatte mich schon manchmal etwas irritiert. Ich habe noch immer ein ungutes Gefühl, wenn ich mit meiner Ware die verwaisten Kassenbereiche passiere, ohne zahlen zu müssen. Wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass ich noch nicht so weit bin wie der erwähnte Kollege.

Aber es stimmt: Miete ist auch schon seit längerem nicht mehr abgebucht worden, seit mein Vermieter dem Zeitgeist folgend auf Gratis-Vermieter umgesattelt hat. So sinnierend begab ich mich auf den Heimweg. An der Ecke konnte ich mit Müh und Not einen Juwelier abwehren, der mir schon wieder einen Goldbarren aufdrängen wollte. Das war in letzter Zeit fast zur Plage geworden, da hatte der Mandant schon ganz recht.

Vor dem Ferrari-Händler sah ich einen dicken Mann mit Minipli und Goldkettchen, der den Mitarbeiter anschnauzte, er solle ihm nicht schon wieder umsonst ein Fahrzeug anbieten. Er wolle gefälligst möglichst viel Geld für das neueste Modell ausgeben, sonst mache das doch gar keinen Spaß! "Ein ewig Gestriger", dachte ich, und "armer Hund".

Vor meiner Haustür lag ein älterer Mann mit einem maßgeschneiderten Anzug, der in großen Zügen aus einer Flasche Cognac trank. Ich sprach ihn an, denn er sah nicht gut aus. "Alles umsonst" jammerte der Mann, der sich als Professor der Wirtschaftswissenschaften vorstellte. "Dieser Anwalt hat fünfhundert Jahre ökonomischer Theorie widerlegt! Alle meine Freund haben ihre Nobelpreise zurück gegeben!" Er nahm seufzend einen weiteren Schluck aus seiner Cognac-Flasche.

Ich habe mich einfach dazu gesetzt.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Repressive Toleranz


Als ich am Sonntag Jörg Kachelmann bei "Günther Jauch" gesehen habe, fiel mir ein schöner Ausdruck wieder ein. Der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse hat ihn einst in den sechziger Jahren geprägt und die Studentenbewegung hat ihn übernommen. Aktuell ist er etwas aus der Mode gekommen, zu Unrecht, wie ich finde. Der Begriff lautet "Repressive Toleranz"

Repressive Toleranz bezeichnet eine Einstellung, die nicht zwischen richtig und falsch unterscheidet, sondern einfach alles geschehen lässt. Repressive Toleranz unterdrückt nicht aktiv, wohl aber passiv - indem sie Unrecht im Namen falsch verstandener Weltoffenheit geschehen lässt, und sich auch noch gut fühlt dabei; eine vorsätzliche Täterschaft durch Unterlassen sozusagen.

Was das mit Günther Jauch zu tun hat, kann man schön bei Stefan Niggemeier nachlesen. Denn in der angesprochenen Sendung war einer sachlich und im Recht, während andere unsachlich und im Unrecht waren. Dies unkommentiert und unmoderiert stehen zu lassen, heißt, dem Recht und der Vernunft in den Rücken zu fallen.  Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Jörg Kachelmann - der rechtskräftig zu Unrecht Verfolgte - sich der Diskussion konstruktiv und ruhig stellte, während andere schimpften, logen oder einfach nur Unfug erzählten.

Mittendrin nahm Günther Jauch die Bezeichnung "Moderator" allzu wörtlich und beschwichtigte, wo man sich hätte aufregen müssen. Er bohrte investigativ nach, wo die Sachlage klar war und übergab ansonsten die Verhandlungsleitung ohne Gegenwehr an einen Krawallmacher. Im Nachhinein haben wir erfahren, dass der ARD dies offenbar nicht etwa versehentlich passiert ist, sondern hinter der Indifferenz ihres Stars Methode zu stecken scheint. Der Chefredakteur ließ verlauten, dass man die "redaktionelle Linie für richtig" erachte.

Auch das sollte man zur Abwechslung mal wieder repressive Toleranz nennen.