Das Amtsgericht Hamburg hat geurteilt: Es hat gesiegt die
Meinungsfreiheit über die Zensur (voll demokratisch), die Toleranz gegen die Intoleranz (ein Segen!) und - man höre und staune - die Zukunft (immer gut) über den Status Quo (nicht die
Band, sondern der Zustand). Das Urteil wurde ja schon mannigfaltig
übermittelt und kommentiert.
Ein Gesichtspunkt wurde aber bisher sträflich vernachlässigt, und den möchte ich hier aufgreifen: Das Gericht hat - so ganz nebenher - eine völlig neue Rechtskonstruktion geschaffen. Jeder kann es im - rechtskräftigen - Urteil nachlesen: Wer ein Forum im Internet führt, der schließt mit den Teilnehmern des Forums einen unkündbaren Vertrag.
Das verwundert schon deshalb, weil "
Teilnehmer" ein Terminus ist, den man in Verbindung mit einem Vertrag kaum jemals erwartet hätte. Die wahrlich erstaunliche Erkenntnis aber ist, dass das Gericht hier von einer Rechtsfigur ausgeht, die man im BGB vergeblich suchen wird, nämlich dem einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis*. Ein Kracher!
In der realen Welt könnte diese Urteil folgendes bedeuten: Wenn sie morgens ihren Müll rausstellen, und ein Landstreicher kommt und nimmt ihn mit, dann erwirbt der Landstreicher gegen Sie einen Anspruch darauf, dass sie jede Woche wieder Müll rausstellen, den er mitnehmen kann, ganz ohne jede Verpflichtung seinerseits.
Aber das ist noch nicht alles: Nach der krausen Rechtsansicht des Amtsgerichts Hamburg soll man dieses Dauerschuldverhältnis noch nicht einmal kündigen können. Jedes sonstige Dauerschuldverhältnis kann man ohne wichtigen Grund kündigen - sogar die synallagmatisch verpflichtenden - dieses hier nicht.
Auf das oben ersonnene Beispiel bezogen hieße dass, sie könnten sich ihrer frisch begründeten Verpflichtung, den Landstreicher mit Müll zu beliefern, noch nicht einmal durch Rechtsakt entziehen. Und begründet wurde diese einseitige Verpflichtung ganz ohne ihren Willen! Mehr noch: Wenn der Landstreicher jetzt auch noch anfinge Ihnen vorzuschreiben, welchen Müll Sie auf die Straße zu stellen hätten, dann wäre noch nicht einmal das ein wichtiger Grund, das Dauerschuldverhältnis zu kündigen.
Kurzum: Im unkündbaren einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis Hamburger Rechts hätten Sie sozusagen die never-ending Arschkarte gezogen.
Dieser Amtsrichter des Amtsgerichts Hamburg muss ein wirklich genialer Jurist sein, dass der so etwas herausfindet und sogleich anwendet, ganz ohne Gesetz oder so. Hier wohnt das Recht noch wirklich im Volke.
*Nachtrag für Schlauberger:
Früher stand an dieser Stelle "nicht synallagmatisches Dauerschuldverhältnis". Bis mich ein Gast darauf hinwies, dass das BGB sehr wohl ein nicht synallagmatisches Dauerschuldverhaltnis kenne, nämlich die Leihe. Soweit hat der Gast Recht. Es gibt sogar noch ein weiteres nicht-synallagmatisches Dauerschuldverhältnis: den Auftrag. Um es euphemistisch auszudrücken: Der Begriff war unglücklich gewählt von mir. Ich habe ihn daher ersetzt.
Denn nicht auf das Synallagma kam es mir an, sondern auf zwei andere Dinge: Zum einen auf die einseitige Verpflichtung ohne eigene Verpflichtung des Gläubigers (der Hauptleistung), zum anderen auf die Behauptung der Unkündbarkeit. Wenn auch Leihe und Auftrag keine synallagmatischen Pflichten kennen, so hat der Gläubiger der Hauptleistung sehr wohl gesetzlich normierte vertragliche Verpflichtungen (s. § 601 bzw. § 670 BGB). Das zeigt übrigens auch, wie wenig diese Rechtsfiguren auf den vorliegenden Fall passen. Eins allerdings kann man in jedem Dauerschuldverhältnis: kündigen, und zwar sogar ganz ohne Grund.
Zweifelhaft ist aber bereits die Annahme des Gerichts, es handele sich überhaupt um einen Vertrag. Hier gebe ich dem Kollegen van de Velde uneingeschränkt Recht. Wobei ich weniger zum Gefälligkeitsverhältnis tendiere als vielmehr zur Gesellschaft oder zum Verein, wobei beide Figuren nicht vollständig passen.
Eins wird aber dadurch klar: Über all diese Fragen können Rechtsanwälte viel diskutieren, der Richter MUSS darüber diskutieren. Was er nicht getan hat.