Montag, 22. Oktober 2012

Alles umsonst


Neulich - ich wollte gerade meine Honorarvereinbarung aus der Schublade ziehen - da fragte mich ein Mandant: "Herr Anwalt, Warum bieten Sie eigentlich nicht auch kostenlosen Rechtsrat an, so wie dieser andere Anwalt?"

Ich war überrascht und guckte betreten auf meine Schuhe. "Rechtsrat gratis - das ist das neueste Ding", fuhr der Mandant fort, "wollen Sie nicht auch dabei sein, beim Sieg der Toleranz über die Intoleranz, beim Sieg der Zukunft über den Status quo?" Ich zögerte. Vielleicht hatte er recht. War ich nicht auf dem Weg zu Büro schon wieder an einem dieser Gratis-Baumärkte vorbeigefahren, die neuerdings wie Pilze überall aus dem Boden schossen? Überhaupt war es in letzter Zeit schwierig gewesen, mein üppig aus dem Portemonnaie quellendes Papiergeld loszuwerden. Ständig bekam man alles umsonst.

An die vielen Gratis-Tankstellen hatte ich mich offenbar gewöhnt, ohne mir etwas dabei zu denken, ich fahre ja kaum Auto. Aber dass man in vielen Supermärkten nicht mehr bezahlen muss, hatte mich schon manchmal etwas irritiert. Ich habe noch immer ein ungutes Gefühl, wenn ich mit meiner Ware die verwaisten Kassenbereiche passiere, ohne zahlen zu müssen. Wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass ich noch nicht so weit bin wie der erwähnte Kollege.

Aber es stimmt: Miete ist auch schon seit längerem nicht mehr abgebucht worden, seit mein Vermieter dem Zeitgeist folgend auf Gratis-Vermieter umgesattelt hat. So sinnierend begab ich mich auf den Heimweg. An der Ecke konnte ich mit Müh und Not einen Juwelier abwehren, der mir schon wieder einen Goldbarren aufdrängen wollte. Das war in letzter Zeit fast zur Plage geworden, da hatte der Mandant schon ganz recht.

Vor dem Ferrari-Händler sah ich einen dicken Mann mit Minipli und Goldkettchen, der den Mitarbeiter anschnauzte, er solle ihm nicht schon wieder umsonst ein Fahrzeug anbieten. Er wolle gefälligst möglichst viel Geld für das neueste Modell ausgeben, sonst mache das doch gar keinen Spaß! "Ein ewig Gestriger", dachte ich, und "armer Hund".

Vor meiner Haustür lag ein älterer Mann mit einem maßgeschneiderten Anzug, der in großen Zügen aus einer Flasche Cognac trank. Ich sprach ihn an, denn er sah nicht gut aus. "Alles umsonst" jammerte der Mann, der sich als Professor der Wirtschaftswissenschaften vorstellte. "Dieser Anwalt hat fünfhundert Jahre ökonomischer Theorie widerlegt! Alle meine Freund haben ihre Nobelpreise zurück gegeben!" Er nahm seufzend einen weiteren Schluck aus seiner Cognac-Flasche.

Ich habe mich einfach dazu gesetzt.

7 Kommentare:

  1. Gib doch dem Mandanten noch etwas dazu, vielleicht eine Rolle Tesa-Film oder eine Packung Kondome - so einfach "umsonst", das machen doch schon alle.

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  2. Am sinnvollsten wäre ein Gratis-Tritt in den Allerwertesten...

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  3. @Werner Siebers: Sie sind ja vielleicht geizig. Das heißt "schön, dass ich für Sie tätig sein darf." Und dann rücken Sie mal nicht nur so´n Luftballon raus. Sie sind ja nicht Burgerbrater, oder?

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  4. Drauf & Dreingabe, das Gebot der Zeit, statt "Geiz ist geil!"

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  5. Ich habe sogar schon einen Leopardenmantel umsonst bekommen !

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  6. Kenne ich nur zu gut aus eigener Erfahrung - witziger Artikel und mir aus der Seele gesprochen!

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  7. Am letzten Heiligen Abend gab ich auf dem Weg in die 17-h-Christmette dem Bettler 2 Euro in seinen Hut. Er fragte mich, warum ich nicht 20 gab.

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