Mittwoch, 19. Oktober 2011

Der Triebtäter im Gebüsch...

... ist die Ausnahme, nicht die Regel. Sagt der kriminologisch allgegenwärtige Professor Pfeiffer in einer Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland, die Professor Pfeiffer und die Bundesforschungsministerin Schavan jüngst vorgestellt haben. Ein Bericht findet sich hier.

Das Ergebnis der Studie, bei der immerhin 11.428 Personen befragt wurden, entspricht in etwa dem, was man als Strafverteidiger so im Berufsalltag mitbekommt. Missbrauchsfälle gehen zurück; Täter sind in der Regel eher Bekannte oder Verwandte als der titelgebende Mann aus dem Gebüsch. Insbesondere die Auffassung, was Missbrauch ist und was nicht, dürfte sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert haben.

Das alles ist - zumal aus dem Hause Pfeiffer - wenig überraschend, wäre da nicht die Stellungnahme des "Chefs" des "Netzwerkes Betroffener sexualisierter Gewalt". Der meint, viele Opfer hätten "ihr Leid verdrängt" und könnten daher über Missbrauchsfälle keine Auskunft geben.

Da ist es wieder, das Märchen von der Verdrängung infolge posttraumatischer Belastungsstörung, bei dessen Erwähnung die erfahrenen Strafverteidiger mittlerweile in die Tischplatte beißen dürften. Verdrängung ist ein Begriff aus der Physik und bezeichnet das Verhalten fester Gegenständen in Flüssigkeit, auch Archimedisches Prinzip genannt. Siegmund Freud hat diesen Begriff entliehen und damit seine Theorie bezeichnet, wonach durch psychische Prozesse angeblich der Zugang zu eigenen Erinnerungen verhindert werden könnte.

Nur fehlt für diese Theorie bisher jeder Beweis, mehr noch: Tausende von Studien haben diese Theorie seither widerlegt. Sie kann damit wissenschaftlich erwiesenermaßen als falsch angesehen werden. Bewiesen ist vielmehr das Gegenteil: Traumatische Erlebnisse werden vom Gedächtnis ganz besonders gut gespeichert, was bei den Betroffenen häufig zu Schlafstörungen führt.

Aber auch diese selbst in der seriösen Wissenschaft selten einhellige Auffassung hindert einige Menschen offenbar nicht, weiter den Unsinn von der Verdrängung zu verbreiten, auf dass es in der Öffentlichkeit weiter Schaden anrichte.

Man mag sich fragen, was solche Menschen eigentlich reitet.

7 Kommentare:

  1. ganz davon abgesehen, dass er damit den Rückgang der Delikte nichtmals in Frage stellen kann. Denn selbst wenn "viele" Opfer die Erinnerung verdrängen, dann muss davon ausgegangen werden, dass sich der Anteil dieser Opfer nicht geändert hat. Die Abnahmequote ist daher konstant geblieben.

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  2. wer so etwas behauptet hat anscheinend was zu verdrängen... ;-)

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  3. Ein typischer Nebgen: Unsinn, aber dafür mit Getöse.

    In der Tat, es ist schwierig, die "Verdrängung" traumatischer Belastungen nach üblichen Standards zu beweisen - es gibt gewisse ethische Probleme, eine hinreichend große Zahl von erwiesenermaßen gesunden Probanden massiven Traumata auszusetzen, um hinterher zu schauen, wie sie reagieren.

    Es spricht auch viel dafür, dass die Reaktion auf schwere Traumata in der Regel durch zahlreiche Faktoren determiniert wird, die sich dem empirischen Nachweis teils entziehen.

    Generell ist die Annahme, dass es im Ergebnis so etwas wie Verdrängung gibt, aber wieder auf dem Vormarsch (teils unter verwandten Labels wie "dissoziative Störung").

    Bis das auch bei deutschen Vulgärpsychologen wie Herrn Nebgen (sinngemäß: "weil sich die meisten Menschen an traumatische Ereignisse besonders gut erinnern, ist es vollständig ausgeschlossen, dass es Menschen gibt, bei denen bestimmte Traumata genau gegenteilig wirken") angekommen ist, mag es aber noch etwas dauern.

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  4. Interessanter Artikel. Sie schreiben von Studien, die die Existenz solcher Verdrängungsphänomene widerlegt. Würde mich interessieren, die zu lesen - können Sie Quellen nennen?

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  5. "Ein typischer Nebgen: Unsinn, aber dafür mit Getöse."

    Wohl wahr.
    Diese Verdrängung gibt es übrigens nicht nur auf Opfer- sondern auch auf der Tätereseite

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  6. @Anonym 20.10.:
    Stimmt. Erstaunlich ist beispielsweise immer wieder,wie Angeklagte angeblich an alles (Trinkmenge und Drogenkonsum vor der Tat) eine präzise Erinnerung haben,aber nicht an das Tatgeschehen.
    Aus psychiatrischer Sicht ist zudem ein Affekt (und das ist nicht die vulgärpsychologisch gerne als "Affekttat" bezeichnete spontane Tat), bei dem ein Täter z.B. ein Tötungdelikt begeht, durch eine komplette Erinnerungslücke an das Tatgeschehen gekennzeichnet.

    Wenn es dem Mandanten nützt, weil § 20 also: Erinnerungslücke des Angeklagten behaupten, das ist ja wissenschaftlich belegt. Wenn es dem Mandanten nützt, weil Zeuge dann nicht glaubhaft also: Erinnerungslücke des Zeugen bestreiten, denn wissenschaftlich belegt ist nur, dass Täter, nicht Opfer Erinnerungslücken an ein Tatgeschehen haben können.
    Erstaunlich ist auch, dass Herr Nebgen auf die "Erfahrung der Strafverteidiger" rekurriert, wird doch sonst gerne von der Strafverteidigerzunft kritisiert, dass Richter angeblich gerne ihre "praktische Erfahrung" und Heuristiken und nicht etwa aussagepsychologische Erkenntnisse bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ins Feld führen und dass dies ein unhaltbarer Zustand sein soll.

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  7. 1. Ich bezweifele, daß es "Tausende von Studien" gibt, die diese Theorie widerlegen. Als Strafverteidiger wäre ich schon froh, wenn es 2-3 seriöse Studien gäbe, die in diese Richtung weisen.

    2. @Anonym 26.10.2011, 14:14

    Es ist nun einmal die auch vom BGH anerkannte Aufgabe des Strafverteidigers, alles vorzubringen, was dem Mandanten nützten könnte. Meine Berufsauffassung ist da ganz bescheiden: der Anwalt argumentiert, der Richter entscheidet. Wenn der Mandant meint, hinsichtlich der Voraussetzungen des § 20 StGB eine phänomenale Erinnerung, an die Tat selbst jedoch keine Erinnerung zu haben, muß der Verteidiger das vorbringen. Der Verteidiger als Privatmann muß aber nicht traurig sein, wenn das Gericht dies anders sieht.

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