Dienstag, 26. Juli 2016
Die Legende von der überlasteten Justiz
Da jammern sie wieder. In der ARD-Dokumentation "Erledigt - Deutsche Justiz im Dauerstress" widmete sich das Öffentlich-rechtliche Fernsehen gestern 45 Minuten lang den armen, überlasteten Richtern, die vor Arbeit fast zusammenbrechen. 45 Minuten lang keine einzige kritische Nachfrage, sondern obrigkeitstreue Beihilfe zum nimmermüden Klagegesang.
Da durfte sich ein Richter mit einem Monatsgehalt von (O-Ton!) "brutto 7.000,00 Euro" darüber beklagen, dass er die Reparaturen an seiner Robe selbst bezahlen muss - es stört die Macher des Filmchens nicht, dass es bei Richtern gar kein "netto" in dem Sinne gibt, es stört sie nicht, dass dieser Schmerzensmann etwa das Dreifache vom deutschen Durchschnittseinkommen (plus Krankenversicherung, Anwartschaften auf Altersversorgung u.v.m.) verdient, es stört sie nicht einmal, dass ein Betreuungsrichter ungeniert mit dem Taxi zu den Beteiligten fährt und auf dem Rücksitz in die Kamera jammert, wie anstrengend das alles sei.
Ein Exemplar darf sogar die Unabhängigkeit der gesamten deutschen Justiz in Frage stellen, offenbar, weil sein Dienstherr ihm nicht noch die Aktentasche ins Büro trägt und er seinen Gummibaum selber gießen muss.
Niemand, der auch nur im Ansatz hinterfragt, wie es auf den Gerichtsfluren nach 13:00 Uhr aussieht - nämlich leer. Niemand, der mal einen Richter fragt, warum Umfangssachen jahrelang liegen und der Bearbeitung harren, während vor den Gerichten haufenweise einstellungsreife Bagatellen verhandelt werden. Niemand, der das nicht abreißende Lamento mal unterbricht und fragt, warum diese ganzen geschundenen Kreaturen nicht einfach in der freien Wirtschaft arbeiten, wenn es doch beim Staat so schrecklich ist.
Um das Einkommen eines Richters zu erreichen, muss ein Rechtsanwalt (bei gleicher Qualifikation) laut einer Erhebung des Bucerius Center of legal profession bei gleicher Arbeitsdauer (!) einen Stundensatz von EUR 227,67 generieren. Und das über acht Stunden am Tag. Wenn Sie einen Rechtsanwalt kennen, der das schafft, richten sie ihm von mir herzliche Glückwünsche aus.
Man stelle sich nun eine vergleichbare Reportage über Rechtsanwälte vor, die nichts tun als über ihre Arbeitsbelastung zu klagen und darüber, dass sie ihre Robe selber bezahlen müssen. Rechtsanwälte würden bei der nächsten Umfrage über beliebte Berufen wahrscheinlich sofort noch hinter Call-Center-Agents und Telekommunikationsanbieter zurückfallen.
Wer immer für diese "Story im Ersten" verantwortlich zeichnet: Setzen, sechs.
Mittwoch, 6. Juli 2016
Wer "ja" sagt, ist keine Dame
Stellen Sie sich eine Frau vor, die "nein" sagt. Nun stellen Sie sich dieselbe Frau vor, die einige Momente später "ja" sagt. Was gilt denn nun? Das ist das eigentliche Problem, und die Verfechter der Bewegung mit dem Slogan "Nein heißt nein" verleugnen es hartnäckig. Nach deren Willen - und mutmaßlich auch dem des Gesetzgebers - soll jede "nicht einvernehmliche" sexuelle Handlung strafbar sein. Das hört sich so nachvollziehbar an und ist doch so realitätsfern.
Denn man wird das (fehlende) Einvernehmen vor Gericht feststellen müssen. Ich habe andernorts bereits darauf hingewiesen, dass das eigentliche Ziel der "Nein-heißt-nein"-Bewegung mir daher zu sein scheint, genau diese Beweispflicht abzuschaffen. Das wäre ein schwerwiegender Eingriff in den demokratischen Rechtsstaat, der der Abschaffung der Unschuldsvermutung gleichkäme. Sabine Rückert hat es in der ZEIT sehr schön dargestellt.
Was die Sache zusätzlich problematisiert: Der Mensch kommuniziert eben nicht nur mit Sprache. Ein Großteil jeder Kommunikation geschieht nonverbal. Man kann "nein" sagen, aber nonverbal doch "ja" kommunizieren. Das geht auch nacheinander, so wie in dem eingangs gewählten Beispiel. Jeder erlebt dies tagtäglich an sich und anderen. Umso unverständlicher ist es, das diejenigen, die lauthals "Nein heißt nein" schreien, sich dessen in keiner Weise bewusst zu sein scheinen.
"Nein heißt nein" suggeriert Eindeutigkeit. Gerade in der Anbahnung sexueller Beziehungen ist Eindeutigkeit aber Gift. Erotische Anziehung lebt von Unsicherheit oder Ambiguität. Das "ja" wird häufig eben nicht ausgesprochen, sondern anders kommuniziert. Denken Sie an das alte Bonmot mit der Dame, die "vielleicht" sagt, aber "nein" meint, und "nein" sagt wenn sie "ja" meint.
Wenn sie "ja" verbal kommunizieren würde, wäre sie nach dem alten Spruch keine Dame, sondern: eine Prostituierte.
Und das wollen Sie, meine Damen und (wenige) Herren, allen Damen zukünftig zumuten? Wie stellen Sie sich diese Form des Zusammenlebens der Geschlechter eigentlich vor? Mit Dating-Regeln, wie sie das berüchtigte Antioch-College in den späten siebziger Jahren aufgestellt hat? Jeder Annäherung hat deren verbale Ankündigung mit ausdrücklich erteilter Genehmigung voranzugehen? "Darf ich Dir jetzt den Slip ausziehen?" als Einleitung des anschließenden Koitus? Dieser Regelkatalog ist aus guten Gründen schnell wieder in der Versenkung verschwunden und wird mittlerweile als "Treppenwitz der Universitätsgeschichte" bezeichnet.
Das soll jetzt also - in Gesetzesform - wieder eingeführt werden? Damit jedem Geschlechtsakt ein verbalisierter Händel vorausgeht? Meine Damen und (wenigen) Herren, Sie gedenken offenbar, jede Frau zur Prostituierten und jeden Mann zum Freier zu erklären. Das ist entwürdigend für alle.
Denken Sie darüber nach, aber bitte schnell.
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