Dienstag, 30. September 2014

Doppelte Kalenderführung


Landgericht, Kleine Strafkammer.

Das Gericht hat in einer Berufungssache fünf Verhandlungstage terminiert und alle Beteiligten zu diesen Terminen geladen. Zwei Verteidiger haben sich also ganze Tage für die Veranstaltung freigehalten und ihre Büroorganisation hierauf eingestellt.

Das Gericht führt wie üblich durch Verlesung des erstinstanzlichen Urteils in den Streitstand ein. Wie genauso üblich, fragt es den Angeklagten auch, ob er seine Berufung nicht vielleicht auf das Strafmaß beschränken möchte, was die Verhandlung erheblich verkürzen würde. Aber der Angeklagte will seine Berufung nicht beschränken.

Nach ersten Äußerungen zu Sache wird das Gericht deutlicher. Das habe doch alles keinen Sinn, ein Großteil der Taten wäre doch praktisch bewiesen, ob der Angeklagte seine Berufung nicht wenigstens diesbezüglich auf das Strafmaß beschränken wolle. Der Angeklagte will immer noch nicht.

Dann muss wohl doch Beweis erhoben werden. Wie ärgerlich, denn wie sich jetzt herausstellt, hat das Gericht zwei der terminierten Verhandlungstage, zu denen seit Wochen bzw. Monaten alle Beteiligten förmlich geladen waren, längst anders verplant. Diese Termine können also nicht stattfinden, hätten niemals stattfinden können. Man ist bei Gericht wohl schlicht davon ausgegangen, dass sie nicht nötig würden. Deshalb können jetzt die gesetzliche Fristen nicht eingehalten werden.

Damit ist die Verhandlung "geplatzt".

Und jetzt komme mir noch einmal jemand mit der Behauptung, Verteidiger würden Verhandlungen verschleppen.


Dienstag, 9. September 2014

Polizisten irren selten,...

... aber wenn, dann richtig.

Der BGH hat das Urteil im Falle des im Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen Oury Jalloh bestätigt. Die FAZ berichtet hier. Man möge großzügig darüber hinwegsehen, dass selbst die FAZ offenbar "Einspruch" und "Revision" nicht unterscheiden kann.

In der Sache war der diensthabende Beamte seinerzeit - nach Zurückverweisung durch den BGH - wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen, insgesamt EUR 10.800,00, verurteilt worden.

Im Bericht der FAZ befindet sich ein Passus, von dem aus dem Zusammenhang nicht klar wird, ob er sich auf den ursprünglichen Freispruch oder die spätere Verurteilung bezieht; der Inhalt aber ist so bemerkenswert, dass ich ihn hier einmal wörtlich nach der FAZ zitiere:

"Zwar hätte der Polizist den Gewahrsam von einem Richter überprüfen lassen müssen. Das Gericht gestand dem Angeklagten hier aber einen "unvermeidbaren Verbotsirrtum" zu, weil der Polizist die Bestimmung nicht gekannt habe und weil dies bei der Dessauer Polizei keine gängige Praxis gewesen sei."
Gemeint ist wohl das erste Urteil des LG Dessau. Die Argumentation jagt einem aber auch heute noch einen Schauer über den Rücken, gibt es unvermeidbare Verbotsirrtümer sonst doch nur Studium. In der herrschenden Rechtsprechung ist jeder Verbotsirrtum vermeidbar; selbst wenn ein grenzdebiler Sprachunkundiger über ein deutsches Steuergesetz irrt, gilt vor Gericht normalerweise der Grundsatz "Unwissen schützt vor Strafe nicht". Nur bei Polizeibeamten wird das offenbar mitunter anders gesehen. Aber das hat der BGH ja aufgehoben.

Doch auch dieses Mal wird dem Beamten vom BGH wieder bestätigt, dass für ihn offenbar andere Gesetze gelten als für den Rest der Bürger. Dieses Mal konnte man wenigstens noch die ursprünglich angeklagte Freiheitsberaubung mit Todesfolge mit dem Grundsatz "In dubio pro reo" abwehren. Auch dieser Grundsatz kommt in der freien Wildbahn praktisch nicht vor. Hier aber meinte man, über die nachgewiesene Gesetzesverletzung des Beamten hinwegsehen zu können, weil nicht auszuschließen sei, dass auch bei Beachtung des Gesetzes ein Richter genauso entschieden hätte.

Bei der Argumentation fragt man sich, warum es überhaupt noch Gesetze gibt.