Montag, 17. März 2014

Die "Lebensleistung" des Herrn H.


Vieles ist schon geschrieben worden über den Herrn H. aus M. und dessen reichlich milde Strafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug; eine sehr gute Zusammenfassung findet sich z. B. beim Kollegen Pohlen hier.

Eine Frage lässt mich als Strafverteidiger aber nicht ruhen, und zwar die im Folgenden ausgeführte: Nicht nur von der Verteidigung wurde als Strafmilderungsgrund etwas angeführt, dass in der Regel die "Lebensleistung" des Angeklagten genannt wird. Allerorten habe ich hierzu nur wohlgefällige Anmerkungen gelesen, bis hin zu wahren Jubelarien auf das Sozialverhalten des Herrn H.

Aber ist das für die Höhe der Strafe eigentlich relevant? Erlebt habe ich so etwas in fünfzehn Jahren Praxis als Strafverteidiger noch nicht. Und siehe da: Der Bundesgerichtshof hat sich schon sehr früh dazu geäußert. Bereits im fünften Band der öffentlichen Entscheidungssammlung findet sich eine Entscheidung, in der es heißt:
"Die Art der Lebensführung ist allenfalls von Bedeutung, soweit sie in Beziehung zur Tat steht."
Die Lebensführung müsse zudem
"Rückschlüsse auf die Tatschuld"
zulassen. Dachte ich es mir doch. Wo war jetzt noch gleich der Zusammenhang zwischen der "Lebensleistung" des Herrn H. und dem immensen Ausmaß an von ihm hinterzogener Steuern? Wir werden es nie erfahren, denn der Bundesgerichtshof  hat keine Möglichkeit mehr, sich dazu zu äußern. Das Tatgericht braucht dies ebenfalls nicht mehr zu tun, nachdem die Staatsanwaltschaft auf die Revision verzichtet hat.

Unbefriedigend.
 

4 Kommentare:

  1. so so, siehe aber:
    BGH · Urteil vom 2. Dezember 2008 · Az. 1 StR 416/08:

    Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der "Schadenswiedergutmachung" durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.

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  2. Wie so oft sollte man nicht auf verkürzte Zitate von Entscheidungen vertrauen.
    Die Entscheidung BGHSt 5,132 wird zwar munter zitiert, hat aber, wenn man sie auch mal liest, schlichtweg nicht den Inhalt, dass die Lebensführung Bezug zur Tat haben muss, wenn man sie bei der Strafzumessung berücksichtigen will. Der BGH hat weder einen derartigen Leitsatz formuliert noch ergibt sich aus der Entscheidung, dass das Vorleben des Täters nur insoweit berücksichtigt werden dürfe, als es tatbezogen sei. Das wäre ja auch Quatsch, denn das straffreie Vorleben ist als Strafmilderungsgrund anerkannt, obwohl es natürlich keinen Tatbezug aufweisen kann.

    Es steht nur in der Entscheidung, dass das LG einen Gesichtspunkt für einen besonders schweren Fall der Verkehrsunfallflucht (Wortwahl: BGH) aufklären und berücksichtigen muss, ob "Angeklagte in seiner Lebensführung denn sonst Züge aufweist, die auf üble Gesinnung und Bosheit bei der Tat hinweisen".

    Dass eine sonstige "Lebensleistung" oder z.B. soziales Engagement nicht berücksichtigt werden dürfe, steht in der Entscheidung schlichtweg nicht.

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  3. Und uns Nicht Juristen wird Angst und Bange jemals vor dem Kadi zu stehen und solchen rhetorischen Spitzfindigkeiten und Interpretationen sowie Interpretationsspielräumen ausgesetzt zu sein.

    Es ist schade wie sich die Juristerei nur noch um sich selbst zu drehen scheint. Und wieder ein Bereich der sich dem "normalen" Leben enthoben hat.

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