Montag, 21. August 2023

Die Nazikeule, 1. Schlag


Was ist eigentlich ein Nazi?

Im politischen Diskurs verwende ich manchmal das Wort "Nazi". 

Das führt mitunter zu Diskussionen. Menschen mögen es in der Regel gar nicht, als "Nazis" bezeichnet zu werden, insbesondere dann nicht, wenn sie tatsächlich welche sind. Das ist kein Wunder, denn das Wort "Nazi" ist seit dem Ende des "Dritten Reiches" durch und durch negativ konnotiert. Wenn Nazis heute als solche bezeichnet werden, sprechen sie gerne von der "Nazikeule". Das ist eigentlich die viel größere Keule, aber dazu später.

Die zum Teil reflexhafte Ablehnung der Bezeichnung als "Nazi" treibt mitunter skurrile Blüten, vor allem dann, wenn sich auf einmal Menschen gegen den Vorwurf wehren, denen er nach ihrem eigenen Verständnis gar nicht galt - wenn z. B. die AfD sich empört gegen den Slogan "Kein Bier für Nazis" zur Wehr setzt, gleichzeitig aber betont, dass es sich bei ihren Sympathisanten natürlich keinesfalls um "Nazis" handelte.

Das OLG Stuttgart ist in Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG der Auffassung, inzwischen handele es sich bei der Bezeichnung als "Nazi" gewöhnlich um "eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung" ohne Formalbeleidigungscharakter. Kurz: "Nazi" muss sich nennen lassen, wer sich wie einer benimmt. Aber was zeichnet einen "Nazi" tatsächlich aus?

Für den weiteren Gebrauch will ich daher hier erklären, was ich glaube, was hinter dem Begriff steckt und was ich unter dem Wort verstehe. Kritik, Anregungen oder gar Lob sind herzlich willkommen.


Herleitung

Wer Wikipedia konsultiert, lernt, dass "Nazi" die Koseform von Ignaz ist. Und weil dieser Name schon vor langer Zeit altbacken und hinterwäldlerisch anmutete, kam Ende des Neunzehnten Jahrhunderts die Konnotation "Depp" hinzu. Der "Nazi" war ein Depp. Kurt Tucholsky soll dann als erster das Wort "Nazi" auch für Nationalisten verwandt haben, Joseph Goebbels hat das Wort schließlich für die Nationalsozialisten gekapert und erfolgreich positiv aufgeladen, bevor es mit dem Ende des Tausendjährigen Reiches dauerhaft in Ungnade fiel. 

Immer wenn heute irgendwo jemand "Nazi" sagt, kommentiert irgendein anderer, dass es doch gar keine Nazis mehr gäbe, die seien doch inzwischen alle tot. Offenbar versteht der Kommentator unter "Nazi" dann nur solche, die im "Dritten Reich" tätig waren. Das wird aus meiner Sicht der Bezeichnung nicht gerecht. Denn "Nazi" ist nicht orts- oder zeitgebunden, "Nazi" bezeichnet mehr einen Politikstil als einen Inhalt, "Nazi" ist Einstellungssache ohne zeitlichen Bezug. Deswegen fand ich auch das Wort "Neonazi" immer schon widersinnig, weil es so tut, als wären alle Nazis mit dem Jahr 1945 abgeholzt worden und aus dem toten Holz nur irgendwann neue Triebe geschossen. Das wäre aber ein völlig schiefes Bild des Sachverhaltes. Bei meinem Verständnis ergibt die Vorsilbe "Neo-" daher keinen Sinn, denn die Geisteshaltung ist an ganz andere Voraussetzungen geknüpft, die völlig zeitunabhängig sind.

Aber wir wollen den Kritikern einen Gefallen tun und das Wort "Nazi" erst mal nicht mehr verwenden.

Stattdessen bezeichne ich das Treiben der betreffenden Leute gerne als Faschismus. Auch dieser Begriff hat eine Herkunft: "Faschisten" nannten sich ursprünglich die Mitglieder der Bande um Benito Mussolini in Italien Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Dabei ist "Bande" durchaus wörtlich zu nehmen; "Faschismus" leitet sich vom italienischen "fascio" ab, was im übertragenen Sinne "Bund" oder "Bündnis" bedeutet. Im deutschen Wort "Faszie" taucht es wieder auf. Auch das Wort "Faschismus" bezeichnet eher eine Form der Politik und ist nicht an Ort und Zeit geknüpft. Manche Menschen nennen Nachahmer des Duce oder deren Handlungen trotzdem nicht "faschistisch", sondern faschistoid, also "faschistenhaft", aber das wirkt ähnlich politikwissenschaftlerhaft gequält wie "Neonazi". Wir lassen das. 

Über die Merkmale des Ur-Faschismus gibt es eine schöne Aufstellung von Umberto Eco, die hier findet, wer sie noch nicht kennt. Aber Ecos Merkmale sind recht unstrukturiert aneinandergereiht und bilden keine geschlossene Theorie ab.

Damit beschäftige ich mich dann beim nächsten Mal.



Mittwoch, 9. August 2023

Aufstand in Barbieland

Hat nicht eigentlich etwas mit Recht zu tun, aber sei es drum: Ich habe den Film "Barbie" gesehen. 

Der Film ist völlig missraten - und um es gleich vorweg zu nehmen: Das liegt nicht etwa daran, dass der Film eine "woke" Message trüge. Das tut er nämlich noch nicht einmal, aber eins nach dem anderen. 

Vorsicht: Spoiler. Wenn es bei der Handlung auch eigentlich wenig zu spoilern gibt. 


Die Ausgangslage

Wir befinden uns in Barbieland. Alles ist bunt und die Häuser sind durchsichtig. Hier kann Barbie alles sein, was sie will: Rechtsanwältin, Pilotin, Bundesrichterin oder einfach nur "stereotype Barbie". Ihr Gefährte ist Ken; Ken ist Beach Ken und sonst nichts. Sein weiterer Zweck ist unklar. Barbie und Ken sind zwar an ihren sekundären Merkmalen deutlich als Frau und Mann erkennbar, aber Sexualität gibt es in Barbieland keine. Barbies Alltag ist genauso stereotyp wie sie selbst, "Hallo" zu den anderen Barbies, "Hallo" zu den anderen Kens, und die Hand dabei immer schön puppenhaft aus dem Gelenk schütteln. Das Glas bleibt auch beim Trinken leer.


Der Plot

Eines Tages erhält Barbie einen Ruf aus der "Real World"; das Kind, dem sie gehört, ist unglücklich und braucht Hilfe. Das ist eigentlich eine schöne Idee; Wolfgang M. Schmitt erkennt hierin ein "Voodoo-Element" und mäkelt völlig zu Recht, dass dieses Element im weiteren Verlauf des Films völlig fallen gelassen werde. Barbie muss an Tod und Cellulite denken, die sich fortan als unlustiger Running Gag durch den gesamten Film schleppen. 

In der Real World werden währenddessen Mutter und Tochter eingeführt; der Film präsentiert es gegen Ende als wenig überraschenden Plot Twist, dass der Hilferuf nicht etwa von der Tochter kam, sondern von deren frustrierter Mutter, die ihre alte Barbiepuppe beim Aufräumen gefunden hatte. 

Barbie macht sich also in ihrem rosa Barbie-Mobil auf in die Real World. Ken ist dabei, weil Ken immer dabei ist.

Und dann war es das auch schon mit einem nachvollziehbaren Plot. In der Real World angekommen zerfasert die Handlung; Ken leiht sich Bücher über das Patriarchat aus, von dem er zunächst glaubt, das es von den Pferden herrührt, und Barbie irrt durch die Gegend, landet irgendwann in der Vorstandssitzung ihrer Hersteller-Firma Mattel (allesamt Männer), soll wieder in ihre Schachtel gesteckt werden (warum eigentlich?) und flieht zurück nach Barbieland. Dort hat Ken mittlerweile ihr "Mojo-Dojo-Casa-Haus" besetzt und das Patriarchat eingeführt, das hauptsächlich darin besteht, dass Barbieland jetzt Kendom heißt und alle Kens mit ihren Barbies am Strand "Mansplaining" betreiben. Barbie hetzt die Kens mit Hilfe der "Weird Barbie" gegeneinander auf und nach einem schön choreographierten Kampf erkennen alle gemeinsam, dass sie doch eigentlich nur sie selbst sein wollen. Das ist wirklich so abgeschmackt wie es klingt. 

Die Kritik

Der Film hat Tausende von Möglichkeiten und er nutzt keine davon. Er kann sich nicht einmal entscheiden, welche Geschichte er eigentlich erzählen möchte und belässt es stattdessen dabei, Buzzwords aneinander zu reihen, ohne sie auszuführen. Dabei erkennt der Film immer wieder, wo Geschichten liegen könnten, greift die Ansätze aber nur auf, um sie dann gleich wieder fallen zu lassen.  Dem Autoren hätte die Lektüre mindestens dreier Bücher gut getan: Lysistrata von Aristophanes, Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren und Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen.

Gleich am Anfang, als Barbie und Ken auf ihren knallgelben Inline-Skates durch Venice Beach rasen, wird Barbie von einigen Männern angesprochen. In die Enge getrieben weist Barbie die hartnäckigen Verehrer darauf hin, dass sie aber keine Vagina habe. Und, auf Ken zeigend, dass der auch keinen Penis habe. Da kann der aufgeklärte Zuschauer nur staunen und fragt sich, woher Barbie als komplett asexuelle Figur überhaupt von der Existenz der Geschlechtsteile weiß. Das hätte sie doch erst lernen müssen - hat sie aber nicht. Vielleicht hätte sie das mal die Weird Barbie fragen sollen, die hätte sich mit den Abgründen des Menschseins möglicherweise ausgekannt.

Der Autorin hätte hier die Lektüre der kleinen Meerjungfrau helfen können: Die musste sich schließlich erst in einen Menschen aus Fleisch und Blut verlieben, um die angeblichen Vorzüge der Real World schätzen zu lernen und ihr Paradies im Wasser für immer zu verlassen. Dieses Märchen übrigens ist eine im Kern zutiefst patriarchalische Geschichte, will sie doch den kleinen Mädchen weismachen, dass es sich lohne, das eigene Paradies zu Gunsten eines Mannes aufzugeben. "Barbie" hätte diese reaktionäre Geschichte  wunderbar im Sinne des Feminismus' abwandeln können, hätte man den Willen und die intellektuellen Mittel dazu gehabt.

Alle Türen hätten Barbie offen gestanden: Sie hätte die Frauen in der Real World darauf hinweisen können, dass es vielleicht die Vagina ist, die ihrem Glück im Wege steht. Dann wäre sie vielleicht eine Art Pippi Langstrumpf gewesen, die sich dem Erwachsenwerden verweigert und dafür ihre übermenschlichen Kräfte behält. Oder sie hätte die Sexualität gegen die Männer selbst kehren können, und wie Lysistrata deren Frauen zur Verweigerung anhalten, bis die Männer damit aufhören, Patriachat zu spielen. Stattdessen eiert Barbie herum, grinst breit und labert davon, dass jeder er/sie selbst sein solle.

Auch Kens mögliche Geschichte wird gnadenlos versemmelt. In der Real World angekommen, erfährt er erstmals Wertschätzung, die über seine bloße Anwesenheit hinausgeht: Eine Frau fragt ihn nach der Uhrzeit. Er berichtet Barbie begeistert davon, weil es das höchste der Gefühle ist, das er jemals an menschlicher Anteilnahme erfahren hat. ("Sie hat mich sogar nach der Uhrzeit gefragt.") Aber anstatt dort zu bleiben, wo er mehr hätte sein können als bloßes Anhängsel, kehrt er völlig grundlos nach Barbieland zurück, nur um dort seiner desinteressierten Barbie fortan am Strand Gitarre vorzuspielen und die Welt zu erklären. So viel Stumpfsinn und Blödheit ist selbst eines Kens unwürdig.

Ken hätte man in der Real World erst mal ein Seminar bei Jordan Petersen gegönnt, um den Chauvinismus von der Pike auf zu lernen. Dann wäre er vielleicht irgendwann in irgendeiner Talk Show als schwanzloses Großmaul bloßgestellt worden. So viel wäre möglich gewesen, nichts davon wurde erzählt.

Fazit

Das war nichts. 

So viel schöne Requisiten, so viele wirklich großartige Schauspieler und kein Plot. Es ist zum Heulen. Man möchte eine Barbie kaufen und zu der weirdesten aller Barbies verformen, die man sich nur träumen kann. Und Ken? Ach, Ken. Ken kommt zurück in die Schachtel.