1. Einleitung
Nachdem wir uns hier und hier mit der Auffassung von Thomas Fischer zur etwaigen Strafbarkeit von Straßenblockaden auseinandergesetzt hatten, müssen wir uns jetzt mit der aktuellen Entscheidung eines Gerichts befassen, das sich explizit zur Rechtfertigungsproblematik im Zusammenhang mit dem Klimawandel geäußert hat. Die Entscheidung wurde von Mathis Bönte in der NStZ 2023, S. 113ff besprochen. Dieser Beitrag ist eine Ergänzung.
Das Oberlandesgericht Celle hat in seinem Beschluss vom 29.07.2022 - 2 Ss 91/22 über den Fall eines Aktivisten entschieden, der eine Parole ("Leuphana divest: Kohle aus Nord/LB") an die Fassade einer Universität angebracht hatte. Vom Amtsgericht war der Aktivist wegen Sachbeschädigung verurteilt worden, das OLG Celle hat dieses Urteil bestätigt.
Das OLG hat sich dabei ausschließlich mit dem Vorliegen von Rechtfertigungsgründen befasst. Es hätte seine Entscheidung auch gar nicht zu begründen brauchen; das Gericht hat es trotzdem getan.
2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
Den rechtfertigenden Notstand lehnt das Gericht mit der Begründung ab, das Verhalten des Angeklagten wäre für die "von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels" nicht geeignet. Zum Verständnis des Inhaltes der aufgebrachten Botschaft bedarf es einigen Vorwissens, das wir hier mal ausklammern und mit dem Gericht davon ausgehen wollen, dass die Botschaft Aufklärung gegen den Klimawandel leisten soll. Hier geht um die Begründung des Gerichts:
"Eine Rechtfertigung aufgrund Notstands gem. § 34 StGB scheidet aufgrund einer fehlenden Geeignetheit des Handelns des Angekl. für die von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels aus. Denn die Beschädigung der Fassade der Leuphana Universität ist nicht in der Lage, dem Klimawandel entgegen zu wirken. Soweit die Revision hierzu sinngemäß der Auffassung ist, eine derartige einzelne Handlung könne zwar allein die Abwehr der Gefahr nicht bewirken, wohl aber eine Vielzahl einzelner Bemühungen, so dass die Geeignetheit dieser Vielzahl der Bemühungen auch für jede einzelne Handlung angenommen werde müsse, geht dies fehl. Denn es ist offenkundig, dass auch eine Vielzahl von Beschädigungen der Fassade Universitätsgebäuden ebenso wenig wie eine einzelne Beschädigung durch den Angekl. Auswirkungen auf den Klimawandel haben können. Es handelt sich stattdessen bei dem Verhalten des Angekl. jeweils um rein politisch motivierte Symboltaten.
Zudem ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Gefahr eines Klimawandels nicht anders als durch die Begehung von Straftaten abgewendet werden könnte."
Hierzu weist bereits Bönte darauf hin, dass der Entscheidung jeden Maßstab für die "Geeignetheit" vermissen lässt; insbesondere hätte man gerne gewusst, welche zur Abwendung des Klimawandels geeigneten Mittel dem Gericht denn so vorschweben. Das Gericht teilt es nicht mit - obwohl es zur Prüfung der Geeignetheit zwingend ist, mildere Mittel konkret zu benennen.
Der Diskussion um die generelle Eignung des Mittels entgeht das Gericht mit einem dreisten Taschenspielertrick: Unstreitig ist, dass das Bemalen von Hauswänden keinen direkten Einfluss auf die Erderwärmung hat. Das hat aber auch nie jemand behauptet. Es gibt schlichtweg keine isolierte Handlung, die geeignet wäre, den Klimawandel direkt zu stoppen. Die Verteidigung hat entsprechend vorgetragen, dass das Verhalten des Angeklagten vielmehr den sinnvollen Bestandteil eines komplexen Vorgehens bilde, durch das die Notlage am Ende bewältigt werden könnte. Dies genügt nach herrschender Meinung, um die Geeignetheit zu bejahen. Um geeignet zu sein, muss das jeweilige Verhalten die Gefahr nicht mit einem Schlag beseitigen, es genügt, wenn es sich in eine sinnvolle Strategie einfügt. Das ist notwendig und leuchtet direkt ein: Wenn das Ungeheuer aus seinem Käfig ausgebrochen ist, ist nicht nur dessen Tötung gerechtfertigt (direkte Gefahrenabwehr), sondern auch alle Handlungen auf dem Weg dorthin: Warnung der Dorfbewohner, Erlangung von Waffen etc.(indirekte Gefahrenabwehr).
Das Gericht entzieht sich der Auseinandersetzung mit diesem Argument, indem es das Argument dahin verfälscht, es müsse eine Vielzahl gleichartiger Bemühungen sein, die die Gefahr schließlich abwehren. Das aber ist Unfug, den niemand behauptet hat. Wie gesagt: Es geht darum, ob das Verhalten sinnvoller Bestandteil einer Strategie ist.
Das Gericht argumentiert wie derjenige, der die Grundsteinsetzung für untauglich zur Erbauung eines Hauses hält, weil fünfzigtausend Grundsteine übereinander gestapelt ja kein Haus ergäben. Natürlich tun sie das nicht - man braucht eine übergeordnete Strategie verschiedener ineinandergreifende Fachgebiete, um schließlich ein Gesamtergebnis zu erreichen. Diese simple Erkenntnis hätte man von einem Oberlandesgericht wohl erwarten dürfen.
Jetzt aber wird es noch etwas komplizierter.
3. Ziviler Ungehorsam
Das Gericht stellt fest, dass das Verhalten auch nicht durch "zivilen Ungehorsam" gerechtfertigt werde. Zu diesem Ergebnis kommt das OLG aufgrund eines Umkehrschlusses aus Art. 20 Abs. 4 GG, dem Widerstandsrecht. Dieses Recht zum Widerstand beschränke sich auf Situationen, in denen "die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht" sei, woraus umgekehrt resultiere, dass zu allen anderen Zeiten eine Friedenspflicht bestehe. Wörtlich weiter:
"Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies daher in Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 17 GG (Petitionsrecht) und Art. 21 Abs. 1 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien), nicht aber durch die Begehung von Straftaten tun".
Dumm nur: Um den politischen Meinungsbildungsprozess geht es hier gar nicht. Es geht um die Beseitigung einer allgemeinen Gefahr, die aus dem Klimawandel resultiert. Der Klimawandel ist eine wissenschaftlich bestätigte Tatsache, keine Meinung, und erst recht keine politische.
Der polemische Nachsatz ("... nicht aber durch die Begehung von Straftaten...") zieht die gesamte Begründung durch ihre offensichtliche Zirkularität ins Unseriöse und ist, wie ich finde, eines Obergerichtes unwürdig. Ob eine rechtswidrige Straftat vorliegt, soll ja gerade geprüft werden; das OLG setzt es hier mal schlankweg voraus. Das hat mit juristisch sauberer Argumentation nichts mehr zu tun. Wer so argumentiert, will nicht begründen, sondern postulieren.
So weit, so unerfreulich. Man hätte sich von einem Gericht, das in letzter Instanz über eine derart zentrale Frage entscheidet, zumindest erwartet, dass es sich mit dieser Frage ernsthaft auseinandersetzt. Hierzu war das OLG Celle noch nicht bereit. Hoffen wir, dass andere Obergerichte zukünftig sorgfältiger arbeiten.
Allerdings täte die Klimabewegung aus meiner Sicht gut daran, auf den Begriff "Ziviler Ungehorsam" zukünftig zu verzichten. "Ziviler Ungehorsam" ist kein Rechtfertigungsgrund, weil es kein Rechtsbegriff ist, und somit zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen geradezu einlädt. "Ziviler Ungehorsam" ist seiner Bedeutung nach wohl auch etwas anderes als das Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG.
In seiner englischen Urform geht er auf einen Essay von Henry David Thoreau zurück ("On the duty of civil disobedience"), der seine Steuern nicht bezahlt hat, weil er der (durchaus sympathischen) Auffassung war, dass ein Staat, der die Sklaverei unterstütze, seine Steuern nicht verdiene. Die Argumentation ist allerdings für meine Begriffe arg staatsfeindlich geraten und wird einem modernen Rechtsstaat nicht gerecht, wenn auch die Lektüre des Essays sich immer lohnt.
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