Dienstag, 13. Dezember 2022

Die letzte Generation - Die Rechtfertigung von oder gegen Klima-Aktivisten, Teil 2


Was bisher geschah

Thomas Fischer hatte ja in dem hier kritisierten Beitrag die Frage behandelt, ob Notwehr gegen Klima-Aktivisten gerechtfertigt sei; dabei war er davon ausgegangen, dass die Aktionen der Klimaaktivsten selbst in der Regel Nötigung oder versuchte Nötigung wären und hatte auf einen früheren Beitrag verlinkt, in dem er dies näher ausführt. Wir wollen uns daher auch diesen Beitrag mal etwas näher anschauen.


Der "Gewalt"begriff

Der erste Teil des Beitrages ist auch ein Parforce-Ritt durch die Geschichte des Gewaltbegriffs, hier sei das Wesentliche daher nur kurz zusammengefasst: Der Tatbestand der Nötigung, § 240 StGB setzt Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus; für uns interessant ist insbesondere der Begriff der Gewalt. In früheren Urteilen sagte der Bundesgerichtshof, für die Annahme von Gewalt reiche auch psychische Einwirkung. 1995 kippte das Bundesverfassung diese schon begrifflich recht befremdlich wirkenden Ansicht in seiner "Sitzblockaden"-Entscheidung (bei Fischer heißt es wohl irrtümlich 1992). Danach seien Sitzblockaden keine "Gewalt", weil sie bloß psychisch auf die blockierten Autofahrer einwirkten. 

Diese Niederlage wollte der Bundesgerichtshof nicht auf sich sitzen lassen, und um bei Sitzblockaden doch zu einer Verurteilung wegen Nötigung kommen zu können, änderte er seine Argumentation: Man stellte jetzt nicht mehr auf die direkt vor den Blockierern stehenden Fahrzeuge ab, die ja nur die blockierenden Menschen vor sich hatten und aus rein psychischem Druck nicht fuhren, theoretisch aber hätten fahren können; man stellte stattdessen auf die hinter den ersten Fahrzeugen befindlichen Fahrzeuge in der "Zweiten Reihe" ab, denen die Fahrt durch die in der ersten Reihe befindlichen Fahrzeuge unmöglich war. Zumindest das wäre Gewalt und somit gegenüber diesen Fahrern eine Nötigung. Das Bundesverfassungsgericht hielt diese "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" im Jahr 2011. Seither sind Sitzblockaden auch von höchster Stelle her wieder Gewalt und somit potentiell auch wieder Nötigung.


Kritik an der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH

Überzeugend ist die Zweite-Reihe-Rechtsprechung nicht. Da aber gegen das Bundesverfassungsgericht zu argumentieren einigermaßen vergebliche Liebesmüh' ist, will ich es hier bei einem Einschub dazu belassen. Wen die Theorie nicht interessiert, der lese einfach nach dem Einschub weiter. 

Die Einwirkung auf die erste Reihe ist unstreitig keine Gewalt, da nicht physisch vermittelt. Wenn nun die Einwirkung auf die Zweite Reihe auf einmal Gewalt sein soll, dann fragt man sich zwingend, wo diese Gewalt auf einmal herkommen soll: Von den Blockierern jedenfalls nicht, die sitzen für die zweite Reihe genauso da wie für die erste. So funktioniert die Logik der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung dann auch nur, indem man annimmt, dass die erste Reihe von den Blockierern als Werkzeug gegen die zweite Reihe genutzt würde. Das wirkt schon von der Struktur her einigermaßen gedrechselt, vor allem aber ist das genutzte Bild schief: Denn wir haben ja gerade festgestellt, dass gegen die erste Reihe nur psychisch eingewirkt wird - wie aber kann jemand oder etwas "Werkzeug" sein, wenn die Einwirkung eine rein psychische ist? Das wäre Telekinese, und die gibt es dann doch wohl eher nicht. Aber weiter im Thema bei Fischer:


Verwerflichkeit

Der Kern des Nötigungstatbestandes ist nämlich nicht die Gewalt, sondern deren Verwerflichkeit. Das ist das Verhältnis zwischen Gewalt und angestrebtem Ziel. Bei dieser Zweck-Mittel-Relation hat nach herrschender Rechtsprechung eine "umfassende Gesamtbewertung" stattzufinden, die auf den konkreten Einzelfall abstellt. Wer, wie, was, wo, wem, wie doll, wie lange - aber eines nicht: warum.

Fernziele, so der Bundesgerichtshof, haben bei der Bewertung außer Betracht zu bleiben. Ob man für den Weltfrieden blockiert oder für die Einführung der Todesstrafe: das hat der Justiz völlig egal zu sein. Es kommt nur darauf an, ob das Mittel (Blockade) zu dem verfolgten Ziel (Behinderung von Verkehrsteilnehmern) außer Verhältnis steht. Tut es das, ist der Tatbestand der Nötigung erfüllt. Fertig. Oder doch nicht? 

Dazu gibt es noch einiges zu sagen, zu dem ich bei Thomas Fischer auch hier nichts finde.


Fernziel

Der Begriff des "Fernziels" ist ausgesprochen unscharf und es fragt sich, ob man Mittel und Ziel überhaupt so klar auseinanderhalten kann. Das Ziel der Blockierer ist ja nicht zu blockieren - das ist das Mittel - ihr Ziel ist es, auf etwas aufmerksam zu machen. Die Behinderung von Verkehrsteilnehmern, die Thomas Fischer als Nahziel qualifiziert, ist ihrerseits wohl eher Mittel als Zweck. So fragt sich, wie fern etwas sein muss, um Fernziel in diesem Sinne zu sein. Diese Diskussion findet spätestens jetzt auf einer rein sprachlichen Ebene statt und es fragt sich, ob das so gewollt sein kann.

Auch hätte ich erhebliche Bedenken, ob ein Verfassungsziel, wie es der Klimaschutz dank Art. 20a GG ist, so einfach zum irrelevanten "Fernziel" degradiert werden kann. Gemeint sind mit "Fernziel" eigentlich politische Motivationen innerhalb des Meinungsspektrums; kann aber etwas lediglich wie eine (von diversen denkbaren) politischen Motivationen behandelt werden, wenn es die Verfassung selbst fordert? Dadurch, dass der Klimaschutz Verfassungsrang hat, müsste er sich zumindest bei der Mittel-Zweck-Relation auf beiden Seiten der Waage wiederfinden, und dann käme es bei der Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung im konkreten Fall tatsächlich nur noch darauf an, welches Übel im Endeffekt schwerer wiegt. Kann die versuchte Weltrettung verwerflich sein, nur weil Väterchen V mit seinem Kraftfahrzeug deshalb nicht rechtzeitig zum Abendessen kommt?  Das wird man kaum mit "ja" beantworten können.


Klimanotstand

Am bemerkenswertesten ist aber: Thomas Fischer hört nach der Verwerflichkeitsprüfung einfach auf und geht davon aus, dass die verwerfliche Handlung jetzt jedenfalls auch strafbar wäre. Das ist aber nicht so, und das sollte er besser wissen, er hat schließlich den meistverkauften Kommentar zum Strafgesetzbuch geschrieben. 

In der Prüfung sind wir auch bei festgestellter Verwerflichkeit immer noch auf der Ebene der Rechtfertigung, und dort gibt es auch noch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe. Die sind bei der Nötigung genauso zu prüfen wie bei jedem anderen Delikt. Und bei den allgemeinen Rechtfertigungsgründen ist besonders einer interessant, nämlich der rechtfertigende Notstand, § 34 StGB

Das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes hat andere Voraussetzungen als die Verwerflichkeit (s. o.). Es erfordert vor allem eine gegenwärtige Gefahr. Da wurde bezüglich des Klimawandels sowohl am Vorliegen einer Gefahr herumgemäkelt als auch an deren Gegenwärtigkeit, ernsthaft abstreiten kann man beides mittlerweile wohl nicht mehr. Außerdem scheinen viele der Kritiker den Begriff der Gefahr (mit gewissem Grad der Wahrscheinlichkeit eintretender Schaden) mit dem des Schadens zu verwechseln. Mittlerweile sind wir nach wissenschaftlichen Erkenntnissen so weit, dass man wohl sogar von einem bereits eingetretenen und sich immer weiter vertiefenden Schaden sprechen muss, so dass diese Prüfung gänzlich zum Selbstgänger wird.

Sodann müsste eine Handlung, um durch Notstand gerechtfertigt zu sein, erforderlich sein, d. h. die Gefahr dürfte nicht anders abwendbar sein als eben durch die vorgeworfene Handlung.

An dieser Stelle müsste eigentlich die Diskussion geführt werden, was eigentlich alles gerechtfertigt ist, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und die Verantwortungsträger zum Handeln zu bewegen. Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man vom Ergebnis her denken und sagen: Von den legalen Möglichkeiten war bisher jedenfalls nichts geeignet, die erforderliche Aufmerksamkeit zu schaffen, denn außer ein paar schönen Worten und hehren Versprechungen hat sich praktisch nichts getan. Offensichtlich bedarf es deutlicherer Taten, um die Aufmerksamkeit der Wähler und ihrer Vertreter darauf zu lenken, dass sofortiges Handeln erforderlich ist. 

Insoweit kann ich dem Ergebnis von Thomas Fischer in keiner Weise zustimmen. 





Dienstag, 6. Dezember 2022

Die letzte Generation - Rechtfertigung von oder gegen Klimaaktivisten? Teil 1

 

Einleitung

In der Legal Tribune Online (LTO) ist am 04.12.2022 ein Beitrag des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer erschienen zum Thema "Notwehr gegen Blockade-Demonstranten", nachzulesen hier. Der Beitrag behandelt die aktuelle Frage möglicher Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit Blockaden von Klimaaktivisten. Er tut dies auf recht seltsame Weise und ist - untypisch für Thomas Fischer - voll von Denkfehlern und falschen Annahmen.


Ziviler Ungehorsam

Zum Einstieg macht uns Thomas Fischer zunächst mit dem Begriff des "zivilen Ungehorsams" vertraut, auf den sich die Klimaaktivisten gerne berufen und den Fischer als "politischen Kampfbegriff und keine juristische Kategorie" bezeichnet. Nun ist der Begriff "Kampfbegriff" in dieser Verwendung wohl selbst einer, aber Recht hat Fischer insoweit, als "ziviler Ungehorsam" keine juristische Kategorie ist. Das hat allerdings meines Wissens auch nie jemand behauptet; ziviler Ungehorsam wird von den Aktivisten als politische Kategorie benutzt, die deren Ansicht nach womöglich sogar über dem Recht steht. Das ist aber ein anderes Thema. Der Einstieg in den Diskurs ist damit eher eine Nebelkerze.


Merkwürdige Systematik

Aber auch die sonstige Herangehensweise von Thomas Fischer ist kommentierungsbedürftig. Anders als die meisten anderen Beiträge zum Thema steigt er nicht mit der Frage ein, ob die Blockadeaktionen der Aktivisten eine Straftat darstellen oder möglicherweise gerechtfertigt sind; Thomas Fischer setzt an der Frage an, ob mögliche Gewalt gegen Klimaaktivisten gerechtfertigt sein könnte. Die Perspektive lässt bereits erahnen, zu welchem Ergebnis Fischer kommen möchte. 

Sein Ansatz ist aber auch systematisch zweifelhaft, setzt doch jede Notwehr als erstes einen rechtswidrigen Angriff voraus. Ein rechtswidriger Angriff - und damit eine mögliche Rechtfertigung durch Notwehr - scheidet aus, wenn die Aktionen der Aktivisten selbst gerechtfertigt wären; dies hat also so oder so zuerst geprüft zu werden. Diese Prüfung erspart sich Thomas Fischer vollständig, er schreibt stattdessen: "Bei den Straßenblockaden der "Letzten Generation" handelt es sich in der Regel (nicht stets) um vollendete oder versuchte Nötigungen mit dem Nötigungsmittel der Gewalt, also um eine Straftat..." 

Das ist - mit Verlaub - nicht nur strafrechtlich falsch, es ist im Hinblick darauf, dass der Beitrag wohl hauptsächlich juristisch interessierte Laien ansprechen soll, schlicht unseriös.

Fischer legt zum Abschluss dieses Abschnitts noch einen drauf: Er beruft sich darauf, die blockierten Autofahrer würden "vollkommen rechtmäßig handeln", denn es gäbe, "kein allgemeines, frei zugängliches Recht, andere, unbeteiligte Personen mittels Gewalt zum Werkzeug eigener Meinungskundgebung zu machen." Das klingt gut, ist aber falsch. Denn darauf, ob die beeinträchtigten Personen (Autofahrer) rechtmäßig handeln, kommt es bei einer möglichen Rechtfertigung der Aktivisten gar nicht an. Die Rechtfertigung einer Tat ist nicht daran gebunden, ob die durch sie beeinträchtigten Personen sich rechtmäßig oder unrechtmäßig verhalten haben. Insbesondere der Rechtfertigungsgrund des Notstandes, § 34 StGB, knüpft an völlig andere Voraussetzungen an, namentlich eine "gegenwärtige Gefahr". Dazu kommen wir später, wenn wir die Rechtslage richtig prüfen.

Fischer wiederholt im nächsten Abschnitt zunächst sein Diktum, es gebe "keine rechtliche Grundlage dafür, mittels gewaltsamer Blockaden und Instrumentalisierung unbeteiligter Dritter" ihre Meinung zu offenbaren, und macht einige Ausführungen dazu, dass es beim Abwägungsprozess keine absoluten Kriterien, Maßstäbe und Ergebnisse gebe. Das klingt alles ganz schön, eine Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen kann es aber nicht ersetzen. 


Gewalt

Mit einem Detail müssen wir uns außerdem etwas genauer beschäftigen, und das ist das von Fischer benutzte Wort "gewaltsam" - legen doch gerade die Aktivisten großen Wert darauf, dass ihre Aktionen gewaltfrei seien. Fischer selbst hat seiner Vorstellung von Gewalt auch einen Absatz gewidmet, der hier vollständig wiedergegeben sei:


"Daher ist es erstaunlich, dass das Vorliegen von "Gewalt" von Beteiligten und Unterstützern der Blockierer lebhaft bestritten wird, während zugleich von denselben Personen und in der Gesellschaft eine extensive Ausweitung des "Gewalt"-Begriffs selbst in Bereiche allgemeinster psychischer Beeinträchtigung und Beeinflussung befürwortet wird. Danach soll "(psychische) Gewalt" etwa schon bei persönlich gewendeter Missfallenskundgebung oder allgemein "grenzverletzendem" Verhalten vorliegen. Die strafrechtliche und verfassungsrechtliche Rechtsprechung ist insoweit wesentlich enger un an der Garantie der Tatbestandsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) orientiert. Die Argumentation der Blockierer verwechselt überdies "Gewalt" mit "Gewalttätigkeit"."


Diese Formulierung findet bei den Kritikern der "woken" bubble sicherlich großen Anklang, von einer seriösen Sachdarstellung ist sie allerdings meilenweit entfernt. Gleich, wie man zum Gewaltbegriff steht: Auf die Frage der Gewalt kommt es bei der Rechtfertigung nicht an. Überhaupt nicht. Auch dieser Exkurs von Fischer ist eine reine Nebelkerze, und jetzt wird es wirklich ärgerlich.


Der Rest

Der Rest ist bei Fischer etwas Geplänkel zu Sozialadäquanz, Erforderlichkeit und Gebotenheit der Notwehr gegen Klimaaktivisten, nach dem er am Ende zum Ergebnis gelangt, man dürfe Blockierer "mit Gewalt gewaltsam beiseite räumen". Der Furor ist da so mit ihm durchgebrannt, dass er den Begriff der Gewalt gleich zweimal hintereinander gebraucht. Die zentrale rechtliche Prüfung, ob es sich bei einer Straßenblockade überhaupt um eine rechtswidrige Tat handelt, bleibt Fischer dagegen bis zum Schluss schuldig.

Wir werden die hier in Kürze im 2. Teil nachliefern.