Offenbar steht es schlecht um Deutschland. Wir scheinen in einer Art Meinungsdiktatur zu leben. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man z. B. diesen Artikel im "Focus" liest. Angeblich werde der gesellschaftliche Diskus von "Denk- und Sprechverboten" beherrscht; die Gesellschaft wäre "per se sozialdemokratisch", was der Autor ohne weitere Erläuterung für etwas Schlechtes zu halten scheint. Angesichts einer Fülle von Medien, in denen auch die abstrusesten Auffassungen vertreten (und aus Quotengründen sogar gefördert) werden, mutet der Vorwurf eines "Sprechverbotes" etwas merkwürdig an; was ein "Denkverbot" sein soll, erschließt sich dem Leser erst gar nicht - aber wir nehmen das zunächst mal zur Kenntnis.
Als Zeuge für den angeblichen Verfall der deutschen Debattenkulter wird mit Peter Sloterdijk sogar ein echter Philosoph angeführt, wenn auch einer, der von jeher im Verdacht leicht faschistoiden Gedankengutes steht ("Regeln für den Menschenpark"); aber dieser Hinweis könnte ja schon wieder als "Denk- und Sprechverbot" gesehen werden. Also schauen wir uns den Text mal genauer an.
Da fällt als Erstes etwas auf, das für rechte Diskussionskultur leider typisch geworden ist: Es fehlen jegliche Quellenangaben oder Nachweise. Sloterdijk wird zwar zitiert, jedoch ohne jeden Hinweis darauf, wann oder in welchem Zusammenhang er die zitierten Aussagen gemacht haben soll. Das ist schlecht, zumal für einen Text, der so etwas wie wissenschaftlichen Anspruch zu haben scheint.
Weiter im Text beruft der Autor sich auf die "Schweigespirale" nach Elisabeth Noelle-Neumann (die mit dem Allensbach-Institut) - so als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Leider vergisst der Autor dabei zu erwähnen, dass es sich bei der so genannten Schweigespirale um eine Theorie handelt, für die es bis heute keine eindeutige Evidenz gibt und die außer von besagter Frau Noelle-Neumann auch nie von irgendjemandem so wirklich vertreten wurde. Man hätte darauf hinweisen können, ja sollen, wohl eher müssen.
Kurz gesagt meinte Frau Noelle-Neumann herausgefunden zu haben, dass Menschen sich in Gesellschaft tendenziell der herrschenden Meinung anzupassen pflegen, was wohl eher eine Binsenweisheit ist. Diese herrschende Meinung werde auch von den Medien produziert. Das war bereits bei Frau Noelle-Neumann als Kritik an den angeblich "linken" Medien gemeint - allerdings hat schon Frau Noelle-Neumann dabei geflissentlich unterschlagen, dass sie mit ihrem Institut als einflussreicher Teil der Medien genau die Meinungsmanipulation betrieben hat, die sie bei anderen kritisiert hat. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es schon Frau Noelle-Neumann weniger um die Sache als um ihren politischen Standpunkt ging, aber das ist eine andere Geschichte.
Was aber sind nun die "abweichenden Meinungen", über die wir angeblich nicht reden dürfen, ohne "sofort als unmoralisch gegeißelt" zu werden? Da referiert der Autor Themen, die einem aus dem Repertoire von Donald Trump hinlänglich bekannt vorkommen:
- dass es einen "menschengemachten Klimawandel" nicht gäbe,
- dass Schuld an Armut und sozialen Problemen die Betreffenden selbst wären und
- dass am Islam jede Kritik verboten wäre.
Verpönt wären darüber hinaus als landestypisches Spezifikum auch noch "eurokritische" Meinungen.
Merkwürdig ist nur, dass die Medien vor Beiträgen zu allen diesen Themen überzuquellen scheinen, dass man sich vor "unbequemen" Meinungen gar nicht mehr retten kann. Das passt so gar nicht zu den angeblichen "Denk- und Sprechverboten".
Warum viele der dazu vertretenen "Meinungen" von "aufgeklärten" Zuhörern übrigens nur noch mit Augenrollen zur Kenntnis genommen werden, mag auch daran liegen, dass es sich nicht um Meinungen handelt, sondern um Tatsachenbehauptungen - und zwar solche, die nach allem, was wir wissen, nur als falsch bezeichnet werden können. Darüber kann man diskutieren, aber irgendwann wird es langweilig ohne neue Argumente zum -zigsten Male darüber zu debattieren, ob die Erde nicht doch eine Scheibe sei.
Die einschlägige Presse hindert es nicht, gleich den nächsten Jammergesang ins Rennen zu schicken: Dieses Mal ist es die Welt, die ihn anstimmt und einmal auf den gemutmaßten politischen Gegner eindrischt, ohne dabei einen einzigen konstruktiven Ansatz zu präsentieren.