Donnerstag, 29. Dezember 2016

Die Kompetenz, die es nicht gibt


Ausnahmsweise bin ich anderer Meinung als der geschätzte Kollege Heinrich Schmitz.

Der schreibt in seiner Kolumne im Tagesspiegel, gegen so genante "fake news" hülfe kein Gesetz. Dazu sagt er viel Wahres und hat im Ergebnis auch erst einmal Recht. Dann aber fordert er als Ausweg etwas, dass er "Medienkompetenz" nennt.

Bitte was? Was soll das denn sein, Medienkompetenz? Medienkompetenz gibt es nicht, kann es nicht geben. Das Wort ist eine gemeine Täuschung ewiger Internet-Apologeten, die nicht einsehen wollen, dass das Internet nicht nur Lösungen anbietet, sondern vor allem Probleme schafft. Und das lässt sich auch ganz einfach begründen:

Das Wort suggeriert, dass es irgendeine erlernbare Fähigkeit gäbe, Lügen zu erkennen, und dass diese Fähigkeit sich auch im virtuellen Raum irgendwie auswirken könnte. Aber diese Fähigkeit gibt es nicht. Nicht in der Realität, und virtuell erst recht nicht.

Zehntausende Richter an deutschen Gerichten bilden sich ein, Lügen erkennen zu können und zehntausend Untersuchen belegen: Das bilden die sich nur ein. Will man dem "Lügenpapst" Jack Nasher Glauben schenken, so gibt es überhaupt nur eine abgrenzbare Personengruppe, deren Mitglieder Lügen signifikant besser erkennen als andere, und das sollen Geheimdienstmitarbeiter sein. Der Rest liegt bei einer Trefferquote von knapp über 50%, und das ist die bloße Zufallsverteilung.

Und dass soll im Internet jetzt mit welcher Art von Kompetenz genau anders sein?

Das Problem im Internet sind doch nicht irgendwelche Zeitungsenten, die sich mit etwas Nachdenken entlarven ließen. Das Problem sind bewusst und gewollt verbreitete Falschzuordnungen, die sie eben nicht ohne weiteres überprüfen können. Da wird irgendwelchen Lieblingsfeinden irgendein möglichst irrsinniges Zitat zugeordnet, vor einen eingängigen Hintergrund montiert und ab geht's. Renate Künast ist derzeit so jemand, die im Internet besonders gerne diffamiert wird, warum auch immer. Der wurde z. B. das Zitat zugeordnet:

"Der traumatisierte Junge Flüchtling hat zwar getötet man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen".
Ungeachtet der Diskutierbarkeit dieser Äußerung als solcher hat Renate Künast das nachweislich nie geäußert. Und das sollen wir jetzt mit irgendeiner "Medienkompetenz" erkennen können? Da wären wir aber weiter, als wir alle dachten.

Das Ergebnis ist doch: Diejenigen, die das glauben wollen, glauben es und dreschen drauf. Der Rest wundert sich und fragt sich, ob sie das vielleicht tatsächlich gesagt haben könnte. Deshalb muss es eine handhabbare Möglichkeit für die  Betroffenen geben, solche Nachrichten zu unterbinden. Das hat nichts mit Zensur zu tun, sondern mit der Wahrung persönlicher Rechte. Zensur wäre etwas ganz anderes, aber darum geht es hier nicht.

Eine realisierbare Möglichkeit, die eigenen Rechte im Internet zu wahren, stellt "das Internet" aber mit guten Gründen nicht zur Verfügung. Die Durchsetzbarkeit persönlicher Rechte ist damit der Willkür einiger weniger großer Anbieter ausgeliefert. Will man die bestehenden - völlig ausreichenden Gesetze - durchsetzen, wird man dort ansetzen, nicht bei irgendeiner mutmaßlichen Fähigkeit, die es nicht gibt.




Montag, 5. Dezember 2016

Charta gegen Hitlervergleiche?


Eine "Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern" fordert Digitale Grundrechte. Sie tut das nicht auf ihrem angestammten Terrain - der gedruckten Presse - sondern im Internet. Auf diesem für sie ungewohnten Parkett bewegen sich die Initiatoren etwas unbeholfen und so fehlte auf der Seite zumindest bis Freitag wohl auch noch die Datenschutzerklärung. Au weia. Hämisch lacht der Nerd.

Für die Gegner der so genannten "Charta" hat sich der Kollege Kompa gemeldet und meint, einen Frontalangriff auf die Grundrechte ausgemacht zu haben. Hier wollten "besorgte Bürger die menschliche Kommunikation regeln". Ich habe seinen Artikel dreimal gelesen und ich habe den Eindruck, dass hier ein grandioses Missverständnis vorliegt. Offenbar haben sich zwei Kulturen bereits so weit voneinander entfernt, dass sie nicht einmal mehr eine strukturelle Kopplung finden, über die sie unfallfrei kommunizieren können.

Natürlich mag man sich bei der Charta fragen, was sie eigentlich bezwecken will und ob ihre Zielrichtung nicht einigermaßen naiv ist. Aber das wäre dann wirklich ein Fall der Meinungsfreiheit, für die die Gegner der Charta angeblich so vehement eintreten.

Bedenklicher finde ich, dass die Gegner der Charta den Initiatoren vorwerfen, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen. Wie kommen die darauf? Dafür finden sich selbst bei böswilligstem Lesen keinerlei Anhaltspunkte in der Charta. Ist man da auf der Seiten Kritiker vielleicht ein wenig paranoid?

Stein des Anstoßes ist Artikel 5 der Charta, der sich tatsächlich inhaltlich an Art. 5 GG anlehnt. Dort schützt man in ersten Absatz die Pressefreiheit und stellt fest, dass eine Zensur nicht stattfinde, ganz, wie wir das gewohnt sind. In Absatz 2 heißt es dann, dass "Digitale Hetze", "Mobbing" oder Artverwandtes zu verhindern seien. Dazu drängen sich dem Kollegen Kompa drei Fragen auf, nämlich wer darüber zu befinden habe, was "Hetze" sei (1), wer das überwache (2) und wie die Verhinderung aussehen solle (3). Was Hetze sei, liege im Auge des Betrachters und dann wird es meiner Ansicht nach wirklich bedenklich:

"Twitterer im linksextremen Bereich nennen Kritiker gerne Hater und sind schneller mit Nazi-Vergleichen bei der Hand als Godwin's Gesetz erlaubt.

Neigt der Kollege da vielleicht selbst gerade ein wenig zur unzulässigen Verallgemeinerung, wie er sie den anderen vorwirft? Und was haben gerade die armen Twitterer verbrochen, dass sie hier eine Extraerwähnung verdienen?

Am meisten aber stört mich das Wort "Kritiker"; denn weder wären solche mit dem Entwurf gemeint, noch wären sie die Gruppe, die angeblich "linksextreme" Twitterer als "Hater" bezeichnen. Beleidigungen und Verunglimpfungen werden nicht dadurch zur Meinungsäußerung, dass sie sich gegen "Linksextreme" richten, wen immer er damit meinen mag. Godwins Gesetz "erlaubt" Hitlervergleiche übrigens nicht, sondern stellt allenfalls fest, dass sie passieren.

Gemeint sind hier offensichtlich Straftaten, und der Kollege echauffiert sich darüber, dass der Staat angerufen werden soll, solche zu verhindern. Ich bin zwar Strafverteidiger und lebe insoweit davon, dass Straftaten begangen werden, aber über diese Auffassung kann ich mich dann doch nur noch wundern. Sollen im Internet begangene Beleidigungen jetzt erlaubt werden, nur weil das Internet so toll ist?

Schließlich folgt noch ein Absatz über ein angebliches "Wahrheitsministerium", wobei der Kollege geflissentlich Inhalt ("Meinung") mit Form ("Herabwürdigung") verwechselt oder beides gar gleichsetzt; man weiß es nicht so genau.

Das hat diese harmlose Charta nicht verdient. Sie mag naiv sein, aber sie ist nicht böse. Offen bleibt die Frage, wie man den Nerds und Trollen endlich beibringt, wie man sich anständig verhält. Das wird auch diese Charta nicht schaffen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.