Donnerstag, 11. August 2016

Jegliche professionelle Distanz


Im Prozess gegen die so genannte "Hamburger Millionärsfreundin" (BILD) hat das Landgericht München die Angeklagte wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Der Richter hatte offenbar viel zu sagen, nicht alles davon scheint so richtig zur Sache gehört zu haben. Die BILD berichtet hier, der SPIEGEL hier, und der Kollege Udo Vetter nimmt die Berichterstattung hier auf.

Der Richter betrieb nämlich in seiner Urteilsbegründung nebenbei etwas, dass von einem der Verteidiger "Verteidiger-Bashing" genannt wurde. Der Vorsitzende Richter wird mit den Worten zitiert, die Verteidigung hätte "jegliche professionelle Distanz verloren"; dabei äußerte er gleich noch die Vermutung, diese habe auch noch die Berichterstattung im SPIEGEL "lanciert", was wohl "gekauft" heißen soll. Gisela Friedrichsen hat das augenscheinlich so empört, dass sie ihrem oben zitierten Bericht am selben Tag noch eine Replik hinterher geschoben hat.

Nun ist es nicht die Aufgabe eines Gerichts, Spekulationen anzustellen, schon gar nicht in den Urteilsgründen und schon ganz und gar nicht über Sachverhalte, die gar nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Dieses Verhalten legt wiederum nahe, dass es wohl eher das Gericht war, das hier "jegliche professionelle Distanz verloren" hat, und zwar jegliche Distanz zur eigenen sensiblen Befindlichkeit. Man sollte sachlich bleiben, insbesondere, wenn man auf der Kanzel sitzt.

Was die Verteidigung angeht, so war sogar vom "Anfangsverdacht einer Straftat" die Rede. Es ist allerdings nicht kolportiert, von welcher Straftat hier die Rede sein soll und ob das Gericht wenigstens dies konkretisiert hätte. Nicht ganz klar ist auch, welches Verhalten der Verteidiger diesen angeblichen Straftatbestand erfüllt haben soll.

Bekannt ist aus der Presse, dass dem Hauptbelastungszeugen wohl durch die Verteidigung Geld angeboten wurde. Das mag jetzt den einen oder anderen verwundern, aber: Das ist nicht verboten. Im Gegenteil: Es kann zu einer effektiven Strafverteidigung dazu gehören. Viel mehr wissen wir vom Sachverhalt nicht und können daher auch nichts dazu sagen. Einem Richter, der dieses Verhalten in die Nähe der Strafbarkeit rückt, wäre aber wohl zuzumuten gewesen, die Anwesenden über seine rechtlichen Erwägungen zu informieren, denn nahe liegend ist seine Einschätzung nicht. Solche Erwägungen sind zumindest bei mir nicht angekommen.

Weiter ist bekannt, dass bei einem zwischenzeitlich aufgetauchten Entlastungszeugen Aufzeichnungen der Verteidigung aus der öffentlichen Sitzung gefunden wurden. Bericht des SPIEGEL findet sich hier. Aber, um Gisela Friedrichsen beim Wort zu nehmen: "Was hat das mit der Verteidigung zu tun?"

Die Verteidigung ist ganz augenscheinlich vom Lebensgefährten der Angeklagten beauftragt worden, Auftraggeber und Mandat(in) also sind  verschiedene Personen. Aus dem Auftrag dürfte der Auftraggeber gegen die Verteidiger sogar einen Anspruch auf Überlassung der Mitschriften haben; dass sie sich in dessen Gewahrsam befanden, ist also kein Wunder, sondern fast eine Selbstverständlichkeit - zumal es sich um Aufzeichnungen aus einer jedermann zugänglichen Öffentlichen Hauptverhandlung handelte. Augenscheinlich spricht nichts dafür, dass die Verteidiger von der Weitergabe an den späteren Zeugen gewusst haben könnten, sonst hätte es der redselige Vorsitzende sicherlich erzählt.

Was bleibt, ist die Frage nach dem Sinn derartig spekulativer Anwürfe gegen Verteidiger und der - in der Urteilsbegründung! - unverhohlen ausgesprochenen Drohung, deren Verhalten der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu melden.

Deren Vorstandsmitglied und Vizepräsidentin sind die beiden Hamburger Verteidiger übrigens.


5 Kommentare:

  1. Bitte dem anmaßenden Richter einen Link hiervon schicken ...

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  2. „dass dem Hauptbelastungszeugen wohl durch die Verteidigung Geld angeboten wurde... ist nicht verboten"? Ein Schelm, wer hier an §§ 26/30, 153/153 StGB denkt.

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  3. Man sollte vielleicht erwähnen, dass es sich bei dem Hauptbelastungszeugen nach dessen Tatdarstellung gleichzeitig um den Geschädigten gehandelt hat, so dass das Zahlungsangebot den legitimen Zweck der Schadenswiedergutmachung haben konnte. Einem selbst nicht geschädigten Belastungszeugen, der die Tat lediglich beobachtet haben will, einfach mal so eine großzügige Geldspende des Angeklagten zu übermitteln, welche ihm unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann, wäre m.E. durchaus verboten, selbst wenn das Versprechen einer begünstigenden Falschaussage dabei nicht ausdrücklich abgenommen wird.

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  4. Man sollte vielleicht auch erwähnen, dass die Kammer insbesondere kritisiert hat, dass Gegenstand des Täter-Opfer-Ausgleichs und Voraussetzung für die Zahlung auch sein sollte, dass der Geschädigte entgegen seiner bisherigen Darstellung erklären soll, er sei selbst körperlich Übergriffig gewesen, woraus dann eine Notwehrlage hätte gefolgert werden können. Kann man natürlich nicht, wenn man die Information, auf der man seinen Blogtext aufbaut, alleine von Kollegen und Spiegel online abschreibt.

    Ps: Das mit dem Verteidigungsauftrag und der Akteneinsicht meinen Sie hoffentlich nicht ernst, oder?

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