Mittwoch, 14. Oktober 2015

Nirgendwo Nazis, überall Nazis


Als Deutschland den zweiten Weltkrieg verloren hatte, suchten alle die Schuldigen, die Nazis. Aber es gab sie nicht. Bei der Polizei, bei der Wehrmacht, bei der Justiz: nirgendwo Nazis. Alle hatten immer nur ihre Pflicht getan; Schuld gewesen waren die da oben, eigentlich sogar nur einer - und der war tot.

Das war früher schon so gewesen, und so ging es weiter. Wer nach Nazis sucht, macht sich irgendwie selbst verdächtig. Und wenn die Justiz mal den krassen Fall eines Straftäters zu verhandeln hatte, der auch noch mit nationalsozialistischem Gedankengut hantiert hatte, dann war der deshalb noch lange kein Nazi. Man konnte ja nicht wissen, ob der überhaupt um die Bedeutung seines Tuns gewusst hatte, vielleicht war es auch nur eine Geschmacksverirrung. In dubio pro reo.

Linken haben Polizei und Justiz niemals ein derartiges Verständnis entgegen gebracht. Ein Linker, der das umkreiste Anarcho-"A" irgendwo hingemalt hatte, war ein Terrorist, keine Frage. Aber nur, weil man mal ein Hakenkreuz wo hingemalt hatte, war man doch noch lange kein Nazi. Und wer unter Absingen arischer Allmachtsphantasien Asylantenheime anzündete, war allenfalls ein Brandstifter.

Wenn der Generalbundesanwalt von Terrorismus sprach, dann kam der von links. Das musste man nicht dazusagen, das war per definitionem so. Rechten Terrorismus gab es nicht. Straftäter mit linker Gesinnung waren Terroristen, Straftäter mit rechter Gesinnung waren Straftäter, und manchmal nicht mal das. Die hatten es schließlich nur gut gemeint. Waren irgendwie besorgt. Geht ja auch wirklich nicht weiter so. Ist ja kein Zustand. Muss man ja mal sagen dürfen. Haben die vielleicht etwas zu heftig getan, aber eigentlich: haben die ja Recht.

Und jetzt auf einmal sagt das Innenministerium, es gäbe rechtsgerichtete Gewalt? Das glaube ich nicht.

Da stecken bestimmt wieder diese Linken dahinter.




Montag, 12. Oktober 2015

Die Verhandlung ist eine Einbahnstraße zur Verurteilung


Freitag am Amtsgericht, verhandelt wird eine Bußgeldsache. Der Amtsrichter hat eine Verhandlungsdauer von 20 Minuten angesetzt. Zeugen wurden keine geladen. Da weiß man schon bei einem Blick auf die Terminsrolle, was einen erwartet.

Den Termin nehme ich für einen Kollegen in Untervollmacht wahr. Solche Vertretungen sind angenehm; man sieht alles etwas distanzierter, weil man mit der Sache nicht selbst befasst war. Was nicht heißt, dass man sich nicht ebenso engagieren sollte.

Es geht um einen relativ unbedeutenden Geschwindigkeitsverstoß, gemessen mit dem beliebten Messgerät PoliScan Speed. Gegen die Messung hat der Kollege auf insgesamt 14 Seiten allerlei rechtliche wie tatsächliche Bedenken schriftlich vorgetragen und vier Beweisanträge gestellt. Das alles ist inhaltlich durchaus fundiert und nicht etwa an den Haaren herbeigezogen.

Wie bewältigt ein Amtsrichter diese Aufgabe in zwanzig Minuten, von denen fünf schon mit der Feststellung der Personalien der Beteiligten verstrichen sind?

Der Amtsrichter scheint da einen Plan zu haben. Er verliest in chronologischer Reihenfolge, alles was ihm in der Akte von Belang erscheint: Messprotokoll, Anhörungsbogen, Bußgeldbescheid, sogar mehrere Zertifikate, die bezeugen sollen, dass der für die Messung verantwortliche Beamte am Messgerät geschult und die für die Schulung verantwortliche Beamtin für die Schulung am Messgerät geschult war. Nach zehn weiteren Minuten ist der Amtsrichter mit seiner Lesung fertig und guckt mich triumphierend an. Jetzt könne man die Beweisaufnahme ja schließen.

An dieser Stelle ist es auch für den Rechtsanwalt, der nur als Unterbevollmächtigter unterwegs ist, sehr wichtig, etwas zur Rechtslage zu sagen. Ich habe - zum Aufwärmen - zunächst darauf hingewiesen, dass das Datum auf dem Messprotokoll nicht mit dem Datum des angeblichen Tattags übereinstimme. Aber das sind unwesentliche Details, mit denen man sich als überlasteter Amtsrichter nicht beschäftigen sollte, sonst wird man ja nie fertig. Schließlich gebe es bei der Akte ja noch eine Kopie des Protokolls, auf dem das Datum von Hand - ohne weitere Erläuterungen - korrigiert worden sei. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist der Verdacht einer Urkundenfälschung im Amt deutlich nahe liegender als der eines Geschwindigkeitsverstoßes des Mandanten.

Aber all das ficht den wackeren Amtsrichter nicht an. Er will jetzt endlich verurteilen. Meine kurze Zusammenfassung aller Rechtsprobleme nimmt er schweigend zur Kenntnis. Irgend etwas dazu sagen mag er offenbar jetzt nicht. Die zwanzig Minuten sind lange verstrichen, eigentlich wäre Kaffeepause.

Ich weise darauf hin, dass auch noch vier Beweisanträge ihrer Bescheidung harrten und frage höflich an, ob die vielleicht auch nicht mehr nötig seien. Jetzt auf einmal ist der Amtsrichter wieder in seinem Element: Ich dürfe auf mehrere Wochen alte Beweisanträge nicht einfach verweisen, es gelte ja schließlich das Mündlichkeitsprinzip. Also fällt die Kaffeepause aus und ich verlese die Beweisanträge des Kollegen.

Der Amtsrichter atmet einmal tief durch und verkündet die Unterbrechung des Verfahrens. Neuer Termin in drei Wochen, dann mit dem Messbeamten als Zeugen. Da ich die Akte gelesen habe, weiß ich, dass das schwierig werden wird, denn der Messbeamte ist auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Warten wir ab, wie der Amtsrichter gleichwohl zu seiner Verurteilung kommen wird.

Das ist eine wahre Geschichte, und sie ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Amtsrichter sind offenbar der Auffassung, Bagatellen könne man einfach so aburteilen, der StPO bedürfe es dabei nicht. Ist ein Staatsanwalt dabei, hört man in vergleichbaren Situationen gerne noch den Vorwurf in Richtung der Verteidigung, dass man sich wegen einer solchen Lappalie doch nicht etwa streiten wolle. Regt die Verteidigung dann die Einstellung des Verfahrens an - weil die Sache ja offenbar unstreitig geringfügig ist - erntet man in der Regel Verärgerung bei der Staatsmacht. So ist das dann auch wieder nicht gemeint. Lappalien sind offenbar nur Lappalien für den Betroffenen, die den Staat nicht am Bestrafen hindern, gerne auch ohne Recht und Gesetz.

Nach so einer Veranstaltung frage ich mich manchmal, welches Selbstverständnis solche Richter eigentlich haben. Meinen die das ernst? Und wenn ja, wo haben die das gelernt?




Mittwoch, 7. Oktober 2015

Wann muss man merken, dass jemand nicht existiert?


Laut LTO begehren die Verteidiger im NSU-Verfahren jetzt Auskunft, wie es dazu kommen konnte:

Mittlerweile dürfte es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass das OLG München im NSU-Verfahren die Nebenklage einer Person zugelassen hat, die es nicht gibt. Zumindest hat man anscheinend bis heute keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass "Meral Keskin" tatsächlich existiert. Schlimmer noch: Der Generalbundesanwalt soll schon 2013 den Verdacht geäußert haben, dass diese Zeugin eine Erfindung ist. Aber das Gericht hat er damit offenbar nicht überzeugt.

Muss man sich da aber wundern? Wollte man sarkastisch sein, man könnte sagen, am verwunderlichsten ist noch, dass das Gericht den Bedenken des Generalbundesanwaltes nicht gefolgt ist - folgt es dem Generalbundesanwalt doch sonst in der Regel.

In der Sache muss man sich eher fragen, ob so etwas nicht viel häufiger passiert und nur nicht ans Licht kommt. Denn derlei Täuschungen sind deshalb so einfach, weil sie niemand erwartet, weil sie niemand erwarten kann.

Der Strafprozess ist ein hochabstraktes Gebilde, das von dem Vertrauen lebt, das die Beteiligten darin investieren. Wer hat beispielsweise jemals erlebt, dass ein Zeuge sich vor Gericht ausweisen musste? Zwar wird jeder Zeuge aufgefordert, seinen Personalausweis zur Verhandlung mitzubringen, danach gefragt wird aber praktisch nie. Ein Richter, der dem Zeugen schon vor der eigentlichen Befragung nicht einmal dessen Personalien glaubt, wird wenig Vertrauen zurückbekommen von diesem Zeugen. Also fragt er besser nicht.

Genauso wenig verlangen Verteidiger von Richter oder Staatsanwalt, sie mögen ihre Ernennungsurkunden vorzeigen. Das machen nur Reichsbürger, und die machen das nicht, um eine Information zu erhalten - sondern um Ihre missbilligende Haltung gegenüber dem Staat und dessen Organen zu demonstrieren.

Will man also ein einigermaßen gedeihliches Miteinander vor Gericht, so tut man gut daran, jedem anderen zumindest die Rolle zu glauben, die derjenige spielt. Für gefälschte Prozessbeteiligte muss dieses System blind bleiben. Es tauchen daher auch immer mal wieder zufällig Rechtsanwälte auf, die gar keine sind - was aber nie aufgefallen ist, weil es nie jemand hinterfragt hat.

Es bleibt die Frage, wie sich die Nichtexistenz einer Nebenklägerin auf den Prozess auswirken wird. Für den Ausgang des Prozesses wird dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Folgen haben. Der involvierte Rechtsanwalt wird sich einige Fragen gefallen lassen müssen, aber auch hier gilt: So ungewöhnlich ist es nun auch wieder nicht, dass man einen Mandanten nicht persönlich zu Gesicht bekommt. Um ernstlich zu zweifeln, hätte er schon konkrete Anhaltspunkte gehabt haben müssen, und welche hätten das sein sollen?

Die offenbar für die Vermittlung des Mandats geflossene Provision hätte er nicht zahlen dürfen, denn das ist dem Rechtsanwalt nicht erlaubt, § 49b Abs. 3 Abs. 1 BRAO; dieser Berufsrechtsverstoß dürfte aber eher weniger schwer wiegen.

Spannend ist dann wieder die Frage, ob der Nebenklägervertreter die aus der Staatskasse erhaltenen Gebühren wird zurück erstatten müssen. Das wird er meiner Ansicht nach wohl müssen, denn sie wurden rechtsgrundlos geleistet. Sollte sich der Rechtsanwalt hinsichtlich dieser Beträge allerdings auf Entreicherung berufen können, hätte die Staatskasse eine sechsstellige Summe in das Vertrauen investiert, von dem die Justiz lebt.

Es gibt schlechtere Staatsausgaben.