Dienstag, 14. Oktober 2014

Täter und Opfer


Der Handelsvertreter-Blog weist auf einen aufschlussreichen Artikel in der Welt hin, der mit der Frage eröffnet, ob Handelsvertreter Täter oder Opfer seien. Der Artikel ist lesenswert und beantwortet seine Titelfrage recht eindeutig: Handelsvertreter sind Täter UND Opfer.

Vieles deute auf einen "Systemfehler" hin, heißt es in der Kurzzusammenfassung. Und dieser Systemfehler lässt sich auch tabellarisch darstellen, nämlich so:


  1. Kapitalgesellschaften ködern - meist junge - Menschen, die als Freie Handelsvertreter für die Gesellschaft Geschäfte vermitteln sollen.
  2. Dabei wendet sich die Gesellschaft vorrangig an geschäftlich unerfahrene Männer ohne Berufsabschluss, vorrangig Schulabgänger und Studienabbrecher. Das ist Absicht.
  3. Diese Männer haben häufig ein hohes Geltungsbedürfnis, aber wenig Geld.
  4. Und sie wissen nicht, was ein Freier Handelsvertreter ist. 
  5. Das steht zwar in dem Vertrag, den sie unterschreiben, aber den lesen sie nicht, und wenn sie ihn lesen, verstehen sie ihn nicht. Zu fragen trauen sie sich nicht; zu den Gründen dafür später.
  6. In dem Vertrag steht drin, dass Geschäftsabschlüsse zumeist erst Jahre später verprovisioniert werden. Im Vermittlersprech heißt das, er muss die Provision "ins Verdienen bringen". Das tut er, indem der Kunde möglichst nicht kündigt, stirbt, insolvent wird oder einfach so nicht mehr zahlt. Beeinflussen kann der Vertreter das in der Regel nicht wirklich. 
  7. Das versteht der angehende Vermittler nicht, wenn er es denn überhaupt gelesen hat (vgl. Ziffer 5.)
  8. Damit der engagierte Vermittler zwischenzeitlich nicht verhungert und engagiert weiter vermittelt, erhält er von der Gesellschaft monatlich einen gar nicht ganz geringen Vorschuss.
  9. Den hat er noch nicht verdient, kriegt ihn aber trotzdem.
  10. Von dem Geld kauft sich der frisch gebackene Berater, Optimierer oder wie er sich sonst nennen mag, als Erstes ein als standesgemäß empfundenes Kraftfahrzeug, siehe Ziffer 3.
  11. Von dem Rest lebt er.
  12. Nach einem Jahr kommt die erste Abrechnung. Die geht noch, denn der fleißige Vermittler hat viel vermittelt und seine Kunden hatten noch wenig Zeit, zu kündigen, zu sterben , insolvent zu werden oder einfach so nicht zu zahlen. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
  13. Die Abrechnung des nächsten Jahres wird schon schlechter. Denn mittlerweile hat der Vermittler alle willigen Mitglieder seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft mit Versicherungen versorgt und sein Kundenstamm hatte ein weiteres Jahr Zeit, zu kündigen, zu sterben oder insolvent zu werden. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
  14. Das dritte Jahr wird katastrophal, denn jetzt sind auch die äußeren Ausläufer der Bekanntschaft abgegrast und die Kundschaft hatte ein weiteres Jahr Zeit - Sie wissen schon.
  15. Spätestens jetzt steht auf der Abrechnung eine vier- bis fünfstellige rote Zahl und der Vermittler fürchtet um seinen monatlichen Verdienst.
  16. Das ist aber gar kein Verdienst, sondern ein Vorschuss. Und den will die Gesellschaft jetzt zurück.
  17. Damit ist der Vermittler pleite - aber halt: Im Grunde ist er nicht jetzt pleite, er war es die ganze Zeit. Er wusste es nur nicht. Das kann er sich entweder eingestehen - dagegen spricht aber wieder Ziffer 3 - oder er kann anfangen, irgendwie zu tricksen. Das ist meistens strafbar und führt zu weiterem Ungemach.
Ob dieser Verlauf jetzt Dummheit des Vermittlers oder Bösartigkeit der Gesellschaft oder Bösartigkeit des Vermittlers ist, mag für das Ergebnis dahin stehen. Wahrscheinlich ist es alles zusammen. Vielleicht ist die Trennung in Täter und Opfer deshalb auch gar nicht so sinnvoll. Aber das ist eine andere Geschichte.






1 Kommentar:

  1. Und verstehen wir Sie richtig, der eigentliche "Täter" ist die Versicherung, die ein Schweinegeld mit Kunden verdient, die alsbald kündigen, versterben oder insolvent werden, sowie damit, hohe Vorschüsse an Vermittler zu zahlen, von denen sie in deren Insolvenz so gut wie nichts wiedersieht?

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