Montag, 17. Dezember 2012

Schusswaffen im Gericht


Amtsgericht, Strafsache, mündliche Hauptverhandlung. Gehört werden soll ein so genannter Polizeizeuge, vulgo Polizist. Der Beamte erscheint in Uniform mitsamt Dienstmütze und Dienstwaffe. Dagegen regt sich in mir regelmäßig Unmut, denn in der Gegenwart von Schusswaffen fühle ich mich unwohl und in meiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt.

Gericht und Staatsanwalt stört das erfahrungsgemäß wenig; ein Hinweis auf mein Unwohlsein wird regelmäßig mit Unverständnis quittiert. Als Richter würde ich es mir nicht so ohne weiteres gefallen lassen, dass meine Sitzungsgewalt durch real existierende Schusswaffen relativiert wird.

Die Frage muss erlaubt sein: Warum dürfen Polizeibeamte ihre Dienstwaffen mit ins Gericht bringen? Dienen die dort irgendeinem Zweck? Hat der Beamte die berechtigte Befürchtung, sich im Zeugenstand mit realer Gewalt gegen irgend wen oder irgend etwas verteidigen zu müssen? Gegen was oder gegen wen? Das hat mir bisher noch niemand befriedigend beantworten können.

Oder fühlen sich Beamte ohne ihre Schusswaffe einfach nicht wohl in ihrer Haut? Dann aber bitte gleiches Recht für alle, und alle anderen im Gerichtssaal tragen (hoffentlich) auch keine Schusswaffen.




Donnerstag, 13. Dezember 2012

Widernatürliche Unzucht auf dem Weg zurück


Der Bundestag hat beschlossen, religiöse Beschneidungen an Jungen gesetzlich zu regeln. Demnächst wird er wahrscheinlich beschließen, Zoophilie wieder unter Strafe zu stellen. Nein, hier hat der satirischeTeil des Beitrags noch nicht angefangen, das stimmt tatsächlich. Beides.

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Wilfried Hassemer, sieht in letzterem einen "problematischen Trend, Moral (...) durch Gesetze zu regeln". Da hat er Recht.

Schon in der Beschneidungsdebatte waren einige Stimmen zu hören, über die man erschrecken muss. Eine parteienübergreifende Mehrheit der Abgeordneten scheint nichts dabei zu finden, eigentlich strafbare Handlungen gesetzlich zu privilegieren, wenn sie nur religiös motiviert sind. Das lädt zu scheußlichen Gedankenspielen ein, aber der satirische Teil des Beitrags hat immer noch nicht begonnen.

Nun möchte man also auch die Zoophilie - "Unzucht mit Tieren" - wieder unter Strafe stellen. Da kann man jetzt aber wirklich nicht umhin, sich kurz einmal zu vergegenwärtigen, welche Delikte aus dem Strafgesetzbuch seinerzeit gemeinsam mit der Zoophilie gestrichen wurden. Es waren unter anderem:

  • Ehebruch (§ 172 StGB a. F.)
  • Unzucht zwischen Männern (§ 175 StGB a. F.)
  • Kuppelei (§ 180 StGB a. F.)

Nebenbei wurde die Zuchthausstrafe abgeschafft.

Dem zugrunde lag die überfällige Einsicht, dass Moralvorstellungen als Grundlage für Strafnormen nicht taugen. Diese Einsicht scheint mittlerweile unter dem Einfluss von - ja von was eigentlich? - wieder geschwunden zu sein.

Haben wir also zu erwarten, dass auch die restlichen moralinsauren Anstandsdelikte wieder in die Gerichte zurückkehren? Darf ich bald auch wieder gegen den Vorwurf des Ehebruchs verteidigen? Haben wir zu erwarten, dass Herzblatt-Moderatoren wegen Kuppelei aus der Sendung weg verhaftet werden?

Kommt nicht bald wieder dieser bärtige Mann mit dem Knüppel? Draufhauen, aber tüchtig!


Dienstag, 11. Dezember 2012

Wer sucht eigentlich den Angeklagten?


Termin zur mündlichen Hauptverhandlung und der Angeklagte kommt nicht. Der Angeklagte kann nichts dafür, denn er sitzt in anderer Sache in Haft. Kollege Siebers hatte gerade so einen Fall. Keines der bis dato prozessleitenden Organe war auf die Idee gekommen, den Aufenthalt des Angeklagten mal rechtzeitig zu klären. Und so sind alle umsonst erschienen.

Es gibt Dinge in der Justiz, die verstehe ich als Verteidiger nicht. Daher kann ich sie auch meinen Mandanten nicht recht erklären. Viele dieser Dinge sind in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt und lösen entsprechende Verwunderung aus, wenn der Normalbürger ihnen begegnet. Die Verwunderung wird nicht eben kleiner, wenn auch der Rechtsanwalt die Existenz solch ungeahnter Umstände nur bestätigen, nicht aber begründen oder gar ändern kann.

Zu diesen Dingen gehört - neben dem Umstand,

  • dass Hauptverhandlungen vor dem Landgericht nicht protokolliert werden, 
  • dass es weniger Instanzen gibt, je schwerer die angeklagte Tat wiegt oder
  • dass Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht zwingend zur Aufhebung des Urteils führen
auch der Umstand, dass die Justiz nicht miteinander kommuniziert. Schwerer noch wiegt, dass die Justiz von der Anwaltschaft offenbar erwartet, dass sie ihr diese interne Kommunikation abnimmt. 

So wird in der eingangs beschriebenen Situation in der Regel der Verteidiger fragend angeguckt. "Ja wo ist er denn, ihr Mandant?" Wenn der Verteidiger dann "im Knast" antwortet, folgt zumeist der Vorwurf, man hätte dem Gericht dies doch mitteilen müssen. 

Ja, bin ich denn meines Richters Hüter?

Montag, 10. Dezember 2012

Einfach mal "nein" sagen


Der Angeklagte beteuert immer wieder seine Unschuld. Das Gericht interessiert das relativ wenig; es öffnet trotz aller Beteuerungen die so genannte Sanktionsschere: Bei einem Geständnis würde sich das Gericht mit  einer Freiheitsstrafe von soundsoviel Jahren begnügen, anderenfalls würde die Freiheitsstrafe eben soundsoviel Jahre höher ausfallen.

Gisela Friedrichsen kritisiert in ihrem Zwischenruf für die LTO auch das Verhalten vieler Verteidiger, die angesichts einer solchen Situation "einknicken"; der Kollege Hoenig fordert die Verteidiger dazu auf, "einfach mal nein zu sagen". Beider haben im Prinzip Recht, in der rauen Wirklichkeit ist das Problem aber noch etwas vielschichtiger.

Denn leider kann der Angeklagte, dessen Verteidiger "nein" sagt, nicht mehr mit einem fairen Verfahren rechnen. Im Gegenteil: Er muss mit seiner Verurteilung zur höchstmöglichen Strafe rechnen. Kollege Hoenig beschreibt einen solchen Fall und man wird ihn durchaus für nicht ungewöhnlich halten dürfen, auch wenn alle Richter an dieser Stelle abstreiten werden, dass solche Fälle häufiger vorkommen. Sie kommen ständig vor. Der Freispruch ist im Strafprozess faktisch nicht mehr vorgesehen.

Im Wissen um diesen Zustand des Strafverfahrens muss sich jeder Verteidiger fragen, ob er seinem Mandanten nicht sogar zu einem (falschen) Geständnis raten sollte und könnte die Auffassung vertreten, dass, wo Recht nicht mehr zu erwarten ist, man doch zumindest Schadensbegrenzung betreiben muss. Der Verteidiger würde dadurch allerdings erst recht zum Gehilfen des Unrechts. Aber kann man es ihm zum Vorwurf machen, wenn er doch nur noch größeres Unrecht von seinem Mandanten abwenden will?

Dieses Dilemma ist nicht auflösbar. Man kann den Knoten nur zerschlagen, indem man auf penibelste Einhaltung der Gesetze auch und gerade durch Richter und Staatsanwälte pocht. Aber daran scheint in Justiz und Öffentlichkeit generell wenig Interesse zu bestehen. Allein kann der Verteidiger das Recht nicht durchsetzen. Extreme Einzelfälle - wie der Fall Mollath - sind da keine Ausnahmen, solange die Empörung erst aufkommt, wenn das Unheil bereits geschehen ist.

Gerichte und Staatsanwaltschaften machen dabei offenbar die Erfahrung, dass sie mit derlei Gebaren in der Regel zum Erfolg kommen. Wobei Erfolg bedeutet: schnelle Verurteilung. Ändern wird sich das erst, wenn in einer Strafverhandlung nach diesem Muster auch einmal ein Beamter der Staatsanwaltschaft oder ein Richter aufsteht und "einfach mal nein sagt".

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Eine besondere Sicht der Dinge...


...scheinen mir viele Richter ja schon immer zu haben. Einen besonders krassen Fall stellt der Kollege Dietrich heute in seinem Blog vor. Es ist einfach zu schön.

Das Gericht hat in seinen Urteilsgründen strafmildernd berücksichtigt, dass der Verteidiger mehrere Beweisanträge gestellt hat, wodurch weitere Verhandlungstage notwendig wurden, die den Angeklagten Geld gekostet haben. "Na immerhin", möchte man ausrufen, "immerhin hat das Gericht es nicht für strafschärfend erachtet, dass der Verteidiger des Angeklagten dessen Verurteilung erschwert hat". Das soll nämlich auch schon vorgekommen sein. Auch, dass ein Rechtsanwalt Geld kostet, weiß das Gericht - ebenfalls nicht selbstverständlich.

Aber selbst als schlechter Richter sollte man zumindest schon einmal gehört haben, dass der Verteidiger ein eigenständiger Prozessbeteiligter ist, sein Handeln dem Angeklagten daher nicht zugerechnet werden kann. Die Entscheidung, wie man sich verteidigen lässt, bleibt jedem selbst überlassen. Dies in den Urteilsgründen abfällig zu kommentieren ist überflüssig und dient ganz augenscheinlich nur dazu, einen Keil zwischen den Angeklagten und seinen Verteidiger zu treiben - ein Vorgehen, dass hilflose Richter gerne pflegen. Bei anderen Menschen würden solcherlei Äußerungen zwanglos unter den Tatbestand der Beleidigung subsumiert werden, ein Richter darf sie sogar noch ungestraft mit einem Dienstsiegel versehen.

Da fällt einem kaum noch auf, dass die Argumentation des Gerichts selbst bereits haarsträubend ist. Wenn das Gericht einem Beweisantrag nachgeht, heißt das nämlich nichts anderes, als dass das Gericht die Beweisbehauptung für erheblich hält. Dies ist eine rechtliche Würdigung des Gerichts und allein durch sie werden weitere Verhandlungstage erforderlich.

Man fragt sich bei erfolgreichen Beweisanträgen allerdings häufig, warum das Gericht ihnen nicht von sich aus nachgegangen ist. Soweit das Beweismittel bereits zuvor aktenkundig war, wäre jeder Richter hierzu verpflichtet.


Montag, 3. Dezember 2012

Doktorandenelend


Promotionsstudenten sind arme Schweine. Sie werden von Ihren Doktorvätern allein gelassen, sind hilflos, und niemand sagt ihnen, dass sie ihre Doktorarbeit selbst schreiben müssen und nicht einfach anderer Leute Werke aneinanderleimen und als eigenes Werk ausgeben dürfen. Und das, wo doch gerade die Rechtswissenschaften so furchtbar kompliziert sind. Wie soll man das alleine nur bewältigen?

Diesen Eindruck bekommt man, wenn man in den Urteilsgründen des Verwaltungsgerichts Freiburg nachliest, wie sich die Tochter von Edmund Stoiber gegen den Widerruf ihrer Dissertation zur Wehr zu setzen versucht hat. Es ist ein Elend, das hier und hier schon treffend gewürdigt wird.

Aber zurück zur Frage, wie man das alleine bewältigen soll: gar nicht. Man sollte es sein lassen. Promovieren ist für Wissenschaftler, denn die können das. Warum aber promoviert jemand, der zwei unterdurchschnittliche Examina hat? Wo sogar die Promotionsordnung festlegt, dass in einem solchen Fall regelmäßig nicht einmal die Voraussetzungen für ein Promotionsstudium vorliegen? Wenn man nicht einmal ansatzweise die Absicht hegt, in die Wissenschaft zu gehen? Ganz einfach:

Man promoviert, weil es sich vor dem Namen so schön macht. Weil vielleicht die Großkanzlei, in der der eine oder andere Anverwandte einen unterbringen kann, wenigstens die Doktorwürde erwartet, wenn schon die Qualifikation nicht da ist. Damit es wenigstens nach was aussieht, wenn schon nichts dahinter ist.

Das alles ist schon ärmlich genug, wenn es auch nicht zu ändern sein mag; weil es immer welche geben wird, die an den Schleusentoren der Promotionsordnung vorbei einen Doktorvater kaufen von ihren nicht vorhandenen Fähigkeiten überzeugen können. Sich dann aber auch noch gegen die korrekte Anwendung des Gesetzes zur Wehr setzen, indem man die Schuld auf eben diesen schiebt, das ist auf der nach unten offenen Peinlichkeitsskala kaum noch auffindbar.

Alltag vor dem Amtsgericht


Das Amtsgericht verhandelt gegen drei Angeklagte; der Hauptangeklagte soll durch falschen Sachvortrag in einem Zivilprozess einen Prozessbetrug versucht haben, seine beiden Mitangeklagten sollen als Zeugen in eben diesem Prozess falsch ausgesagt haben.

Mein Mandant wird der Uneidlichen Falschaussage bezichtigt. Das Beweisthema, zu dem er im Zivilprozess ausgesagt hat, umfasst genau einen Satz und seine dies betreffende Aussage ist nachweislich richtig.  Die Anklageschrift bezieht sich dann auch auf völlig andere Äußerungen, die in keinerlei Zusammenhang zum Beweisthema stehen und erst auf richterlichen Vorhalt gemacht wurden.

Die Rechtslage ist tatsächlich mit dem Gesetz kaum zu lösen, wohl aber mit einem Blick in die Rechtsprechung des BGH: Aussage im Sinne des Gesetzes ist nur, was zum Beweisthema gehört. Eine uneidliche Falschaussage ist hier also nicht einmal im Ansatz erkennbar.

Da muss man sich fragen, wie zwei juristische Instanzen - die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung und das Gericht bei der Eröffnung des Hauptverfahrens - diese Rechtslage zum Nachteil des Angeklagten falsch einschätzen konnten. Meine Aufgabe als Verteidiger ist es, das Gericht auf seine Fehler hinzuweisen, und das habe ich in der mündlichen Verhandlung getan.

Die Reaktion von Gericht und Staatsanwaltschaft ist es, die einen Verteidiger an der Justiz zweifeln lässt:

Das Gericht mokiert sich, dass diese Erklärung zur Rechtslage doch wohl eher in das Plädoyer gehörte. Nein,  sage ich, das tut sie nicht,. Sie hätte eigentlich ins Vorverfahren gehört, und von der Staatsanwaltschaft geleistet werden müssen - Fehlanzeige. Spätestens das Gericht hätte sie aber im Zwischenverfahren leisten müssen - Fehlanzeige. Dann auch noch die Verteidigung dafür zu rügen, dass sie auf seinem Mandanten nachteilhafte Fehler der Justiz hinweist, ist einfach nur dreist.

Die Vertretung der Staatsanwaltschaft hat übrigens nur still dabei gesessen. Später hat sie dann darum gebeten, doch auch einmal die Verfahrensakte sehen zu dürfen - die kannte sie nämlich noch gar nicht. Das hatte bis dato allerdings nicht daran gehindert, einen haltlosen Vorwurf zu vertreten. Irgendeine Form von Problem- oder gar Unrechtsbewusstsein sucht man auch hier vergebens.

Wenn man so etwas in weniger bedeutsamen Verfahren häufiger erlebt, dann wundern einen die Vorkommnisse in Verfahren wie dem gegen den allgegenwärtigen Gustl Mollath etwas weniger.