Mittwoch, 30. Juni 2010

Strafschärfend zu werten ist die Begehung der Tat

§ 46 StGB lässt Gerichten relativ weiten Spielraum, welche Umstände es bei der Strafzumessung berücksichtigen darf. Während sich die Berücksichtigung entlastender Momente jedoch zumeist im Fehlen von Vorstrafen, geständiger Einlassung oder Schadenswiedergutmachung erschöpft, entwickeln Richter bei der Suche nach belastenden Umständen mitunter wahre Kreativität:

Der Angeklagte ist angeklagt, seine Lebensgefährtin erschlagen zu haben. Strafschärfend wertet das Landgericht in seinem Urteil, dass er damit deren zwei Kindern die Mutter genommen hat.

Das liest man erstmal so und ist unangenehm berührt ob der Tragik des Geschehens. Wenn man allerdings etwas darüber nachdenkt, kommt einem das kalte Grausen bei dieser Logik des Gerichts:

Berücksichtigt hat es in Wahrheit nämlich zwei Umstände:
  • Zum einen den Umstand, dass das Opfer zwei Kinder hatte - das ist allerdings kein Umstand der Tat und daher irrelevant;
  • zum anderen den Umstand, dass der Angeklagte das Opfer getötet hat - das ist identisch mit dem verwirklichten Tatbestand.
Letztlich hat das Gericht also - wieder einmal - allein die Tatbestandsverwirklichung als solche nochmals strafschärfend gewertet und das offenbar auch noch ernst gemeint. Da fragt man sich schon, wo diese Richter das Denken gelernt haben.



Schön, wenn man oben steht

... insbesondere, wenn es das Jurablogs-Ranking ist.

Erst recht dann, wenn man noch nicht einmal selber etwas geschrieben hat, sondern nur zitiert wird. Auch, wenn der eigene Beitrag nur als "Unsinn" gegeißelt wird.

Aber eines muss ich dann doch noch sagen, lieber Rechthaber:

Dass mein Blog-Eintrag nicht das Spiel Deutschland-England betraf, sondern das Spiel Mexiko-Argentinien, mögen Sie ja in der Hitze des Gefechts noch übersehen haben; dass sie dann aber eine Passage des Regelwerks der FIFA zitieren, die fast wortgleich mit meiner Äußerung ist, verwundert mich dann doch.

Reden wir etwa beide Unsinn?









Das Prozessorakel des Wetterfroschs

Jetzt wird es aber prozessual wirklich interessant im Fall Kachelmann: Der für Freitag angesetzte Haftprüfungstermin ist hinfällig geworden. Denn die Verteidigung hat nun Haftbeschwerde eingelegt und den Haftprüfungsantrag offenbar zurückgenommen; beides schließt sich bekanntlich aus.

Ob Verteidigung auf leisen Sohlen daherkommen soll oder aber mit Krawall, das wurde bereits umfangreich diskutiert, jetzt sind die Interpreten gefragt:

Was kann wohl der Grund für diesen Sinneswandel sein? War die Verteidigung von Frau Rückerts Artikel derart beeindruckt, dass sie jetzt den Turbo eingeschaltet hat? Ist eine Haftbeschwerde überhaupt der Turbo? Was mag der Verteidiger in seiner Haftbeschwerde vortragen, was das Gericht noch nicht weiß? Denn nur auf die gerichtsbekannten Gutachten zu verweisen, dürfte als Argument kaum ausreichen, um das Gericht von seiner bisherigen Einschätzung abzubringen.

Oder will die Verteidigung die Haftsache mit Absicht frühzeitig in die nächste Instanz treiben - mit dem bekannten Risiko, sich zu präjudizieren? Werden wir am Ende gar einen triumphierenden Herrn Birkenstock erleben und wir alle haben seine geniale Taktik nur nicht verstanden?

Eins aber scheint mir klar: Wenn das mit der Haftbeschwerde nicht klappen sollte, wird es dunkel für den Wetterfrosch.


Dienstag, 29. Juni 2010

Drin oder nicht drin...

... das ist nicht nur bei Jörg Kachelmann die Frage, sondern seit vorgestern wieder vermehrt auch beim Fußball.

Besorgte Leser fragten an, ob es denn wirklich sein könne, dass der Schiedsrichter seine als falsch erkannte Entscheidung nicht revidieren könnte.

Juristenantwort: Jein. Kann er nicht. Darf er nicht. Entschieden ist entschieden. Wenn er es allerdings trotzdem getan hätte - der Schiedsrichter - hätte dagegen auch niemand so recht etwas unternehmen können. Schließlich entscheidet der Schiedsrichter und niemand sonst. Mutige, selbstkritische oder einfach nur unentschlossene Schiedsrichter haben sich in der Vergangenheit auch schon mal umentschieden.

Aber vor der WM hat angeblich der Herr Blatter - das ist der Chef aller Fußballtreibenden weltweit - angedroht, dass, wer sich als Schiedsrichter vorher, nachher oder währenddessen auf technisches Zauberwerk einlasse, hinterher selbst entlassen werden würde. Als Schiedsrichter. Damit hat der Herr Blatter viele Schiedsrichter so verschreckt, dass sie jetzt ganz verunsichert sind, die Armen. Laufen nur noch so herum und wissen nicht recht, wie sie pfeifen sollen, die Armen.

So ist das mit den Schiedsrichtern.

Der Schlaf der Beleidigten

Wenn man als Strafverteidiger häufiger mal Revisionsschriften fertigt, braucht man eine noch höhere Frustrationstoleranz, als sie für einen Strafverteidiger sowieso schon erforderlich ist. Nur etwa drei bis fünf Prozent aller Revisionen des Angeklagten haben Erfolg.

Da haben die Tatrichter ein weitgehend sorgenfreies Leben, halten doch die Revisiongerichte ihnen mit allerlei paralegalen Erfindungen - wie z. B. der schlichtweg gesetzeswidrigen Widerspruchslösung - den Rücken frei.

Es verwundert also wenig, dass Tatrichter mit Misserfolgen nicht umzugehen gelernt haben. Dann und wann hat aber eine - gut gemachte - Revision doch mal Erfolg. Was man als Verteidiger dann in der neuerlich erforderlichen Hauptverhandlung erleben kann, ist nur noch traurig:

Richter, die ihren vom Obergericht aufgehobenen Kollegen in inniger Solidarität verbunden, ungefragt und in öffentlicher Hauptverhandlung ihre persönliche Betroffenheit darüber äußern, wie es das Revisionsgericht wagen konnte, derart in richterliche Unabhängigkeit einzugreifen. Da mögen die Rechtsfehler des ersten Tatgerichts noch so offen zu tage liegen: Kein Fehler ist krass genug, dass man über eine Urteilsaufhebung nicht doch noch empört sein könnte. Vor Unmut zitternde Vorsitzende erlebt man dann, die in ihrem Unmut befangen, jegliche Verhandlungslust verloren haben und dies unumwunden damit begründen, die Verteidigung könnte ja abermals wagen, Revision einzulegen.

Die Königsdisziplin des beleidigten Gerichts aber ist: Einfach liegen lassen. So liegt vor mir meine dienstälteste Akte, Jahrgang 2005, Urteil 1. Instanz 2006, Urteil zweiter Instanz 2006, Aufhebung durch das OLG 2007.

Seither liegt die Sache beim Landgericht und schläft den Schlaf der Beleidigten. Nur der Mandant ruft im Halbjahresrhythmus noch an und erkundigt sich, ob es etwas Neues gäbe. Gibt es nicht.

Montag, 28. Juni 2010

Beweisverwertungsverbote im Fußball

Seit gestern wissen auch Nichtjuristen, was ein Beweisverwertungsverbot ist.

Erst hatte der Schiedsrichter in der Partie Deutschland - England offenbar als einziger einen Knick in der Linse, dessen Auswirkung wir hier sehen. Seine Monopolmeinung musste er aber noch nicht ernsthaft verteidigen.

Schwerer hatte es der Schiedsrichter in der Partie Argentinien - Mexiko. Der Torschütze zum 1:0 hatte für jedermann gut erkennbar im Abseits gestanden. Das war sogar nachträglich noch zu sehen: Denn im Stadion gibt es eine Leinwand, auf der statutengemäß nur die Tore wiederholt werden dürfen. Da der Schiedsrichter das Tor anerkannt hatte, wurde die Spielszene also wiederholt und jeder der Zuschauer nebst dem Schiedsrichter konnte sehen, dass das Tor regelwidrig erzielt worden war.

Nur berücksichtigen durfte der Schiedsrichter diese für ihn neue Erkenntnis nicht, weil die FIFA-Statuten ihm die Nutzung technischer Hilfsmittel ausdrücklich verbieten. Also zeigte er weiter brav Tor an, obwohl er wusste, dass das falsch war. Ein hervorragender Prozessrechtler!

Wenn doch nur alle Strafgerichte bestehende Beweisverwertungsverbote mit solcher Konsequenz behandeln würden.

Freitag, 25. Juni 2010

Sterbehilfe ist erlaubt

Ich glaube, heute hat der zweite Senat des BGH ein sehr schönes Urteil gesprochen, dessen ausführliche Begründung ich mit Spannung erwarte. Der Sachverhalt wurde ja z. B. hier schon öfters behandelt.

Insbesondere auf die Ausführungen zur - meines Erachtens völlig unsinnigen - Unterscheidung von Tun und Unterlassen bin ich gespannt. In der Pressemitteilung ist von der "nur an den Äußerlichkeiten von Tun und Unterlassen orientierten Unterscheidung" die Rede.

Das hört sich sehr vernünftig an. Muss man ja auch mal sagen.