Montag, 28. November 2011

Der ideale Mandant

Ein potentieller Mandant wendet sich per E-Mail an den Rechtsanwalt mit folgendem Anliegen:

"Können Sie mir bitte bestätigen, dass die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB mit einem Strafbefehl verfolgt werden kann?"
(Rechtschreib- und Grammatikfehler des Autors habe ich behutsam korrigiert.)

Der Rechtsanwalt antwortet auf die Anfrage arglos und schreibt zurück, dass dies zutreffend sei. Daraufhin erhält er eine Mail mit folgendem Wortlaut:

"Bei einem Vergehen nach § 201 StBG handelt es sich um ein sogenanntes reines Antragsdelikt (§ 205 StGB), d. h. die Sache wird nur auf einen Strafantrag hin verfolgt. SIE SIND KEIN RECHTSANWALT!"

Das muss der ideale Mandant sein:

1. Er fragt den Rechtsanwalt nicht, um etwas zu erfahren, sondern um ihn zu testen.
2. Er tut dies unter der Prämisse, dass er die Antwort besser weiß als der Rechtsanwalt.
3. Dabei macht der Mandant haarsträubende Fehler bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts. Im konkreten Fall verwechselt er offenbar einen Strafantrag mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und vermengt materielles und prozessuales Recht.
4. Schließlich beleidigt er den Rechtsanwalt, der ihm gutwillig und zutreffend Auskunft gibt.

Da kann man dem Kollegen, bei dem dieses Mandat dereinst mal landet, schon jetzt ungeteiltes Mitleid aussprechen.

P.S.: Der angeschriebene Rechtsanwalt war nicht ich.


Donnerstag, 24. November 2011

Rechtsradikal allein reicht eben nicht

Mit Rechtsradikalismus kann die BILD-Zeitung eigentlich nichts anfangen.

Dass Rechtsradikalismus für die konservative Presse nur schwer greifbar ist, mag daran liegen, dass man ja selber rechts ist und Radikalismus daher generell eher am anderen Ende des politischen Spektrums verortet. Vielen Menschen aus anderen Lebensbereichen scheint dies ja ähnlich zu gehen.

Nun ist man aber bei der BILD-Zeitung nicht nur konservativ, man ist eben auch stets bemüht, jedem Trend hinterher zu rennen. Schließlich will man ja sein Blatt an den Mann bringen.

Also müht sich die BILD-Zeitung jetzt, Rechtsradikalismus über einen der gängigen Aufhänger ins Blatt zu hieven, mit denen man sonst die Volksseele ködert: Das sind in der Regel:

1. Hurra wir sind wieder was (Fußballweltmeister, Papst o. ä.)
2. Der böse Onkel Staat plündert den armen Mann auf der Straße aus (Steuererhöhungen etc.)
3. Oh Gott, wie sieht der denn aus (alle Formen des Voyeurismus).

Und nun schauen Sie mal hier, für welchen der drei Standardaufhänger die BILD-Zeitung sich dieses Mal entschieden hat!

Mittwoch, 23. November 2011

Hamburgische Bräuche: Kollegen aus dem Mandat werfen

Letztens rief mich ein mir bis dato nicht bekannter Kollege an. Er bezog sich auf ein von mir als beigeordnetem Verteidiger geführtes Mandat und kündigte dann vollmundig an, er werde "mich jetzt erst einmal aus dem Mandat werfen". Nun gut, der Umgangston einiger Kollegen war schon immer etwas ruppiger.

In der Sache selbst ist das Routine; dann macht die Arbeit eben ein anderer. Mit so etwas muss jeder Verteidiger leben. Auch nehme ich mit einer gewissen Beruhigung zur Kenntnis, dass dies offenbar selbst solch renommierten Kollegen wie dem Kollegen Vetter passiert.

Der von mir erwähnte Kollege allerdings lebte in der Vorstellung, ich wäre - aus welchen Gründen auch immer - verpflichtet, seiner Beiordnung an meiner Statt zuzustimmen und auf sämtliche bei mir bereits angefallenen Gebühren zu seinen Gunsten zu verzichten. Kurz: Mich rief ein Unbekannter an und verlangte von mir, dass ich ihm etwa EUR 500,00 schenken und dafür auch noch seine Arbeit machen solle. Solch Verhalten mag mancher dummdreist nennen.

Meinem Vorschlag zur Güte, er solle doch einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellen und die Entscheidung des Gerichts abwarten, quittierte er mit beleidigenden Worten. Angeblich sei das in Hamburg nicht üblich, und ich wohl rechtlich nicht so bewandert. Er drückte das etwas unfreundlicher aus. Von einer derartigen eigens für Hamburg geltenden Regelung ist mir allerdings nach wie vor nichts bekannt.

Also nahm ich den Termin zur mündlichen Hauptverhandlung wahr, zu dem ich bereits zuvor geladen worden war. Im Termin wurde ich dann nicht nur von dem Kollegen mit der merkwürdigen Rechtsauffassung, sondern auch noch von einem ihm offenbar in Freundschaft verbundenen Mitverteidiger angepöbelt. Für den Staatsanwalt muss es ein innerer Reichsparteitag gewesen sein, für Gericht und Mandanten wird es wohl einfach nur peinlich gewesen sein.

Das Verhaltens des Kollegen kann man wohl nur noch als traurig einstufen. Dabei muss man bedenken, dass es sich um eine Beiordnung handelte. Die Beiordnung ist für den Rechtsanwaltin der Regel mit einer erheblichen Einbuße an Gebühren verbunden. Die Gebühren des Pflichtverteidigers liegen deutlich unter den eigentlichen Gebühren. Deshalb wird die Beiordnung rechtlich als Sonderopfer des Rechtsanwalts eingeordnet. Bis vor einiger Zeit haben Rechtsanwälte dafür gestritten, nicht vom Gericht beigeordnet zu werden.

Diese Zeit scheint vorbei zu sein.



Donnerstag, 17. November 2011

Rechts alles frei

In einem ostdeutschen Dorf wird in einer Scheune Geburtstag gefeiert. Nur einen Besucher, den mag man dort offenbar nicht. Den will man irgendwie nicht haben, deswegen geleiten ihn einige kräftige Besucher mit körperlicher Gewalt zur Tür. Wenig später erscheint der unerwünschte Besucher erneut und wird sogleich von zahlreichen der Gäste umringt und körperlich angegriffen.

Im Gerangel erleidet einer der Gäste einen Messerstich in die Brust. Wo das Messer auf einmal hergekommen ist, wird sich später nicht ermitteln lassen. Der unerwünschte Gast wird sagen, er habe es im Kampf einem seiner Gegner abgenommen und sich damit gegen weitere Angriffe gewehrt.

Der unerwünschte Gast wird vom zuständigen ostdeutschen Landgericht daraufhin wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

In den Urteilsgründen erwähnt das Landgericht auf 82 Seiten mit keinem Wort, dass es sich bei der Feier in der Scheune um eine Zusammenkunft der örtlichen Neonazi-Szene gehandelt hat. Dass der Angeklagte als einziger nicht aus der Szene kommt: Völlig unerheblich. Dass der Geschädigte auf der verletzten Brust diverse verfassungsfeindliche Zeichen und Parolen tätowiert hatte, z. B. Sigrunen: Nicht der Rede wert. Dass auf der Veranstaltung drei Gesangskombos mit arischen Kampfnamen auftraten: Für die Beurteilung der Tat ohne jede Relevanz. Und über das äußere Erscheinungsbild der Gäste spricht das Gericht lieber auch gar nicht erst. Für das Gericht deutet auch nichts darauf hin, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt haben könnte; deshalb widmet es dieser Frage auf 82 Seiten: Kein Wort.

Kaum der Rede wert auch, was der Bundesgerichtshof auf die Revision gegen dieses Urteil entschieden hat: Keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten erkennbar.

Wie ich jetzt darauf komme? Ich habe wahrscheinlich zu viele Artikel wie diesen hier gelesen. Denn in Deutschland werden Straftaten politisch rechts motivierter Täter natürlich genauso hart verfolgt wie solche politisch links motivierter Täter. Hat der bayrische Innenminister zumindest Sonntag bei Jauch gesagt. Der bayrische Innenminister heißt übrigens Herrmann. Nicht verwandt und nicht verschwägert mit Eva. Aber die hieß ja auch Braun.

Montag, 14. November 2011

In der falschen Stadt

Das Telefon klingelt. Eine Dame vom Amtsgericht ist dran. Amtsgericht Braunschweig, sagt sie. Dort habe ich derzeit nur eine Strafsache anhängig, aber die Dame ist offensichtlich im Zivilsegment unterwegs. Ich frage nach ihrem Begehr.

Sie schildert mir einen Fall, der mir durchaus bekannt vorkommt. Allerdings ist der vor dem Amtsgericht Wolfsburg anhängig. Also frage ich mal so direkt, ob sie vielleicht nicht aus Braunschweig, sondern aus Wolfsburg anruft.

Ach so ja. Da habe sie sich wohl versprochen. Interessant. Gut dass wir darüber gesprochen haben.
Braunschweig und Wolfsburg sind zwar nah beieinander, aber kann man verwechseln, wo man sich gerade befindet?

Donnerstag, 10. November 2011

ICH habe IHR Recht, aber SIE können es bei MIR kaufen

Wer nicht wirbt, der stirbt.

Dieses Henry Ford (1863 - 1947) zugeschriebene Zitat galt für Rechtsanwälte lange Zeit nicht. Denn den Rechtsanwälten war Werbung standesrechtlich verboten. Trotzdem sind die Rechtsanwälte damals nicht etwa gestorben, sondern lebten sogar recht gut, in der Regel sogar wesentlich besser als heute. Vielleicht wusste Henry Ford das nicht, oder vielleicht ist das Zitat auch doch gar nicht von ihm.

1987 war bekanntlich Schluss mit den Standesrichtlinien und seither ist auch das Werbeverbot der Rechtsanwälte auf dem Rückzug. Mittlerweile dürfte der Kollege Kleine-Cosack die herrschende Meinung vertreten, der ein Werbeverbot für Rechtsanwälte für "weitgehend rechtspolitisch verzichtbar" hält. Laut Kleine-Cosack dürfte bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung vom heute in § 43b Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Werbeverbot praktisch nichts übrig bleiben. Und da haben wir über mögliche europarechtliche Gesichtspunkte der Werbefreiheit noch gar nicht gesprochen.

Da verwundert es, dass sich einige Rechtsanwaltskammern offenbar ein erbittertes Rückzugsgefecht gegen die Werbefreiheit leisten. Ein schönes Beispiel verdanken wir dem Kollegen Sturm, der es in seinem Blog hier genüsslich darbietet. Und sein Werbeslogan ist wirklich hübsch. "Mit uns müssen sie kein Recht haben, um Recht zu bekommen", umschreibt der Kollege auf originelle Art und Weise den Umstand, dass man vor Gericht mit Rechtsanwalt eben mehr Chancen hat als ohne. Diese Information allein dürfte für viele Menschen doch schon von großen Wert sein. Sachbezogen ist sie allemal und originell noch obendrein: Sie spielt elegant mit der alten Binsenweisheit, wonach Recht haben und Recht bekommen zwei verschieden Dinge sind.

Originalität und Humor sind in der Werbung selten genug, aber Teile der Anwaltschaft möchten beides offenbar auch noch systematisch ausrotten. Das ist schade und auch kaum im Interesse der Anwaltschaft, die die Kammern nicht nur verwalten, sondern auch vertreten sollen.

Da ich in der Stadt lebe, in der bewiesenermaßen die beste Werbung Deutschlands gemacht wird, habe ich mich in der Überschrift auch einmal an einem Slogan versucht.

Dienstag, 8. November 2011

Urteil ohne Akte

Amtsgericht, Strafsache, Unfallflucht. Der Mandant hatte sich bereits selbst gegenüber der Polizei geäußert und Schadenswiedergutmachung angeboten; er habe den Zusammenprall mit dem geschädigten Fahrzeug nicht bemerkt. Der ermittelnde Polizeibeamte hatte in seinen Schlussvermerk immerhin aufgenommen, dass der Unfall für den Mandanten wohl zumindest taktil und visuell nicht wahrnehmbar gewesen sei.

Warum klagt man so etwas eigentlich an? Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft weiß es nicht, denn er kennt die Akte gar nicht. Aus der Hauptverhandlung kennt er bisher nur die Erklärung des Mandanten. Eines aber weiß der Staatsanwalt trotzdem ganz genau: Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht. Schließlich steht der Verdacht einer Straftat im Raum, und der Mandant war früher bereits wegen anderer Delikte im Straßenverkehr aufgefallen.

Es sieht ganz so aus, als könne die Staatsanwaltschaft nicht nur auf Beweismittel (siehe hier den Bericht des Kollegen Müller), sondern auch auf die Ermittlungsakten vollständig verzichten.

Hauptsache, es kommt nicht zum Freispruch.