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Dienstag, 6. Dezember 2011

Von wegen Unschuldsvermutung

Der Mandant ist angeklagt, auf dem Hafengeburtstag einen Mann angegriffen und übel zusammen geschlagen zu haben. Es gibt drei Augenzeugen, die haben alles genau gesehen und den Mandanten auf den Wahllichtbildvorlagen der Polizei sofort zweifelsfrei identifiziert.

Eigentlich eine klare Sache, aber dieses Mal hat die Verteidigung einen Trumpf im Ärmel: Der Mandant hatte am Tattag seine Hand aufgrund eines Splitterbruchs geschient, genagelt und im Gips. Die in der Hauptverhandlung vorgelegten Bilder beweisen es. Damit scheidet der Mandant als Täter aus. Alle Zeugen haben sich geirrt.

Das sollte Staatsanwaltschaft und Gericht eigentlich Anlass genug sein, mal wieder über den Beweiswert so genannter Wahllichtbildvorlagen - Reihen von Photos zuvor irgendwann mal auffällig gewordener Personen - ins Grübeln zu kommen. Deren Beweiswert ist nämlich praktisch null. Es ist kaum jemals möglich, einen Menschen zweifelsfrei anhand eines einzigen Photos wieder zu erkennen. Aber weil es so schön wäre, wenn das doch ginge, halten Polizei und Staatsanwaltschaft wacker daran fest.

Dieses Phänomen nennt man in der empirischen Sozialforschung "availibility bias": Wenn man in Paris ist, aber nur einen Stadtplan von London hat, benutzt man eben den. Hilft zwar nicht, aber man kann es sich wenigstens einbilden. Besser als nichts.

Ein glücklicher Zufall, dass dem Mandanten hier sein Armbruch zu Hilfe kam - ansonsten hätte das Gericht ohne Zweifel auf dieser "Tatsachengrundlage" verurteilt. Und was macht die Staatsanwaltschaft? Sie wirft der Verteidigung vor, die entlastenden Dokumente nicht schon früher vorgelegt zu haben. Als hätten wir keine Unschuldsvermutung, sondern eine Schuldvermutung.

Aber wen wundert's.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Nein, nein, nein, Herr Tolmein

In der FAZ vom heutigen Tage äußert sich der Hamburger Kollege Oliver Tolmein hier über einen Aufsatz, den der ebenfalls Hamburger Kollege Johann Schwenn in der Dezember-Ausgabe der Fachzeitschrift "Der Strafverteidiger" veröffentlicht hat. Dort kritisiert Schwenn auch das Verhalten einiger Rechtsanwälte, die sich dem "Opferschutz" verschrieben haben. Das wiederum kritisiert Herr Tolmein, der seine Hamburger Kanzlei übrigens "Menschen und Rechte" genannt hat. Man kann das tun, aber man muss nicht.

Schwenn sieht einen "strukturellen Widerspruch" zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung. Dem kann man eigentlich kaum seriös widersprechen, der Kollege Tolmein tut es trotzdem und scheitert dramatisch.

Denn der Widerspruch zwischen "Opferschutz" und Unschuldsvermutung liegt schon sprachlich auf der Hand. Solange die Unschuldsvermutung gilt, kann es keinen Täter geben - und ohne Täter keine Tat, ohne Tat kein Opfer. So weh es dem Geschundenen tun mag: Vor Gericht ist er Zeuge, nicht mehr und nicht weniger. Ob er auch Opfer ist, muss die Hauptverhandlung entscheiden.

Eine Hauptverhandlung, die sich schon vorher auf die Terminologie "Opfer" festlegt, hat die Verurteilung eines Täters bereits fest im Visier. Da zur Verurteilung aber zumeist nur ein Angeklagter zur Wahl steht, ist die Konsequenz in den Augen vieler so genannter "Opferanwälte" klar: Der Angeklagte muss verurteilt werden, denn die Tat muss gesühnt werden. Selten sieht man so deutlich, wie bereits anhand der verwendeten Terminologie das eigentliche Ziel der Strafverfahrens - die Sachaufklärung - aus dem Blickfeld gerät und das Strafverfahren zur unreflektierten Jagd auf den wird, den man für einen Täter hält.

Diese Form der Voreingenommenheit kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn der Richter vom "Opfer" spricht, wo er noch gar keine Tat festgestellt hat. Diese Wortwahl begründet nicht nur die Besorgnis der Befangenheit, sie beweist die Befangenheit bereits. Eine richterliche Entgleisung, die unverständlicherweise kaum jemals geahndet wird.

Wenn ich die Kritik des Kollegen Tolmein lese - an einem, der die grundlegenden Prinzipien eines rechtsstaatlich legitimierten Strafverfahrens verteidigt, dann wird mir mulmig zumute. Und ich kann nur hoffen, dass es möglichst vielen ähnlich geht.