Mittwoch, 29. April 2015
Hier spart der Staat nicht
Der Kollege Hoenig berichtet hier von einem Beispiel, wie geizig der Staat ist. Das kann man sicherlich so nicht verallgemeinern. Denn der Staat kann auch großzügig sein:
Es war einmal ein Strafverfahren vor der Großen Strafkammer gegen fünf Angeklagte, allesamt der deutschen Sprache nicht mächtig, was einigen zusätzlichen Übersetzungsaufwand mit sich bringt. Nach zwanzig Verhandlungstagen erkrankte einer der Angeklagten und wurde für einige Tage verhandlungsunfähig.
Was macht das Gericht? Es unterbricht nicht etwa die Hauptverhandlung für einige Tage - 30 hätte man maximal gehabt - sondern trennt das Verfahren gegen den erkrankten Angeklagten ab, angeblich aus Gründen der "Beschleunigung". Fortan wird das Gericht also dasselbe Verfahren zweimal führen, einmal gegen die verbleibenden Angeklagten und einmal gegen den "abgetrennten" Angeklagten. Das ist ein Luxus!
Sämtliche auch den "abgetrennten" Angeklagten betreffenden Beweise werden zukünftig doppelt erhoben werden müssen. Alle Zeugen dürfen zweimal erscheinen, alle Sachverständigen ebenso. Wo die zusätzlichen Verhandlungstage herkommen sollen, weiß niemand, denn das Gericht hat schon im Ausgangsverfahren zeitweise vier von fünf Werktagen in der Woche mit Terminen belegt.
Schrei nach Ablehnung
Die Angeklagte schweigt vor Gericht. Seit zwei Jahren. Während mehr oder weniger Informierte über Zusammenhänge spekulieren, schweigt diejenige, die es am besten wissen muss. Das ist anstrengend.
Einige Menschen finden es schon unerträglich, nur einzelne Sätze über sich hören zu müssen, ohne etwaige Missverständnisse richtig stellen zu können. Beate Zschäpe hört seit zwei Jahren nichts anderes; richtig stellen kann sie nichts, denn sie schweigt.
Das wird gesundheitlich für sie mehr und mehr zur Belastung, sagt der renommierte psychiatrische Sachverständige Norbert Nedopil. Als Symptome habe der Gutachter
"Einbußen an Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer (gemeint wohl: Einbußen an Ausdauer, Anm. d. Verf.), Erschöpfung und Müdigkeit mit psychosomatischen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Röschenflechte"festgestellt. Die Gesichtszüge entgleiten ihr, wo sie früher noch alles unter Kontrolle gehabt habe.
Schuld daran sei die Verteidigung mit ihrer Strategie des Schweigens. Denn die Angeklagte hätte "durchaus Redebedarf" und würde gerne "mehr über sich und ihre Lebenssituation berichten". Aber sie darf nicht. Der Sachverständige empfiehlt, sie möge ihr "fassadenhaftes Rollenspiel" zugunsten besserer Gesundheit aufgeben.
Wenn man den Bericht in der FAZ so liest, hört sich das an, als mache der Gutachter die Verteidigungsstrategie verantwortlich für den Gesundheitszustand der Angeklagten. Wenn das mal kein Schrei nach einer Ablehnung wegen Befangenheit ist. Denn mit dieser Äußerung dürfte der Gutachter seine Kompetenz weit überschreiten. Überdies zeugt dieses Kausalitätsverständnis von einer etwas verzerrten Denkweise: Die Belastung ist der Prozess, nicht die Wahrnehmung eigener Rechte.
Wenn man eigene Rechte nicht mehr wahrnehmen kann, ohne dadurch gesundheitliche Einbußen zu erleiden, dann ist vielleicht mit dem Umfeld etwas nicht in Ordnung.
Freitag, 24. April 2015
Nüchterne Betrachtungsweise
"Es drohen bis zu zehn Jahre Haft" titelt die BILD über den Prozess gegen Sanel M., bekannt als Fall "Tugce". Zehn Jahre Jugendstrafe, das ist die Höchststrafe, die das Jugendstrafrecht vorsieht. Wenn man davon ausgeht, dass auf den Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet werden wird, ist ein solches Strafmaß völlig unrealistisch.
Angeklagt ist Körperverletzung mit Todesfolge; es gibt andere Delikte mit weit höheren Strafandrohungen. Der Angeklagte ist geständig, die genauen Umstände der Tat ungewiss. Angesichts der bereits erlittenen Untersuchungshaft dürfte eine Jugendstrafe auf Bewährung das Höchste sein, das man realistisch erwarten kann. Nüchtern betrachtet, mutet der Tod der Geschädigten eher wie eine Verkettung äußerst unglücklicher Umstände an.
Die nüchterne Betrachtungsweise scheint aber den meisten Betrachtern vollständig abhanden gekommen und auch wenig erwünscht zu sein. Die BILD hat einen "Liveticker" zum Prozess eingerichtet, dem man z. B. entnehmen kann, dass Tugces Mutter um 10:05 Uhr geweint hat. Um 09:08 Uhr findet Carina Hering es via twitter traurig, dass sich so wenige Menschen zur Mahnwache für Tugce eingefunden haben, und postet ein Photo, auf dem Schilder mit der Aufschrift "Gerechtigkeit" hoch gehalten werden. Was das noch mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu tun haben soll, mag man sich fragen, und diese Frage betrifft mehr oder weniger die gesamte Presseberichterstattung.
Eine - durch Videoaufnahmen dokumentierte - Ohrfeige wird da zu "ins Koma geprügelt" (BILD), der Vertreter der Geschädigten darf vom Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten Rückschlüsse auf dessen Empathiefähigkeit ("gering") ziehen (Tagesspiegel), und so weiter, und so fort.
Das alles hilft dem Rechtsverständnis in der Bevölkerung wenig, es schadet.
Donnerstag, 23. April 2015
Überzeugung ohne Gründe
Am sechsten Verhandlungstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts spricht das Gericht die Angeklagten frei. Die Zeugen haben nicht so ausgesagt, wie man sich das vorgestellt hatte; die übrige Beweislage - das passte alles nicht zusammen. Das ist zweifellos ein Erfolg der Verteidigung.
In der mündlichen Urteilsbegründung führt der Vorsitzende kurz die Rechtsgründe aus, die zum Freispruch geführt haben; deutlich länger führt er aus, dass die Kammer gleichwohl davon überzeugt sei, dass die Angeklagten eine schwere Schuld auf sich geladen hätten; man habe es ihnen eben nur nicht nachweisen können.
Derartige Ausführungen sind bei Freisprüchen immer wieder anzutreffen; sie sind nicht nur überflüssig, sondern sie offenbaren auch ein Rechtsverständnis, das man zurückhaltend nur als höchst problematisch bezeichnen kann. Denn woher soll die Überzeugung kommen, der das Gericht angeblich ist? Auf einer objektiven Tatsachengrundlage beruht sie jedenfalls nicht. Gäbe es die, hätte das Gericht verurteilt.
Nach § 261 StPO bildet das Gericht seine Überzeugung aus der freien Würdigung des Inhalts der Verhandlung. Alles, was in der Verhandlung passiert ist, muss gewürdigt werden, was nicht in der Verhandlung passiert ist, darf nicht gewürdigt werden. Voraussetzung einer Verurteilung sind danach zum einen die Überzeugung des Gerichts, zum anderen ein "objektiv-rationales Fundament", auf dem diese Überzeugung ruht. Ohne dieses "objektiv-rationale Fundament" gibt es keine Überzeugung.
Die Überzeugung, von der der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung - völlig überflüssigerweise - geredet hat, ist sein Vorurteil. Sonst nichts.
Da bleibt dann trotz Freispruches ein schaler Nachgeschmack.
Mittwoch, 22. April 2015
Eingehende Faxe und fliegende Katzen
Heute meldet sich die Staatsanwaltschaft, der ich seit mehreren Wochen ein Empfangsbekenntnis zuzufaxen versuche. Das Faxprotokoll weist bei der einzigen Faxnummer dieser Staatsanwaltschaft stets "Keine Verbindung" aus. Wie gut, dass man auf dem Protokoll auch die angewählte Nummer sieht, so dass ich überprüfen kann, dass ich auch die richtige Nummer angewählt habe. Habe ich.
Das könne nicht sein, sagt die Dame von der Staatsanwaltschaft, alle anderen Faxe kämen doch an. Außer denen, die nicht ankommen, ist man versucht zu sagen, und von denen können sie ja nichts wissen, weil sie ja nicht angekommen sind.
Der Denkfehler, dem die Dame von der Staatsanwaltschaft da unterliegt, wird übrigens "Survivorship Bias" genannt. Man nimmt nur die Ergebnisse zur Kenntnis, die einen erreichen. So hat man lange Zeit gedacht, Katzen, die aus einer Höhe von mehr als sechs Stockwerken fallen, hätten eine größere Überlebenschance als Katzen, die aus geringerer Höhe fallen und hat sich in "wissenschaftlichen" Studien lustige Begründungen dafür ausgedacht. Katzen, die aus geringerer Höhe gefallen waren, hatten Studien zufolge nämlich schlimmere Verletzungen als Katzen, die aus größerer Höhe gefallen waren. Dabei hatte man allerdings zu berücksichtigen vergessen, dass die meisten Katzen, die aus größerer Höhe gefallen waren, gleich tot waren und deswegen gar nicht mehr in die Statistik eingegangen waren.
Dienstag, 21. April 2015
Kaffeerunde
Eben habe ich beim Amtsgericht angerufen, um mich nach einer Sache zu erkundigen, die bei eben diesem Amtsgericht seit etwa einem Jahr unbearbeitet herumliegt. Das hat mir der zuständige Richter am Telefon bestätigt. ("Liegt hier.")
Der Vorwurf ist alles andere als eindeutig und den Vorgang finden eigentlich alle ziemlich überflüssig; nur hat sich bisher keiner getraut, das Verfahren zu beenden, obwohl dazu durchaus Anlass und Gelegenheit bestanden hätten. Wo wir jetzt aber gerade schon über dieses unangenehme Ding sprechen, könnten wir doch eigentlich auch gleich einen Verhandlungstermin abstimmen, meint der Richter. Aber bitte nicht an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit, die ich vorschlage, denn da sei am Gericht doch Kaffeerunde.
Warum ich das hier erzähle? Weil es so perfekt zu dem passt, was der Kollege Laudon heute in seiner Strafakte schreibt. Lesen Sie dort bitte insbesondere den Absatz mit dem Zwischentitel "Die heilige Mittagspause".
P.S.: Bevor ich hier wieder Kommentare ernte, die mich des grundlosen Richter-Bashings bezichtigen, folgender Disclaimer:
Nein, ich habe nichts gegen Richter. Es gibt gute Richter und weniger gute Richter, genauso, wie es gute und weniger gute Strafverteidiger, Fliesenleger oder Kaminkehrer gibt. Im Unterschied zu Fliesenlegern oder Kaminkehrern, die hier stellvertretend für zahlreiche andere Berufe stehen, die eine gewisse Tätigkeit erfordern, sind Richter in ein System eingebettet, das es ihnen erlaubt, unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit (§ 25 DRiG) sehr viel Zeit mit sehr wenig Arbeit zu verbringen. Das bedeutet nicht, dass das auch alle tun (bzw. nicht tun), sondern nur, dass manche es tun und dies vom System begünstigt wird.
Wie sich das auf die Psyche mancher Richter auswirkt, kann man an diesem schönen Fall sehen.
Montag, 20. April 2015
Eine gewisse geistige Trägheit
Das FBI soll vor amerikanischen Gerichten jahrelang falsche haaranalytische Gutachten vorgelegt haben, die zu Verurteilungen, in einigen Fällen sogar zur Todesstrafe führten. Die WELT berichtet. Dieser Vorgang ist ein Skandal. Ist es auch ein Justizskandal? Hätten die Gerichte anders entscheiden müssen?
Das ist eine grundsätzliche Frage, die auch hierzulande immer wieder diskutiert wird. Man muss sich zur Beantwortung zunächst vor Augen führen, welche Kompetenzen das Gericht hat. Zunächst einmal hat das Gericht in Deutschland wie in den USA die Beweise zu erheben. Es gibt prozessuale Unterschiede, wer die Beweise vorbringen muss, aber deren Erhebung im Prozess ist durchaus vergleichbar.
Das Gericht hört z. B. einen Zeugen. Dessen Aussage darf das Gericht aber nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen, es muss diese Aussage auch würdigen. Klar wird das dann, wenn zwei Zeugenaussagen sich gegenseitig ausschließen. Nur eine kann stimmen. Welche das ist, muss das Gericht - gegebenenfalls durch weitere Beweise - feststellen. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn es nur eine Aussage gibt; auch die kann falsch sein.
Viele Richter belassen es gerade in solchen Fällen dabei, dass der Zeuge etwas gesagt hat und übernehmen den Inhalt seiner Aussage mehr oder weniger ungeprüft. Das kann man wohl nur mit einer gewissen geistigen Trägheit erklären, denn nach dem Gesetz ist gerade die Würdigung der Beweismittel (hier: der Zeugenaussage) zentrale Aufgabe des Gerichts.
Noch dramatischer wird dieser Fehler dann, wenn Sachverständigengutachten im Spiel sind. Immer wieder wird beklagt, dass im Grunde nicht die Gerichte, sondern die Sachverständigen das Urteil sprächen, wenn es um Spurenanalyse oder aber psychische Prozesse beim Angeklagten geht. Aber das ist grundfalsch. Der Sachverständige ist ein Beweismittel, mehr nicht. Das Gericht kann es benutzen. Das setzt aber voraus, dass der Richter versteht, was der Sachverständige erklärt. Versteht er es nicht, kann er es nicht verwenden.
Aber es gehört viel Mut dazu, einem renommierten Sachverständigen im Strafprozess vor Publikum und Presse ins Gesicht zu sagen, dass man seine Erklärungen nicht nachvollziehen kann. Diesen Mut braucht ein Richter, sonst kann er seinen beruflichen Pflichten nur unzureichend nachkommen. Dieser Mut fehlt leider vielen.
Und manche bemerken das Problem gar nicht erst.
Mittwoch, 15. April 2015
Wie gut, dass es Dolmetscher gibt
Dolmetscher helfen einem viel. Zum Beispiel aktuell in einer Hauptverhandlung vor dem Landgericht. Da wurden im Wege der Telefonüberwachung ("TÜ") Gespräche in einer sehr fremden Sprache aufgezeichnet.
Die Frau Dolmetscherin wurde beauftragt, diese Gespräche zu übersetzen. Ob die Frau Dolmetscherin der in den Gesprächen verwendeten Sprache allerdings überhaupt ausreichend mächtig ist, ist zwischen den Prozessbeteiligten umstritten. Beurteilen kann das keiner so richtig, weil ja keiner die sehr fremde Sprache spricht.
Ein Auszug aus der Übersetzung (WP = Weibliche Person, MP = Männliche Person):
WP: Ich sterben
MP: Ja
WP: Wie viel?
MP: 25
WP: Soll mich der Krebs fressen
MP: Ja
WP: Soll ich dein Penis essen, soll ich deine Hoden küssen, wir sind reich geworden, was soll ich dir sagen.
Ja, was soll man da sagen?
Dienstag, 14. April 2015
Tücken des Selbstleseverfahrens
Landgericht, Große Strafkammer. Der Vorsitzende verliest einen Ausdruck aus einer Telefonbuch-CD mit Namen, Anschriften und Telefonnummern. Das ist für den Tatvorwurf zwar relevant, aber irgendwie auch öde.
Einer der Verteidiger beantragt daher, den Ausdruck im Selbstleseverfahren in den Prozess einzuführen.
Der Antrag wird abgelehnt. Sein Mandant kann nicht lesen.
Samstag, 11. April 2015
Vox populi, die Zweite
Wo wir gerade bei Ministern waren, die populistische Vorschläge machen: Hier ist der nächste. Auch dem Großparteien-Proporz ist genüge getan; diesmal kommt er von der SPD. Der niedersächsische Innenminister Pistorius (nicht verwandt oder verschwägert mit Oscar) hat mal wieder vorgeschlagen, Daten auf Vorrat zu speichern.
O-Ton Minister (zitiert nach heise-online):
"Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungbehörden praktisch blind, wenn die Kommunikation der Täter und die Strafbegehung überwiegend oder ausschließlich über das Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat."Dabei interessieren mich hier weniger die datenschutz- und sonstig rechtlichen Bedenken, über die schon hinlänglich anderswo diskutiert wird, sondern eher die Frage, wie das funktionieren soll. Wer sich das Zitat genau durchliest, der sieht, dass es dem Herrn Minister offenbar ausschließlich um Strafverfolgung geht, es ist von "Ermittlungsbehörden" die Rede und von Straftaten, die bereits begangen wurden. Von Prävention ist nicht die Rede. Für die Strafverfolgung ist der Innenminister gar nicht so wirklich zuständig, aber das ist eine andere Geschichte.
Uns interessiert zunächst einmal, welche Straftaten der Herr Minister wohl meinen könnte; er selbst spricht von "Terrorismus" und "organisierter Kriminalität". Mit dem Terrorismus hat die Strafverfolgung seit jeher recht wenig Probleme, soweit die Terroristen ein politisches oder religiöses Ziel haben und sich daher bewusst zu erkennen geben. Für die Strafverfolgung dieser Täter - wenn sie ihre Tat denn überleben - braucht man die Vorratsdatenspeicherung wohl eher weniger. Bei den anderen - ich nenne mal die NSU - wäre man schon froh, wenn die Ermittlungsbehörden überhaupt ermitteln würden. Im Falle der NSU haben sie das zehn Jahre lang verweigert. Da gibt es sicherlich größere Defizite als das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung.
Es bleibt die Organisierte Kriminalität. Die ist zahlenmäßig ein weit größeres Problem als der Terrorismus und sie hat Mittel, von denen die Ermittlungsbehörden nur träumen können. Was nutzt einem da die Vorratsdatenspeicherung, wenn es schon an Fachpersonal mangelt, die einfachsten Daten zu entschlüsseln. Derzeit gibt es in Deutschland meines Wissens eine einzige Staatsanwaltschaft, die selbst in der Lage ist, Computerdaten auszulesen. Alle anderen Staatsanwaltschaften müssen sicher gestellte Datenbestände an privatwirtschaftliche Unternehmen übersenden, um die Daten von denen überhaupt erst auslesen zu lassen.
Was sollen die mit all den auf Vorrat gesammelten Daten anfangen? Abwarten, bis jemand kommt, der die Daten auch lesen kann? So wie der Kryoniker, der im Eis gefroren darauf wartet, dass die Methode, ihn schadlos aufzutauen, erst erfunden wird?
Aber heute schon mal das Recht darauf einfordern, was man morgen vielleicht auch gebrauchen kann?
Schafft Euch lieber erst einmal neue Rechner an.
Nieder mit der Depression!
Was ist eigentlich Populismus? Populismus ist, wenn man es allen Recht machen will. Oder noch eher: Wenn man so tut, als wollte man es allen Recht machen, in Wirklichkeit aber darauf spekuliert, dass die Mehrheit nicht kapiert, was man tatsächlich beabsichtigt.
Populismus vertritt Thesen, die jedem einleuchten, der noch nie richtig über das Problem nachgedacht hat. Populismus redet den Doofen nach dem Mund und hat es dabei doppelt gut: Erstens, weil er damit die Mehrheit hinter sich weiß, und zweitens, weil die am einfachsten zu überzeugen sind.
Der Bayrische Innenminister hat vorgeschlagen, Depressive mit einem Berufsverbot zu belegen. Nicht alle und nicht immer, sondern nur unter bestimmten Umständen, die selbstverständlich sorgfältig geprüft... blablabla. Der Bayrische Innenminister droht Depressiven mit einem Berufsverbot.
Dabei sind die Depressiven diejenigen psychisch Kranken, die der Welt bisher mit Sicherheit am wenigsten Schaden zugefügt haben. Die Depressiven leiden nämlich darunter, dass sie sich nicht aufraffen können. Vielen muss man ihren Beruf gar nicht verbieten, sie sind gar nicht imstande, ihn auszuüben. Gibt man Depressiven ein Anti-Depressivum, schöpfen manche daraus gerade genug Energie, die sie vorher nicht hatten, um sich umzubringen.
Nun soll es jemanden gegeben haben, der hat nicht nur sich selbst umgebracht, sondern noch 149 andere. Der soll irgendwann einmal an einer Depression gelitten haben. Wäre seine Tat einer Depression geschuldet, wäre er so ziemlich der Erste, der in diesem Zustand derartiges anrichtet. Aber man soll ja den Anfängen wehren.
Also hat der Bayrische Innenminister sicher Recht, man sollte auf Nummer sicher gehen: also das Berufsverbot für Depressive einführen. Aber Moment: Könnte man nicht einfach Depressionen selbst verbieten? Das würde das Übel vielleicht noch weiter an der Wurzel packen! Ich glaube, das wäre eine Superidee!
Ob ich mich damit als Bayrischer Innenminister bewerbe, falls der jetzige mal nicht mehr kann?
Freitag, 10. April 2015
This is not america
In den USA hat mal wieder ein Polizist einen Schwarzen erschossen. Nicht dieser Satz ist zynisch, sondern die Situation, die er beschreibt. Aber da ist noch etwas:
Offenbar haben die Behörden mittlerweile Teile der Personalakte des Schützen veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass der Schütze vor nicht allzu langer Zeit bereits einmal in den Verdacht geraten war, einen Schwarzen angegriffen zu haben. Das wurde aber nicht angeklagt, aus einem Grund, den der STERN wie folgt umschreibt:
"Sein Kollege entlastete ihn jedoch und die Anschuldigungen wurden fallen gelassen."
Es ist zu befürchten, dass dieser Satz den Ablauf tatsächlich ganz gut beschreibt. Sein Kollege entlastete und das allein genügte, um sich nicht weiter um andere Zeugenaussagen zu kümmern. Weil Polizisten ja nicht lügen.
Mir kommt dabei die Debatte um die Kennzeichnungspflicht von Polizisten hierzulande in den Sinn. Wenn Sie wissen möchte, was die "Junge Polizei" dazu meint, lesen Sie gerne hier nach. Ich glaube nicht, dass die jungen Herren ihre verquere Auffassung ändern würden, wenn man ihnen das Video des Vorfalls aus South Carolina zeigte. Wahrscheinlich würden Sie das hier* sagen.
* Der Song "This is not America" stammt übrigens aus dem hervorragenden Film "The falcon and the snowman" (1985) und wird dort von einem mexikanischen Polizisten gesagt, der damit ausdrücken möchte, dass die US-amerikanischen Gesetze für ihn nicht gelten würden. Merken Sie etwas?