Donnerstag, 23. April 2015
Überzeugung ohne Gründe
Am sechsten Verhandlungstag vor der Großen Strafkammer des Landgerichts spricht das Gericht die Angeklagten frei. Die Zeugen haben nicht so ausgesagt, wie man sich das vorgestellt hatte; die übrige Beweislage - das passte alles nicht zusammen. Das ist zweifellos ein Erfolg der Verteidigung.
In der mündlichen Urteilsbegründung führt der Vorsitzende kurz die Rechtsgründe aus, die zum Freispruch geführt haben; deutlich länger führt er aus, dass die Kammer gleichwohl davon überzeugt sei, dass die Angeklagten eine schwere Schuld auf sich geladen hätten; man habe es ihnen eben nur nicht nachweisen können.
Derartige Ausführungen sind bei Freisprüchen immer wieder anzutreffen; sie sind nicht nur überflüssig, sondern sie offenbaren auch ein Rechtsverständnis, das man zurückhaltend nur als höchst problematisch bezeichnen kann. Denn woher soll die Überzeugung kommen, der das Gericht angeblich ist? Auf einer objektiven Tatsachengrundlage beruht sie jedenfalls nicht. Gäbe es die, hätte das Gericht verurteilt.
Nach § 261 StPO bildet das Gericht seine Überzeugung aus der freien Würdigung des Inhalts der Verhandlung. Alles, was in der Verhandlung passiert ist, muss gewürdigt werden, was nicht in der Verhandlung passiert ist, darf nicht gewürdigt werden. Voraussetzung einer Verurteilung sind danach zum einen die Überzeugung des Gerichts, zum anderen ein "objektiv-rationales Fundament", auf dem diese Überzeugung ruht. Ohne dieses "objektiv-rationale Fundament" gibt es keine Überzeugung.
Die Überzeugung, von der der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung - völlig überflüssigerweise - geredet hat, ist sein Vorurteil. Sonst nichts.
Da bleibt dann trotz Freispruches ein schaler Nachgeschmack.
"Die Zeugen haben nicht so ausgesagt, wie man sich das vorgestellt hatte; die übrige Beweislage - das passte alles nicht zusammen. Das ist zweifellos ein Erfolg der Verteidigung."
AntwortenLöschenVielleicht hat das Gericht das aber auch selbst und ohne Hilfe der Verteidigung bemerkt? ;)
Im Übrigen kann es durchaus Konstellationen geben, in denen man "weiß", dass sich der Angeklagte sich schuldig gemacht hat, aber gleichwohl ein Freispruch folgt (folgen muss). Bspw. wenn der einzige Belastungszeuge in der HV erstmalig von seinem Schweigerecht gebraucht macht (§ 252 StPO). Das hat dann in den Urteilsgründen außen vor zu bleiben, in der mündlichen Urteilsbegründung darf es trotzdem mit entsprechender Würdigung angesprochen werden.
Zweimal nein. Und Sie machen genau den Fehler wieder, von dem ich berichtet habe. Faszinierend.
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