Montag, 20. April 2015
Eine gewisse geistige Trägheit
Das FBI soll vor amerikanischen Gerichten jahrelang falsche haaranalytische Gutachten vorgelegt haben, die zu Verurteilungen, in einigen Fällen sogar zur Todesstrafe führten. Die WELT berichtet. Dieser Vorgang ist ein Skandal. Ist es auch ein Justizskandal? Hätten die Gerichte anders entscheiden müssen?
Das ist eine grundsätzliche Frage, die auch hierzulande immer wieder diskutiert wird. Man muss sich zur Beantwortung zunächst vor Augen führen, welche Kompetenzen das Gericht hat. Zunächst einmal hat das Gericht in Deutschland wie in den USA die Beweise zu erheben. Es gibt prozessuale Unterschiede, wer die Beweise vorbringen muss, aber deren Erhebung im Prozess ist durchaus vergleichbar.
Das Gericht hört z. B. einen Zeugen. Dessen Aussage darf das Gericht aber nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen, es muss diese Aussage auch würdigen. Klar wird das dann, wenn zwei Zeugenaussagen sich gegenseitig ausschließen. Nur eine kann stimmen. Welche das ist, muss das Gericht - gegebenenfalls durch weitere Beweise - feststellen. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn es nur eine Aussage gibt; auch die kann falsch sein.
Viele Richter belassen es gerade in solchen Fällen dabei, dass der Zeuge etwas gesagt hat und übernehmen den Inhalt seiner Aussage mehr oder weniger ungeprüft. Das kann man wohl nur mit einer gewissen geistigen Trägheit erklären, denn nach dem Gesetz ist gerade die Würdigung der Beweismittel (hier: der Zeugenaussage) zentrale Aufgabe des Gerichts.
Noch dramatischer wird dieser Fehler dann, wenn Sachverständigengutachten im Spiel sind. Immer wieder wird beklagt, dass im Grunde nicht die Gerichte, sondern die Sachverständigen das Urteil sprächen, wenn es um Spurenanalyse oder aber psychische Prozesse beim Angeklagten geht. Aber das ist grundfalsch. Der Sachverständige ist ein Beweismittel, mehr nicht. Das Gericht kann es benutzen. Das setzt aber voraus, dass der Richter versteht, was der Sachverständige erklärt. Versteht er es nicht, kann er es nicht verwenden.
Aber es gehört viel Mut dazu, einem renommierten Sachverständigen im Strafprozess vor Publikum und Presse ins Gesicht zu sagen, dass man seine Erklärungen nicht nachvollziehen kann. Diesen Mut braucht ein Richter, sonst kann er seinen beruflichen Pflichten nur unzureichend nachkommen. Dieser Mut fehlt leider vielen.
Und manche bemerken das Problem gar nicht erst.
Gar so viel geistige Regsamkeit, wie sie der Autor hier an den Tag legt, um von den schlampigen amerikanischen Gerichtssachverständigen zu der Invektive gegen deutsche Richter - die es ihn offenbar loszuwerden drängte - zu gelangen, muss ja vielleicht auch nicht sein.
AntwortenLöschenImmerhin habe ich gelernt, dass meine bisherige Vorstellung vom amerikanischen (Straf-)Prozess falsch war, nämlich dass dort eine Jury entscheidet, deren "Wahrspruch" - so die deutsche Bezeichnung, als das Schwurgericht noch ein echtes Geschworenengericht war - nicht begründet wird, weshalb auch keine Beweismittel "gewürdigt" werden, wie auch bzw. wo auch?
AntwortenLöschen