Donnerstag, 12. März 2015
Mal wieder Mord
Vor dem Landgericht Kiel wird seit gestern gegen einen schwerbehinderten Steuerberater verhandelt, der einen Abteilungsleiter des für ihn zuständigen Finanzamtes erschossen haben soll. Der Tatvorwurf ist Mord. Über die Probleme innerhalb der Systematik der Tötungsdelikte, insbesondere beim Mord, § 211 StGB, wird ja in letzter Zeit wieder vermehrt diskutiert.
Wie so häufig, ist der Ablauf des Falles aus Kiel nur aus der Presse bekannt. Danach soll der Steuerberater mit geladener Schusswaffe in das Finanzamt gegangen sein, wo es zu einem lautstarken Streit mit dem Abteilungsleiter gekommen sei. Im Rahmen dieses Streits habe der Steuerberater dann die Waffe gezogen und auf den Abteilungsleiter geschossen. Der Fall hat wohl noch einige andere Besonderheiten, ich möchte mich hier aber darauf konzentrieren, wie man bei diesem Sachverhalt zur Annahme des Mordes gelangen kann. Denn an diesem Beispiel kann man den ganzen Irrsinn der Systematik recht anschaulich darstellen.
Der Mord unterscheidet sich vom bloßen Totschlag durch das Hinzutreten bestimmter "vertypter" Merkmale, die gesetzlich abschließend bestimmt sind. Die Mordmerkmale sind - in der Reihenfolge ihrer Nennung im Gesetz: Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit, Einsatz gemeingefährlicher Mittel, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken.
Was meinen Sie, welches Mordmerkmal hat die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall wohl angeklagt? Man kommt nicht so ohne weiteres darauf, finde ich. Es ist Heimtücke. Heimtücke bedeutet in den Worten des Bundesgerichtshofes, "die bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers". Dabei muss die Wehrlosigkeit Folge der Arglosigkeit sein. Der Grundgedanke kommt wohl aus einer Zeit, in der es als unehrenhaft galt, einen Ritter von hinten zu erschlagen, so dass dieser nicht mehr nach seinem Schwert greifen konnte. Nun ist die Ehre als Rechtsgut in unserem Kulturkreis nicht mehr in dem Maße präsent, wie das früher der Fall gewesen sein mag. Da kann man schon so seine Zweifel bekommen, ob speziell dieses Mordmerkmal seine Berechtigung nicht längst verloren hat.
Zumal es mittlerweile Waffen gibt, gegen die man sich kaum wehren kann - egal, ob aus welcher Richtung der Angriff kommt. Im aktuellen Fall hat der Geschädigte dem Angeklagten wohl Auge in Auge gegenüber gestanden. Aber gegen eine Schusswaffe ist man eben wehrlos. Aber ist diese Wehrlosigkeit auch Folge der Arglosigkeit? Wohl kaum.
Völlig ad absurdum geführt hat die Rechtsprechung Mordmerkmal der Heimtücke in den Fällen, in denen schlafende Menschen getötet worden waren. Die sind völlig wehrlos. Aber arglos? Setzt Arglosigkeit nicht Bewusstsein voraus und fehlt nicht gerade das im Schlaf? Kein Problem für ein Gericht, das eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen will:
Man kann seine Arglosigkeit "mit in den Schlaf nehmen", sagt der Bundesgerichtshof.
Der ganze §211 stammt aus dunkler Zeit und aus der Feder eines dunklen Juristen (Roland Freisler).
AntwortenLöschenEs ist nicht nachvollziehbar warum diese Art des Gesinnungs-Strafrechts überhaupt noch existiert.
Lesenswert: Völkisches Recht von Thomas Fischer
http://www.zeit.de/2013/51/mord-paragraph-nationalsozialismus
Vielleicht aus dem gleichen Grund, warum wir noch Gebäude und Infrastruktur aus dieser Zeit benutzten?
LöschenZwischen Gebäuden und Rechtsnormen gib es aber einen kleinen Unterschied - oder?
LöschenWenn man nicht im Schlaf arg- und wehrlos ist, wann dann? Da stimme ich der Rechtsprechung uneingeschränkt zu. Ohne jede Chance gemeuchelt zu werden ist schlicht Mord. Und das haben die Gerichte völlug richtig erkannt.
AntwortenLöschenSie als Strafverteidiger mögen das - akademisch - anders sehen. Zum Glück ist das nicht das Maß der Dinge.
Es stellt sich auch "akademisch" nicht so dar, wie Nebgen es beschreibt: Die Rechtsprechung des BGH stellt darauf ab, dass man sich arglos - also, weil man nicht mit einem Angriff rechnet - schlafen legt. Die Arglosigkeit setzt sich daher im Schlaf fort. Hätte man mit einem Angriff gerechnet, wäre man wach geblieben.
AntwortenLöschenKonsequenterweise verneint der BGH die Heimtücke dann auch in den Fällen, in denen jemand unfreiwillig "vom Schlaf übermannt" wird. Man wundert sich immer wieder, was für Fragen tatsächlich beim BGH landen.
Wer sich berufsbedingt in einem Finanzamt zumal als Abteilungsleiter aufhält, muss mit mancherlei rechnen, d´accord; aber auch damit, über den Haufen geschossen zu werden? Und was erinnern Sie gegen Ritter? Ich finde die dufte!
AntwortenLöschenIch bin im Mordprozess Lauenroth involviert und wurde als Zeuge befragt. Der Richter macht einen sehr menschlichen Eindruck und wird seine Sache schon richtig machen. Ich habe nicht den Eindruck, das dort ein akademisches Pseudo-Genie sitzt, das sich immer mehr, wie einst der schäbige Roland Freisler, von der Gerechtigkeit entfernt hat. Ein Monster muss weggesperrt werden, egal ob Gefängnis oder Psychiatrie! Ich hoffe nur, das Strafverteidiger nie im privaten Umfeld mit derartigen Monstern zu tun haben werden. Ich glaube, sie würden die Tat dann aus einem anderen Blickwinkel betrachten und keine Entschuldigungen für eine nicht mehr rückgängig zu machende Gräueltat suchen. Eigentlich sind für eine funktionierende Gemeinschaft die zehn Gebote fast ausreichend. Zur Erinnerung. Im fünften Gebot heißt es: "Du sollst nicht töten". In diesem Sinne.
AntwortenLöschenSchöne Grüße