Montag, 10. November 2014
Nazis und Arschlöcher: ein Vergleich
Landgericht, Große Strafkammer. Alles geht seinen geregelten Gang. Aber dann! Der Staatsanwalt ergreift das Wort und vergleicht die Angeklagten mit denjenigen, die einst Juden ins KZ transportierten. Grobes Foul. Der Kollege Hoenig berichtet hier.
Im Gerichtssaal - wie in der Sprache an sich - wird die Durchschlagskraft des Argumentes in der Regel krass überschätzt. Argumentation ist nichts, Wirkung ist alles. Deswegen steht dieser Satz auch nicht am Anfang des Beitrages, sondern hier. An den Anfang gehört ein Kracher, Eye-catcher sagt man heute.
Das schönste Mittel, um in der Rede Wirkung zu erzielen, ist das Sprachbild. Dessen einfachste Form dürfte der Vergleich sein: einfach zu bedienen und einfach zu verstehen. Das ist wichtig, um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen. Will man den Gegner schmähen, bietet sich als Vergleich daher etwas an, das allseits negativ konnotiert ist. Da gibt es im Pluralismus der Postmoderne gar nicht mehr so viel. Alt hergebrachte Schimpfwörter wie "Hornochse" oder "Arschloch" sind längst zu schwach, um die Monstrosität auszudrücken, die es gerade als Rechtsanwalt vor Gericht immer wieder zu bezeichnen gilt. Man muss schon etwas am Tabu rütteln, um genügend Aufmerksamkeit zu erheischen.
Da bleibt fast nur soch der Vergleich mit Personen, Einrichtungen oder Ansichten des Nationalsozialismus' übrig. Dieser Konsens lässt sich meist schnell finden, und sei er auch nur oberflächlich. Der Kollege Siebers hat es erkannt. Während der Urteilsverkündung "das ist ja wie bei Freisler" zu schreien, hat seine Wirkung daher selten verfehlt, kommt aber prozessual etwas spät. Außerdem gilt es genau zu sein, Freislers kennt allein Wikipedia deren sechs, immerhin zwei davon waren Juristen. Der Vorteil am Nazivergleich ist aber auch, dass das Denken beim Zuhörer meist prompt aussetzt, um theatralischer Empörung Platz zu machen.
So können sich dann beide Seiten sicher sein, dass es in den nächsten Stunden nicht mehr um die Sache geht.
Das wahrhaft Erschreckende am Dritten Reich ist m.E. die Erkenntnis, dass die Nazis eben keine singulären "Monster" waren, sondern Menschen "wie du und ich". Mit anderen Worten: zu solchen Taten sind viele, vielleicht die meisten "normalen" Menschen fähig. In Anbetracht dieser Erkenntnis wundert mich immer wieder, warum ein Vergleich heute lebender Menschen mit Nazis (also früher lebenden anderen Menschen) gesellschaftlich so geächtet ist. Aber vielleicht ist es ähnlich wie mit Bildern von toten oder verletzten Menschen aus heutigen Kriegen. Diese druckt ebenfalls keine Zeitung. Vermutlich weil wir die Realität gar nicht so gerne erkennen wollen und lieber die Augen verschließen.
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