Donnerstag, 26. April 2012

Mission Statement

Auf meinen jüngsten Beitrag hält mir ein Anonymus vor, ich wäre mit diesem Staat nicht zufrieden. Das stimmt in dieser Allgemeinheit natürlich nicht. Ich finde den Staat in vielen Dingen echt super. Aber Zufriedenheit macht ja bekanntlich träge. Es gibt immer etwas zu verbessern.

Trotzdem möchte ich die Kritik hier aufnehmen und zum Anlass für ein Mission Statement nehmen. Der Anonymus rät mir auszugsweise:

"Konsequenterweise sollte er sich dann aber auch nicht vom Staat durch Pflichtverteidigungen alimentieren lassen und sich ebenfalls nicht als Organ der Rechspflege betätigen. Konsequenz ist allerdings eine Eigenschaft, die man bei Rechtsanwälten oftmals vermisst. Ansonsten würde es ja viel mehr Dienstaufsichtsbeschwerden von Rechtsanwälten gegen Richter geben"

1.
Ich übernehme Pflichtverteidigungen nur in Ausnahmefällen, und in der Regel, wenn sie mir vom Mandanten angetragen werden. Das dient dann allenfalls der Alimentation des Mandanten. Pflichtverteidiger, die vom Gericht ausgewählt und bestellt werden, stehen in einem latenten Interessenkonflikt, der nur dann ausgeräumt ist, wenn gewährleistet ist, dass das Gericht sich bei seiner Auswahl nicht von eigenen Interessen leiten lässt. Das ist nach meinem Eindruck leider nur bei den allerwenigsten Richtern der Fall.

2.
An meiner Stellung als Organ der Rechtspflege vermag ich nichts zu ändern, sie steht im Gesetz (§ 1 BRAO). Nach herrschender Meinung ist § 1 BRAO jedoch kein Eingriffstatbestand, d. h., er dient nicht dazu, mich zu reglementieren. Vor diesem Hintergrund habe ich nichts dagegen, Organ der Rechtspflege zu sein. Es nützt meinen Mandanten.

3.
Ich vertrete ausschließlich die Interessen meines Mandanten. Dafür hat der Mandant mich zu bezahlen.

4.
Es gibt Einzelfälle, in denen das Interesse des Mandanten und der Wille des Mandanten nicht identisch sind. Diese Fälle sind für jeden Rechtsanwalt außerordentlich schwierig zu behandeln. Ob ich es vertreten kann, ein Mandat unter diesen Umständen zu führen, vermag ich nur im Einzelfall zu entscheiden.

5.
Im Interesse des Mandanten ist, was ihm bei der Durchsetzung seiner Ziele nutzt. Dienstaufsichtsbeschwerden z. B. nutzen dem Mandanten in der Regel nur dann, wenn es sein Ziel ist, seinen Unmut in eine leere Halle zu brüllen. Wenn das sein Begehr ist, bitte. Die meisten Mandanten weigern sich allerdings instinktiv, für solche Dienstleistungen zu bezahlen. Dann bekommen sie sie auch nicht. Das ist wie beim Aldi: Was sie nicht bezahlen, dürfen sie nicht mit nach Hause nehmen.

6.
Eine Konsequenz, die den Mandanten auf eine Wand zufahren lässt bis er dagegen prallt, lehne ich ab. Das wäre Prinzipienreiterei, und wo die hinführt, kann man bei Heinrich von Kleist nachlesen.

7.
Ein Berufsethos hingegen sollte jeder Rechtsanwalt haben und es auch intensiv kommunizieren. Damit hilft der Rechtsanwalt dem potentiellen Mandanten, den für ihn geeigneten Rechtsanwalt zu finden. Ein oktroyiertes Berufsethos, wie es derzeit immer wieder auch von Berufsverbänden oder berufsständischen Vereinigungen (Kammern) gefordert wird, lehne ich ab.

Christoph Nebgen

Mittwoch, 25. April 2012

Machtdemonstration, hinnehmbare und nicht hinnehmbare

Rocker dürfen vor Gericht keine Kutte tragen, sagt das Bundesverfassungsgericht und hat damit eine Entscheidung des Präsidenten des Landgerichts Potsdam bestätigt. Kollege Hoenig hat diesen Fall hier aufbereitet und mit dem schönen Zitat des unvergessenen Fritz Teufel garniert. Wenn es der Wahrheitsfindung dient.

Wie ein unklar gebliebener Kommentator sogleich hinzugefügt hat, wurde die Entscheidung aber auch begründet. Vielleicht dient das Kuttenverbot tatsächlich der Wahrheitsfindung. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei das Verbot nämlich gerechtfertigt, denn
"ein massenhaftes Tragen szenetypischer Kleidung stelle eine nicht hinnehmbare Machtdemonstration dar, die bei der Öffentlichkeit ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung hervorrufen sowie Verfahrensbeteiligte einschüchtern und beeinflussen könne".
Und damit würde das Kuttenverbot indirekt tatsächlich der Wahrheitsfindung dienen. Sieh an.

Aber was ist eigentlich mit Polizeibeamten? Trifft die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Begründung nicht auch exakt auf deren Uniformierung zu? Und nicht selten tragen Polizeibeamte im Zeugenstand sogar noch ihre Dienstwaffe.

Nach kurzem Zögern würde das Bundesverfassungsgericht diesen Einwand wahrscheinlich unter Hinweis darauf vom Tisch wischen, dass Polizeibeamte kein "Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung hervorrufen" würden. Aber genau das ist falsch. Dieses Gefühl rufen Polizeibeamte nämlich sehr wohl hervor und zwar durchaus auch gewollt. Uniformierung - ob nun staatlich oder privat - dient immer zum einen der Abgrenzung, zum anderen aber auch der Machtdemonstration.

Damit steht der Streit auf einmal in einem etwas anderen Licht dar: Es steht nämlich legale - staatliche - Machtdemonstration gegen private - illegale? - Machtdemonstration. Ob aber die Staatsmacht ein Monopol hat, Macht zu demonstrieren, mag man durchaus in Zweifel stellen.

Kleine Buchstaben und lange Worte

Der Bundesgerichtshof hat zum Phishing und Pharming geurteilt, was z. B. hier (Sebastian Dosch), hier (Thomas Stadler) oder hier (Jens Ferner) bereits kommentiert wurde. Der ungefähre Inhalt des Urteils darf daher als bekannt voraus gesetzt werden.

Aber wie einige der Kommentatoren zutreffend bemerken, war dem Urteil die alte Rechtslage zugrunde zu legen. Dieser Umstand hat mich auf ein Monster aufmerksam gemacht. Dieses Monster heißt § 675v BGB und hat sich offenbar für viele unbemerkt in das BGB eingeschlichen. Hier ist er noch mal zum nachlesen. Schon die nicht-offizielle Überschrift der Norm weckt Freude und Begeisterung: "Haftung des Zahlers bei missbräuchlicher Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments". Das letzte Wort nochmal: "Zahlungsauthentifizierungsinstrument". Das wären 50 Punkte beim Scrabble, doppelte oder dreifache Wort- oder Buchstabenwerte noch nicht mit eingerechnet!

Inhaltlich steht in der Norm eigentlich nicht viel mehr drin als die Gesetzeslage auch ohne die Norm bereits regelte; allerdings wird der Verschuldensgrad neu geregelt. Das dürfte jedoch eher von sekundärer Bedeutung sein, weil das Verschulden eine normative Angelegenheit ist, die sich im Zweifelsfall nur am Einzelfall orientiert. Im ausgeurteilten Fall wäre man wohl zum selben Ergebnis gekommen - aber wie gesagt: Das ist mehr eine Frage des Geschmacks.

Entsetzlich ist die Norm selbst: Lang, umständlich und praktisch unverständlich. Der kleine Buchstabe "v" deutet an, dass dieses Monster noch eine ganze Reihe Kumpane mit eingeschleppt hat, die die Buchstaben b - u unter sich aufteilen. Da haben die Rechtsausschüsse der Parteien wieder so lange getagt, bis aus einem Inhalt ein Wust geworden war und haben den dann verabschiedet.

Dabei haben sie sich sogar ein neues Wort ausgedacht. Ich wiederhole es hier nicht noch einmal.

Diese Zeit hat einfach keinen Beruf zum Gesetzemachen.


Montag, 23. April 2012

Der Pirat im Kommunikationsdelta

Liebe Piraten,

wer hätte das von Euch gedacht.

Jetzt seid Ihr schon alle so unglaublich vernetzt, kommuniziert ununterbrochen mit Eurer Basis - die ihr ja selbst seid - und dann müsst Ihr Euch von einem Parteienforscher attestieren lassen, Ihr hättet ein "Kommunikationsproblem". Nachzulesen im Online-Angebot der Zeitung mit den vier Buchstaben, hier.

Immerhin vom Vorwurf des Rechtsextremismus' hat er Euch freigesprochen. Und ein Kollege - es gibt tatsächlich mehr als einen Parteienforscher - vom Göttinger Institut für Demokratieforschung ist ihm beigesprungen und spricht von einer "Findungsphase", möchte also praktisch Jugendstrafrecht auf Euch anwenden. Weil Ihr so viele digitale Medien nutztet, dringe eben auch so viel aus Eurer Findungsphase nach außen. Fluch und Segen der Transparenz, sozusagen. So müsst Ihr jetzt Eure wertvollen Energien vergeuden, um mühsam zurückzurudern, so wie hier.

Man kann eben nicht nur nicht nicht kommunizieren, man kann vor allem auch zu viel kommunizieren. Und manchmal ist es deshalb ganz gut, wenn man den Quatsch, der einem so einfällt, nicht gleich allen mitteilt. Das gilt übrigens nicht für diesen Beitrag. Von Gesetzen und Würsten wolle er nicht wissen, wie sie zustande kämen, soll der alte Bismarck gesagt haben. Man könnte Meinungen gut in diesen Kanon aufnehmen. Aber im Stillen nachzudenken wäre natürlich dann so gar nicht transparent.

Wichtig allerdings ist, dass man eine Meinung hat. Nicht zu allem und nicht jederzeit, aber zumindest so ungefähr und dann, wenn man gefragt wird. Das hilft einem dann auch, solche Ausrutscher wie diesen unendlich blöden Ausspruch Eures ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführers in Berlin zu vermeiden. Das hat der sicher nicht so gemeint, aber ob das die Sache so viel besser macht, weiß ich nicht.

Wer keine Inhalte hat, der darf sich eben nicht wundern, wenn andere ihm irgendwelche x-beliebigen Inhalte auf den Leib schneidern.

Übrigens: "Ich will umsonst Musik downloaden" ist noch kein Inhalt.



Große Hafenrundfahrt mit der PKK

Am Donnerstag der vergangenen Woche wurden im Hamburger Hafen 79 Pendler entführt. Es war Feierabendverkehr der Fähre, die Pendler aus dem Stadtgebiet in die südlichen Stadtteile jenseits der Elbe verbringt. Fünf männliche und vier weibliche jugendliche Kurden verschafften sich Zutritt zur Brücke und brachten den Kapitän dazu, sein Ruder loszulassen.

Dann enthüllten sie ein Plakat mit dem Bild des inhaftierten Kurdenführers Öcalan und nutzten die Lautsprecheranlage, um pro-kurdische Parolen zu rufen. Zwei der Männer hielten die Tür zur Brücke zu. Die Fähre trieb vierzig Minuten steuerungslos auf der Elbe, dann bereitete die Wasserschutzpolizei dem Spuk ein Ende. Die Aktivisten ließen sich widerstandslos festnehmen. Verletzt wurde niemand. Die Lokalpresse hatte für mehrere Tage ihren Aufmacher.

Der Staatsschutz führt die Ermittlungen. Wie aber ist dieses Verhalten strafrechtlich zu würdigen? Nötigung des Kapitäns? Sicherlich. Nötigung der Fahrgäste, Freiheitsberaubung gar? Die Passagiere hätten ja ohnehin nicht von Bord gekonnt, die Fähre war ja auf der Elbe unterwegs. Nur eben etwas länger.

Daraus wird man mit etwas Willen wohl eine Freiheitsberaubung machen können, nur: Sollte man das auch tun?   Auf die Reaktion der Justiz bin ich gespannt. Die Fahrgäste haben jedenfalls etwas zu erzählen.

Freitag, 20. April 2012

Keine Notwehr in der Parallelwelt?

Vor einiger Zeit wurde ein Polizeibeamter bei einer beabsichtigten Hausdurchsuchung von einem Mitglied der Hells Angels erschossen. Der Polizeibeamte hatte sich nicht als solcher zu erkennen gegeben, weshalb der Hells Angel einen Angriff der verfeindeten Bandidos gemutmaßt hatte, gegen den er sich zur Wehr setzen wollte. Der BGH hat den Hells Angel schließlich vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, was bei Udo Vetter hier bereits Gegenstand der Betrachtung war und auch bei mir schon einmal, nämlich hier.

Jetzt ist unter dem Titel "Wider das Faustrecht" ein sehr interessanter Artikel in der FAZ vom 19. April 2012 erschienen, in dem Frau Dr. Grischa Merkel neue Fragen hinsichtlich dieses Urteils aufwirft, die sie beim BGH vermisst. Ihre Frage lässt sich etwas pointiert dahin zusammenfassen, ob nicht - möglicherweise - derjenige den Schutz des Gesetzes verlieren könnte, der sich selbst außerhalb des Gesetzes stellt, z. B. indem er Mitglied der Hells Angels wird. Es ist von einer "Parallelwelt" die Rede.

Frau Dr. Merkel fragt wörtlich,
"ob nicht das Notwehrrecht aufgrund einer Bereitschaft, im kriminellen Milieu zu agieren und sich auf diesem Feld Machkämpfe mit den Bandidos zu liefern, generell eingeschränkt sein könnte."
Dies sei zu erwägen, weil
"er gerade mit seiner unrechtlichen Lebensführung Notwehrsituationen typischerweise und geradezu leichtfertig herbeiführt."
Schließlich kulminiert dies bei Frau Dr. Merkel in der Frage, ob nicht
"der Angeklagte die Tötung des Polizisten durch sein Verhalten bereits vor der Tatsituation fahrlässig herbeigeführt (habe) - nicht durch den vorsätzlich abgegebenen Schuss, sondern durch sein vorheriges Treiben, das der Grund für die Hausdurchsuchung gewesen ist."
Um es vorweg zu nehmen: Ich glaube das nicht.

Ich halte schon den Ausdruck der Parallelwelt für unglücklich gewählt, denn es handelt sich nicht um eine parallel zu unserer Welt existierende - zweite - Welt der Rockerbanden. Es handelt sich um eine Subkultur, wie es unzählige gibt, von Kleintierzüchtern und Karnevalesen über Fußball-Hooligans bis hin eben zu Rockerbanden. Diese Subkulturen haben alle ihre eigenen Regeln und Gesetze, die sich bei einigen darin erschöpfen, ganzjährig oder saisonbedingt komische Kostüme vorzuschreiben, bei anderen auch bewaffnete Revierkämpfe vorsehen.

Alle diese Subkulturen haben gemein, dass sie sich nicht über das Recht der Gesellschaft hinwegsetzen, sondern zunächst exklusiv für ihre Mitglieder zusätzliche Regeln einführen. Interessant wird es dort, wo diese internen Regeln mit den Gesetzen der Außenwelt in Widerspruch stehen. Keine dieser Subkulturen zweifelt an, dass sie in diesen Punkten der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterliegen. Teilweise wird diese sogar ausdrücklich anerkannt; nur befolgt man die Rechtsordnung eben in bestimmten Punkten nicht. Das Ergebnis ist gegebenenfalls ein vorsätzlicher Gesetzesverstoß, mehr aber auch nicht.

Die Konstruktion erinnert z. B. an die zu früheren Zeiten herrschende Tradition des Duells, dass auch niemals legal, in gewissen Kreisen aber sehr wohl gesellschaftliche Realität war. Heutzutage vergleichbar sind vielleicht auch die ritualisierten Aufeinandertreffen rivalisierender Fußball-Hooligans.

Ein Grund, den Tätern für diese Form des motivierten Rechtsbruchs eigene Rechte abzusprechen, ist nicht ersichtlich. Schließlich nimmt der Staat bereits für sich in Anspruch, den Rechtsbruch nach seinen Regeln zu ahnden.

Mehr wäre auf keinen Fall rechtsstaatgemäß.










Donnerstag, 19. April 2012

Vergleich mit sich selbst

Neulich beim Strafverteidigertag saßen zwei Richter hinter mir, die Anekdoten austauschten. Eine davon habe ich zufällig mitgehört. Der eine Richter berichtete von einem Schöffen, der in der Beratung einer Strafsache Folgendes geäußert habe: Wo doch nicht sicher sei, ob der Angeklagte der Täter sei, müsse man den Angeklagten doch eigentlich etwas milder bestrafen.

Das lässt Erstaunliches über die Denkweise einiger Menschen erahnen, von denen einige sogar als Schöffen tätig sind. Aber in erster Linie habe ich mich an eine bestimmte Art von Berufsrichtern erinnert gefühlt, die genau so zu denken scheinen wie dieser Schöffe:

1. Der Angeklagte ist immer schuldig.
2. Wenn sich die Schuld nicht erweisen lässt, wirkt sich das strafmildernd aus.

Diese Berufsrichter haben entsprechend eine Freispruchquote, die nahe null liegt, liegen dafür aber im Strafmaß mitunter absurd unter dem, was der Schuldspruch - wenn er denn stimmte - eigentlich erfordern würde. Dem scheint weniger Bösartigkeit zugrunde zu liegen als vielmehr eine möglicherweise auch an das berufliche Fortkommen gekoppelte Angst der Richter, zu viele Menschen ungeschoren davon kommen zu lassen. Ich habe erst einen Richter getroffen, der von sich gesagt hat, dass er gerne freispreche.

Weil der beschriebene Richter sich häufig aber nicht recht wohl fühlt mit seinen Verurteilungen, kompensiert er sein Unwohlsein, indem er das Strafmaß extrem niedrig ansetzt. Er schließt einen Vergleich mit sich selbst, weil er eben nicht ganz sicher ist. Juristisch ist das falsch und gedient ist damit auch keinem. Anders als im Zivilrecht ist im Strafrecht die gute Lösung nicht diejenige, mit der alle Beteiligten gleich unzufrieden sind. Der unschuldige Angeklagte wird sich auch durch eine niedrige Strafe genauso ungerecht behandelt fühlen; der schuldige wird möglicherweise den Richter nicht mehr ernst nehmen.

Was ich an diesen Richtern vermisse, ist der Mut zur eigenen Überzeugung.

Mittwoch, 18. April 2012

Was ist eigentlich ihr Auftrag?

Ein Mandant kommt zum Rechtsanwalt und beauftragt ihn mit seiner Vertretung als Kläger in einem Rechtsstreit. "Der Anwalt sollte mir die zehntausend Euro zurückholen", wird der Mandant vielleicht sagen bzw. denken. Oder: "Der soll bei Gericht einen Freispruch erwirken." Beide Male liegt der fiktive Mandant falsch. Der Auftrag des Rechtsanwalts ist die Vertretung bzw. die Verteidigung im Rechtsstreit - die so gut wie möglich, aber sonst nichts. Die Anwaltsleistung ist eine Dienstleistung, kein Werkvertrag. Ein Erfolg ist nicht geschuldet, wie auch. Die Entscheidung trifft ja im Zweifel das Gericht.

Auf dieser schiefen Erwartungshaltung vieler Menschen gründen die meisten Streitigkeiten zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten. Das bestätigt auch die ehemalige Bundesverfassungsrichterin und jetzigen "Ombudsfrau" der Anwaltschaft, Renate Jäger, in einem sehr lesenswerten Interview auf SPON. Das Interview mit dem Titel "Viele Mandanten sind zu optimistisch" haben die Kollegen von "Admigra"  hier verlinkt, das Interview selbst findet sich hier.

Bemerkenswert ist, das Frau Jäger hierin offenbar den häufigsten Fehler der Rechtsanwälte sieht, nicht etwa in der Beratung. Neben dem allgegenwärtigen Kostenrecht lägen die Fehler insbesondere in der mangelnden Formulierung des eigentlichen Auftrags. "Tätigwerden des Anwalt, ohne dass sein Auftrag klar umrissen ist" nennt sie das. Die Frau weiß, wovon sie spricht.

Und dass häufig nicht etwa die Rechtsanwälte klagewütig wären, sondern die Mandanten in ihrer Erwartungshaltung zu optimistisch, dass sagt sie auch. Kurz: Der häufigste Grund für Streit zwischen Anwalt und Mandant ist eine überzogene Erwartungshaltung der Auftraggeber. Auch da weiß sie, wovon sie spricht.

Aber wessen Aufgabe ist es, eine Erwartungshaltung zu kommunizieren?

Wehe dem, der zurückpöbelt

Ich komme gerade aus einer Strafverhandlung. Dem Mandanten wurde vorgeworfen, eine Polizeibeamtin im Innendienst beleidigt zu haben. Ja, deshalb gibt es nach wie vor Strafverfahren und ja, sie führen auch zu Verurteilungen.

Dem Mandanten war - zu Unrecht - eine unappetitliche Straftat vorgeworfen worden, weshalb er von der Polizei den üblichen Anhörungsbogen erhalten hatte. Im Anhörungsbogen steht üblicherweise drin, was dem Betroffenen vorgeworfen wird und in diesem Fall war der Vorwurf auch durchaus ausführlich beschrieben. Keine schöne Sache.

Der Mandant hat sich dann - wie aufgefordert - zum Vorwurf schriftlich geäußert. Unter den Ausführungen findet sich auch ein Satz, der sinngemäß lautet: "Wenn sie das, was die Anzeigeerstatterin ihnen erzählt, glauben, sind sie entweder bescheuert oder sie unterliegen einer Sinnestäuschung." Die in Bezug genommene Beamtin sah das durchaus sportlich, ihre Kollegin fand, dass ihre Kollegin sich durchaus beleidigt hätte fühlen dürfen und der Dienstvorgesetzte stellte dann den erforderlichen Strafantrag.

Das letztendlich der Strafantrag gestellt wurde, mag auch damit zu tun haben, dass der Mandant mittlerweile erhebliche Amtshaftungsansprüche gegenüber den aus seiner Sicht rechtsgrundlos ermittelnden Beamten angedroht hatte.

Das Ausgangsverfahren ist längst mangels Tatverdacht eingestellt worden, aber die gefühlte Beleidigung, die beschäftigt die Justiz seither und lässt sie nicht mehr los. Kein Wort darüber, dass zu Unrecht Beschuldigte möglicherweise den berechtigten Drang verspüren, ihrem Unmut oder ihrer Angst Luft zu machen. Kein Wort über ein halbes Dutzend teilweise grotesker Verfahrensfehler: Das alles hat ein zu Unrecht beschuldigter Bürger zu dulden. Und wenn er bei seiner Verteidigung dann etwas über das Ziel hinausschießt, wird er eben doch noch bestraft, wenn auch für etwas ganz anderes.

Wehe dem, der zurückpöbelt.


Dienstag, 17. April 2012

Fehl am Platz

Wie kann man so jemanden bloß verteidigen?

Das hört man als Strafverteidiger immer wieder, wenn es um die Verteidigung von Menschen geht, denen ganz besonders abscheuliche Straftaten vorgeworfen werden. Da kann man noch so viel die Vorteile des Rechtsstaats erläutern, bei manchen schlägt die Nachricht einfach nicht auf. Verteidigung ist ein rechtsstaatliches Gebot, das nicht verhandelbar sein kann - auch wenn es sich manchmal ungemütlich anfühlt.

Ganz schlimm aber wird es, wenn sogar die Verteidigung selbst sich bei ihrer Tätigkeit unwohl fühlt. So scheint es sich im Prozess gegen den mutmaßlichen "Mörder von Krailing" zugetragen haben. Eine schlimme Tat und ein Angeklagter, der die Tat leugnet. Das ist sein gutes Recht.

Und was tun seine Pflichtverteidiger? Sie distanzieren sich demonstrativ von ihrem Mandanten. Wenn man der Presse Glauben schenken darf. Egal, was zwischen Mandant und Rechtsanwalt vorgefallen ist: Das darf nicht sein. Ein Verteidiger, der das tut, hat seinen Beruf verfehlt und sollte sich ganz schnell einen neuen Beruf suchen.

Möglichst einen, der nichts mit Recht zu tun hat.





Montag, 16. April 2012

Eine kurze Geschichte der Abmahnung, Teil 2

Seit alle Welt im Internet zugange ist, sind Abmahnungen zum Problem geworden. Oder ist das Internet das eigentliche Problem? Denn eigentlich ist das doch alles ganz einfach: Ohne Rechtsverstoß keine begründete Abmahnung. Die unbegründeten Abmahnungen wollen wir hier zunächst zurückstellen; die sind nämlich nicht das eigentliche Problem.

Das Problem ist, dass die meisten Abmahnungen sehr wohl begründet sind. Sonst hätte die Abmahner längst mit dem Abmahnen aufgehört. Der Grund dafür ist, dass das Internet seinen Nutzern vorgaukelt, jeder könne mit dem Internet auf einmal alles selbst. Piraten und Artverwandte finden das toll; es ist aber in Wahrheit alles andere als toll.

Auf einmal möchte jede zweite Hausfrau ihre selbst gemachte Marmelade über das Internet vertreiben und wundert sich, dass sie sich dabei an gewisse Regeln halten muss. Stattdessen ist die Hausfrau empört, wenn sie per Abmahnung darauf hingewiesen wird, dass sie dabei vielleicht einen Rechtsverstoß begangen hat. Ob dem tatsächlich so ist, klären seit jeher die Gerichte. Warum also die ganze Aufregung?

Weil einige Anwälte versuchen, aus Abmahnungen Kapital zu schlagen? Warum sollten die das nicht dürfen? "Anpinkeln ist erlaubt" pflegte einer meiner Ausbilder zur Frage unberechtigter Forderungen die Rechtslage zusammenzufassen. Die Frage ist doch auch hier wieder nur: Gibt es einen Rechtsverstoß oder gibt es keinen? In Wahrheit profitieren diese Anwälte von bestimmten Eigenarten des Internets, weniger vom Instrument der Abmahnung. Komischerweise empört sich aber kaum einer über die Ursache, sondern alle nur über das Symptom.

Wie gesagt: Ich bin kein Abmahnanwalt. Ich wundere mich nur.

Weil das Internet bestimmte nicht unbedingt rechtskonforme Verhaltensweisen begünstigt, hat sich sogar eine eigene Partei gegründet, deren bisher einziges bekannt gewordenes Ziel es ist, der Gesellschaftsordnung ihr Betriebssystem überzustülpen. Man möchte nicht etwa das Internet dem Recht anzupassen, sondern umgekehrt. Darüber kann man nur staunen und ein bisschen Angst bekommen.





Donnerstag, 12. April 2012

Politik unter Palmen

Rahlstedt ist ein Stadtteil im Osten Hamburgs, der nicht eben für seine Attraktivität berühmt ist. Aber es gibt dort Palmen. Noch. Um nämlich die Attraktivität des Bahnhofsvorplatzes zu erhöhen - der ansonsten eher kein südländisches Flair verströmt - hat der zuständige Bezirksamtschef dort letztes Jahr zwölf Palmen anpflanzen lassen. Kostenpunkt: 12.000,00 Euro.

Nun war Winter und die Palmen lassen traurig ihre mittlerweile braunen Wedel hängen. Es ist in Rahlstedt eben doch zu kalt für Palmen.

Das ficht den wackeren Bezirksamtsleiter nicht an und er stellt sich mutig den kritischen Fragen der Hamburger Lokalpresse zu diesem brisanten Thema. Das Interview ist einfach zu großartig, um es hier nicht zu verlinken. Von diesem Politiker kann man viel lernen. So sagt er auf die Frage, ob es ein Fehler war, in Rahlstedt Palmen zu pflanzen:
"Die Planungen liefen bereits seit 2008. Durch das Vergaberecht waren wir vertraglich gebunden, die Pläne umzusetzen."
Die erste Frage großartig gemeistert!  Ohne auf die eigentliche Frage zu antworten eingebracht, dass man zu seinem Verhalten vertraglich gezwungen war. Das ist immer ein Bringer. Auch wenn der Amtsleiter wohl von niemandem gezwungen wurde, Verträge über die Anpflanzung exotischer Pflanzen abzuschließen. Nächste Frage ist, ob der Amtsleiter nach wie vor zu seiner Entscheidung stehe. Diese Frage nützt er für ein klares Bekenntnis:
"Natürlich. Ich bin weiterhin vom Konzept überzeugt. Zusammen mit den Geschäftsleuten und der Politik wurde entschieden, in Rahlstedt einen markanten Punkt zu schaffen. Das ist nach wie vor richtig."
Ganz starker Einstieg durch rückhaltloses Eintreten für die gute Sache. Nur zielte die Frage ja eigentlich auf Palmen, nicht auf markante Punkte. Und überhaupt, mit dem markigen Spruch vom markanten Punkt hat der Amtsleiter unfreiwillig eine Steilvorlage für einen ersten leichten Vorhalt gegeben: Den markenten Punkt habe man jetzt mit den brauen Palmen, meint die Mopo. Da muss man zunächst einmal ablenken, um Zeit zu gewinnen:
"In der Tat sieht das zurzeit etwas bescheiden aus. Aber die Palmen sind da. Und wir dürfen im Augenblick nicht übereilt handeln, um unsere Rechtsposition zu wahren."
Großartige Volte! Eingeständnis zu Beginn, dann etwas, das der Angelsachse "stating the obvious" nennen würde, und zum Abschluss wieder etwas mit Recht. Wenn nichts mehr hilft, hilft Recht. Und damit geht es gleich weiter, die Mopo fragt nämlich als nächstes nach der Haftung.
"Wir gucken jetzt erst mal nach den Ursachen. Das Ergebnis ist völlig offen. Die vergammelten Wedel sind das eine. Es geht aber natürlich auch darum, ob die Palme lebt.
So spricht ein echter Kümmerer. Gucken, ob die Palme lebt. Das ist das Wichtigste. Dumm nur, dass die Redaktion schon mal vorher geguckt hat. Mitsamt einem Sachverständigen für Palmen, der eine Palme als bereits tot identifiziert hat und den anderen elf keine Überlebenschance einräumt. Da hilft dem treuen Beamten nur die Flucht nach vorn:
"Ob die Palmen leben oder nicht, kann man erst im Juli/August sehen. Wir stehen auch mit Experten in Kontakt."
Das mag jetzt den einen oder anderen an das hier erinnern, aber sicherlich hat manche totgeglaubte Palme es  im Sommer doch noch geschafft. Optimismus hat uns schon Helmut Kohl stets gelehrt. Doch es folgt die kritische Frage danach, ob man nicht hätte vorhersehen können, dass Palmen in Rahlstedt erfrieren - ein echter Härtetest für jeden Politiker.
"Es gibt doch andere Beispiele in Hamburg, wo es funktioniert. Wir haben uns intensiv mit der Frage beschäftigt, ob man in Hamburg Palmen pflanzen kann und die Frage bejaht. Fachleute haben immer gesagt: Wenn es eine Palme gibt, die dieses Klima aushält, dann diese."
Also ein glattes NEIN zur Vorhersehbarkeit. Woanders wachsen die doch auch. Die Chuck-Norris-Palme kommt überall durch. Haben die Fachleute gesagt. Dann kann - ja muss - man das glauben. Grande Finale mit der über allem wie ein Damokles-Palmwedel schwebenden Frage nach den verbrauchten Steuergeldern, immerhin 12.000 Euro. Wir schließen mit dieser wirklich brillanten Antwort des gewieften Lokalpolitikers:
"Was mit den Palmen passiert ist, hätte auch anderen Bäumen passieren können."
Diese Antwort hat nun mit den Steuergeldern nicht so direkt etwas zu tun, aber sie schlägt elegant den Bogen zu anderen Bäumen, deren Schicksal wir hier viel zu wenig gewürdigt haben. Haben es Orangenbäume in der Antarktis nicht noch viel schwerer als Palmen in Rahlstedt?

Wer mag da noch von Steuergeldern reden?

Mittwoch, 11. April 2012

Eine kleine Geschichte der Abmahnung, Teil 1


Ich mahne nicht ab. So viel mal vorweg. Ich bin kein „Abmahnanwalt“.

Es hat sich einfach nicht so ergeben. An mich ist nie ein Mandant mit dem Auftrag herangetreten, massenhaft Kunden abzumahnen; möglicherweise haben mich diese Mandate absichtlich nicht gefunden, möglicherweise war das auch nur Zufall. Wenn ein solches Mandat gekommen wäre, hätte ich es möglicherweise angenommen, möglicherweise hätte es relativ schnell geendet. Ich weiß es nicht.

Aber wenn ich die Berichterstattung über Abmahnfallen, Olaf Tank, Abo-Fallen oder ähnliches lese, dann wundere ich mich manchmal.

Beginnen wir mal mit der Abmahnung als solcher. Die Abmahnung entstammt dem Wettbewerbsrecht und ist im Grunde ein zivilrechtliches Aufforderungsschreiben mit dem Ziel, den Empfänger dazu zu veranlassen, bestimmte Handlungen zu unterlassen. Weil die rechtlichen Grenzen im Wettbewerb schnell mal überschritten sind, hat man die Abmahnung dort zur prozessualen Voraussetzung für einen Klageerfolg gemacht, was im Zivilrecht ansonsten nicht so ist. Das meiste andere kann man gleich direkt bei Gericht einfordern, die Unterlassung wettbewerbswidrigen Tuns sollte man hingegen zunächst auf eigene Faust verlangen.

Die Abmahnung ist von ihrer Idee her also keinesfalls eine Geißel der Menschheit, sondern ein Privileg des auf rechtswidrige Weise Wettbewerb Treibenden, ein außergerichtlicher und daher kostengünstiger Schuss vor den Bug.

Das wurde bis vor einigen Jahren auch allenthalben so gesehen. „Normale“ Menschen hatten von Abmahnungen so gut wie nie etwas gehört; wer ein Gewerbe betrieb, dem war die Abmahnung als honoriges Mittel unter Kaufleuten geläufig. Dieser Ruf der Abmahnung hat sich in kürzester Zeit in ihr völliges Gegenteil verkehrt. Diese veränderte Wahrnehmung der Abmahnung ging wohl nicht zufällig mit der Verbreitung des Internet einher.

Nicht umsonst heißt einer der ältesten Beiträge, die ich zu diesem Thema finden konnte "Abmahnfalle Internet".

Es gibt kein Bier im Gericht

Jemand hat meinen Mandanten bei einer Straftat beobachtet und angezeigt. Nicht als Opfer, nur so. Der aufmerksame Bürger hat zwei handgeschriebene Briefe an die zuständigen Ordnungsbehörden verfasst und sich später auch nach dem Verlauf des Verfahrens erkundigt. Mit Fristsetzung. Von Polizeibeamten spricht er dabei als "Kameraden" und weist ausdrücklich darauf hin, dass das "D" in seiner Adresse für "Deutsche Heimat" stehe.

Bei rechtlich eher mittelmäßigen Aussichten bietet die Akte der Verteidigung also eine Menge Konfliktpotential auf eher sachfernem Gebiet. Wir warten gespannt auf den Zeugen.

Vorab hört das Gericht noch einen Polizeibeamten, der bei der Gelegenheit auch noch einiges über den Anzeigeerstatter zu berichten weiß. Dann wäre der Anzeigeerstatter eigentlich dran, aber das Gericht bittet um ein Rechtsgespräch unter Juristen. Dem verschließe ich mich grundsätzlich nicht, denn meistens bedeutet das nur Gutes für den Mandanten.

Das Rechtsgespräch wird dann eher zu einem längeren Rechtsmonolog des Vorsitzenden Richters, was er zu sagen hat aber ist beachtlich. Ja, er neige der - durchaus strittigen - Auffassung zu, dass mein Mandant sich strafbar gemacht habe. Aber das Zustandekommen des Verfahrens störe ihn erheblich. Auch dass der Anzeigeerstatter - unter korrekter Nennung der einschlägigen Vorschriften - die Beschlagnahme angeblicher Tatwerkzeuge beantragt habe, missfällt dem Gericht. Dafür sei die Staatsanwaltschaft zuständig. Das Wort "Denunziant" fällt nicht.

Hinzu komme weiter, dass der Anzeigeerstatter am Verhandlungstag bereits frühzeitig auf der Geschäftsstelle vorstellig geworden sei und dort im volltrunkenen Zustand beantragt habe, meinen Mandanten während seiner Aussage von der Verhandlung auszuschließen. Schließlich habe der Anzeigeerstatter sich noch beschwert, dass es im Gericht kein Bier und keinen Whiskey gebe.

Dies alles habe im Gericht die Neigung reifen lassen, diesem Zeugen keine Bühne bieten zu wollen. Man überlege, wie man ohne diesen Zeugen auskommen könne. Auch wolle das Gericht nicht verhehlen, dass es den Anzeigeerstatter keinesfalls durch eine eigentlich fällige Verurteilung in seinem Verhalten weiter bestärken wolle. Man könnte sich eine Einstellung gegen Geldauflage vorstellen. 100 Euro.

Wenige später hat es den etwas verdutzten Zeugen mit Dank entlassen.

Donnerstag, 5. April 2012

You're the one

Es gibt Menschen, die sind ja geradezu fixiert darauf, mit einem zu sprechen. Leider sind das nicht immer dieselben Leute, mit denen man selbst auch gerne spräche. Manchmal sind es verirrte Mandanten; es gibt aber auch verirrte Geschäftsstellenbedienstete und manchmal sogar Richter. Fast nie sind es gut aussehende, reiche Mandantinnen, sondern meistens eher sonderbare Zeitgenossen.

Die rufen an und wollen den Kollegen sprechen, der gerade nicht im Haus ist. Aber wenn ich Sie gerade dran habe, dann kann ich doch eigentlich auch Ihnen alles erzählen! Und die Suada fängt an. Da hilft kein "weiß-ich-nicht", kein "bin-ich-nicht", erst recht kein "da-bin-ich-nicht-zuständig" - letzteres ist sogar kontraproduktiv, weil es nach Behörde klingt und daher dazu verlockt, erst recht drauflos zu reden. Wer weiß, wann man mal wieder dazu kommt.

Beliebt geworden ist auch, einfach loszureden, ohne eingangs zu sagen, wer man ist oder weshalb man anruft. Das soll sich der Angerufene mal schön selbst denken, dafür wird der doch bezahlt.

Wenn es gut läuft.

Alles, was eine Dienstmütze aufhat

Letztens sprach mich eine Verwandte auf einer Familienfeier an. Sie sei wohl etwas zu schnell gefahren und jetzt habe sie einen Anhörungsbogen der Polizei bekommen. Weil ich privat unterwegs war und auf privaten Veranstaltungen manchmal keine große Lust habe, Beratungsleistungen zu erbringen, habe ich es kurz gehalten und empfohlen, erst einmal gar nichts zu tun, insbesondere nicht der Polizei zu antworten. Im Ernstfall könne man dann weitersehen, falls ein Bescheid komme.

Das hat mein Standing als ernst zu nehmender Rechtsanwalt in der Verwandtschaft möglicherweise nachhaltig beschädigt. Denn aus vielen Mäulern schallte es auf einmal: Das kann man doch nicht tun! Wenn die Polizei einen etwas frage, müsse man doch antworten! Das sei doch schließlich die Polizei!

Gerade deshalb ja, ist man versucht zu sagen. Das ist die Polizei. Wenn die ermittelt, sollte das jedem Bürger doch eigentlich Warnung genug sein. Aber was dann häufig eintritt, beschreiben in aktuellen Beiträgen die Kollegin Braun hier und der Kollege Siebers hier. Es nutzt alles nichts.

Der Untertanengeist, den Heinrich Mann vor knapp hundert Jahren so vorzüglich in seinem Buch "Der Untertan" beschrieben hat, steht auch im Jahre 2012 noch stramm vor allem, was eine Uniform anhat. Dankbar schaltet der Untertan seinen Geist ab, wenn er vor sich jemanden erkennt, der mutmaßlich mehr zu sagen hat als er. Und woran könnte man Einfluss besser erkennen als an einer Uniform?

Deswegen sollte man sich auch aufs Äußerste dagegen verwehren, dieses zeitlose Symbol der Obrigkeit durch Dinge wie Nummern oder gar Namensschildchen zu verwässern.

Dienstag, 3. April 2012

Was in der Schweiz eine Straftat ist

Nein, Hannelore Kraft ist nicht verhaftet worden. Die Wahlen in NRW werden aller Voraussicht nach stattfinden. Aber das mit den in der Schweiz erlassenen Haftbefehlen gegen drei Steuerfahnder war kein Aprilscherz, diese Haftbefehle gibt es wirklich.

Während Peer Steinbrück allerdings vor einigen Jahren noch mit der Kavallerie in der Schweiz einmarschieren wollte, schlagen konservative Politiker vorsichtigere Töne an. Wolfgang Schäuble macht laut Focus für die Haftbefehle sogar die Opposition hierzulande verantwortlich, die im Bundesrat ein etwas zweifelhaftes Steuerabkommen mit der Schweiz blockiere. Da hat er wohl Ursache und Wirkung etwas durcheinander gebracht.

Die FDP überbietet das aber noch: Patrick Döring von der FDP findet es "nicht verwunderlich, dass die Schweizer Behörden kein Interesse daran haben, dass Straftaten in ihrem Land belohnt werden" (zitiert nach der FAZ).

Das verwundert nun wirklich. Ging es nicht gerade darum, dass die Schweiz durch ihre laxe Steuergesetzgebung Straftaten deutscher Staatsbürger massiv begünstigt? Und jetzt soll sie daran kein Interesse mehr haben? Aber halt! Döring meint, wenn er von Straftaten spricht, gar nicht die Tausende von Vergehen nach der Abgabenordnung (AO), die mit Hilfe der Schweizer Banken und Behörden in Deutschland jährlich unentdeckt bleiben.

Döring meint den einen Fall des Ankaufes einer CD mit den Daten von Steuersündern. Das ist in der Schweiz - im Gegensatz zum hiesigen Recht - nämlich eine Straftat.

Fühlt sich Patrick Döring etwa auf einmal dem Schweizerischen Recht mehr verbunden als dem deutschen? Oder betreibt da einfach jemand knallharte Klientelpolitik ohne Rücksicht auf irgendein Recht in irgendeinem Land?


Miese Manöver in der Presse

Strafgericht, Anklage der fahrlässigen Tötung in mehreren Fällen. Der Angeklagte schweigt. Das ist der Regelfall vor deutschen Gerichten, denn es ist das Recht eines jeden Angeklagten zu schweigen. Nun aber das!

"Die miesen Manöver des Todes-Rasers" titelt die Hamburger Boulevardpresse heute. Untertitel: "Was will Caeser S. verbergen?" Hintergrund ist der Fall eines - mutmaßlichen - Epileptikers, der möglicherweise auch noch unter Betäubungsmitteleinfluss stand, als er im letzten Jahr einen schweren Autounfall verursachte, bei dem vier überwiegend prominente Passanten starben.

Was die Presse als "mieses Manöver" bezeichnet, ist der Umstand, dass der Angeklagte seine behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden hat. Das ist sein gutes Recht. Ob es prozesstaktisch wirklich schlau ist, steht auf einem anderen Blatt. 

Was die Presse hier mal wieder aus einem Beschuldigtenrecht macht, sollte Anlass zur Empörung geben. Ein Großteil der Leserschaft folgt nämlich dieser Stimmungsmache, die sich damit nicht nur gegen den Angeklagten im konkreten Fall, sondern gegen Beschuldigtenrechte an sich richtet. Das ist offenbar ein Trend der Zeit, den man bekämpfen, nicht unterstützen sollte. 

Der Trend ist nicht immer ein friend.

Montag, 2. April 2012

Morgenpost Online-Untergangsstimmung

Diese Computer sind schon lustige Dinger.

Da haben zwei Presseerzeugnisse verschiedene Namen, aber dieselbe Redaktion. Da man auch Artikel voneinander übernimmt, ersetzt die Redaktion der Einfachheit halber den Namen einer Zeitung bei Bedarf durch den der anderen. Und weil das auch automatisch geht, lässt man es automatisch machen.

Blöd nur, dass der Titel der einen Zeitung gleichzeitig ein recht häufig gebrauchtes Wort der deutschen Sprache ist. Das sieht im Fließtext dann mitunter echt komisch aus.

Der bildblog hat es bemerkt und die lustigsten Beispiele hier zusammengestellt.

Stasi-Mitarbeiter und Rechtsanwälte

... haben nicht allzu viel gemeinsam, sollte man meinen. Hat man sich aber geirrt, um es mit der Maus zu sagen. Zumindest, wenn man dem Kommentar von Rolf Schälike glauben darf, den der Kollege Pohlen hier zitiert.

Stasi-Mitarbeiter wie Anwälte hätten dem Staat gedient und damit die bestehende Herrschaftsordnung zementiert, so lautet in etwa das zentrale Argument bei Rolf Schälike. Stasi-Mitarbeiter seien
"Diener des Staates gewesen und  hätten als Beamte Privilegien gehabt wie unsere Anwälte als Organ der Rechtspflege" . 
Beide Gruppen seien innerlich zerstritten, würden aber der Privilegien wegen nach außen geschlossen auftreten. Ich hoffe, ich gebe das hier einigermaßen sinngemäß wieder. Sonst kann man es ja nachlesen. Ich bin mir nicht sicher, ob er Recht hat. Allein mit geschlossenem Auftreten nach außen zementiert man noch keinen Staat. Allerdings nützt geschlossenes Auftreten nach außen dem Erhalt der Gruppe, was allerdings so praktisch für jede Gruppe gilt. Bei den Rechtsanwälten mag man überdies bezweifeln, ob sie tatsächlich geschlossen auftreten.

Einen Auszug ais dem Kommentar möchte ich jedoch noch wörtlich zitieren:
"Das Hauptargument der Juristen ist: Verträge und Gesetze müssen eingehalten werden. Gilt allerdings für die Herrschenden nur beschränkt. Der überwiegende Teil der Straftäter wird unter dem sozial schwächeren Bevölkerungsteil gesucht und bestraft."
Dieser Ansatz wird in der Kriminologie als "labeling approach" bezeichnet und es gibt wenig, was man dieser Theorie entgegensetzen könnte. Die Herrschenden haben eben nicht nur die Macht, sondern auch die Definitionshoheit. Straftäter ist derjenige, den die herrschende Klasse zum Straftäter erklärt.

Allzu oft ist der Strafverteidiger tatsächlich nur derjenige, der dieses System zementiert, indem er mit dieser staatlichen Definitionshoheit arbeitet und sie damit akzeptiert. Das muss der Verteidiger aber bis zu einem gewissen Grad. Denn er kann auf die Gegebenheiten nur reagieren; er kann nur denjenigen verteidigen, den der Staat vorher angeklagt hat. Er kann nicht selbst anklagen, da ihm dieses Privileg nicht gegeben ist. Jede Privilegierung hat eben irgendwo ihr Ende.

Als Ausweg bietet Rolf Schälike an, das Tätigkeitsfeld zu wechseln und nicht mehr als Organ der Rechtspflege zu versuchen, Unheil zu zementieren und zu verbreiten. Vielleicht ja als Eremit in den Wäldern oder als Kokosnusszüchter in der Südsee. Das ist in seiner Denkweise durchaus konsequent, führte aber in seiner Konsequenz auch nur dazu, den anderen vollständig das Feld zu überlassen und mich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.

Kann das die Lösung sein?