Ich stehe mitten im Sumpf, aber ich spüre den Sumpf nicht. Das muss ein schönes Gefühl sein. Versumpft, aber glücklich. So geht es Klaus Meine in Hannover, nachzulesen in diesem schönen Interview. Mittendrin, und doch nicht dabei.
Jede Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen, "sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen". Für eine Straftat. So umschreibt das Gesetz den so genannten "Anfangsverdacht", den auch der Kollege Wings hier behandelt. Die zitierte Formulierung stammt aus § 152 Abs. 2 StPO, der das so genannte Legalitätsprinzip formuliert.
Die Staatsanwaltschaft hat also theoretisch keine Wahl. Sie muss ermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Muss? Na ja - die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen "zureichend" sein. Wann ist ein Anhaltspunkt zureichend? Kollege Wings hat das schon negativ abgegrenzt, positiv formuliert heißt es, "wenn die kriminalistische Erfahrung als möglich erscheinen lässt, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt". Zitiert nach dem führenden Kommentar zur StPO.
Es hängt also von der "kriminalistischen Erfahrung" ab. Was aber, wenn meine kriminalistische Erfahrung nur gering ist oder - noch schlimmer - von subjektiven Vorurteilen geprägt? Dann ermittele ich selbst dann nicht, wenn die Straftat sich deutlich vor mir abzeichnet. Weil ich mir diese Straftat einfach nicht vorstellen kann oder will. Weil ich mir z. B. einfach nicht vorstellen mag, dass ein deutscher Ministerpräsident korrupt sein könnte oder Neonazis ganze Anschlagserien verüben. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, hätte Wilhelm Busch gesagt.
So erklärt sich, dass Klaus Meine mit zahlreichen Granden aus Wirtschaft und Politik mitten im Weinkeller von Carsten Maschmeyer steht und nichts dabei findet. Und so erklärt es sich, dass die Staatsanwaltschaft nichts dabei findet, dass der ehemalige Ministerpräsident sich von einflussreichen Wirtschaftsgrößen betütern lässt, die er dafür mit auf Reisen nimmt.
Der Unterschied ist nur, dass Klaus Meine sich nichts dabei zu denken braucht, während die Beamten der Staatsanwalt dazu verpflichtet sind, sich etwas zu denken.
Auch wenn sie es nicht mögen. Soviel Professionalität muss sein.
Aus welchen Gründen geht man in die Schüler-Union, wird Mitglied beim RCDS, Verbindungsstudent oder sonstigen Zirkeln, von denen man sich Vorteile verspricht? Warum sind Rechtsanwälte im Vorstand grosser Sportvereine, trommeln in lokalen Wirtschaftsvereinen und engagieren sich politisch? Das Schlaglicht Hannover-Sumpf ist lediglich ein Spiegelbild vom Deutschland-Sumpf, dem Parteien-Sumpf und dem Medien-Sumpf. Das ist im Grunde absoluter Alltag.
AntwortenLöschen@ Fachanwalt-IT: Da haben Sie völlig Recht. Aber Sie kommen ja auch aus meiner alten Wirkungsstätte Hannover und haben die direkte Draufsicht. ;-)
AntwortenLöschenUm lediglich ein bisschen gegenan zu reden: Schlimm sind doch die Leute, die sich einbilden, sie gingen in die Schüler-Union, um etwas zu bewirken, und nicht der eigenen Vorteile halber. BILD könnte also titeln: Wir sind Sumpf.
Aber die Naivität von Herrn Meine ist schon beeindruckend.
AntwortenLöschen@Fachanwalt-IT, NEBGEN - rough justice:
AntwortenLöschenDie Mehrheit der Deutschen Bürger war nicht in der Schüler-Union, war nicht Mitglied beim RCDS bzw. Verbindungsstudent und hat auch keine zwei juristischen Staatsexamina abgelegt. Hannover ist auch nicht der Geburtssumpf von jedermann.
Ich bin weder Sump und wulffe auch nicht.
Deshalb darf ich mich empören.
Und dass (diesmal) die Bild in der Causa Wulff aufdeckt, ist mir völlig wurscht bzw. finde ich besser, als wenn rehabilitierte Straftäter gebrandmarkt werden.
@ Anonym: Aber so etwas Tolles wie die Wortschöpfung "Geburtssumpf" müssen Sie doch nicht anonym schreiben! :-D
AntwortenLöschenIch war und bin auch in keiner dieser Vereinigungen Mitglied und in keiner Partei. Nicht einmal im örtlichen Anwaltsverein oder im Deutschen Anwaltsverein. Meine echte Empörung scheitert an dem Umstand, dass das gesamte System ein Sumpf ist und mir das schon zu lange klar ist. Ich darf mich empören, schaffe das aber nicht. Meine Abneigung wird allerdings gepflegt.
AntwortenLöschenSchon mal davon gehört, dass die Staatsanwaltschaft gegen einen Bundespräsidenten nicht einfach so drauflos ermitteln kann (Art. 60 IV i. V. mit Art. 46 II GG)? Sollten Sie eigentlich.
AntwortenLöschenEine philologische, nicht juristische Korrektur: Das Zitat stammt nicht von Busch, sondern von Christian Morgenstern aus dem Gedicht „Die unmögliche Tatsache“. Ob Busch es zum jetzigen Anlaß vielleicht auch gesagt hätte, muß natürlich dahingestellt bleiben. ;-)
AntwortenLöschen