Donnerstag, 27. Oktober 2016
Die Rückkehr des Phantoms
Erinnern Sie sich noch an das "Phantom von Heilbronn"? Das Phantom von Heilbronn war eine Frau, deren DNA in den Neunziger Jahren an den verschiedensten Tatorten unterschiedlichster Straftaten gefunden worden war, unter anderem am Tatort des später dem NSU zugeschriebenen Mordes an der Polizisten Michèle Kiesewetter. Man vermutete eine sehr umtriebige Straftäterin; in Wirklichkeit war das Phantom völlig unschuldig und Arbeiterin in einem Betrieb, der Wattestäbchen für DNA-Analysen abpackt. Deren DNA war im Zuge ihrer Tätigkeit auf die später von der Polizei verwendeten Wattestäbchen gelangt.
Sie meinten, diese Geschichte sei so peinlich, etwas Ähnliches könne nie wieder passieren? Noch dazu erneut mit Bezug zum NSU?
Möglicherweise wiederholt sich die Geschichte doch. Das BKA hat offenbar einen Meterstab ausfindig gemacht, der sowohl im Mordfall "Peggy" als auch bei den Ermittlungen um die Selbsttötung der mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos verwendet wurde. Spiegel online berichtet hier. Durch diesen Meterstab könnte DNA von Böhnhardt auf Stoffreste übertragen worden sein, die jüngst in der Nähe des Fundortes der Leiche im Fall "Peggy" entdeckt wurden, wo eben dieser Stab erneut zur Anwendung gekommen sein soll.
"Der Weg der Spur" soll jetzt "im Sinne der Qualitätssicherung" genau nachgeprüft werden, wird die Staatsanwaltschaft zitiert.
Montag, 24. Oktober 2016
Gefühltes Recht
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Revision eingelegt gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, mit dem letzte Woche drei Jugendliche und ein Erwachsener wegen Vergewaltigung einer Vierzehnjährigen verurteilt wurden. Über das Verfahren wurde kontrovers diskutiert, hier, hier oder hier. Was der Grund für die Einlegung der Revision war, teilte die Staatsanwaltschaft bemerkenswerterweise nicht mit, wohl aber, was nicht der Grund war:
So wurde die Revision nach Angaben der Pressestelle der Staatsanwaltschaft "unabhängig von einer Online-Petition" eingelegt, mit der zunächst um "Berufung im Vergewaltigungsprozess Hamburg" gebeten wurde. Mittlerweile haben die Verantwortlichen immerhin die fehlerhafte Rechtsmittelbezeichnung von "Berufung" in "Revision" geändert. Vielleicht hat hier ja die Rechtskunde mit der Maus gewirkt.
Im Beitrag der zitierten Kollegin gibt es einen Kommentar, der die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Juristen, Nichtjuristen und der dazwischen agierenden Presse sehr schön dokumentiert: Eine Leserin mokiert sich, der "Unterschied zwischen Revision und Berufung" werde nicht deutlich, "gefühlt" sei das nämlich "für Laien komplett dasselbe". Da genau liegt das Problem.
Den Unterschied zwischen Revision und Berufung kann man nicht fühlen, man muss ihn kennen. So ist es mit dem gesamten Recht: Man kann es nicht erfühlen, man muss es kennen. Und dazu muss man sich damit befassen: Das "Recht, wie es im Volke wohnt" ist eine Legende aus der Romantik; seine Weiterentwicklung hatte als "gesundes Volksempfinden" sehr ungesunde Auswirkungen auf das Volk. Es reicht eben nicht immer, nur eine Meinung zu haben, denn die könnte unqualifiziert sein. Man sollte sich auch mit der Materie auskennen. Oder eben einfach mal auf eine Meinung verzichten.
Natürlich kann man es niemanden übel nehmen, wenn er sich z. B. mit dem Unterschied zwischen Revision und Berufung nicht befassen möchte; wenn er aber darüber reden möchte, sollte er sich zwingend damit befassen. Sonst redet er wie ein Blinder von der Farbe. Es besteht dann die Gefahr, die sich in Abertausenden Kommentaren - und leider auch der oben zitierten Petition - verwirklicht: die Gefahr der Herrschaft sachfremder Erwägungen über das Recht.
Die Aufgabe der Presse wäre es, dieses Wissen - gerne auch in vereinfachter Form - zu vermitteln. Diesem Auftrag verweigert sich die Presse hartnäckig. Es gilt immer noch das Wort Gisela Friedrichsens, sie sei die einzige Gerichtsreporterin Deutschlands, die den Unterschied zwischen Berufung und Revision erklären könne. Genau dieses Beispiel hatte sie bei ihrem schon etwas älteren Ausspruch gewählt.
Der Rest des Berufsstandes scheint nach wie vor der Meinung zu sein, das Wissen um das Recht seinen Lesern nicht zumuten zu können; man möchte lieber das grausame Gefühl bedienen. Das kann nicht gutgehen.
P.S.: Die Berufung hat zur Folge, dass eine zweite Tatsacheninstanz die Tatvorwürfe nochmals verhandelt, es wird also nochmals Beweis erhoben, Zeugen gehört, Urkunden verlesen, Augenschein genommen oder Sachverständige vernommen. Die Berufung ist nur gegen Urteile des Amtsgerichts möglich. Die Revision dagegen ist eine reine Rechtsprüfung, das heißt, das Revisionsgericht untersucht das angefochtene Urteil nur auf relevante Rechtsfehler.
Mittwoch, 19. Oktober 2016
Liebe Reichsbürger!
Ihr behauptet ja immer, die Bundesrepublik wäre eine GmbH und das Deutsche Reich bestünde aus irgendwelchen Gründen fort. Aus aktuellem Anlass stellen wir uns daher hier mal die Frage: Was ist eigentlich ein Staat?
Da stellen wir uns mal ganz dumm und nähern uns der Antwort von hinten: Wenn wir uns z. B. auf die - unbewohnte - Elbinsel Schweinesand begäben, dort eine Phantasieflagge hissten und das Königreich Ihr-könnt-mich-alle-mal ausriefen, wäre das dann ein Staat?
Da können wir jetzt lange und ermüdende Ausführungen machen, wann man völkerrechtlich von einem Staat sprechen kann, irgendetwas von Staatsgebiet, Staatsvolk oder Staatsgewalt. Das ist alles müßig, denn am Ende kämt Ihr doch bloß und würdet behaupten, dass das Völkerrecht für Euch keine Bedeutung hätte, womöglich, weil man Euch nicht vorher angehört habe. Gehen wir die Sache also noch anders an:
So ein Staat kann als Staat so richtig doch nur wirken, wenn er von anderen auch als Staat anerkannt wird. Erich selig könnte ein langes Klagelied davon singen; dem haben sie seine DDR sogar in Anführungsstriche gesetzt und sich geweigert, ihre diplomatische Vertretung vor Ort als "Botschaft" zu bezeichnen - alles nur, um ihm zu zeigen, dass man seine DDR nicht als Staatsgebilde anerkannte. Ein langer zäher Kampf, von dem wir wissen, wie er ausgegangen ist.
Ihr nun auf Eurer Insel, habt vielleicht sogar ein Gefolge um Euch geschart - aber interessiert das jemanden? Nein. Irgendwann kommt der Gerichtsvollzieher und kassiert Euch ab. Dem zu erklären, dass Ihr ein souveräner Staat seid, könnte schwierig werden. Deshalb hat Euer Mitbürger aus Georgensgmünd sich vielleicht auch nur mit der Schusswaffe gegen die ihm staatsfremd erscheinende Polizeigewalt erwehren können.
All Eure Souveränität existiert nur in Eurem Kopf und verschwindet, sobald die Realität an die Tür klopft.
Und ganz ähnlich ist das auch mit dem Fortbestehen des Deutschen Reiches. Das halten alle außer Euch einfach nur für einen schlechten Scherz. Da könnt Ihr Personaldokumente malen und Stempel schnitzen wie Ihr wollt, die Welt um Euch herum nimmt es einfach nicht ernst. Und der Staat, dieses ach so flüchtige Gebilde, existiert einfach nicht, wenn er nicht irgendwie anerkannt wird. Er sitzt auf seiner Insel und verhungert.
Dienstag, 18. Oktober 2016
Alternativer Terror
Gestern abend war Terror.
Diese Fernsehausstrahlung hat uns einige Erkenntnisse gebracht, die wir bisher nur geahnt hatten. Weniger zum deutlichen Abstimmungsergebnis; das war nach der Form der Darstellung keine Überraschung, sondern spätestens nach der Anfangsviertelstunde klar. Man musste schon Hardcore-Kantianer sein, um den Angeklagten nach dieser Darstellung noch verurteilen zu wollen. Und welcher Fernsehzuschauer folgt schon Kant?
Aufgefallen sind mir - typisch Jurist - zunächst beiläufige Details:
- Eine öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt schafft es offensichtlich nicht einmal in einer wochenlang beworbenen Großproduktion, Barbara-Salesch-artige Verunreinigungen aus dem angelsächsischen Rechtskreis vollständig zu vermeiden. ("Der Angeklagte nimmt jetzt im Zeugenstand Platz") Das ist armselig.
- Die Vorstellung eines Großteils der Bundesbürger von Gerichtssälen wird jetzt auf Jahre geprägt sein von einer großzügigen, futuristischen Stahlbetonarchitektur und Räumen mit zehn Meter hohen Decken. Zukünftige Angeklagte werden enttäuscht sein.
Das aber sind die Randnotizen. Weil der Ausgang der Geschichte so wenig spannend war, hat mich die meiste Zeit etwas ganz anderes umgetrieben: Wie hätte sich wohl das Ergebnis der Abstimmung beeinflussen lassen, wenn man den Angeklagten nicht als intelligent-adretten Schwiegersohn dargestellt hätte? Sondern z. B. als autistischen Outcast - gespielt von Jürgen Vogel - oder als manischen Berserker im Stile Klaus Kinskis?
Mit so einer Besetzung hätte man die Freispruchquote bestimmt drastisch nach unten drücken können. Und das ist es, was mir insgeheim Angst macht: Schuld oder Unschuld hängt gar nicht am Gesetz, auch nicht an einem etwaigen übergesetzlichen Notstand (dessen Existenz ohnehin umstritten ist) oder an der Akzeptanz des Kantianischen Menschenbildes; Schuld oder Unschuld entscheidet sich ganz profan am Typus des Beschuldigten.
Das sollte uns viel mehr zu denken geben als der eigentlich zu entscheidende Fall. Der bleibt eine exotische abstrakte Problemstellung, die darauf angelegt ist, Gesetz und Moral zu vermengen.
Montag, 17. Oktober 2016
Ab in die Bibliothek
Amtsgericht, eine ganz normale Verhandlung. Es geht um einen Angeklagten, der womöglich seit geraumer Zeit mit einer in der Tschechischen Republik ausgestellten Fahrerlaubnis unterwegs war. Dieses Problem mag nicht alltäglich sein, selten ist es aber auch nicht. Einmal googeln und man ist über die Rechtslage bestens unterrichtet. Im übrigen handelt es sich um eine Vorsatz- und Irrtumsproblematik.
Eingangs der Erörterung zur Sache ergreife ich vorsorglich das Wort und referiere kurz die Rechtslage. Die hat sich in den letzten zehn Jahren einige Male geändert. Als mein Mandant seine Fahrerlaubnis erworben hat, war es völlig legal, damit auch in Deutschland zu fahren.
"Ja aber", sagt der Richter, da gebe es doch diese 185-Tage-Regelung. Danach kann eine ausländische Fahrerlaubnis nur umgeschrieben werden, wenn der Betreffende mindestens ein halbes Jahr im Staat der Ausstellung gelebt hat. Und das hat der Mandant nach Aktenlage nicht.
"Ja aber", sage ich, "das ist erst seit 2009 so, und der Mandant hat seine Fahrerlaubnis 2006 gemacht."
"Ja aber", sagt der Richter, "dass hieße ja, dass damals jeder Alkoholiker seine Fahrerlaubnis einfach in Tschechien hätte machen können."
"Ja", sage ich. "Deshalb haben die dann das Gesetz geändert". Aber eben erst 2009.
"Das kann nicht sein", sagen Richter und Staatsanwalt im Chor. Hier flacht die Argumentation etwas ab, finde ich.
"Ist aber so", sage ich und winke mit entsprechender Literatur und Rechtsprechung.
"Das kann nicht sein", sagt der Richter und setzt die Verhandlung aus. Er müsse in Ruhe die Rechtslage prüfen.
Nun sind Neugier und Zweifel durchaus positive Eigenschaften, so dass man den Richter eigentlich loben müsste. Allerdings ist es nach dem Gesetz so, dass der Richter, der ein Verfahren eröffnet, die Rechtslage vorher geprüft haben sollte und nicht erst während der Verhandlung, wenn es jemand anspricht.
Für den Mandanten ist das äußerst ärgerlich, denn jetzt geht die Verhandlung in ein paar Wochen noch einmal von vorne los und löst weitere Gebühren aus.
Donnerstag, 13. Oktober 2016
Was meine Praktikantin einmal auf der Toilette des Landgerichts erlebte
Am sechsten Verhandlungstag einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht näherte sich die Beweisaufnahme dem Ende. Mittagspause. Auf der Damentoilette begegnete meine Praktikantin - die sämtliche Verhandlungstage zuvor von der Zuschauerbank verfolgt hatte - einer beteiligten Schöffin. Die Schöffin sprach sie an.
Sie sei doch Praktikantin, was sie denn von dem Verfahren halte. Es ging um Untreue in diversen Fällen. Zögernd aber zutreffend antwortete die Praktikantin, dass beide Angeklagte wohl freigesprochen werden müssten, weil belastbare Beweise fehlten.
Das sah die Schöffin dann doch ganz anders. So ginge das doch nicht, ein Freispruch komme für sie nicht in Frage, die (zweite) Angeklagte habe sich schließlich moralisch nicht korrekt verhalten. Außerdem sei einer der Belastungszeugen ein hochrangiger Soldat bei der Bundeswehr, so jemand lüge nicht.
Der nächste Verhandlungstag verlief dann etwas anders als geplant, statt der Plädoyers kamen von der Verteidigung zwei Ablehnungsgesuche gegen die Schöffin, denen zügig entsprochen wurde. Nächstes Jahr dürfen die Beteiligten dann einen neuen Anlauf nehmen, dieses Verfahren zu einem Abschluss zu bringen.
Die Entscheidung des Gerichts ist ebenso unausweichlich wie ärgerlich für alle Beteiligten: Keiner freut sich, wenn er Monate später - dann zum insgesamt vierten Anlauf - vor dem Gericht erscheinen muss. Für die Angeklagten ist es eine - nicht nur wegen des teilweise erheblichen Anreisewegs - kaum mehr zumutbare Belastung und auch bei den beteiligten Juristen wird die Motivation und Konzentration nicht zunehmen, wenn sie demnächst die gleiche Beweisaufnahme ein drittes oder viertes Mal erleben werden.
Was bleibt, ist eine gewisse Resignation und die Frage, was einige Menschen sich bei dem, was sie sagen, eigentlich so denken. Und wozu man Schöffen braucht. Die tun bestenfalls nichts und schlimmstenfalls endet es wie hier.
Montag, 10. Oktober 2016
Judge Donald
Auf die Aussage Hillary Clintons, es sei gut, dass Donald Trump nicht für die Gesetze zuständig sei, antwortete der Donald: "...weil Sie dann im Gefängnis wären!" (Zitat: SPON)
Die Anhängerschar johlt - aber was hat er da eigentlich gesagt?
Wenn er für die Gesetze zuständig wäre, säße Hillary im Knast. Soll wohl heißen: Wenn er an die Macht käme, würde er die Gesetze so ändern, dass Hillary eine Gefängnisstrafe drohte. Hieße dann aber auch: Die bisherigen Gesetze reichen dafür dann wohl doch nicht aus. Das steht in angenehmem Kontrast zu früheren Aussagen Trumps, Hillary gehöre "ins Gefängnis". Das war dann wohl doch eher nur die von ihm gefühlte Wahrheit.
Davon abgesehen, wie möchte der Donald seine Zuständigkeit für die Gesetze eigentlich dahin nutzen, Hillary ins Gefängnis zu bringen? Wären dafür nicht eigentlich Richter zuständig? Möchte er die Gewaltenteilung abschaffen? Wenn ja, warum hat er das nicht deutlicher gesagt?
Und: Warum denken so wenig Menschen über den Unsinn wirklich nach, den der da so erzählt?
Donnerstag, 6. Oktober 2016
Rechtliches Gehör
Die Anklageschrift ist in sich widersprüchlich, konkreter und abstrakter Anklagesatz passen nicht zueinander und das vorgeworfene Verhalten ist meiner Ansicht nach nicht strafbar. Bei letzterer Rechtsansicht habe ich immerhin ein Urteil des BGH auf meiner Seite. Das alles schreibe ich im Zwischenverfahren auch dem Gericht.
Das Gericht eröffnet das Verfahren mit einem Einzeiler ohne jede Begründung.
Also weise ich eingangs der mündlichen Verhandlung nochmals auf meine diversen rechtlichen Bedenken hin. Jetzt holt die Vorsitzende mit leicht beleidigtem Unterton zum Lamento aus - das alles habe sie sehr wohl bedacht, ja sie habe es sogar von einem Referendar (sitzt daneben) überprüfen lassen, aber ach: Sie sei anderer Meinung.
Also frage ich sie, warum sie das nicht in ihren Eröffnungsbeschluss hineingeschrieben habe, dann hätte sich die Verteidigung darauf einstellen können. Daraufhin guckt Frau Vorsitzende pikiert und meint, Eröffnungsbeschlüsse begründe sie nie, dass sei nicht üblich.
Da weise ich sie darauf hin, dass es einen verfassungsmäßig gesicherten Anspruch auf rechtliches Gehör gebe und dass dieser Anspruch unter anderem umfasse, dass sich die angerufene Stelle mit den Argumenten des Petenten befasse und diesem dies auch nachvollziehbar zu erkennen gebe. Schließlich dient das rechtliche Gehör nicht dazu, dass ich mit meinen warmen Worten die Saaltemperatur erhöhe, sondern das rechtliche Gehör soll die Berücksichtigung meiner Argumente gewähren.
Ungläubiges Staunen bei Gericht und Staatsanwaltschaft.
Das Verfahren wird ausgesetzt, denn mittlerweile ist es 14:00 Uhr. Feierabend bei Gericht. Ich gehe dann mal ins Büro, arbeiten.
Dienstag, 4. Oktober 2016
Bürger in seinem eigenen Reich
Das sind schon komische Leute, diese Reichsbürger: Leben in ihrem eigenen Staate und malen sich ihre Personalpapiere selbst. Man kennt die mittlerweile.
Das Verwaltungsgericht Köln hat so einem jetzt die Fahrerlaubnis entzogen, wie man hier lesen kann. So richtig interessieren wird den Betreffenden das aber wohl nicht, denn er hält sich ja an das Recht der Bundesrepublik nicht gebunden. Weil dem Staat, in dem er lebt, aus seiner Sicht die Legitimität fehlt, meint er, sich auch nicht an dessen Gesetze halten zu müssen. Wir werden ihn also aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiterhin auf der Straße antreffen können.
Ist das lustig? Oder gefährlich? Zumindest muss man den Reichsbürgern eines lassen: Sie wissen, wo es dem Rechtsstaat wehtut und genau da versuchen sie, ihn zu treffen: An seiner Legitimation. Das hat in der Geschichte große Vorbilder: Wer die Staatsverfassung angreifen wollte, hat zunächst einmal dessen Legitimation in Frage gestellt. Wer von einem Gericht verurteilt zu werden droht, spricht dem Gericht das Recht ab, Recht zu sprechen. Schon Charles I. von England hat sich geweigert, sein eigenes Todesurteil zu akzeptieren. Genutzt hat es ihm in seinem konkreten Fall nichts, aber zumindest hat die Monarchie am Ende trotzdem gesiegt. Eine schöne Zusammenfassung der Geschichte findet sich hier.
Recht setzt eben voraus, dass es auch akzeptiert wird. Wo die Akzeptanz fehlt, hilft irgendwann nur noch Gewalt. Das kann in heutiger Zeit eigentlich niemand wollen, denn es hilft niemandem. Insoweit ist das Wirken der Reichsbürger nicht nur skurril, sondern auch ganz schön gefährlich. Man tut dem Rechtsstaat sicherlich keinen Gefallen, wenn man sich auf deren krude Argumentation einlässt: Denn in ihrem eigenen Reich kennen sie sich im Zweifel besser aus als jeder rechtsstaatlich ernannte Richter.