Montag, 11. April 2016
Böhmermann - Dies ist keine Pfeife
Vielleicht geht es am Ende - anders als hier der Kollege Vetter meint - doch um Paragraphen.
Lange hatte ich das "Schmähgedicht" des von mir nicht immer hoch geschätzten Jan Böhmermann verweigert, gestern habe ich es mir schließlich angesehen. Und ich muss Abbitte leisten: Es ist genial. Und es ist tatbestandlich eindeutig keine Beleidigung. Aber der Reihe nach, chronologisch in umgekehrter Reihenfolge:
Die türkische Regierung hat ein mündliches "Strafverlangen" ausgesprochen. Das stellt die Kanzlerin vor die Entscheidung, ob sie gem. § 104a StGB die "Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteilt. Das mag vordergründig eine politische Frage sein. Aber was ist, wenn die Kanzlerin die Ermächtigung erteilt und ein deutsches Gericht Jan Böhmermann dann freispräche? Dann hätte die Kanzlerin aus politischen Motiven einen unschuldigen Bürger der Strafverfolgung ausgesetzt. Damit wäre sie als Kanzlerin nicht mehr tragbar.
Die Kanzlerin täte also gut daran, zunächst einmal prüfen zu lassen, ob nach Deutschem Recht ein Straftatbestand verwirklicht ist. Derzeit hat die Bundesregierung eine "mehrtätige Prüfung" angekündigt, die FAZ berichtet hier. Warum die Prüfung mehrere Tage dauern soll, ist allerdings nicht recht ersichtlich. Jurastudenten sollen ein Dutzend Rechtsfragen dieser Art und Güte im Examen innerhalb weniger Stunden lösen.
Die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen - verbotener - Schmähkritik und - von der Pressefreiheit gedeckter - Meinungsäußerung ist einigermaßen eindeutig. Allerdings ist immer wieder zu beobachten, dass die deutsche Justiz sich auf ihren unteren Ebenen nicht an die höchstrichterlichen Vorgaben hält; insbesondere, wenn sie Personen aus ihren mutmaßlich eigenen Reihen beleidigt sieht: Richter, Staatsanwälte oder Polizisten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Um eine Schmähkritik handelt es sich dann, wenn die Äußerung nicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, sondern allein die Herabwürdigung des Betroffenen bezweckt. Jan Böhmermann selbst sagt dies in seiner Ankündigung und lässt es sich von einem persiflierten Rechtsanwalt "Christian Witz" (kleiner Schertz) bestätigen. Dabei geht es aber eben nicht nur um das beleidigende Element, es geht um den gesamten Sachzusammenhang. Und der besteht eben nicht nur aus dem eigentlichen Gedicht.
Der Sachzusammenhang besteht zunächst aus einem Anlass - dem Verhalten des türkischen Ministerpräsidenten, der wegen einer vergleichsweise harmlosen Satire des NDR den Deutschen Botschafter mindestens einmal hat einbestellen lassen. Die Einschätzung dieses Verhaltens dürfte unter Anhängern des demokratischen Rechtsstaates einhellig sein: irgendwo zwischen kleinkariert und albern.
Hieran knüpft Böhmermann an und erklärt dem türkischen Ministerpräsidenten mithilfe seine side-kickenden Scherz-Anwaltes den Unterschied zwischen Schmähkritik und Meinungsäußerung. Dabei bedient er sich - und das ist genial - eines Beispieles, das nun wie zufällig wieder den türkischen Ministerpräsidenten zum Gegenstand hat: Dem Schmähgedicht. Alles, was man nicht über Erdogan sagen darf, in einem Gedicht. Damit hebt Böhmermann seine Schmähungen auf eine höhere Ebene, auf der sie eben keine Schmähungen mehr sind, sondern nur Beispiele möglicher Schmähungen.
Das Beispiel aber kann selbst keine Schmähung sein, sonst wäre das Bild einer Pfeife eine Pfeife. Spätestens seit René Magritte wissen wir, dass die gemalte Pfeife aber eben keine Pfeife ist und wir sie nicht rauchen können. Wäre es anders, Hunderte von Strafrechtsprofessoren dürften in ihren Vorlesungen keine Beispiele von Beleidigungen mehr bringen, sobald sie nur real existierende Personen beträfen. Aber das dürfen sie. (Dieses Beispiel entstammt übrigens dem Beitrag aus der heutigen Printausgabe des "Spiegel".)
Da mag manchem sonst ach so aufrechten Demokraten mulmig werden, aber von einem bin ich überzeugt: Wenn die Kanzlerin sie lässt, wird die Justiz früher oder später die Rechtslage erkennen und Jan Böhmermann freisprechen.
Ob Angela Merkel dann noch Kanzlerin wäre, wage ich zu bezweifeln.
Muß die Ermächtigung zur Strafverfolgung von der Kanzlerin oder dem Fachminister erfolgen?
AntwortenLöschenEs ist doch nicht die Aufgabe der Bundeskanzlerin bzw. der Bundesregierung zu prüfen ob hier ein Straftatbestand verwirklicht ist, das ist Aufgabe der Gerichte. Das einzige was die Bundesregierung hier entscheiden muss: Ist eine Strafverfolgung politisch gewünscht oder nicht.
AntwortenLöschenDie Einleitung eines Strafverfahrens bedeutet nicht, dass es tatsächlich eine Straftat ist.
AntwortenLöschenErmittlungsverfahren sagen so gut wie nichts aus, so wie auch einstweilige Verfügungen. Ist nichts Endgültiges, nichts Abgewogenes.
Die Kanzlerin benötigt Fachleute. Weshalb droht ihr Gefahr, wenn sie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und diese es möglicherweise dem Gericht überlässt. Ist doch gang und gebe im Rechtsstaat Deutschland.
Das einzige Besondere daran ist, dass diesmal die breite Öffentlichkeit sich dem juristischen Unsinn einer Zensur stellt.
Im Endergebnis wir die Öffentlichkeit an dien Fachleute, die Juristen in Tobe verwiesen, und im Laden der Justizgläubigen ist endlich Ruhe.
"Das Beispiel aber kann selbst keine Schmähung sein, sonst wäre das Bild einer Pfeife eine Pfeife."
AntwortenLöschenDieses Argument greift zu kurz. Nur weil man ein Beispiel erklärt, wird aus einer Pfeife nicht automatisch nur ein Bild einer Pfeife. Man kann die Erklärung an einem Abbild einer Pfeife vornehmen, aber auch an einer echten Pfeife.
Ob es sich um eine echte Pfeife handelt oder nicht, lässt sich nur durch eine "Untersuchung" der Pfeife bzw. des Bildes feststellen. Das ist unabhängig davon, ob die Sache in einem oder als Beispiel verwendet wurde.
D.h. aus einer echten Pfeife wird nicht durch die Verwendung in einem Beispiel plötzlich nur das Bild einer Pfeife.
Ähnliches würde gelten, wenn man an einem Beispiel demonstrieren will, dass eine Körperverletzung oder Tötung verboten ist. Man kann dabei jemanden in Wirklichkeit am Körper verletzen oder töten. Man kann es auch nur zum Schein tun.
Ob objektiv und subjektiv eine Verletzung oder Tötung vorliegt, lässt sich aber nicht daran beurteilen, ob man dies auch zu Demonstrationszwecken getan hat.
Ich bin skeptisch, ob sich die Rechtsprechung Ihrem Ergebnis anschließen würde. Richtig ist, dass es auf den Gesamtzusammenhang ankommt ... aber nicht nur auf den verbal behaupteten, sondern auf den tatsächlichen. Böhmermanns Sendung ist - entgegen der Aufmachung des konkreten Beitrags - kein Rechtsratgeber, sondern eine Satiresendung, die einerseits dazu dient, in humoristischer Form Kritik an aktuellen Geschehnissen zu üben, andererseits dazu, das Publikum zu unterhalten. Herr Böhmermann kam es ersichtlich nicht darauf an, Herrn Erdogan oder dem Publikum sachlich den Unterschied zwischen erlaubter Satire/Meinungsäußerung und verbotener Schmähkritik anhand eines anschaulichen Beispiels zu erläutern, sondern es handelte sich um eine kritische Retourkutsche auf Erdogans Verhalten bezüglich der extra3-Satire. Das "Beispiel" nimmt den Löwenanteil des Beitrags ein und Böhmermann wirft Erdogan darin ersichtlich genüsslich jede klischeehafte und niveaulose Schmähung an den Kopf, die ihm eingefallen ist, um gerade dadurch zu provozieren und das Publikum zu belustigen. Die Schimpfkanonade wird zum Hauptzweck, die Einbettung in die scherzhaft dargestellte Anwaltsberatung ist lediglich ein schlecht konstruierter Umgehungsversuch. Ziel des Beitrags war es, Erdogan sinnbildlich den Stinkefinger zu zeigen und die Botschaft zu vermitteln: "Zensieren kannst Du in der Türkei, im deutschen Fernsehen kommen wir mit jeder Beleidigung durch!"
AntwortenLöschenMit dem Schildern von Fallbeispielen in einer Strafrechtsvorlesung ist das ersichtlich nicht vergleichbar.
Es ist in der Rechtsprechung durchaus anerkannt, dass rein formelles Negieren oder Relativieren vor der Strafbarkeit nicht schützt, wenn ersichtlich ist, dass es dem Äußernden darum geht, die ehrverletzende Botschaft zu vermitteln. Da hilft keine Tarnung als anonymes Zitat (Es soll ja Leute geben, die über Sie erzählen, dass ... ) oder als rhetorische Frage und erst recht keine Einschränkung, dass man das nicht sagen dürfe. Wenn ich beispielsweise zu einem Polizisten, über dessen Verhalten bei einer Verkehrskontrolle ich mich gerade ärgere, sagen würde: "Ich würde da ja jetzt gern was dazu sagen, aber ich schweige lieber, denn ich bin ja ein rechtstreuer Bürger und weiß, dass ich Sie nicht als dummes Arschloch bezeichnen darf", dann ist das zweifellos eine strafbare Beleidigung des Angesprochenen, die nicht dadurch negiert wird, dass ich behaupte, dass ich das jetzt eigentlich gar nicht sage, weil man das ja nicht darf.
der Diktator Erdogan ist zur Zeit
AntwortenLöschenPräsident, nicht Ministerpräsident!
Ist das alles hier als Scherz gedacht oder stammt der Kommentar einfach nur von Deutschlands schlechtestem Anwalt? Es ist übrigens offensichtlich, dass der Autor die Sendung von Böhmermann noch nie gesehen hat und Böhmermann von ihm vielleicht doch nicht so hoch geschätzt wird, wie es hier vorgegeben wird. Das zeigt sich schon daran, dass hier davon ausgegangen wird, während des Gedichts wäre irgendein "Scherz-Anwalt" im Spiel. Der Mann, der dort zu hören ist, nennt sich Ralf Kabelka und hat sich in seinem Leben noch nie als "Scherz-Anwalt" ausgegeben. An der Stelle, an der Böhmermann einen "Scherz-Anwalt" erwähnt, ist jemand ganz anderes gemeint, was wohl auch jeder Zuschauer und Fan dieser Sendung begriffen hat. Der Autor ist offensichtlich weder Zuschauer noch Fan der Sendung.
AntwortenLöschen@Chris Rudolf,
AntwortenLöschenIhre Ausführungen wären richtig und nicht zu kurz gegriffen, wenn Erdogan nicht ein Despot und Antidemokrat wäre, der in seinem Land die Meinungs- und Pressefreiheit einschränkt und bekämpfen lässt. Außerdem ist der Gesamtkontext zu sehen mit dem extra3-Beitrag, der Satiresendung Neo Magazin Royale als Ganzem und der auch inhaltlichen Kritik an dem Zusammenschlagen der Frauendemo in der Türkei durch Erdogan zu sehen meiner Meinung nach. Aber dass die Rechtsprechung Schmähkritik gerne öfter annimmt, als es richtig wäre, hat Herr Nebgen ja schon angesprochen. Es ging nicht ausschließlich um die persönliche Schmähung des Menschen Erdogan, sondern auch um eine inhaltliche Kritik an der Politik des Präsidenten Erdogan und das müsste materiellrechtlich ausreichen, um Schmähkritik und eine Strafbarkeit Böhmermanns abzulehnen. Hat er das Gedicht eigentlich selbst verfasst oder seine Redaktion?
a.A. vertretbar
AntwortenLöschenSicher. Sofern Merkel die Ermächtigung nach § 104a StGB erteilt, wird es spannend sein, wie sich die Justiz dazu einlässt, ob Anklage erhoben wird, Gerichte darüber zu urteilen haben werden und wie diese Urteile dann aussehen werden. Ich könnte mir einen Strafbefehl vorstellen, der akzeptiert und vom ZDF bezahlt wird. Dann hat Erdogan seine Strafe, Böhmermann seinen Rechtsfrieden und das ZDF war mal wieder in den Schlagzeilen. Sollte eine Freiheitsstrafe herauskommen, dürfte das ZDF einen langen Atem und gute Äußerungsrechtsexperten haben, die durch alle Instanzen gehen werden. Eine Böhmermann-Entscheidung des BVerfG über die Grenzen der Kunstfreiheit wäre ein Traum. So oder so wird Rechtsgeschichte geschrieben.
AntwortenLöschenDas mit der Meta-Ebene ist doch wirklich ein kluger Einfall des Autors. Und wenn demnächst der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung einem Mandanten des Autors erklärt, selbstverständlich würde er nie öffentlich sagen, dass der Mandant ein besonders dummdreister Straftäter sei, dem man schon zeigen werde, wo hier der Hammer hängt, dann wird der Autor seinem Mandanten das mit der Meta-Ebene bestimmt auch gut erklären können.
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenWarum die Prüfung der Regierung mehrere Tage dauern MUSS, schreibt niemand, dabei ist es völlig offensichtlich: Murksel möchte absehen, in welche Richtung der Wind der Wähler dreht, um danach ihr Fähnchen auszurichten.
AntwortenLöschen> Eine Böhmermann-Entscheidung des BVerfG
AntwortenLöschen> über die Grenzen der Kunstfreiheit wäre
> ein Traum.
Da Erika die Strafverfolgung erlaubt hat besteht jetzt tatsächlich die Chance dazu. Ein Träumchen ...