Donnerstag, 5. Dezember 2013
Warum ist keine gute Frage
Ich kann mir in meiner Phantasie keinen Elefanten vorstellen, wenn ich nicht vorher einen gesehen oder zumindest von ihm gehört hätte. Klingt einleuchtend, aber die meisten Richter und Staatsanwälte scheinen anderer Meinung zu sein. Man fragt sich, warum.
Vor vierhundert Jahren lebte René Descartes, der als Begründer einer Denkrichtung gilt, die man gemeinhin Rationalismus nennt. Als Rationalist wird jemand bezeichnet, der dem reinen Denken größere Bedeutung beimisst als der Erfahrung. Der Rationalist wäre der Auffassung, dass ich allein aufgrund meines Wissen die Existenz eines Elefanten ableiten könnte und so einen Elefanten konstruieren könnte, ohne jemals von ihm gehört zu haben. Dem hat Aristoteles bereits in der Antike entgegengesetzt, dass nichts im Intellekt sei, das nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre. Konsequent weiter geführt nennt sich diese Gegenrichtung Empirismus. Danach beruht wahre Erkenntnis ausschließlich auf Sinneserfahrung. Wenn Sie mich fragen: Es spricht einiges für den Empirismus.
Staatsanwälte und Richter sind Rationalisten. Sie denken oftmals, dass jeder Mensch sich zu jeder Zeit jeder seiner Handlungen und deren Motive bewusst wäre. Und deshalb fragen sie gerne: Warum? Warum haben sie dies getan, warum haben sie das getan? Oder, noch schlimmer: Warum haben sie nicht dies getan, warum haben sie nicht das getan? Wer das nicht beantworten kann, ist ein Straftäter.
Ein gruseliges Beispiel für dieses recht häufig anzutreffende Verhalten schildert der Kollege Pohlen hier.
Wer kann schon immer sicher sagen, warum er tut, was er gerade tut? Wer das kann, ist meistens geistig nicht besonders helle. Fragen Sie mal einen Staatsanwalt, warum er heute gerade diesen Anzug anhat und keinen anderen. Die meisten Menschen machen sich nicht einmal klar, dass sie die Beantwortung einer solch einfachen Frage grundsätzlich völlig unterschiedlich angehen können:
Organisatorisch: "Den Anzug habe ich an, weil meine Frau ihn mir heute morgen rausgelegt hat und ich jeden Tag anziehe, was meine Frau mir rauslegt."
Der Sachzwang: "Den Anzug habe ich an, weil alle anderen Anzüge gerade in der Wäsche sind und mir mein Dienstherr gebietet, jeden Tag einen Anzug anzuhaben."
Serendipistisch: "Den Anzug habe ich an, weil er im Kleiderschrank gerade ganz vorne hing."
Merken Sie was fehlt? Es fehlt die eigene selbstbestimmt motivierte Entscheidung, die Richter und Staatsanwälte regelmäßig erwarten. Es fehlt die Antwort: "Den Anzug habe ich an, weil ich heute morgen das untrügliche Gefühl hatte, dass ich mich an diesem Tag nur in einem mintgrünen Einreiher mit weißem Hemd und pastellgelber Krawatte als ich selbst fühlen werde."
Über eine solche Antwort würde ein Staatsanwalt wahrscheinlich lachen. Aber genau nach ihr fragt er. Rationalisten sind seltsame Menschen.
Trotzdem noch eine "warum"-Frage: Warum benutzen Rechtsanwälte eigentlich so oft Fremdwörter*, die sie ersichtlich nicht verstehen? Oder sind Rechtsanwälte einfach nur seltsame Menschen?
AntwortenLöschen(*hier: "serependistisch" [statt - wenn überhaupt - "serendipistisch"])
Lieber Gast, auf diese Frage haben Sie eine Antwort verdient. Zunächst habe ich mal die Schreibweise des Wortes korrigiert, denn Sie haben natürlich Recht. Sie mögen aus meiner Nachlässigkeit bei der Schreibweise ersehen, wie wenig Bedeutung ich der Bedeutung dieses Wortes an dieser Stelle beigemessen habe. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, dass es das Wort im Deutschen überhaupt gibt. Darauf kam es mir aber auch nicht an. Das Wort selbst war mehr so für die Galerie. Juristen tun viel nur für die Galerie. Die Mandanten verlangen das von Ihnen. Aber das mit dem ersichtlich nicht verstehen war unfair!
AntwortenLöschenIch verstehe den Beitrag des Kollegen Pohlen trotz der entgegenstehenden Überschrift so, dass es dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht in erster Linie um das "warum", sondern um das "wo" ging: Wofür soll das Geld draufgegangen sein? Ist das Geld tatsächlich "verprasst?" Ist es glaubhaft, in 2 Jahren zusätzlich zum normalen Verdienst 80.000,- € auszugeben, ohne zumindest im Groben sagen zu können, wofür? Selbst, wenn es den beiden Beteiligten aber in erster Linie um das Motiv gegangen sein sollte, dürfte die Frage im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 StGB durchaus beachtlich sein, finden Sie nicht?
AntwortenLöschenEs ist doch immer wieder erstaunlich, wie Sie relativ normale und übliche Vorgänge für Ihre pauschale "Kritik" an den ach so weltfremden Staatsanwälten und Richtern nutzen, ohne auch nur die Hintergründe zu erfragen. Bei Ihrem Vergleich mit dem Elefanten fällt mir jedenfalls spontan Ihr Beitrag ein, in welchem Sie den Richter pauschal kritisiert hatten, weil er die aus Ihrer Sicht absurde Rechtsauffassung vertrat, IHR Mandant als Darlehensgeber trage die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen für die getroffene Rückzahlungsvereinbarung. Wer aus dem Glashaus heraus mit Steinen wirft, sollte sich zumindest bemühen, hin und wieder mal zu treffen. Aber ich bin sicher: Das tun Sie!