Montag, 22. Oktober 2012
NEU! Das einseitig verpflichtende Dauerschuldverhältnis*
Das Amtsgericht Hamburg hat geurteilt: Es hat gesiegt die Meinungsfreiheit über die Zensur (voll demokratisch), die Toleranz gegen die Intoleranz (ein Segen!) und - man höre und staune - die Zukunft (immer gut) über den Status Quo (nicht die Band, sondern der Zustand). Das Urteil wurde ja schon mannigfaltig übermittelt und kommentiert.
Ein Gesichtspunkt wurde aber bisher sträflich vernachlässigt, und den möchte ich hier aufgreifen: Das Gericht hat - so ganz nebenher - eine völlig neue Rechtskonstruktion geschaffen. Jeder kann es im - rechtskräftigen - Urteil nachlesen: Wer ein Forum im Internet führt, der schließt mit den Teilnehmern des Forums einen unkündbaren Vertrag.
Das verwundert schon deshalb, weil "Teilnehmer" ein Terminus ist, den man in Verbindung mit einem Vertrag kaum jemals erwartet hätte. Die wahrlich erstaunliche Erkenntnis aber ist, dass das Gericht hier von einer Rechtsfigur ausgeht, die man im BGB vergeblich suchen wird, nämlich dem einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis*. Ein Kracher!
In der realen Welt könnte diese Urteil folgendes bedeuten: Wenn sie morgens ihren Müll rausstellen, und ein Landstreicher kommt und nimmt ihn mit, dann erwirbt der Landstreicher gegen Sie einen Anspruch darauf, dass sie jede Woche wieder Müll rausstellen, den er mitnehmen kann, ganz ohne jede Verpflichtung seinerseits.
Aber das ist noch nicht alles: Nach der krausen Rechtsansicht des Amtsgerichts Hamburg soll man dieses Dauerschuldverhältnis noch nicht einmal kündigen können. Jedes sonstige Dauerschuldverhältnis kann man ohne wichtigen Grund kündigen - sogar die synallagmatisch verpflichtenden - dieses hier nicht.
Auf das oben ersonnene Beispiel bezogen hieße dass, sie könnten sich ihrer frisch begründeten Verpflichtung, den Landstreicher mit Müll zu beliefern, noch nicht einmal durch Rechtsakt entziehen. Und begründet wurde diese einseitige Verpflichtung ganz ohne ihren Willen! Mehr noch: Wenn der Landstreicher jetzt auch noch anfinge Ihnen vorzuschreiben, welchen Müll Sie auf die Straße zu stellen hätten, dann wäre noch nicht einmal das ein wichtiger Grund, das Dauerschuldverhältnis zu kündigen.
Kurzum: Im unkündbaren einseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis Hamburger Rechts hätten Sie sozusagen die never-ending Arschkarte gezogen.
Dieser Amtsrichter des Amtsgerichts Hamburg muss ein wirklich genialer Jurist sein, dass der so etwas herausfindet und sogleich anwendet, ganz ohne Gesetz oder so. Hier wohnt das Recht noch wirklich im Volke.
*Nachtrag für Schlauberger:
Früher stand an dieser Stelle "nicht synallagmatisches Dauerschuldverhältnis". Bis mich ein Gast darauf hinwies, dass das BGB sehr wohl ein nicht synallagmatisches Dauerschuldverhaltnis kenne, nämlich die Leihe. Soweit hat der Gast Recht. Es gibt sogar noch ein weiteres nicht-synallagmatisches Dauerschuldverhältnis: den Auftrag. Um es euphemistisch auszudrücken: Der Begriff war unglücklich gewählt von mir. Ich habe ihn daher ersetzt.
Denn nicht auf das Synallagma kam es mir an, sondern auf zwei andere Dinge: Zum einen auf die einseitige Verpflichtung ohne eigene Verpflichtung des Gläubigers (der Hauptleistung), zum anderen auf die Behauptung der Unkündbarkeit. Wenn auch Leihe und Auftrag keine synallagmatischen Pflichten kennen, so hat der Gläubiger der Hauptleistung sehr wohl gesetzlich normierte vertragliche Verpflichtungen (s. § 601 bzw. § 670 BGB). Das zeigt übrigens auch, wie wenig diese Rechtsfiguren auf den vorliegenden Fall passen. Eins allerdings kann man in jedem Dauerschuldverhältnis: kündigen, und zwar sogar ganz ohne Grund.
Zweifelhaft ist aber bereits die Annahme des Gerichts, es handele sich überhaupt um einen Vertrag. Hier gebe ich dem Kollegen van de Velde uneingeschränkt Recht. Wobei ich weniger zum Gefälligkeitsverhältnis tendiere als vielmehr zur Gesellschaft oder zum Verein, wobei beide Figuren nicht vollständig passen.
Eins wird aber dadurch klar: Über all diese Fragen können Rechtsanwälte viel diskutieren, der Richter MUSS darüber diskutieren. Was er nicht getan hat.
Sie schreiben: "... Rechtsfigur ..., die man im BGB vergeblich suchen wird, nämlich dem nicht-synallagmatischen Dauerschuldverhältnis".
AntwortenLöschenDann suchen Sie in Ihrem BGB mal die §§ 598 ff., die regeln nämlich die Leihe und damit das paradigmatische nicht-synallagmatische Dauerschuldverhältnis.
Ihretwegen habe ich den Artikel jetzt umgeschrieben! :-)
LöschenO.k., aber was bleibt jetzt noch - natürlich gibt es auch nicht-synallagmatische Dauerschuldverhältnisse ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit (z.B. bieten viele Freemail-Provider sowas an ["lebenslange kostenlose Mail-Adresse"]).
LöschenSie sollten besser Ihre ganze Argumentation wegschmeißen und nochmal von vorne anfangen.
"Eins allerdings kann man in jedem Dauerschuldverhältnis: kündigen, und zwar sogar ganz ohne Grund."
LöschenHaben Sie schon mal versucht, als Vermieter ein unbefristetes Wohnraummietverhältnis ohne Grund zu kündigen?
Tja, wo er Recht hat, hat er Recht.
AntwortenLöschenLeider hat das Gericht auch übersehen, dass in § 314 BGB nur die Frage der fristlosen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses geregelt ist. Es geht nicht um die Kündbarkeit an sich, hierfür wird man - wenn es sich denn um einen Vertrag handelte - § 621 BGB analog heran ziehen müssen.
Aber: Es ist eben kein Vertrag! Dem Beklagten erwächst eben kein Vorteil aus dem Rechtsverhältnis. Es ist wohl auch keine Gesellschaft und kein Verein, so dass man das Rechtsverhältnis m.E. nur als Gefälligkeitsverhältnis bewerten kann. Das kann mit oder ohne Rechtsbindungswillen begründet werden, aber kündbar bleibt es allemal.
B.T.W.: Kann mal die tolle Leoparden-Robe eigentlich online bestellen??!? ;-)
AntwortenLöschenDer Leopard hat ja die gesamte Prozessakte online gestellt. Bei der Lektüre beschlich mich das Gefühl, dass der Prozess seitens der Liste vielleicht nicht gänzlich optimal geführt worden sein könnte.
AntwortenLöschenÜbrigens: gegen so einen ausgewiesenen ........... (wegen des 14. Abschnitts des StGB bliebt das Wort ungeschrieben; hier kann jeder das Wort einsetzen, das ihm spontan einfällt) zu verlieren, ist doch mindestens peinlich.
AntwortenLöschenÜber dem AG Hamburg ist beim Wert von 30,40 EUR der blaue Himmel. Da hätte Würfeln ein zuverlässigeres Judiz ergeben. Im übrigen endet die Arschkarte eben stets mit angemessener Frist, § 314 Abs. 3 BGB.
AntwortenLöschenBei aller bildungsbürgerlichen Überhöhung: Setzt sich einer bei mir an den Stammtisch, stellt sich freundlich vor, entpuppt sich im Laufe der nächsten Gerstensäfte aber doch als Z***, würde ich ihn auch künftig zunächst freundlich, dann aber bestimmt und notfalls nachdrücklich des Tisches verweisen. Und auf Nachfrage hätte mich wohl auch der Wirt unterstützt und sein Hausrecht gebraucht. Das ich mir als Gast doch bestenfalls leihe.
Der Irrweg - gemeint: das Irrsinnige hier - war, dass man mit der halbherzigen Widerklage überhaupt dieselbe Tanzfläche betreten und sich als Veranstalter geriert hat.
Ein Amtsgericht ist nicht für Grundsatzfragen da, sondern für Geld oder Vergleiche. Und in Zukunft gehen wir eben nach § 314 Abs. 3 BGB vor ...