Mittwoch, 14. Oktober 2015

Nirgendwo Nazis, überall Nazis


Als Deutschland den zweiten Weltkrieg verloren hatte, suchten alle die Schuldigen, die Nazis. Aber es gab sie nicht. Bei der Polizei, bei der Wehrmacht, bei der Justiz: nirgendwo Nazis. Alle hatten immer nur ihre Pflicht getan; Schuld gewesen waren die da oben, eigentlich sogar nur einer - und der war tot.

Das war früher schon so gewesen, und so ging es weiter. Wer nach Nazis sucht, macht sich irgendwie selbst verdächtig. Und wenn die Justiz mal den krassen Fall eines Straftäters zu verhandeln hatte, der auch noch mit nationalsozialistischem Gedankengut hantiert hatte, dann war der deshalb noch lange kein Nazi. Man konnte ja nicht wissen, ob der überhaupt um die Bedeutung seines Tuns gewusst hatte, vielleicht war es auch nur eine Geschmacksverirrung. In dubio pro reo.

Linken haben Polizei und Justiz niemals ein derartiges Verständnis entgegen gebracht. Ein Linker, der das umkreiste Anarcho-"A" irgendwo hingemalt hatte, war ein Terrorist, keine Frage. Aber nur, weil man mal ein Hakenkreuz wo hingemalt hatte, war man doch noch lange kein Nazi. Und wer unter Absingen arischer Allmachtsphantasien Asylantenheime anzündete, war allenfalls ein Brandstifter.

Wenn der Generalbundesanwalt von Terrorismus sprach, dann kam der von links. Das musste man nicht dazusagen, das war per definitionem so. Rechten Terrorismus gab es nicht. Straftäter mit linker Gesinnung waren Terroristen, Straftäter mit rechter Gesinnung waren Straftäter, und manchmal nicht mal das. Die hatten es schließlich nur gut gemeint. Waren irgendwie besorgt. Geht ja auch wirklich nicht weiter so. Ist ja kein Zustand. Muss man ja mal sagen dürfen. Haben die vielleicht etwas zu heftig getan, aber eigentlich: haben die ja Recht.

Und jetzt auf einmal sagt das Innenministerium, es gäbe rechtsgerichtete Gewalt? Das glaube ich nicht.

Da stecken bestimmt wieder diese Linken dahinter.




Montag, 12. Oktober 2015

Die Verhandlung ist eine Einbahnstraße zur Verurteilung


Freitag am Amtsgericht, verhandelt wird eine Bußgeldsache. Der Amtsrichter hat eine Verhandlungsdauer von 20 Minuten angesetzt. Zeugen wurden keine geladen. Da weiß man schon bei einem Blick auf die Terminsrolle, was einen erwartet.

Den Termin nehme ich für einen Kollegen in Untervollmacht wahr. Solche Vertretungen sind angenehm; man sieht alles etwas distanzierter, weil man mit der Sache nicht selbst befasst war. Was nicht heißt, dass man sich nicht ebenso engagieren sollte.

Es geht um einen relativ unbedeutenden Geschwindigkeitsverstoß, gemessen mit dem beliebten Messgerät PoliScan Speed. Gegen die Messung hat der Kollege auf insgesamt 14 Seiten allerlei rechtliche wie tatsächliche Bedenken schriftlich vorgetragen und vier Beweisanträge gestellt. Das alles ist inhaltlich durchaus fundiert und nicht etwa an den Haaren herbeigezogen.

Wie bewältigt ein Amtsrichter diese Aufgabe in zwanzig Minuten, von denen fünf schon mit der Feststellung der Personalien der Beteiligten verstrichen sind?

Der Amtsrichter scheint da einen Plan zu haben. Er verliest in chronologischer Reihenfolge, alles was ihm in der Akte von Belang erscheint: Messprotokoll, Anhörungsbogen, Bußgeldbescheid, sogar mehrere Zertifikate, die bezeugen sollen, dass der für die Messung verantwortliche Beamte am Messgerät geschult und die für die Schulung verantwortliche Beamtin für die Schulung am Messgerät geschult war. Nach zehn weiteren Minuten ist der Amtsrichter mit seiner Lesung fertig und guckt mich triumphierend an. Jetzt könne man die Beweisaufnahme ja schließen.

An dieser Stelle ist es auch für den Rechtsanwalt, der nur als Unterbevollmächtigter unterwegs ist, sehr wichtig, etwas zur Rechtslage zu sagen. Ich habe - zum Aufwärmen - zunächst darauf hingewiesen, dass das Datum auf dem Messprotokoll nicht mit dem Datum des angeblichen Tattags übereinstimme. Aber das sind unwesentliche Details, mit denen man sich als überlasteter Amtsrichter nicht beschäftigen sollte, sonst wird man ja nie fertig. Schließlich gebe es bei der Akte ja noch eine Kopie des Protokolls, auf dem das Datum von Hand - ohne weitere Erläuterungen - korrigiert worden sei. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist der Verdacht einer Urkundenfälschung im Amt deutlich nahe liegender als der eines Geschwindigkeitsverstoßes des Mandanten.

Aber all das ficht den wackeren Amtsrichter nicht an. Er will jetzt endlich verurteilen. Meine kurze Zusammenfassung aller Rechtsprobleme nimmt er schweigend zur Kenntnis. Irgend etwas dazu sagen mag er offenbar jetzt nicht. Die zwanzig Minuten sind lange verstrichen, eigentlich wäre Kaffeepause.

Ich weise darauf hin, dass auch noch vier Beweisanträge ihrer Bescheidung harrten und frage höflich an, ob die vielleicht auch nicht mehr nötig seien. Jetzt auf einmal ist der Amtsrichter wieder in seinem Element: Ich dürfe auf mehrere Wochen alte Beweisanträge nicht einfach verweisen, es gelte ja schließlich das Mündlichkeitsprinzip. Also fällt die Kaffeepause aus und ich verlese die Beweisanträge des Kollegen.

Der Amtsrichter atmet einmal tief durch und verkündet die Unterbrechung des Verfahrens. Neuer Termin in drei Wochen, dann mit dem Messbeamten als Zeugen. Da ich die Akte gelesen habe, weiß ich, dass das schwierig werden wird, denn der Messbeamte ist auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Warten wir ab, wie der Amtsrichter gleichwohl zu seiner Verurteilung kommen wird.

Das ist eine wahre Geschichte, und sie ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Amtsrichter sind offenbar der Auffassung, Bagatellen könne man einfach so aburteilen, der StPO bedürfe es dabei nicht. Ist ein Staatsanwalt dabei, hört man in vergleichbaren Situationen gerne noch den Vorwurf in Richtung der Verteidigung, dass man sich wegen einer solchen Lappalie doch nicht etwa streiten wolle. Regt die Verteidigung dann die Einstellung des Verfahrens an - weil die Sache ja offenbar unstreitig geringfügig ist - erntet man in der Regel Verärgerung bei der Staatsmacht. So ist das dann auch wieder nicht gemeint. Lappalien sind offenbar nur Lappalien für den Betroffenen, die den Staat nicht am Bestrafen hindern, gerne auch ohne Recht und Gesetz.

Nach so einer Veranstaltung frage ich mich manchmal, welches Selbstverständnis solche Richter eigentlich haben. Meinen die das ernst? Und wenn ja, wo haben die das gelernt?




Mittwoch, 7. Oktober 2015

Wann muss man merken, dass jemand nicht existiert?


Laut LTO begehren die Verteidiger im NSU-Verfahren jetzt Auskunft, wie es dazu kommen konnte:

Mittlerweile dürfte es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass das OLG München im NSU-Verfahren die Nebenklage einer Person zugelassen hat, die es nicht gibt. Zumindest hat man anscheinend bis heute keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass "Meral Keskin" tatsächlich existiert. Schlimmer noch: Der Generalbundesanwalt soll schon 2013 den Verdacht geäußert haben, dass diese Zeugin eine Erfindung ist. Aber das Gericht hat er damit offenbar nicht überzeugt.

Muss man sich da aber wundern? Wollte man sarkastisch sein, man könnte sagen, am verwunderlichsten ist noch, dass das Gericht den Bedenken des Generalbundesanwaltes nicht gefolgt ist - folgt es dem Generalbundesanwalt doch sonst in der Regel.

In der Sache muss man sich eher fragen, ob so etwas nicht viel häufiger passiert und nur nicht ans Licht kommt. Denn derlei Täuschungen sind deshalb so einfach, weil sie niemand erwartet, weil sie niemand erwarten kann.

Der Strafprozess ist ein hochabstraktes Gebilde, das von dem Vertrauen lebt, das die Beteiligten darin investieren. Wer hat beispielsweise jemals erlebt, dass ein Zeuge sich vor Gericht ausweisen musste? Zwar wird jeder Zeuge aufgefordert, seinen Personalausweis zur Verhandlung mitzubringen, danach gefragt wird aber praktisch nie. Ein Richter, der dem Zeugen schon vor der eigentlichen Befragung nicht einmal dessen Personalien glaubt, wird wenig Vertrauen zurückbekommen von diesem Zeugen. Also fragt er besser nicht.

Genauso wenig verlangen Verteidiger von Richter oder Staatsanwalt, sie mögen ihre Ernennungsurkunden vorzeigen. Das machen nur Reichsbürger, und die machen das nicht, um eine Information zu erhalten - sondern um Ihre missbilligende Haltung gegenüber dem Staat und dessen Organen zu demonstrieren.

Will man also ein einigermaßen gedeihliches Miteinander vor Gericht, so tut man gut daran, jedem anderen zumindest die Rolle zu glauben, die derjenige spielt. Für gefälschte Prozessbeteiligte muss dieses System blind bleiben. Es tauchen daher auch immer mal wieder zufällig Rechtsanwälte auf, die gar keine sind - was aber nie aufgefallen ist, weil es nie jemand hinterfragt hat.

Es bleibt die Frage, wie sich die Nichtexistenz einer Nebenklägerin auf den Prozess auswirken wird. Für den Ausgang des Prozesses wird dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Folgen haben. Der involvierte Rechtsanwalt wird sich einige Fragen gefallen lassen müssen, aber auch hier gilt: So ungewöhnlich ist es nun auch wieder nicht, dass man einen Mandanten nicht persönlich zu Gesicht bekommt. Um ernstlich zu zweifeln, hätte er schon konkrete Anhaltspunkte gehabt haben müssen, und welche hätten das sein sollen?

Die offenbar für die Vermittlung des Mandats geflossene Provision hätte er nicht zahlen dürfen, denn das ist dem Rechtsanwalt nicht erlaubt, § 49b Abs. 3 Abs. 1 BRAO; dieser Berufsrechtsverstoß dürfte aber eher weniger schwer wiegen.

Spannend ist dann wieder die Frage, ob der Nebenklägervertreter die aus der Staatskasse erhaltenen Gebühren wird zurück erstatten müssen. Das wird er meiner Ansicht nach wohl müssen, denn sie wurden rechtsgrundlos geleistet. Sollte sich der Rechtsanwalt hinsichtlich dieser Beträge allerdings auf Entreicherung berufen können, hätte die Staatskasse eine sechsstellige Summe in das Vertrauen investiert, von dem die Justiz lebt.

Es gibt schlechtere Staatsausgaben.







Donnerstag, 20. August 2015

Der Anwalt als Erpresser


Die Bundesrechtsanwaltskammer informiert in ihren neuesten Mitteilungen über ein spektakuläres Urteil des OLG Frankfurt/Main, zu finden z. B. bei Burhoff.

Ein Vermieter hatte seinem Mieter fristlos gekündigt und gleichzeitig oder unmittelbar danach die Mietsache an einen dritten verkauft und sich diesem gegenüber verpflichtet, die Mietsache geräumt zu übergeben. Das war mutig. Der Rechtsanwalt des Mieters sah darin eine gute Gelegenheit, mit der Gegenseite noch einmal ins Gespräch zu kommen und teilte dem Vermieter mit, der Mieter werde die Mietsache kurzfristig räumen, wenn der Vermieter zu einigen Zugeständnissen bereit sei. Die Parteien schlossen dann eine Vereinbarung, mit der der Vermieter dem Mieter wirtschaftliche Werte in Höhe von EUR 8.050 zusicherte (Verzicht auf rückständige Miete, Maklercourtage, Mietsicherheit) und der Mieter sich im Gegenzug verpflichtete, unverzüglich zu räumen.

Gut verhandelt, könnte man meinen. Denkste. Das OLG Frankfurt ist davon ausgegangen, dass der Mieter sich einer Erpressung gem. § 253 StGB schuldig gemacht habe, der sie vertretende Rechtsanwalt der Beihilfe dazu. Wohlgemerkt: Das hat eine Zivilkammer des Landgerichts entschieden - nicht etwa ein Strafgericht. Die Zivilkammer hat damit deliktische Ansprüche der Vermieterin gegen den Mieter begründet, und den Rechtsanwalt als Gehilfen gem. § 830 Abs. 2 BGB gleich in die Mithaftung genommen.

Darin, dass der Vermieter sonst seiner vertraglichen Verpflichtung zur geräumten Übergabe nicht hätte nachkommen können, hat das Gericht ein "empfindliches Übel" im Sinne des § 253 StGB gesehen. Damit habe der Mieter den Vermieter "genötigt", ihm die verlangten Vorteile zu gewähren.

Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich. Hätte der Mieter sich einfach verklagen lassen, und sich die Parteien dann im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens verglichen, hätte das niemanden gekratzt. Insbesondere wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, das dann zuständige Gericht der Beihilfe zur Erpressung zu bezichtigen, wenn es den Parteien zum Vergleich geraten hätte. Das tun Gerichte nämlich täglich.

Das Oberlandesgericht hat das ursprüngliche Urteil des Landgerichts mit der eingangs zitierten Entscheidung bestätigt. Die Revision hat es nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Also Kollegen: Aufgepasst beim nächsten Vergleichsschluss. Er könnte eine Straftat sein.




Dienstag, 4. August 2015

Echte Demokratie


Wer möchte, kann von der Affäre um Netzpolitik.org vieles lernen über Recht, Politik, Taktik und Selbstdarstellung. Hier sind noch einmal die bisherigen Höhepunkte im Schnelldurchlauf:

  1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet Strafanzeige wegen Landesverrates gegen unbekannt, weil einige Dokumente über ihre Geschäftsverteilung veröffentlicht wurden. Das ist grundsätzlich sein gutes Recht; der Verfassungsschutz muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum er dies gerade in diesem Fall tut und in anderen nicht. Das ist übrigens eine politische Frage. 
  2. Über das Tatbestandsmerkmal "Staatsgeheimnis" legt man gleich noch ein Rechtsgutachten bei, das man vorsorglich selbst erstattet hat und das zu dem Ergebnis kommt, dass man recht hat. Das ist prozesstaktisch eher so la la.
  3. Der Generalbundesanwalt ist sich  trotzdem nicht ganz sicher, ob tatsächlich ein Staatsgeheimnis vorliegt und gibt ein weiteres Gutachten in Auftrag, diesmal "extern". Das ist juristisch eher fragwürdig, weil es sich wohl eher um eine Rechtsfrage als um eine Sachfrage handelt. Andererseits: Wer bestimmt eigentlich, was ein Staatsgeheimnis ist? Ist dafür möglicherweise das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig? Beißt sich die Katze da nicht irgendwie in den Schwanz? Man weiß es nicht.
  4. Alle diese Fragen hätte man ruhen und das ganze Verfahren guten Gewissens sein lassen können, zumal mindestens ein anderes Tatbestandsmerkmal des Landesverrates juristisch noch sehr viel fraglicher ist : das der "Gefahr eines schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland". Aber eine juristische Entscheidung hält der Generalbundesanwalt offenbar in jede Richtung für gefährlich. Also lässt er das Staatsgeheimnis begutachten. Auch das ist eine politische Entscheidung. 
  5. Er schreibt die Beschuldigten an und teilt ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mit. Das ist immerhin nett von ihm. Die RAF hat seinerzeit keine Briefe von Siegfried Buback oder Kurt Rebmann bekommen.
  6. Dabei hat der Generalbundesanwalt möglicherweise die Mitteilungsfreude und juristische Ahnungslosigkeit der Netzgemeinde etwas unterschätzt, die jetzt wild um sich schlägt, größtenteils ohne eigentlich zu kapieren, was gerade abläuft.
  7. Netzpolitik.org stilisiert sich flugs zum Nabel der Meinungsfreiheit und gibt Presseerklärungen heraus, dass man sich gegen die "handfest Staatsaffäre" verteidigen werde. Die treudoofe Netzgemeinde sammelt EUR 50.000,00 für Anwälte, die irgendetwas tun sollen. Bisher haben sie wohl Akteneinsicht beantragt. (Okay, da schwingt jetzt vielleicht ein bisschen der Neid bei mir mit.)
  8. Auch die dem Printzeitalter verhaftete FAZ kriegt mächtig einen drauf, als sie schreibt, nicht "jeder Blogwart" solle sich schrankenlos auf die Pressefreiheit berufen dürfen. Aber schreien jetzt nicht dieselben Leute, die sonst bei jedem rechtsextremen Dünnsinn im Netz nach Strafverfolgung rufen? Schwierig.
  9. Der Justizminister greift ein und stoppt das externe Gutachten. Ob wir wohl je erfahren werden, wer mit der Erstellung beauftragt war?
  10. Die Netzgemeinde fordert abwechselnd den Rücktritt von Maas, Range, Maaßen oder allen zusammen. Einige erwarten wohl tatsächlich einen Rücktritt, als der Generalbundesanwalt eine Erklärung ankündigt. Einer der beteiligten blogs heißt "jung und naiv", ein passender Name.
  11. In Wirklichkeit fühlt sich auch der Generalbundesanwalt nur verletzt und erklärt, dass er die Weisung seines Vorgesetzten als "unerträglichen Eingriff in die Justizfreiheit" erachte. Dabei entfällt ihm offenbar zeitweise, dass er ein weisungsabhängiger Beamter und kein Richter ist. 
  12. Alle schreien schreiben durcheinander. Das ist echte Demokratie!

Montag, 3. August 2015

Keine Ahnung von Landesverrat


Heute fand ich auf Twitter einen tweet von @kristofz, der da lautet:
"Stört es nur mich, dass Justizministerium und Bundesanwaltschaft externe Gutachten brauchen? Haben die keine Ahnung?"
Diese Formulierung zeigt sehr pointiert, dass Juristen und Netzwelt in zwei sehr unterschiedlichen Subsystemen leben, die sehr arm an strukturellen Kopplungen* zu sein scheinen.  Soll heißen: Sie verstehen einander einfach nicht. Und vielleicht wollen sie sich auch gar nicht verstehen.

Die meiste Aufregung im Netz rührt daher, dass man sich mit dem Recht in etwa so gut auskennt wie der Generalbundesanwalt mit dem Internet: wenig. Wenn man nämlich den aktuellen Stand mal juristisch betrachtet, stellt man fest: Es wird viel Wind gemacht um ziemlich wenig.

Erstens: Das Verfahren ist weder "ausgesetzt", noch "ruhte" es - beide Zustände gibt es im Ermittlungsverfahren nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, und jetzt wird eben ermittelt. Derzeit wird ein Gutachten eingeholt.

Zweitens: Bei komplexen Sachfragen ist es üblich, dass bereits die Ermittlungsbehörde das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Um zur Frage des eingangs zitierten Twitterers zurück zu kommen: Die Bundesanwaltschaft - die korrekte Bezeichnung der Behörde ist übrigens: "Der Generalbundesanwalt" - der Generalbundesanwalt also hat keine Ahnung von Netzpolitik. Muss er auch nicht, denn das ist nicht seine Aufgabe. Tausende von Staatsanwälten haben auch keine Ahnung von der chemischen Zusammensetzung bestimmter Betäubungsmittel, der medizinischen Behandlung von Schädelverletzungen oder der Übersetzung aus polnischen Roma-Dialekten, obwohl sie täglich damit umgehen. Woher sollten sie diese Sachkenntnisse auch haben, sie haben schließlich Jura studiert.

Jeder Beschuldigte wäre aber zu Recht ungehalten, wenn ein Staatsanwalt über seine Sache befände, der von der Sache keine Ahnung hat. Deshalb können, sollen und müssen sich Staatsanwalt oder Gericht diese Sachkenntnisse extern einholen.

Drittens: Fragwürdig ist allenfalls etwas ganz anderes; das hat aber von den mir zugänglichen Kommentatoren bisher noch niemand bemerkt: Der Pressemitteilung nach wird ein Gutachten eingeholt "zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses". Das ist nämlich (eine) Voraussetzung - so genanntes Tatbestandsmerkmal - des einschlägigen § 94 StGB. Dabei dürfte es sich aber kaum um eine Sachfrage handeln, sondern um eine reine Rechtsfrage. Für deren Beurteilung wäre dann wieder der Generalbundesanwalt höchstselbst zuständig.

Hier kommt nun aber eine Besonderheit des konkreten Falls zum Tragen, die in der Eifer des Gefechts auch noch niemand so recht bemerkt zu haben scheint: Es gibt bereits ein Gutachten. Vorgelegt hat es offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst, gleich mit der Anzeige. Das ist schon außerordentlich ungewöhnlich, wenn der Anzeigeerstatter bei Anzeigeerstattung ein Rechtsgutachten gleich mitliefert. Dieses "Gutachten" kommt selbstredend zu dem Schluss, dass ein Staatsgeheimnis vorliege, wen wundert es.

Es zeugt daher durchaus von einer gewissen Weitsicht, auf dieses Gutachten nicht blindwütig loszuschlagen, sondern sich zunächst einmal von externen Sachverständigen eine Gegenmeinung einzuholen.

Warten wir mal ab, zu welchem Ergebnis das externe Gutachten kommen wird. Erst dann wird man kompetent weiter diskutieren können.








*
Hintergrund ist die Mitteilung, dass das Verfahren gegen gegen André Meister und Markus Beckedahl vom Internetblog "netzpolitik.org" ausgesetzt sei. Eine Zusammenfassung per 31.07.2015 findet sich z. B. bei SPON. Unter dem 02.08.2015 erschien dann eine Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, die mittlerweile wieder online ist. Constanze Kurz von Netzpolitik.org zitiert diese Nachricht hier.





Dienstag, 2. Juni 2015

Ha-Ha-Handspiel und Ermessensentscheidungen


Viele Menschen scheinen sich darüber zu erregen, dass der Hamburger SV im Relegationsspiel gegen den KSC gewonnen hat. Bei Karlsruhern kann ich den Frust nachvollziehen, bei allen anderen eher nicht.

Neben einem offenbar seit Jahren gärenden - rational nicht ganz nachvollziehbaren - Zorn gegen den Hamburger SV ist Stein des Anstoßes dieses Mal eine Schiedsrichterentscheidung aus der ersten Minute der Nachspielzeit. Der Hamburger Rajkovic hatte geschossen und den Karlsruher Verteidiger Meffert (nicht zu verwechseln mit dem Hamburger Verteidiger Maeffert) am angewinkelten Ellenbogen getroffen. Der Schiedsrichter hatte auf Freistoß entschieden. War das eine Fehlentscheidung, wie viele Fans - insbesondere solche aus der Nähe von Karlsruhe - heute behaupten?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Nein, es war keine Fehlentscheidung.

Da hilft ein bisschen Kenntnis im Verwaltungsrecht, denn das funktioniert in vielen Fällen ganz ähnlich: Ist ein bestimmter Tatbestand erfüllt, liegt die Rechtsfolge im Ermessen des Schiedsrichters. Der Tatbestand ist in diesem Fall die Berührung des Balles mit der Hand; die dürfte nach den zahlreichen Fernsehbildern unstreitig sein.

Dadurch ist also das Ermessen des Schiedsrichter eröffnet, und soweit er dieses Ermessen nicht offen fehl gebraucht, kann seine Entscheidung nicht falsch im Sinne der Regel sein. Eine schöne Darstellung mit Regelkunde findet sich bei "Collinas Erben". Schon der Umstand, das man über die Berechtigung des Freistoßes mit Argumenten auf beiden Seiten trefflich streiten kann, zeigt, dass von einem Ermessensfehlgebrauch hier bei weitem nicht die Rede sein kann.

Was also bleibt? Frust bei den Verlierern, Freude bei den Gewinnern, und dazwischen viel heiße Luft. So ist das nun einmal im Fußball.