Donnerstag, 30. März 2017
Abgehängte Opferdarsteller
Bei Übermedien ist heute ein schöner Beitrag über die Verwendung des Wortes "abgehängt" zu lesen. Früher wurden Bilder abgehängt, oder Zugteile; heute wird das Wort gerne auch für Menschen verwendet, insbesondere solche, die dann mutmaßlich die AfD wählen.
Der Autor des Beitrages bei Übermedien zweifelt die Realität dieser Diagnose an; der Erfolg "von AfD und co" sei nicht mit sozialer Benachteiligung zu erklären - soziale Benachteiligung ist wohl, was durch das Partizip II von "abhängen" symbolisiert werden soll.
Das ist aber auch sprachlich verfehlt. Wer sich oder andere als "abgehängt" bezeichnet, spricht ihnen jedes Maß an eigenverantwortlichem Handeln ab. Passiver kann man sich gar nicht verhalten, als wenn man "abgehängt" wird; eigentlich ist das schon nicht einmal mehr als Verhalten zu bezeichnen. Wer abgehängt wird, hat vorher schon gehangen oder wurde von einer Lokomotive gezogen - und dazu ist nun gar keine Eigenleistung mehr erforderlich.
Diejenigen, die sich munter auch selbst als "abgehängt" bezeichnen, sind aber alles andere als passiv. Sie agieren vielmehr aggressiv und verstecken ihre Aggression hinter einer Opfermaske. Sie gerieren sich als Opfer der Gesellschaft, weil die einfach nicht so will wie sie. Sie proklamieren in falschem Deutsch Bildung (man lese nur mal einige der Tweets von Beatrix von Storch) und behaupten, im Namen von Werten zu handeln, deren Gehalt sie allenfalls als Instrument ihrer Wut interessiert. Sie erfinden Bezeichnungen und Zustände, die kein gesellschaftliches Korrelat haben ("Umvolkung") und bestehen bockig auf einem Weltverständnis, das sie sich just selbst ausgedacht haben.
Diese Leute sind nicht "abgehängt", sondern sie haben sich aus freien Stücken in die gesellschaftliche Schmollecke verzogen, aus der sie diejenigen, die die Gesellschaft steuern, mit Dreck bewerfen. Das ist weder sozial noch benachteiligt.
Montag, 27. März 2017
Schrei nach Diskussion
Am Wochenende fand in Bremen der 41. Strafverteidigertag unter der Überschrift "Der Schrei nach Strafe" statt. Es war wie immer anregend, viele derjenigen Kollegen zu treffen, denen man sonst nur in den Sozialen Medien begegnet. Allen, die mir nicht über den Weg gelaufen sind, übermittle ich auf diesem Wege einen herzlichen Gruß.
Die Veranstaltung selbst allerdings hätte etwas kontroverser sein können. Ideen entstehen aus Rede und Gegenrede, nicht aus gegenseitiger Bestätigung. Eine Abschlussdiskussion, bei der sich alle(!) Teilnehmer auf dem Podium von Anfang an einig sind, ist überflüssig.
In den Arbeitsgruppen fand sich das Thema der Veranstaltung leider so gut wie gar nicht wieder, dabei wäre es so interessant gewesen. Denn der Schrei nach Strafe ist ja gerade wieder lauter zu vernehmen, und man könnte sich fragen, woher er eigentlich kommt. Da ist z. B. eine Arbeitsgruppe zum Recht der Pflichtverteidigung (AG 4) wenig inspirierend.
Einzig der Eröffnungsvortrag ging etwas auf das "im Volk" offenbar wachsende Strafbedürfnis ein, blieb aber in seiner Hoffnung auf ein "Strafrecht ohne Strafe" eher utopisch. Da hätte es schöne Ansatzpunkte für eine wirklich konstruktive Diskussion gegeben. Stattdessen gab es die ewig wieder kehrende Klage über Rekonstruktionsverbot und Fehlurteile (AG 1).
Wo doch der "Schrei nach Strafe" ein schönes Bild ist: Der Schrei ist etwas unartikuliertes, archaisches, ein Impuls, geboren aus dem Schmerz, nicht aus der Vernunft. Warum schreit der Mensch nach Strafe? Warum scheint es ein nicht auszurottendes Bedürfnis zu geben, andere für ihr Tun oder Sein zu bestrafen? Eine Arbeitsgemeinschaft zu diesen Fragen hätte mich interessiert, und es hätten gerne auch einige Psychologen oder Evolutionsbiologen referieren dürfen.
Strafbedürfnis ist ein infantiler Impuls und die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte der Zurückdrängung der Strafe. Eine Gesellschaft, die Strafe wieder in stärkerem Maße zum (vorgeblichen) Erreichen politischer Ziele einsetzt, ist auf dem Weg zurück. Das hätte ich gerne diskutiert, auch z. B. mit Politikwissenschaftern. Auf einen abermaligen Verriss der Reform des Sexualstrafrechts (AG 2) hätte ich hingegen verzichten können. (VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer war übrigens erkrankt und daher nicht vor Ort.)
Thematisch war es daher leider eine verschenkte Veranstaltung. Nächstes Jahr kommt der nächste Schrei, dann der "Schrei nach Freiheit".
Hoffentlich artikuliert sich der ein wenig besser.
Montag, 20. März 2017
Widerstand gegen 43 % Vollstreckungsbeamte
"Je weniger die Leute wissen, wie Gesetze und Würste gemacht werden, desto ruhiger schlafen sie", soll Otto von Bismarck gesagt haben. Das Zitat wird ihm wohl fälschlicherweise zugeschrieben, Recht hatte er trotzdem.
Am 14.02.2017 haben die Fraktionen der Regierungskoalition einen Gesetzesentwurf eingebracht, mit dem die §§ 113 und 114 StGB über den "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" verschärft werden sollen. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes soll dies dem Schutz der Vollstreckungsbeamten dienen. Am 22.03.2017 findet eine Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz statt.
Nun ließe sich dort kritisch fragen, ob höhere Strafandrohungen grundsätzlich geeignet sein können, irgendjemanden zu schützen - zumal es sich auch noch bei den inkriminierten Handlungen kaum jemals um geplante Taten handeln dürfte, Abschreckung also per se sinnlos ist. Aber das ist vielleicht etwas zu viel verlangt.
Zudem handelt es sich aber bei dem "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" um eine Norm, die wie kaum eine andere Strafnorm im Ruch steht, durch Ordnungshüter instrumentalisiert und zur Verdeckung eigenen Fehlverhaltens missbraucht zu werden, Jeder Strafverteidiger kennt diese Fälle, in denen Mandanten zunächst Opfer von Polizeigewalt wurden und sich im Anschluss daran auch noch einem Strafverfahren ausgesetzt sehen, weil die Täter die Flucht nach vorne angetreten und kurzerhand das Opfer angezeigt haben. Jeder Strafverteidiger weiß zudem darum, wie schwierig es ist, in diesen Fällen zu verteidigen, da man mit Staatsanwaltschaft, Gericht und (Polizei-)Zeugen gleich an drei Fronten gegen die Staatsmacht zu kämpfen hat.
Es gibt also Grund genug, diese geplante Gesetzesänderung kritisch zu hinterfragen. Dafür erschienen als Experten wohl zuerst solche Menschen geeignet, die sich professionell und möglichst objektiv mit der Materie beschäftigen. Man könnte da an Kriminologen denken, vielleicht Soziologen mit dem Spezialgebiet der Gewaltforschung; Strafverteidiger erschienen mir geradezu prädestiniert für eine Expertise, da sie regelmäßig beide Seiten erleben, Psychologen wären wohl auch nicht ganz falsch, sie könnten einiges Wissen über die intrapsychischen Abläufe bei Tätern oder Geschädigten beisteuern.
Weniger geeignet - da offensichtlich interessengeleitet - dürften hingegen Polizisten sein; Hochschulprofessoren könnte das erforderliche Wissen um die Relevanz in der Praxis fehlen. Das wäre so mein erster Gedankengang.
Und jetzt gucken wir uns mal an, wer vom Ausschuss als Sachverständige gehört werden soll. Wir können dies der Liste entnehmen, die der Deutsche Bundestag auf seiner Internetpräsenz zur Verfügung stellt. Es sind:
- ein Mitglied des "Neue Richter Vereinigung e. V."
- ein Professor für Strafrecht
- eine Dozentin für Strafrecht
- der Bloggerkollege Henning Ernst Müller
- ein Abteilungsleiter der GdP
- die Polizeipräsidentin aus Wuppertal
- und (Sie befürchten richtig): der einzige Polizeigewerkschafter mit einem eigenen Lied.
Bloggerkollege Müller ist immerhin Kriminologe. Auch ein Richter ist sicherlich nicht ganz falsch, obwohl möglicherweise den Ermittlungsbehörden eher nahe stehend. Was Strafrechtswissenschaftler zur Problematik beitragen sollen, ist mir schon weniger klar, aber vielleicht fehlt mir da ja auch nur die rechte Einsicht. Der eine oder andere Strafverteidiger hätte sicherlich etwas Sachverstand beisteuern können, aber man kann nicht alles haben.
Dass aber von sieben geladenen Sachverständigen gleich drei - knapp 43% - Polizeibeamte und damit reine Lobbyisten sind erinnert dann doch wieder an die Herstellung der Würste, von der keiner etwas wissen sollte.
Mittwoch, 1. März 2017
Neues zum Raser - Wissenschaftskritik
In meinem Beitrag zum "Raser"-Urteil des LG Berlin hatte ich darauf hingewiesen, dass das eigentliche Problem dieser Sache der § 211 StGB ("Mordparagraph") als solcher sein könnte. Nun hat ein Rechtsprofessor diesen Gedanken in der ZEIT aufgegriffen. Schön. Aber mit Verlaub: Seine Argumentation gerät ziemlich daneben.
Schon die Überschrift ist programmatisch: "Raser sind Verbrecher, aber keine Mörder". Gleich darunter heißt es dann, nichts wäre "einfacher, als die Berliner Raser zu Mördern zu stempeln". Es folgt eine recht kurz geratene Subsumtion, die zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten sogar recht deutlich als "Mord" zu qualifizieren sei. Das mag erst einmal verwundern, denn dieses Ergebnis steht in diametralem Widerspruch zur eigenen Überschrift. Soll vielleicht so.
Die Ausführungen, die folgen, haben dann mit dem konkreten Fall eigentlich gar nichts mehr zu tun. Dem Verfasser fällt lediglich anlässlich dieses Falles auf, dass der Mordparagraph ja lebenslange Freiheitsstrafe vorschreibt, und das findet er ziemlich ungerecht. Da steht etwas von "gerechte(r) Vergeltung" - was immer das sein soll - Autos wären ja keine Bomben (Loriot würde sagen: "Ach!") und es heißt apodiktisch, "lebenslang" sei "einfach zuviel". Das alles ist - man möge es mir nachsehen - nicht besonders wissenschaftlich.
Vor allen Dingen verschweigt der Artikel, dass diese Problematik seit Jahrzehnten vor allem von Strafverteidigern in weitaus differenzierterer Form als in dem zitierten Beitrag beklagt wird und dass bisher alle Verfassungsbeschwerden gegen § 211 StGB (teils mit genau dieser Argumentation) erfolglos waren. Auch darüber, dass der Mordparagraph dem Gedankengut des Nationalsozialismus entspringt: Kein Wort. Dafür heißt es launig, dass tödliche Raserei doch etwas anderes sei "als ein Auftrags-, Lust- oder Giftmord". Warum das so sein soll, wird leider nicht nachvollziehbar dargestellt.
Es folgt auf Seite 2 des Beitrages ein Ausflug in die Welt des Vorsatzes, der mit dem Fazit endet, dass es allein darauf ankäme, ob der Täter tatsächlich darauf vertraut hätte, dass "alles gutgeht". Das ist in der Praxis schlicht falsch. Wie schon in meinem ersten Beitrag angeführt: Bei jemandem, der einem anderen mit einem Schrotgewehr aus kurzer Distanz ins Gesicht schießt, kommt es eben nicht mehr darauf an, worauf er "tatsächlich vertraut" hat. Einige Verhaltensweisen sind als solche so gefährlich, dass niemand guten Gewissens darauf vertrauen kann, dass "alles gutgehen" werde. Das ist das Problem, das in der Praxis gelöst werden muss; der Autor widmet ihm keine Zeile.
Schließlich folgen Ausführungen dazu, dass die Vorsatzformen des deutschen Strafrechts möglicherweise nicht so wirklich überzeugend sind, was wiederum in der praktisch nicht zu begründenden Unterscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit mündet. Das ist in der Tat eine Schwäche des deutschen Strafrechts - die aber nicht erst mit dem Fall der Autoraser virulent wird, sondern regelmäßig in ganz anderen Fällen akut wird, bei denen die "Ungerechtigkeit" wesentlich deutlicher zu Tage tritt als bei dem hier behandelten Urteil.
Recht hat der Autor, wenn er schreibt, dass die Abgrenzung zwischen Vertrauen (kein Vorsatz) und Sich-Abfinden (Vorsatz) unmöglich zu ziehen sei. Aber warum schreibt er das jetzt und warum gerade zu diesem Fall? Und wenn er den Mordparagraphen abschaffen will: Warum begründet er das nicht wissenschaftlich, sondern mit einem kuriosen Einzelfall?
Da hätte man von einem Rechtswissenschaftler wahrlich mehr erwarten können.