Montag, 27. Februar 2017
Mord durch Rasen (LG Berlin)
Das Landgericht Berlin hat zwei so genannte "Autoraser" wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei deren Rennen war ein Unbeteiligter zu Tode gekommen. Das Strafmaß dürfte vielen ungewöhnlich hoch erscheinen, denn mit Mord verbinden die meisten andere Verhaltensweisen. Man kann sich fragen, ob zu Recht.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Bundesgerichtshof wird also über den Fall noch entscheiden und möglicherweise neue Maßstäbe für derartige Fälle setzen. In Bremen ist vor kurzem ein Motorradfahrer wegen Fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Unabhängig davon kann man sich aber einige Gedanken dazu machen, denn die Rechtsprobleme sind allgemeiner Natur.
Das erste Problem ist die Frage des Vorsatzes, also ob die Angeklagten wissentlich und gewollt handelten. Die Angeklagten haben sich (natürlich) damit verteidigt, dass sie niemanden hätten töten wollen. Die Presse berichtet z. B. hier.
Nun reicht der fehlende Tötungswille für eine Verneinung des Vorsatzes nicht zwingend aus, denn vorsätzlich handelt auch der, wer ein Ergebnis "billigend in Kauf nimmt". Der Jurist sagt Eventualvorsatz oder Dolus eventualis dazu. Die juristischen Theorien zur Abgrenzung des Eventualvorsatzes und der (bewussten) Fahrlässigkeit sind unüberschaubar; zu Zeiten meines Examens habe ich mal 38 verschiedene Theorien gezählt und die Lage ist seither kaum klarer geworden.
Wann nimmt man etwas "billigend in Kauf"? Das ist so eine dieser Floskeln, mit der die Rechtsprechung mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Wann billigt man etwas? Wann nimmt man etwas in Kauf?
Man sollte die Frage vielleicht umdrehen: Wann ist die Gefahr, die man durch ein bestimmtes Verhalten setzt, so groß, dass man davon ausgehen muss, dass jeder, der sich derartig verhält, das (mögliche) Ergebnis seines Verhaltens zwingend auch will? Weil er einfach davon ausgehen muss, dass dieses Ergebnis (möglicherweise) eintreten könnte und sich daher zwingend mit dessen Eintreffen abgefunden haben wird?
Die Rechtsprechung ist da erstaunlich uneinheitlich, und es ist gar kein so richtiger Grund dafür ersichtlich. Wer mit einem geladenen Gewehr blind aus dem Fenster schießt, wird mit seiner Verteidigung, er hätte niemanden treffen wollen, kaum jemals ernsthaft gehört werden. Er musste einfach davon ausgehen, dass er möglicherweise jemanden treffen könnte. Wer sich damit verteidigt, er habe einen anderen nicht töten wollen, obwohl er mit einer Schusswaffe auf dessen Kopf gezielt und abgedrückt hat, der wird kaum damit gehört werden, er hätte die Folgen nicht erwartet oder gewollt, obwohl es theoretisch denkbar wäre.
Genauso muss wohl der Autofahrer, der mit 170 km/h durch die Innenstadt fährt, um die Gefährlichkeit seines Tuns wissen. Auch, dass das Auto grundsätzlich geeignet ist, einen anderen umzubringen, sollte man als bekannt voraussetzen können. Er muss wohl auch damit rechnen, dass sich andere auf der Straße befinden, er selbst befindet sich ja immerhin auch dort. Da wird es dann schon langsam eng mit der Behauptung, man habe den Tod des anderen nicht zumindest "billigend in Kauf genommen". Näher mag da schon liegen, dass es einem einfach egal war, ob durch das eigene Tun möglicherweise jemand zu Tode kommt - und das reicht für den dolus eventualis.
Aber wir werden sehen, was der Bundesgerichtshof dazu sagt.
Das zweite Problem ist das des Mordes, der nach dem Gesetz zwingend die lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht. Das Gericht hat hier ein Mordmerkmal des § 211 StGB angenommen, nämlich das objektive Mordmerkmal des Einsatzes "gemeingefährlicher Mittel". Das ist noch eines der deutlicher umrissenen Mordmerkmale: gemeingefährlich ist ein Tatmittel dann, wenn es im konkreten Fall eine unbestimmte Anzahl anderer Personen konkret gefährdet. Das dürfte bei einem Kraftfahrzeug, dass im Straßenverkehr mit 170 km/h unterwegs ist, ohne weiteres der Fall sein. Bei dieser Geschwindigkeit kann niemand mehr kontrollieren, wen er alles gefährdet.
Das eigentliche Problem könnte hier sein, dass die Verurteilung wegen Mordes zwingend lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht und nicht milder geahndet werden dürfte - dies wird von Verteidigern seit Jahrzehnten kritisiert, sollte längst geändert werden und ist trotzdem nach wie vor Gesetz. Ein Gericht wird sich wohl auch in diesem Fall daran zu halten haben. Hier könnte die Verteidigung allenfalls mit einer Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit des § 211 StGB geltend machen. Ich sag es mal so: Das haben schon andere mit weitaus fragwürdigeren Urteilen vergeblich versucht.
Als Fazit muss man wohl sagen: Das LG Berlin könnte durchaus alles richtig gemacht haben.
Mittwoch, 15. Februar 2017
Unfortgebildet
Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden. Das steht in § 43a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und manche wissen das gar nicht. Für Richter oder Staatsanwälte gibt es eine solche Fortbildungspflicht übrigens nicht; böse Zungen sagen manchmal, das merke man auch.
Fachanwälte - und das dürften mittlerweile recht viele Rechtsanwälte sein - müssen jährlich 15 Stunden Fortbildung sogar nachweisen, das regelt die Fachanwaltsordnung. Bei mehreren Fachanwaltstiteln verdoppelt bzw. verdreifacht sich die Anzahl der geforderten Stunden entsprechend.
Die Rechtsanwaltskammer machen sich trotzdem seit langer Zeit Gedanken darüber, ob man nicht auch die allgemeine Fortbildungspflicht entsprechend spezifizieren und eine Verletzung der Fortbildungspflicht sanktionieren sollte, aber die Umsetzung machte immer Probleme: Wie viel sollte der Rechtsanwalt sich fortbilden, worin und wie sollte das effektiv überprüft werden?
Vehement hatten der Deutsche Anwalt Verein und die Bundesrechtsanwaltskammer sich gemeinsam dafür ausgesprochen, eine Spezifizierung der Fortbildungspflicht im Gesetz zu verankern - nicht etwa die Pflicht selbst, wie es in der Presse gerne heißt, z. B. hier in der FAZ. Die Pflicht selbst gibt es ja längst, siehe oben.
Dem hat "die Politik" jetzt einen Riegel vorgeschoben, die geplante Rechtsänderung wird nicht verabschiedet werden.
P.S.: Es ist aber auch weiterhin nicht verboten, sich fortzubilden. Auch das gilt im übrigen auch für andere Berufsbilder.
Donnerstag, 2. Februar 2017
Liebe Frau Lenders,
ich wollte mir gestern die Talkshow "Maischberger" zum Thema "Polizisten - Prügelknaben der Nation?" anschauen, aus beruflichem Interesse. Ich hatte mich auf einiges gefasst gemacht, zumal ja auch Rainer Wendt eingeladen war, der Vorsitzende der so genannten "Deutschen Polizeigewerkschaft", deren Mitglied auch Sie sind.
Mal so am Rande gefragt: Fühlt man sich eigentlich sehr gebauchpinselt, wenn gleich zwei von sechs Gästen aus einer Zwergvereinigung wie der Ihrigen eingeladen werden? Sie vertreten etwa 95.000 Mitglieder; warum eine solche Minderheit in einer Gesprächsrunde gleich doppelt vertreten ist, muss ich aber wohl Frau Maischberger fragen.
Eigentlich wollte ich ja auch etwas ganz anderes sagen: Ich habe die Sendung dann doch nicht sehen können, zumindest nicht zu Ende. Ich habe nur Sie gesehen. Dann habe ich ausschalten müssen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.
Das war, als Sie sagten, es wäre frustrierend für die Polizeibeamten, wenn - wie jüngst in Hamburg - ein Vergewaltiger FREIGESPROCHEN würde. Von dem Angeklagten sprachen sie als "Täter". Damit haben Sie binnen weniger Sekunden alle Vorurteile bestätigt, die man über Polizisten so haben kann: Urteile der Justiz ignorieren Sie einfach, wenn sie Ihnen nicht passen, Unschuldige heißen bei Ihnen "Täter" und wenn ein Unschuldiger frei gesprochen wird, finden Sie das "frustrierend". Das ist zynisch, Menschen verachtend, überheblich und totalitär.
Liebe Frau Lenders, wer so redet, der darf sich auch nicht wundern, wenn ihm auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude von den Angehörigen der Betroffenen der blanke Hass entgegen schlägt. Vielleicht haben Sie in der Sendung ja auch noch etwas Vernünftiges gesagt, ich weiß es nicht. Aber ich finde, das was Sie gesagt haben, reicht.